Protocol of the Session on October 7, 2009

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber was Sie machen mit dieser Perspektive, das ist wirklich eine zukunftsgerichtete Deindustrialisierung. Das ist so, als ob die Bayern, statt von der Lederhose zum Laptop aufzubrechen, zurückgegangen wären.

(Ralf Witzel [FDP]: Deindustrialisierung ist doch das, was Sie wollen!)

Wir sind genau in der verkehrten Richtung unterwegs. Sie sind diejenigen, die an dieser Stelle deindustrialisieren. – Danke.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Priggen. – Als Nächste spricht für die Landesregierung Frau Ministerin Thoben.

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Noch einmal zur Genese der Genehmigung: Die Zitate sind eindeutig. Im Gebietsentwicklungsplan von 1987 – seitdem ist der Neubau an diesem Standort möglich – steht wörtlich:

Zur Minderung der Umweltbelastung sollen Altanlagen modernisiert oder durch neue umweltverträgliche Kraftwerke ersetzt werden. – Zitatende.

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Minderung!)

Das zweite Zitat stammt aus dem Jahr 2004 – wieder wörtlich –:

Zur Minimierung der Umweltbelastungen sollen Altanlagen modernisiert oder durch neue, umweltverträgliche, ressourcenschonende Kraftwerke ersetzt werden.

In den Erläuterungen zum Gebietsentwicklungsplan heißt es:

Dies bedingt auch eine Modernisierung bestehender Anlagen bzw. ihre Neuerrichtung.

Diese Sachen sind von der jeweiligen Landesregierung eindeutig abgesegnet worden. Ich habe die Namen der zuständigen Minister vorgetragen.

Aber wo stehen wir heute? Zurzeit sind acht Kraftwerke im Bau oder im Genehmigungsverfahren. Nur eines davon, das Steinkohlekraftwerk Lausward, ist auf einem der angebotenen LEP-Standorte geplant. Die übrigen sieben werden auf anderen Standorten errichtet, die nicht im LEP verzeichnet sind.

Nun interessiert mich: Wenn man das Gerichtsurteil alleine nimmt, könnte daraus überall eine zusätzliche Klagemöglichkeit entstehen, indem man der Landesregierung immer wieder vorwirft: Ihr habt Planungsfehler gemacht.

Wir haben es mit einer völlig veränderten juristischen Situation zu tun. Ich nehme mir zugunsten der alten Landesregierung die Freiheit zu sagen: Es muss ja damals nach Ihrer heutigen Sichtweise wohl so gewesen sein, dass die früheren Landesregierungen die Interpretation gehabt haben, Kraftwerke dürften ausschließlich auf LEP-Flächen realisiert werden. Das hat man damals aber nicht gesagt und auch nicht gewollt. Es war eine Angebotsplanung.

Meine Damen und Herren, wir haben eine gut funktionierende Regionalplanung. Wir haben Regionalräte, die der Gesetzgeber mit der Regionalplanungshoheit für die Region ausgestattet hat. Wir haben Verfahren, mit denen die Abstimmung der Regional- mit der Landesplanung sichergestellt wird.

Mit Blick auf die Debatte um Anzeige- und Genehmigungsverfahren, Herr Römer, erlaube ich mir anzumerken, dass diese Prüfung bei Rot-Grün offensichtlich ein wenig inhaltlicher betrieben worden ist. Mit einem Anzeigeverfahren, das Sie jetzt so offensiv vertreten, hatte das damals wohl nichts zu tun.

Bei der Würdigung des Urteils spielt eine Frage eine wichtige Rolle, ob nämlich eine planende Kommune gezwungen ist, auf eine im LEP ausgewiesene Fläche zu gehen, oder ob sie eine im Regionalplan für einen Kraftwerksneubau ausgewiesene Fläche nutzen darf.

Diese Urteilspassage ist für uns deshalb nicht nachvollziehbar, weil die entsprechenden Planvorgaben des Landes anders lauten. Der Zehnte Senat geht in seiner Begründung bis zum LEP VI von 1978

zurück. Deshalb will ich das auch tun. Im Abschnitt „Standortplanung für Kraftwerke“ hieß es – ich zitiere wörtlich –: „Für die Kraftwerksstandorte besteht kein Darstellungsprivileg.“

Somit lässt der LEP VI auch die Errichtung von Kraftwerken an bestehenden Standorten unberührt. Die förmliche Inanspruchnahme eines Darstellungsprivilegs für Kraftwerksstandorte erscheint unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Energiemarktes besonders problematisch angesichts der zurzeit bestehenden Prognoserisiken des Bedarfszuwachses.

Der heute veraltete Terminus technicus „Darstellungsprivileg“ meint nichts anderes, als dass man schon damals nicht gezwungen war, auf eine der dargestellten Flächen zu gehen, und dass der Verordnungsgeber, die damalige Landesregierung, im Einvernehmen mit dem Landtag dies ausdrücklich nicht beabsichtigt hat.

Der LEP VI von 1978 ist mit dem Inkrafttreten des LEP 1995 außer Kraft getreten. Dazu sagt der LEP 1995 – ich zitiere wiederum wörtlich –: „Die Standorte sind aus dem ehemaligen LEP VI übernommen worden.“ Auch hier wird unmissverständlich darauf hingewiesen, dass dies nicht zwingend bedeutet, dass man auf eine dieser Flächen gehen muss.

Außerdem geben Sie in Ihrer Entschließung die Feststellung des OVG wieder, die Landesregierung hätte für den Neubau in Datteln ein Zielabweichungsverfahren nach § 24 Abs. 1 durchführen müssen, weil nicht dieser Standort, sondern ein Kraftwerksstandort 5 km weiter nördlich im LEP dargestellt sei.

Ich kann hierzu nur wiederholen, dass die im LEP dargestellten Kraftwerksstandorte ausdrücklich als Angebotsplanung deklariert sind und dass der LEP ihnen keine Konzentrationswirkung beimisst. Das heißt, es können durchaus Kraftwerke an anderen Standorten gebaut werden. Das ist konform mit den Zielen des LEP und bedarf insofern keines Zielabweichungsverfahrens. Es wird noch detailliert auszuwerten sein, warum das Oberverwaltungsgericht hier zu einer anderen Meinung gelangte.

Meine Damen und Herren, mir leuchtet nicht recht ein, wie man meine Darlegungen missverstehen kann.

(Lachen von Svenja Schulze [SPD])

Die Passage hat übrigens der damals für die Landesplanung zuständige Minister Matthiesen mit dem seinerzeit zuständigen Ausschuss des Landtags abgestimmt.

Dass die heute gemäß Raumordnungsgesetz des Bundes vorgegebenen Rechtsbegriffe nicht angewandt wurden, ist in keiner Weise zu rügen. Diese Begriffe sind erst Jahre nach der Aufstellung des Plans festgelegt worden.

Damit sind nun Rechtsfragen angesprochen, die aus unserer Sicht Bundesrecht berühren und die eine Revisionsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht rechtfertigen. Es wird Ihnen, meine Damen und Herren, bekannt sein, dass die Hürde für die Zulassung der Revision sehr hoch ist. Wenn aus Sicht des Gerichts ein einziger Grund erkennbar ist, warum das Urteil hält, braucht sich das Bundesverwaltungsgericht nicht mit allen anderen aufgeworfenen Rechtsfragen zu beschäftigen. Das ist bei einem hundertseitigen Urteil eine äußerst anspruchsvolle Hürde.

Die Landesregierung hat der beklagten Stadt Datteln zugesagt, dass sie die Stadt bei dieser Revisionsbeschwerde und gegebenenfalls im Revisionsverfahren beim Bundesverwaltungsgericht unterstützen wird.

(Beifall von der CDU)

Meine Damen und Herren, ich will nicht verhehlen, dass ich selbst und manche Gesprächspartner, mit denen wir derzeit die verschiedenen ergangenen Urteile diskutieren, über die derzeitige Rechtsprechung vergleichsweise ratlos bin bzw. sind. Missverstehen Sie das nicht als Urteilsschelte. Politik kann und soll durch Rechtsprechung klüger werden. Aber zuvor muss nachvollziehbar sein, wie Politik, wie der Gesetzgeber, wie der Verordnungsgeber und wie die Landesplanung

(Beifall von Manfred Kuhmichel [CDU])

ihre Aufgabe einer Steuerung von raumbedeutsamen Planungen aus Sicht der Gerichte nachkommen sollen und wie kommunale Planungshoheit und staatliche Steuerung rechtssicher zusammenwirken können.

Der Zehnte Senat des OVG Münster hat vor vier Jahren zum CentrO in Oberhausen entschieden – das war zur Zeit von Rot-Grün – und dabei festgestellt, dass das Wort „soll“ im Gesetzestext des LEPro bedinge, dass keine verbindliche landesplanerische Zielvorgabe, sondern nur ein abzuwägender Grundsatz zustande kommt. Ein Ziel habe bestimmt zu sein.

Man kann zugespitzt formulieren: Mit diesem Urteil hätte der Zehnte Senat notfalls auch Gottvater die Beachtenspflicht des sechsten Gebotes abgesprochen, weil es das Wort „soll“ enthält.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU)

Wie Sie wissen, haben Landesregierung und Gesetzgeber dies zum Anlass genommen, § 24 LEPro entsprechend neu zu fassen. Aus unserer Sicht hat der Gesetzgeber dabei durchaus großzügige, aber verbindliche Zielvorgaben mit Grenzwerten für Factory-Outlet-Center in kleineren Orten festgelegt.

Nun kommt der Verfassungsgerichtshof zu dem Schluss, eine solche verbindliche Vorgabe sei deshalb nicht haltbar, weil das Gesetz keine Ausnahme

zulasse und weil in einem solchen Fall eine noch wesentlich rigidere Abwägung der gesetzten Grenzen erforderlich gewesen wäre, als sie ohnehin schon vorgenommen worden ist.

In seinem jüngsten Urteil zur Vergrößerung des vorhandenen FOC in Ochtrup im Rechtsstreit zwischen Kommune und Bezirksregierung kommt der gleiche Zehnte Senat nun wohl zu der Schlussfolgerung, dass die Vorgaben des neuen § 24a deshalb nicht verbindlich seien, weil der Gesetzgeber den Kommunen überlassen habe, die Grenzen der zentralen Versorgungsbereiche selbst festzulegen.

Ich sage „wohl“, weil dieses Urteil noch nicht schriftlich vorliegt. Ich will deshalb an dieser Stelle auch keine Spekulationen anstellen, welche Rechtsgründe das Gericht zu seinem Urteil bewogen haben und zu welcher Abwägung man zwischen den beiden Waagearmen der kommunalen Planungshoheit und der staatlichen Steuerung gefunden hat.

Ich stelle derzeit aber fest: Die jeweilige Position des Züngleins an der Waage für die Landespolitik kann ich im Moment nicht voraussagen. Wenn meine Amtsvorgänger das CentrO-Urteil besser als wir in den letzten Wochen die Urteile zu Ochtrup und Datteln vorausgesehen haben, haben sie diese Kunst zumindest öffentlich geheim gehalten, was ich bedauerlich finde. Weisheit im Nachhinein nützt leider nichts.

(Beifall von der CDU)

Ich hatte es gesagt: Wenn das OVG-Urteil zu Ochtrup vom 30. September 2009 schriftlich bei der Bezirksregierung vorliegt, wird es sorgfältig ausgewertet. Dann ist von der Bezirksregierung auch zu entscheiden, ob sie in die Revisionsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht geht. Wie Sie wissen, hängt dies maßgeblich von der Frage ab, inwieweit durch das Urteil Bundesrecht berührt wird.

Was werden wir weiter tun? Wir hatten, ehrlich gesagt, gehofft, in diesem Herbst mit dem Regierungsentwurf für den gesamten neuen LEP fertig zu sein. Das gelingt leider nicht. Die aktuellen Urteile des Verfassungsgerichtshofs und des OVG in Sachen FOC-Regelung und großflächiger Einzelhandel bedingen, dass über die entsprechenden Kapitel im Entwurf über weite Strecken neu nachgedacht werden muss.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Warum wird das in dieser Legislaturperiode nichts?)