Protocol of the Session on October 7, 2009

(Beifall von der SPD)

Die Not muss ja schon groß sein, wenn die Regierungsfraktionen meinen, mit einem allgemeinen Appell könnten sie den Murks, den die Landesregierung angerichtet hat, vergessen machen. Das wird nicht gelingen. Denn inzwischen ist klar, dass die Regierung Rüttgers ein Sicherheitsrisiko für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen ist.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das Oberverwaltungsgericht urteilt vernichtend über die Wirtschafts- und Industriekompetenz dieser Landesregierung – nicht der Opposition, Frau Thoben. Die Regierung Rüttgers fügt dem Standort Nordrhein-Westfalen dauerhaften und irreparablen Schaden zu. Das Vertrauen in die Landesregierung ist dahin, wenn ständig erst Gerichte für Recht und Gesetz sorgen müssen. Das schadet der Wirtschaft, den Arbeitnehmern und den Anwohnern gleichermaßen.

Diese Landesregierung – das arbeiten wir ganz penibel heraus – sorgt mit schwerwiegenden handwerklichen Fehlern, mit politischen Fehlentscheidungen und mit politischen Versäumnissen dafür, dass wichtige Industrieprojekte gefährdet werden und dass die Akzeptanz für industrielle Produktion

generell schwindet, Herr Kollege Wittke. Es spricht sich nämlich herum, dass CDU und FDP nicht regieren können. Die Regierung Rüttgers wird ein um das andere Mal von Gerichten zurückgepfiffen oder gestoppt, Wirtschaft und Gewerkschaften verzweifeln angesichts von so viel Regierungsmurks, und unser Land nimmt Schaden.

Wir reden heute über einen industriepolitischen Supergau. Nirgendwo sonst in Deutschland müssen 2.500 Kolleginnen und Kollegen damit rechnen, von der Baustelle nach Hause geschickt zu werden, weil eine Regierung schlampig gearbeitet hat.

(Zurufe von der CDU)

Nirgendwo sonst in Deutschland müssen Anwohner zusehen, wie ein riesiger Kühlturm in den Himmel wächst, der vielleicht wieder abgerissen werden muss, bevor er fertig gebaut wird, weil diese Regierung schlampig gearbeitet hat.

(Oliver Wittke [CDU]: Sie klatschen Beifall dazu! – Weitere lebhafte Zurufe von CDU und SPD)

Herr Kollege Wittke, unsere Verfassung schreibt die Gewaltenteilung fest.

(Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: Das ist doch billig, Herr Wittke! Sie polemisieren doch nur! – Zuruf von Oliver Wittke [CDU] – Weitere Zurufe von CDU und SPD – Unruhe – Glocke)

Herr Kollege Wittke, das Parlament hat den Auftrag, gute Gesetze zu verabschieden. Die Regierung trägt die Verantwortung für gute Gesetzentwürfe und dafür, dass diese Gesetze durch kluges und umsichtiges Regierungshandeln auch praktisch umgesetzt werden. Frau Thoben, auch Sie tragen Verantwortung für das Regierungshandeln.

Die Gerichte achten darauf – das haben sie auch in diesem Fall getan –, dass das Regierungshandeln im Einklang mit Recht und Gesetz steht. Wir alle müssten ein Interesse daran haben, dass die Gewaltenteilung funktioniert – auch die Regierungsfraktionen, auch die Landesregierung. Deshalb, meine Damen und Herren, muss das Gerichtsurteil zum E.ON-Kraftwerk in Datteln nicht nur akzeptiert, sondern auch gelesen und ausgewertet werden.

Herr Ellerbrock spricht zu Recht vom Nachhilfeunterricht für die Landesregierung. Den sollte sie nehmen, kostenlos, und auch hier und heute zuhören und Konsequenzen ziehen. Das Gerichtsurteil enthält nämlich viele Hinweise zum Versagen der Landesregierung. Es macht deutlich, wie dieser Regierungsmurks entstanden ist. Damit beschäftigt sich der Antrag von CDU und FDP aber nicht. Er ist ausschließlich gemacht worden, um mit semantischen Übungen vom Kern des Problems abzulenken.

(Beifall von der SPD)

Der Antrag von CDU und FDP wird der Sache, um die es hier geht, an keiner Stelle gerecht. Und das ist ein Skandal, den sich die Regierungsfraktionen hinter die Ohren schreiben müssen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Prof. Dr. Gerd Bollermann [SPD]: So ist es!)

Denn dieser Antrag ist angesichts der Bedeutung dieses Gerichtsurteils für Anwohnerschutz, für Investitionssicherheit und für den Schutz von Arbeitsplätzen schlicht und einfach,

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Herr Kollege Brockes, eine Zumutung. Deshalb werden wir diesem Antrag auch nicht zustimmen. Denn das Oberverwaltungsgerichtsurteil ist eine Entscheidung im Einzelfall, also für den konkreten Fall des Bebauungsplanes Nr. 105 in Datteln. Das ist keine grundsätzliche Entscheidung gegen den Bau von Kohlekraftwerken. Aber das Urteil macht deutlich, dass diese Landesregierung mit ihren handwerklichen Fehlern eine große Gefahr für Industrieprojekte ist. Das ist der eigentliche Punkt.

(Beifall von der SPD)

Das Urteil ist im Übrigen, Herr Kollege Brockes – Sie sollten es wirklich lesen –, auch keine Abweichung von bisheriger Rechtsauffassung. Sonst wäre nämlich die Revision zugelassen worden. Das kann man in der Verwaltungsgerichtsordnung nachlesen. Das sollten Sie tun.

Meine Damen und Herren, jahrzehntelang war es ein Markenzeichen der Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen, dass selbst in komplexen, auch streitbeladenen Verfahren unser Land gut regiert wurde. Die Menschen, die Wirtschaft und die Gewerkschaften konnten darauf vertrauen, dass auch in schwierigen Verfahren geradlinig nach Recht und Gesetz entschieden wurde – unabhängig von politischen Überzeugungen der Regierungspartner. Und das war ein stabiles Fundament für Akzeptanz in der Bevölkerung und für die Planungs- und Investitionssicherheit für Unternehmen. Darauf konnte, meine Damen und Herren, im Wortsinne sicher gebaut werden – ganz im Gegensatz zu Ihrem Regierungshandeln.

(Beifall von der SPD – Zurufe von CDU und SPD)

Gutes Regierungshandwerk und rechtssichere Verfahren sind unverzichtbar und durch nichts zu ersetzen. Wer jetzt mit politischen Bekenntnissen von Fehlern im Regierungshandeln ablenken will, wie das CDU und FDP versuchen, der beschädigt im Übrigen die rechtsstaatliche Basis für die Entwicklung eines modernen, eines dicht besiedelten Industrielandes. Und schon deshalb, Herr Kollege Wittke, verbieten sich politische Bekenntnisse zu Projekten, deren Rechtmäßigkeit vom Oberverwaltungsgericht angezweifelt wird.

(Zurufe von CDU und SPD)

Wir werden noch Gelegenheit haben, in der weiteren Debatte – da ist noch viel Zeit – auf viele Details zu diesem Urteil einzugehen. Lesen Sie das mal! Lesen bildet.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Dann können wir auch im Wirtschaftsausschuss über die notwendigen Konsequenzen reden.

Diese Landesregierung – das steht heute schon fest –, die Regierung Rüttgers hat mit ihrem Murks im Verfahren dafür gesorgt, dass es bis heute keine Rechtssicherheit für die Anwohnerinnen und Anwohner, für die Investitionen und damit für die Arbeitsplätze gibt. Nicht die Stadt Datteln, nicht die Klägerinnen und Kläger, und schon gar nicht das Gericht tragen Verantwortung für dieses Desaster. Einzig und allein die Landesregierung hätte verhindern können, hätte auch verhindern müssen, dass es zu diesem Gerichtsurteil kommen konnte.

Unser Entschließungsantrag enthält eine umfangreiche Sachdarstellung, auch lesenswert. Ich gehe davon aus – der Kollege Priggen wird das sicherlich gleich noch vertiefen –, dass wir zu einem aufschlussreichen Gesamtbild kommen werden.

Das OVG – wir haben es öfter gesagt – stellt fest, dass der Bebauungsplan nicht mit den Zielen der Landesplanung übereinstimmt.

(Dietmar Brockes [FDP]: Falsch!)

Warum? Entscheidend ist – so das Urteil des OVG –, dass hier ein Neubau vorgesehen ist

(Ministerin Christa Thoben: Das habe ich eben schon vorgetragen!)

ein Neubau, Frau Thoben; Sie lernen das noch –, obwohl lediglich die Erweiterung eines bestehenden Kraftwerks planerisch bis 2004 abgesichert war.

(Ministerin Christa Thoben: Falsch! Sie wis- sen, dass es nicht stimmt!)

Für das OVG ist also entscheidend: Neubau oder Erweiterung. Die Landesregierung hatte aber der Stadt Datteln hingegen die planungsrechtliche Unbedenklichkeit für den Neubau bescheinigt

Zitat: Bedenken werden aus Sicht der Raumordnung und Landesplanung nicht erhoben. – Das schreibt die Bezirksregierung Münster in ihrer Stellungnahme vom 10. August. Und das OVG stellt auch fest, dass die vierte Änderung des Regionalplans, Frau Thoben, nicht mit den Zielen der Landesplanung übereinstimmt.

Das Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie hatte aber die Genehmigung dazu am 17. Mai 2006, Frau Thoben. Da haben Sie schon regiert, oder Sie haben versucht zu regieren, ich korrigiere mich, das klappt ja bis heute noch nicht.

Das OVG hat festgestellt, dass das Gefahrenpotenzial, das von dem Nebeneinander des Kraftwerks und schutzwürdiger Bereiche ausgeht, weitgehend hätte ausgeklammert und in das emissionsschutzrechtliche Vorbescheidsverfahren, Herr Minister Uhlenberg, hätte verlagert werden müssen.

Schutzwürdige Bereiche sind beispielsweise die Wohnhäuser, die nur wenige hundert Meter entfernt sind, eine Kinderklinik, die in der Nähe steht. Und das OVG qualifiziert dies nicht lediglich als Fehler oder Mangel bei der gebotenen Abwägung; das Urteil ist vernichtend. Ich will es Ihnen nicht ersparen, ich zitiere es:

Mit der Verlagerung dieser Frage in das emissionsschutzrechtliche Vorbescheidsverfahren liegt insofern ein Abwägungsausfall vor. – Sie haben gar nicht geprüft, Sie haben gar nicht abgewogen.

Damit ist klar, meine Damen und Herren: Wer auf diese Landesregierung vertraut, der hat auf Sand gebaut. Besonders bedenklich ist jetzt, dass Sie versuchen, vom eigenen Versagen abzulenken. Da wird behauptet, bis 2004 hätten wir die Verantwortung auch für den Neubau schon gehabt. Ich sage noch einmal deutlich: Rot-Grün hatte bis 2004 klare Planungsgrundlagen für eine Erweiterung des bestehenden Kraftwerks geliefert –

(Ministerin Christa Thoben: Stimmt nicht!)

nicht weniger, aber auch nicht mehr. Wir sind dem einmal nachgegangen, Frau Thoben, wo möglicherweise die Bruchstelle sein könnte, die Sie dazu bringt, jetzt etwas zu behaupten, was mit der Wirklichkeit überhaupt nicht übereinstimmt.

Es geht um das Verfahren zur 4. Änderung des Regionalplans, das Mitte 2005, Frau Thoben, begonnen wurde, also um das Verfahren, mit dem östlich des Dortmund-Ems-Kanals eine große Fläche für den Neubau eines Kraftwerks planerisch abgesichert werden soll.

Der erste Schritt – Sie wissen das ja – ist immer ein Erarbeitungsverfahren, und in ein solches Erarbeitungsverfahren werden auch externe Gutachten eingebracht, beispielsweise das Umweltgutachten des TÜV NORD vom 20.07.2005. Das Gutachten hatte die E.ON Kraftwerke GmbH in Auftrag gegeben. Aus diesem Gutachten möchte ich nur zwei Stellen zitieren, und dabei kommt es, Frau Thoben, wie immer in solchen Fällen auf jedes Wort an.

Zunächst zitiere ich aus der Einleitung auf Seite 4:

Im Regionalplan für den Regierungsbezirk Münster – (Gebietsentwicklungsplan) Teilabschnitt „Emscher Lippe“ sind sowohl der Standort des KW Datteln als auch eine Erweiterungsfläche auf der gegenüberliegenden Kanalseite als Bereiche für gewerbliche und industrielle Nutzungen (GIB, Farbmarkierung grau) mit der Zweckbestimmung „Kraftwerke und einschlägige