Die Eltern, Schulen und Schulträger erwarten von Ihnen, dass Gesamtschulen von Anfang an als Ganztagsschulen arbeiten können und dass Sie die Gesamtschulen vorbehaltlos anerkennen und unterstützen. Mit der Diskreditierung von Gesamtschulen muss mit dem heutigen Tag endgültig Schluss sein in diesem Land.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Natürlich schließen wir uns seitens der CDU-Fraktion den Glückwünschen sehr gerne an, Frau Kollegin Beer. 40 Jahre alt zu werden ist allein ein Grund zu gratulieren, gar keine Frage.
Erlauben Sie mir, mit ein paar Zitaten von Schlagzeilen zu beginnen. „Kölnische Rundschau“ über den Ortsteil Eckenhagen: Gesamtschule, 218 Bewerber für 150 Plätze. – „Kölnische Rundschau“ zur Gemeinde Waldbröl: Gesamtschule muss 89 Eltern Absage schicken. – „Süddeutsche Zeitung“: Starker Ansturm auf Gesamtschulen, mehr als 12.000 Bewerber müssen abgewiesen werden. – Zitat der Schulministerin: Die Einrichtung neuer Schulen ist jedoch vor allem Sache der kommunalen Schulträger.
Was ich zu Beginn vergessen habe zu sagen, ist, dass die Zitate alle aus den Jahren 2002 und 2003 stammen. Damals hieß eine Schulministerin Gabrie
le Behler und stammte aus den Reihen der SPD. Nichtsdestotrotz: Was damals richtig war, muss heute nicht falsch sein.
Das gilt auch für die Aussage von Udo Beckmann, damals wie heute VBE-Landesvorsitzender, der in der „Süddeutschen Zeitung“ sinngemäß gesagt hat: Der Run auf die Gesamtschulen ist nur deswegen da, weil sie als einzige Ganztagsbetreuung anbieten. – Wörtlich hat er gesagt: Bevor man jetzt neue Gesamtschulen gründet, sollte man lieber dafür sorgen, dass auch die anderen Schulen eine Ganztagsbetreuung leisten.
CDU und FDP haben genau dies seit 2005 getan. Fast jede zweite Hauptschule bietet den Ganztag. Diese Schulen haben entgegen Ihrer Behauptung Zulauf. Jedes Jahr gehen über 120 Realschulen und Gymnasien in den Ganztag. Im Übrigen haben nicht nur diese Schulen, sondern auch die anderen im Halbtagsbetrieb Zulauf.
Die grünen Kollegen bringen diesen Antrag hier fast jährlich mehr oder weniger gleichlautend ein – mal vor, mal nach der Sommerpause. Zuletzt haben sie das am 29. März 2007 getan. Ob sie es 2008 vergessen haben oder ob die Zahlen einfach nicht passend waren, kann ich nicht sagen.
In der Antwort auf die Kleine Anfrage vom 10. März dieses Jahres sind Ihnen noch einmal die genauen Zahlen aufgezeigt worden. 12.857 Anmeldungen konnten nicht berücksichtigt werden. Gleichzeitig waren in den Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen 1.192 Plätze nicht genutzt. Netto gab es also 11.665 Plätze weniger als Anmeldungen. Im Vergleich zum Vorjahr sind das aber 10 % weniger.
Meine Damen und Herren, warum stellen wir dieses Thema immer wieder in das Plenum? Was Sie wollen, ist klar: Sie stellen die Strukturfrage. Was wir wollen, ist ebenso klar: Wir stellen diese Strukturfrage nicht. Das tun wir aus gutem Grund nicht: Wir möchten nämlich den Schulfrieden in diesem Land erhalten. Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien sind die stillen Leistungsträger in unserem Schulsystem.
Diese Schulen wollen Sie zerschlagen. Einen ganz wichtigen Punkt sagen Sie den Menschen nämlich nicht. Für die Einrichtung einer neuen Gesamtschule müssen angesichts sinkender Schülerzahlen bewährte, gut arbeitende Schulen schließen. Sie müssen ganz konkreten Hauptschulen oder Realschulen oder auch Gymnasien, hinter denen Menschen stehen – Kinder, Lehrerinnen und Lehrer, Eltern –, sagen: Entschuldigung, wir wollen Sie nicht mehr; Ihre Schule machen wir jetzt dicht.
Das ist möglicherweise auch der Grund, warum Sie es dann doch nicht getan haben, als Sie in der Verantwortung standen. Zwischen 2000 und 2005 ist
nur eine einzige Gesamtschule gegründet worden, obwohl die Zahlen, wie ich Ihnen eben belegt habe, genauso aussahen wie heutzutage.
Es gibt auch keine Welle an Gesamtschulinitiativen, wie Sie das hier darzustellen versuchen. Diese Zahlen betrachte ich mit ganz großer Vorsicht.
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu unserer angeblich so gesamtschulfeindlichen Politik machen. Gesamtschulfeindliche Politik gibt es bei uns schlichtweg nicht.
Versuchen Sie doch einmal, von Ihrem klischeehaften Weltbild wegzukommen, dass die Kolleginnen und Kollegen der CDU hier im Hause oder im ganzen Land – und die Kollegen von der FDP meinetwegen auch – alle böse Gesamtschulfresser seien. Dieses Feindbild ist einfach falsch. Sie müssen sich irgendwann einmal davon verabschieden.
Wir behandeln Gesamtschulen genau wie alle anderen Schulformen. Sie erhalten nicht mehr und nicht weniger Förderung, Unterstützung und Aufmerksamkeit als alle anderen Schulformen. Allerdings ist das im Verhältnis zu der Zeit vor 2005 neu. Vorher gab es tatsächlich Privilegien. Es gab ein Ganztagsprivileg; es gab ein Schulleitungsprivileg; es gab das Privileg kleiner Kurse in der Sekundarstufe II. Damals habe ich für meine Heimatstadt Köln einmal ausgerechnet, dass an den Gesamtschulen tatsächlich eine Menge mehr Geld pro Schüler ausgegeben worden ist als an vergleichbaren Schulformen.
Meine Damen und Herren, was wir getan haben, ist gut und richtig. Wir ermöglichen Ganztag in Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien und Förderschulen. Wir haben Gesamtschulleitern die gleiche Leitungszeit zugebilligt wie den Schulleitern aller anderen Systeme. Wir haben auch etwas getan, was Sie wahrscheinlich nicht getan hätten: Wir haben die eingesparten Mittel nämlich nicht an den Finanzminister zurückgegeben, damit er damit seinen Haushalt konsolidiert, sondern das Ganze im Schulsystem belassen und in die Schulsozialarbeit gesteckt.
Natürlich – das haben Sie selber auch völlig zu Recht gesagt – stellen sich die Gesamtschüler denselben Abschlussprüfungen wie die Schülerinnen und Schüler aller anderen Schulformen. Das Ergebnis ist offenkundig. Die Abiturdurchschnittsnote liegt am Gymnasium bei 2,53 und an der Gesamtschule bei 2,83. Sie können natürlich sagen, ein
Notenunterschied von 0,3 sei gering. Ich halte diese Diskussion allerdings für relativ müßig. Die Durchfallerquote ist übrigens ähnlich interessant. Sie liegt am Gymnasium bei 3,1 % und an der Gesamtschule bei 6,9 %. Auch hier kann man müßig darüber streiten, ob das viel oder wenig ist.
Verabschieden Sie sich – ich sage es noch einmal – von dem Bild, dass wir alle böse Gesamtschulfresser seien. Wir sind es nicht. In diesem Land gibt es gute und weniger gut arbeitende Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien, aber auch gute und weniger gut arbeitende Gesamtschulen.
Das mag bedauerlich sein – ich möchte auch lieber alle Schulen als gut ansehen können –, das ist aber völlig normal und menschlich.
Auch das Märchen von der angeblich besseren Förderung von Kindern aus bildungsfernen Schichten ist widerlegt. Vielleicht lesen Sie noch einmal bei Herrn Fend nach.
Umso besser und umso wichtiger ist es, in guten Unterricht zu investieren. Kommen Sie aus Ihrem ideologischen Schützengraben heraus. Beenden Sie den Kulturkampf. Ich lade Sie ein, das zu tun, was die CDU getan hat, nämlich individuelle Förderung zu verstärken. Ich lade Sie ein, mehr für frühkindliche Förderung zu tun. Ich lade Sie ein, mehr für Sprachförderung zu tun. Ich lade Sie ein, mehr für Durchlässigkeit zu tun, so wie wir das getan haben. Und ich lade Sie ein, mehr für bessere Abschlüsse zu tun. Das ist CDU-Politik der letzten Jahre gewesen. Das wird sie auch bleiben. Machen Sie mit bei der Schulpolitik für die Kinder in diesem Land – und nicht für schulpolitische Ideologen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Liebe Besucher auf der Tribüne! Ja, es ist richtig: Wir haben das Thema Gesamtschule in diesem Parlament immer und immer wieder auf der Tagesordnung. Das liegt allerdings ausschließlich daran, dass diese Landesregierung versucht, wo immer sie kann, Gesamtschulgründungen zu verhindern. Dies tut sie bewusst mit Tricksereien, mit Versuchen, die Menschen einzuschüchtern,
und mit Briefen an die Kommunen, um die kommunale Selbstverantwortung auszuhebeln, anstatt die Kommunen zu unterstützen.
Tatsache ist aber, dass in diesem Land zurzeit etwa 40 Initiativen von Eltern unterwegs sind, die für ihre Kinder gerne eine andere Schulstruktur hätten. Diese Initiativen werden ausgebremst. Meine Damen und Herren, das wird Sie nicht sehr verwundern, Sie stellen es aber natürlich anders dar.
Herr Hollstein, Sie haben die Debatte eben mit einem Zitat aus dem Jahre 2002 eröffnet. Dazu kann ich nur sagen:
Die Tatsache, dass Sie sich an der Vergangenheit abarbeiten, führt nicht dazu, dass Sie die Zukunft oder die Gegenwart auch nur annähernd in den Griff bekommen.
Sie sind dabei, die Zukunft und die Gegenwart zu verspielen, weil Sie die Vergangenheit permanent brauchen, um Ihre politische Argumentation in diesem Haus aufzubauen.
Trotz der großen Nachfrage konnten auch in diesem Jahr wieder 15.000 Schüler und Schülerinnen aufgrund von fehlenden Kapazitäten keinen Gesamtschulplatz bekommen. Statt die Gesamtschulinitiativen positiv zu begleiten und vor allen Dingen endlich den Elternwillen klar anzuerkennen, tun Sie nichts anderes, als die Neugründungen zu behindern. Es gibt in diesem Land eine gesamtschulfeindliche Politik. Ob Sie es nun wahrhaben wollen oder nicht, das ist Tatsache.