Herr Kollege, ich würde Sie gerne fragen, ob Sie das, was Sie gerade sagen, wirklich glauben. Denn die neue CDU/FDP/CSU-Koalition in Berlin plant doch gerade den Ausstieg aus dem Solidarsystem und macht sich für die privaten Krankenversicherungen stark. Das kann man in allen Medien von „Der Spiegel“ bis „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ lesen.
Vielen Dank, Kollege Sagel, für Ihre Frage. Wie Kollege Henke es vorgemacht hat, möchte ich gerne Ihre Exparteifreundin Andrea Fischer zitieren, die sich auch dazu geäußert hat. Ich zitiere aus dem „Tagesspiegel“:
Gute Opposition muss schon genau hinschauen. Das Nachdenken über eine andere Organisation des Sozialstaats steht an. Das bedeutet nicht, ihn abzuschaffen, und ob das zu Ungerechtigkeiten führt, ist noch lange nicht ausgemacht.
Für diejenigen, die vielleicht über Solidarität noch einmal nachdenken wollen – wir können hier gerne über Solidarität sprechen –, will ich eine Definition geben, wie Wikipedia Solidarität beschreibt. Dort steht:
Der Begriff Solidarität wird in vielfältiger Weise verwendet: Er bezeichnet vor allem als Grundprinzip des menschlichen Zusammenlebens ein Gefühl von Individuen und Gruppen, zusammenzugehören. Dies äußert sich in gegenseitiger Hilfe und dem Eintreten füreinander.
Liebe Kollegen von der Opposition, jetzt sagen Sie mir, wie eine Sozialversicherung ein Gefühl haben kann. Gefühl ist erst einmal das, was die Gesellschaft hat, ein Füreinander, in Hilfe, in Not für den anderen da zu sein. Wie man das technisch macht, darüber kann man sich Gedanken machen. Aber es entspricht dieser Definition doch nicht, dass sich ein Gefühl mittels einer Sozialversicherung dokumentieren würde.
Die FDP hat den Bürgern im Wahlkampf klar und deutlich gesagt, was sie in der Gesundheitspolitik erreichen will und was dazu getan werden muss. Geschadet hat ihr das nicht, im Gegenteil. Das zent
rale Anliegen besteht darin, das Gesundheitssystem so zu gestalten, dass der medizinische Fortschritt eine positive Wirkung entfalten kann und die demografische Entwicklung angemessen berücksichtigt wird.
Wir wollen, dass auch in Zukunft alle Menschen in Deutschland unabhängig von Einkommen, Alter, sozialer Herkunft und gesundheitlichem Risiko weiterhin die notwendige medizinische Versorgung qualitativ hochwertig und wohnortnah erhalten und alle am medizinischen Fortschritt teilhaben können.
Wenn die Sozialdemokraten das unsozial finden, dann zeigt das nur, warum die Bürger ihnen schon lange nicht mehr abnehmen, Anwalt sozialer Gerechtigkeit zu sein.
Ja, es wird bei der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung zu Veränderungen kommen müssen, weil es notwendig ist, das System zukunftssicher zu machen. Das ist ein Problem, das in der gesetzlichen Krankenversicherung jahrzehntelang nicht angegangen worden ist, die mit dem Umlageverfahren jetzt schon auf Kosten der nachfolgenden Generationen lebt.
Um die Detailfragen zu klären, wird eine Kommission eingesetzt. Wir brechen also keineswegs etwas übers Knie. Es ist uns auch klar, dass es gerade in einem so sensiblen Bereich wie der gesundheitlichen Versorgung unerlässlich ist, sehr sorgfältig zu arbeiten und die Bürger mitzunehmen. Ich will auch nicht leugnen, dass es hier und dort unterschiedliche Auffassungen zwischen CDU und FDP gibt; das ist völlig natürlich. Entscheidend ist, dass wir uns über die Grundzüge der Reform verständigt haben. Das ist erheblich mehr als das, was in den letzten vier Jahren mit der SPD möglich gewesen ist.
Ermutigend ist aus meiner Sicht, dass die Vertretungen der Ärzteschaft die Entscheidung überwiegend positiv bewerten. Professor Hoppe als Präsident der Bundesärztekammer und der Rheinländer vor Ort erkennt in den Plänen eine Chance für eine neue Gesundheitskultur.
Selbstverständlich darf es nicht zu einer übermäßigen Belastung der Bürger kommen. Dafür haben wir im Koalitionsvertrag die Weichen gestellt. Es ist sehr viel gerechter, den sozialen Ausgleich über Steuern zu leisten. Denn Steuern zahlt jeder Bürger, der dazu finanziell in der Lage ist. Das heißt übrigens auch: Der Privatpatient leistet auf diese Weise einen Beitrag zum sozialen Ausgleich innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung.
schlossen, ebenso wie vor der Bürokratie und den Fehlanreizen im Morbi-RSA, den Sie angesprochen haben, wo „gesunde“ Kranke akquiriert werden, die als krank definiert sind, aber eine Krankenkasse nicht ganz so viel kosten. Ist das ein kluger Anreiz für ein Krankenversicherungssystem?
Was haben Sie dagegen, dass beschlossen wurde, dieses vielleicht mal gut gemeinte, aber äußert schlecht gemachte Instrument endlich zu vereinfachen und dafür zu sorgen, dass Manipulationen nicht mehr möglich sind?
Ich greife einen weiteren Aspekt aus dem SPDAntrag auf. Sie haben bekanntermaßen ein Problem damit, wenn Versicherte mehr Spielraum bei der Ausgestaltung ihres Versicherungsschutzes erhalten. Reflexartig ist für die Sozialdemokraten klar: Dies ist ein weiteres Einfallstor für Sozialabbau. Auch hier zeigt sich, dass Sie nicht nur den Bürgern nicht allzu viel zutrauen, sondern dass Sie CDU und FDP unterstellen, wir würden eine solche Änderung einführen, ohne für die notwendigen Voraussetzungen zu sorgen.
Hätten Sie den Koalitionsvertrag aufmerksam gelesen, wäre Ihnen aufgefallen: Auf Seite 82 steht unter der Überschrift „Patientensouveränität und Patientenrechte“ nicht nur, dass wir eine unabhängige Beratung für Patienten wollen, sondern darüber hinaus wollen wir mehr Transparenz und Orientierung über Qualität, Leistung und Preis geben. Das sind wichtige Dinge, die in den letzten Jahren deutlich vernachlässigt wurden. Diese Transparenz wird auch für Versicherte mit besonderen Versorgungsformen und Versorgungsverträgen vorgesehen sein.
Die Rechte der Patienten sollen schließlich in einem gesonderten Patientenschutzgesetz gebündelt werden, das in Zusammenarbeit mit allen im Gesundheitswesen Beteiligten erarbeitet werden soll.
Ich finde: Die Koalition ist wirklich auf einem guten und zukunftsweisenden Weg. Denn selbstverständlich ist Wahlfreiheit nur dann möglich, wenn man die Versicherten informiert und ihnen Mitwirkungsmöglichkeiten einräumt.
Wir wollen einen Wettbewerb um mehr Qualität. Wir wollen gemeinsam mit den Bürgern die Diskussion führen, was man unter Qualität versteht und welche Auswirkungen damit verbunden sind. Zu dieser Diskussion sind Sie herzlich eingeladen. Ich habe aber den Eindruck, dass Sie sich jetzt schon davor verschließen. – Danke schön.
nicht so, dass man in der Gesundheitspolitik mit Verabschiedung der Koalitionsvereinbarung bei null anfängt. Wir haben einen Wahlkampf hinter uns, in dem deutlich gewesen ist, in welche Richtung der Zug fahren soll. Das, was im Koalitionsvertrag steht, ist von daher für niemanden besonders überraschend gewesen, weil die Richtung, in die Sie als FDP laufen wollten, und die Richtung, in die die CDU laufen wollte, einigermaßen sichtbar waren und man vorher abwägen konnte, welche Zwischenvarianten dabei herauskommen.
Ich finde es trotzdem wichtig, dass man hier und heute schon einmal Bilanz zieht, um den Bürgerinnen und Bürgern im Plenum vor Augen zu führen, was auf sie zukommen wird und was Sie in den Koalitionsvertrag zwar hineingeschrieben haben, aber mit netten, blumigen Umschreibungen ein Stück weit zu verkleistern versuchen. Ich finde, dass Klarheit für die Menschen eigentlich wichtig ist.
Sie haben eben so nett gesagt, Sie wollten, dass in Zukunft alle Menschen unabhängig von Einkommen, Alter, sozialer Herkunft und gesundheitlichem Risiko weiterhin an allen möglichen Fortschritten teilhaben können. Das ist Ihre blumige Umschreibung am Anfang. Später im Koalitionsvertrag erklären Sie den Menschen, was das wirklich heißt.
Sie wollen – das wird ziemlich deutlich – eine Basisversicherung und eine Zusatzversicherung. Wir haben das im Wahlkampf ziemlich oft diskutiert, und dabei ist die Spanne zwischen dem, was wir und was die CDU bzw. die FDP unter Basisversicherung verstehen, deutlich geworden.
Definierten wir „Basisversicherung“ als das, was heute schon jeder über seine Krankenversicherung abgesichert hat, also als eine Grundversorgung, die aber eigentlich nur das medizinisch Notwendige abdeckt, wäre man bei einer grundsätzlichen Versorgung.
Aber das ist nicht das, was Sie wollen, weil man damit keine Kosten sparen kann. Damit wären die Explosion der Kosten weiterhin enorm und der Anstieg groß. Von daher ist das, was Sie mit Basisversorgung umschreiben, weniger als das, was man heute hat. Also müssten Sie schon so ehrlich sein und sagen – wie dies Kollegen von Ihnen im Wahlkampf getan haben –, welche Leistungen es nicht mehr geben soll. Das tun Sie an der Stelle nicht.
Klar aber wird schon, dass sich das dahinter verbirgt. Denn es steht dort auch: Die Versicherten sollen sich auf der Basis des bestehenden Leistungskatalogs so weit wie möglich ihren Krankenversicherungsschutz selbst gestalten können. Das heißt: Es wird in dem Bereich Einschränkungen an vielen Stellen geben. Sie wollen eine Minimierung des Versicherungsschutzes.
Es braucht Anreize – so steht es im Koalitionsvertrag – für kosten- und gesundheitsbewusstes Verhalten. Aber welche Anreize es im positiven Sinne geben soll, finden wir dort nirgendwo. Positive Anreize für die Menschen, von denen sie wirklich etwas haben, durch die es ein Mehr an Prävention, wo es ein Mehr an Angeboten gibt, sehen wir nicht.
Klarer – das wurde von Ihnen im Wahlkampf massiv vertreten – wird Ihre Haltung rund um den MorbiRSA, Herr Kollege Henke. Beim Morbi-RSA gab es nach der Umstellung in der Vergangenheit zahlreiche Meldungen, dass damit Missbrauch betrieben wurde. Aber Missbrauch betreiben heißt, dass wir intensiv überlegen müssen, wie wir das Ausgleichssystem transparenter gestalten können.
Wir brauchen ein System, das zwischen den Leistungsträgern, die viele und schwer erkrankte Versicherte als Kunden haben, und denen, die weniger Erkrankte haben, ausgleicht.
Zu lesen steht aber: Wir wollen das auf das notwendige Maß reduzieren. – Damit meinen Sie etwas anderes als der Kollege Romberg beziehungsweise der Kollege Daniel Bahr, der gesagt hat, die Summe, die dort ausgetauscht werde, sei viel zu hoch.
Deshalb stellt sich im Zusammenhang mit dem Koalitionsvertrag die Frage: Was passiert denn? – Soll es nur ein transparenteres Verfahren werden, bei dem nachgewiesen wird, wer welche Krankheit hat und bei dem nicht jeder zum chronisch Kranken abgestempelt wird? Oder heißt das, dass wir ein System bekommen, bei dem der Austausch zwischen guten und schlechten Risiken nicht mehr in dem Maße stattfinden soll, sodass wir letztendlich wieder Versicherungen haben, die die Zeche für eine anderen zahlt und die mit Zusatzprämien die Menschen, die sowieso schon benachteiligt sind, noch einmal zur Kasse bitten?
Nach allem, was ich im Wahlkampf erlebt habe, glaube ich nicht, dass Sie sich durchsetzen, Herr Laumann. Schaut man sich die Zusammensetzung des Ministeriums an, befürchte ich, dass sich das neoliberale Gedankengut der FDP, an der Stelle keine Solidarität zu üben, durchsetzen wird. Vergegenwärtigt man sich die Befragung in der Bevölkerung, so traut man das auch dem neuen Gesundheitsminister nicht zu. Das wird deutlich. Der größte Teil der Bevölkerung sagt, man traue ihm nicht zu, dass er mit der Krise umgehen könne. Bei anderen Befragungen wird ihm schon vorhergesagt, was denn kommen wird.
Ganz grundlegend für Ihre Koalitionsvereinbarung ist, dass Sie eine Umstellung vom solidarischen Versicherungssystem, das wir heute haben, hin zu einer Kopfpauschale wollen; die – Klammer auf – die CDU im Wahlkampf nicht mehr vertreten hat, sondern von der auch die CDU-Vertreter im Wahlkampf gesagt haben, sie sei nicht ihr Zukunftssys
tem, weil sie nicht solidarisch und nicht sozial gerecht ist. Es erstaunt mich, dass das doch der Koalitionskompromiss ist.
Denn natürlich ist diese Kopfpauschale, nämlich die Einkommensunabhängigkeit, unsozial; weil Menschen, egal wie hoch ihr Einkommen ist, gleich herangezogen werden. Das ist unsozial. Das solidarische System, das den Ausgleich zwischen den Besserverdienenden und den Schlechterverdienenden herstellt, haben wir an der Stelle nicht.
Und auch das Verabschieden von dem gleichen paritätischen Anteil Arbeitgeber zu Arbeitnehmer zulasten des Gleichgewichts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer halte ich nach wie vor für fatal. Da kann man sich so oft man will hinstellen und sagen, dass das durch die Arbeitskraft der Beschäftigten erwirkt wird. Klar, aber die Frage ist, ob es der Gewinn des Unternehmens ist oder ob es in die Krankenversicherung hineingesteckt wird. Erwirtschaftet hat das der Arbeitnehmer. Aber wer das am Ende bekommt – ob die Gesundheit des Arbeitnehmers oder sozusagen das Eigenheim des Arbeitgebers –, das ist die wesentliche Frage.
Deswegen, meine ich, darf diese paritätische Versicherung nicht ausgebremst werden und müssen wir bei der Parität bleiben.
Hier ist durch den Einstieg über das Festzurren des Arbeitgeberanteils klar, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land perspektivisch immer mehr zur Kasse gebeten werden. Anfangen wird das mit dem Defizit in Höhe von 3 Milliarden €. Gleich im kommenden Jahr werden wir den Anstieg der Beitragszahlungen durch die Zusatzbeiträge erleben. Von daher wird sich der Anstieg langsam, aber sicher vollziehen, und man wird sehen, ob die Menschen in Nordrhein-Westfalen schon vor der Wahl spüren werden, was Ihre Gesundheitsreform an Defizitärem bringt, oder ob sie es erst danach spüren werden. Aber spüren werden sie es, und die Konsequenzen daraus ziehen werden sie auch.
Wenn ich mir vor allen Dingen die zwei weiteren Punkte anschaue, die sich mit der momentanen Kostenexplosion befassen, und was Sie an kurzfristigen Maßnahmen im Koalitionsvertrag vereinbart haben, dann stellt sich mir alles hoch. „Unnötige Ausgaben sind zu vermeiden!“ Meine Damen und Herren, im Wahlkampf bin ich keinem Politiker der FDP begegnet, der mir sagen konnte, was denn eine solche unnötige Ausgabe wäre. Es war immer ein Hin und Her und ein Rumgestocher. Den Menschen genau das zu sagen, was man ihnen an Leistungen streichen will, das traut sich niemand, aber Sie werden es tun. Und wenn Sie es tun, werden die Menschen es Ihnen zurechnen.