Protocol of the Session on September 10, 2009

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich dachte, über dieses Thema könne man auch ohne Streit sprechen. Aber Frau Asch hat gerade an diesem Pult quasi eine Eigenbankrotterklärung abgegeben. Sie hat zum einen gesagt: Wir Grünen haben das schon in den 90er-Jahren gesagt. – Dann haben Sie zehn Jahre

regiert und dazu gar nichts gemacht. Jetzt kritisieren Sie die Große Koalition, dass sie es zu spät macht, aber in den sieben Jahren rot-grüner Zeit hat überhaupt niemand diese Initiative ergriffen.

(Beifall von der CDU)

Insofern müssen erst Christdemokraten in Regierungen kommen, damit das Thema Kinder ernst genommen wird und auf die Tagesordnung kommt.

Zum Zweiten haben Sie geschrieben: Die nächste Koalition wird das Thema kaum aufgreifen. – Wenn Sie daran beteiligt werden, ist das wahrscheinlich. Aber wenn es Christdemokraten sind, können Sie sicher sein, dass Kinder- und Familienfreundlichkeit in der nächsten Wahlperiode ganz oben steht.

(Beifall von der CDU – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Polemik!)

Frau Löhrmann, das ist natürlich unangenehm für Sie, weil Sie auch schon dabei waren.

Dann hat Frau Kollegin Asch ein drittes Mea Culpa abgelegt, die OECD-Studie erwähnt und gesagt: In der OECD-Studie steht, wie schlecht wir in Deutschland sind. – Frau Kollegin Sommer, wenn ich das richtig im Kopf habe, ist die Studie von 2006. Das ist also quasi Ihre rot-grüne Abschlussbilanz. Da gab es noch kein KiBiz, kein Kinderbildungsgesetz, keine U3-Plätze, keine frühe Förderung.

(Beifall von Walter Kern [CDU])

Auch dieses Selbstbekenntnis nehme ich mit Achtung von Ihnen entgegen. Es ist für einen Politiker ungewöhnlich, sich für die schlechte Politik zu entschuldigen, die er gemacht hat, als er – bzw. sie – regiert hat.

Es ist richtig, dass jetzt die Regierungsfraktionen von CDU und FDP einen solchen Antrag stellen. Es ist beschämend, dass er überhaupt notwendig ist. Denn jeder – da stimmen wir wieder überein –, der Kinder kennt, weiß, dass sie gerade auch in Ballungsgebieten Entfaltungsräume brauchen.

Der Mensch, der einmal das Bundes-Immissionsschutzgesetz für Lärm verfasst hat, hat wahrscheinlich im Leben nicht daran gedacht, dass irgendwann mal einer gegen Kinder klagen würde. Er hat an Flughäfen, an Straßen, an Verkehrsachsen, aber nicht an Kinder gedacht. Deshalb ist es gut, dass Gerichte zum Teil sehr differenziert entschieden haben.

Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat bereits 1993 festgestellt, dass Bewohnern von reinen Wohngebieten der typische Kindergartenlärm in einem höheren Maße zuzumuten ist. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat ähnlich entschieden. Es gibt aber auch Gerichte, die anders entschieden haben. Deshalb muss hier eine gesetzliche Klarheit her.

Das am 2. Juli 2009 vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Änderung der Baunutzungsverordnung und zu einer Anpassung des Lärmschutzrechtes ist darum uneingeschränkt richtig und ein wichtiges Signal. Kindergärten sollen nicht länger als städtebaurechtliche Ausnahmetatbestände behandelt werden, sondern auch in reinen Wohngebieten grundsätzlich zulässig sein. Kinder sollen sich dort aufhalten können, wo auch ihr unmittelbares Wohnumfeld ist. Deswegen kann man Kindergärten nicht mit gewerblichen Nutzungen oder Freizeitanlagen für Erwachsene gleichstellen.

Vor diesem Hintergrund kommt der Antrag der Regierungsfraktionen zum richtigen Zeitpunkt. Es geht um die Stellung der Kinder in unserem Land, welche Rechte wir ihnen zubilligen und wie wir Erwachsene mit unseren Entscheidungen auch die Belange der Kinder berücksichtigen. Wenn wir das kinderfreundlichste Land in Deutschland werden wollen, müssen wir hier handeln. Kinder spielen nicht immer nur Silent Running, lautlos im Weltraum, sondern spielen auch schon mal lautere Spiele. Das gehört mit zum Leben.

Deshalb wird die nordrhein-westfälische Landesregierung die auf Bundesebene angestrebten Korrekturen des Baunutzungsrechts und der Lärmschutzgesetzgebung im vorgenannten Sinne begleiten. CDU und FDP fordern die Landesregierung auf, schon einmal vorab in Gesprächen mit den kommunalen Spitzenverbänden, den Spitzenverbänden der Wohlfahrtspflege und den Kirchen die Erstellung eines Leitfadens zu erörtern, wie mögliche Konflikte vor Ort, die es geben kann, im Interesse aller gelöst werden können.

Darüber hinaus wird die Landesregierung im Rahmen der Umsetzung der bundesgesetzlichen Verfahren mit den Akteuren für Kinder und Jugendliche – den Landesjugendämtern, dem Kinderschutzbund und den Trägern der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege – prüfen, mit welchen Maßnahmen mehr Akzeptanz für Kinderlärm erreicht werden kann. Wenn man es zuspitzt, haben wir die Wahl zwischen einer zunehmend ruhigeren Gesellschaft, aus der Kinder verdrängt werden, und einer lebendigen Gesellschaft, in der Kindergeschrei und Kinderlachen zu hören sind. Wir votieren für das Zweite; wir votieren für Kinder. Deshalb werden wir alles tun, damit die Anregungen dieses Antrags in Nordrhein-Westfalen so schnell wie möglich Realität werden. – Vielen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. – Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Jörg das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kinderlärm ist Zukunftsmusik; da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Ich habe selten vonseiten der FDP und der CDU, von Christian Lindner und Walter Kern, Reden gehört, denen ich in dem Maße zustimmen kann. Von daher glaube ich, dass wir eine gute Grundlage haben, um bei den Beratungen im Ausschuss einen gemeinsamen Antrag hinzubekommen. Denn über dem Problem steht nicht CDU, SPD oder Grüne, sondern es betrifft unsere Kinder, und da sollten wir gemeinsam handeln.

Aber, Herr Minister, Ihre Kritik an Frau Asch kann ich nur energisch zurückweisen. Denn wenn man einen solchen Antrag machen wollte, dann würde man ihn so schreiben, dass sich alle Fraktionen hier im Landtag darin wiederfinden. Dies sehe ich bei Ihrem Antrag

(Minister Armin Laschet: Ich habe den Antrag überhaupt nicht geschrieben!)

in dem Antrag der Mehrheitsfraktionen – überhaupt nicht. Ich zitiere einmal:

Kinder sollen in Nordrhein-Westfalen die besten Entwicklungsmöglichkeiten und die besten Chancen haben.

(Minister Armin Laschet: Da ist Frau Asch dagegen!)

Da bin ich sehr dafür, und Frau Asch ist, glaube ich, auch sehr dafür.

(Minister Armin Laschet: Das glaube ich nicht!)

Weiter heißt es in dem Antrag:

Daher sind wir auf dem Weg, aus NordrheinWestfalen das kinderfreundlichste Land in Deutschland zu machen.

Auch das kann inhaltlich keiner infrage stellen; das wollen wir alle. – Dann heißt es:

Der Landtag begrüßt diese Perspektive sowie die bereits in diese Richtung unternommenen Schritte ausdrücklich.

Da, lieber Herr Minister, falle ich nach hinten weg. Die Initiativen zur Familienfreundlichkeit, die Sie bisher organisiert haben, kann man in ein paar Stichworten auf den Punkt bringen.

(Zuruf von Christian Lindner [FDP])

Doch, Christian Lindner, das bleibt dir nicht erspart. – Ich nehme als erstes Beispiel die Frauenhäuser. Wenn man in diesem Bereich derartige Kürzungen durchzieht, wie Sie es getan haben, dann kann man nicht von Familienfreundlichkeit sprechen. Denn geschundene Frauen und Kinder, die sich dahin flüchten und unter großem Druck stehen, finden da ein Zuhause. Sie haben da massiv gekürzt. Das hat mit Familienfreundlichkeit nichts zu tun.

Zweitens haben Sie bei Erziehungsberatungsstellen und Familienberatungsstellen gekürzt. Jetzt fordern

Sie von den Familienzentren, sich zu vernetzen; genau in diesem Bereich ist aber gekürzt worden. Das hat mit Familienfreundlichkeit wenig zu tun.

Wir haben in Nordrhein-Westfalen hohe, zum Teil höchste Kindergartenbeiträge, die auch noch völlig ungerecht über das Land verteilt sind. Das hat nichts mit Familiengerechtigkeit zu tun.

(Minister Armin Laschet: Stimmt doch gar nicht!)

Das stimmt sehr wohl. In den armen Gegenden in unserem Land werden die höchsten Beiträge gezahlt.

(Minister Armin Laschet: Stimmt auch nicht!)

So ist das. Das ist nicht nur sozial ungerecht, sondern das belastet in erheblichem Maße die …

(Minister Armin Laschet: Beschimpfen Sie doch nicht die Kommunen!)

Herr Minister, ich beschimpfe nicht die Kommunen, sondern ich beschimpfe Sie, weil Sie für diese Ungerechtigkeit im Land verantwortlich sind.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zuruf von Minister Armin Laschet)

Ja, das ist so. Sie haben das organisiert. Wir haben viel zu niedrige Kindpauschalen; wir werden das im Verlauf des Tages noch als eigenen Tagesordnungspunkt haben. Die U-3-Betreuung haben wir wirklich gut ausgebaut; das ist überhaupt keine Frage. Das hat die Bundesregierung auch von uns verlangt. Unter den 16 Ländern sind wir aber immer noch ganz hinten.

(Minister Armin Laschet: Vor KiBiz!)

Das, wofür Sie sich rühmen und von dem Sie sagen, Sie hätten weiß der Teufel was geschaffen, hat letztlich die Bundesregierung Ihnen ins Stammbuch geschrieben, und alle Länder bemühen sich. Deshalb sind wir im Bundesvergleich immer noch an vorletzter Stelle.

(Minister Armin Laschet: Das war vor KiBiz- Zeiten!)

Es gibt viele Länder – zum Beispiel RheinlandPfalz –, die deutlich mehr tun als NordrheinWestfalen; das muss man zur Kenntnis nehmen.

Die letzten beiden Punkte will ich nicht verschweigen, weil wir ja im Bundestagswahlkampf sind. Es gehört zu einer familienfreundlichen Politik auch dazu, dass man für einen Mindestlohn einsteht, damit gerade alleinerziehende Mütter nicht vier, fünf Jobs machen müssen, um über die Runden zu kommen. Ein Mindestlohn bedeutet familienfreundliche Politik.