Alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes haben das Recht auf eine bedarfsgerechte gesundheitliche Versorgung. Dieses Recht ist ein elementares Recht. Darüber hinaus müssen Menschen mit Behinderung – so Art. 25 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung aus dem Jahre 2006 – die medizinische Versorgung erhalten, die sie aufgrund ihrer Behinderung zusätzlich benötigen. Der Deutsche Bundestag hat diese Bestimmung Anfang 2009 ratifiziert. Dennoch ist es so, dass in dieser Ratifikation ein Handlungsauftrag liegt und dass dieser Handlungsauftrag uns auch auf Dauer beschäftigen und als Herausforderung begleiten wird.
Die Gesellschaft nimmt Menschen mit Behinderung noch immer nicht durchgängig als gleichberechtigte Bürger wahr. Der behinderungsbedingte Versorgungsmehrbedarf ist finanziell schwierig zu bewältigen. Es gibt eine Studie zu den finanziellen Auswirkungen durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz, die im Stiftungsbereich Behindertenhilfe und Integrationshilfen der von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel angefertigt worden ist. Die Studie versucht, Auswirkungen des GKV-Modernisierungsgesetzes auf Menschen mit Behinderungen und mit psychischen Erkrankungen und im Übrigen auf Klientinnen und Klienten der Wohnungslosenhilfe auszuwerten.
Wenn man sich diese Bethel-Studie anschaut, dann sieht man, dass zum Teil die Klienten viele Gesundheitsleistungen nicht mehr bezahlen können. Man sieht, dass sie zum Teil über ihre Rechte nicht ausreichend informiert sind. Man sieht, dass für einmalig hohe Ausgaben für Gesundheitsleistungen außerordentlich hohe Anteile des verfügbaren Einkommens aufgewendet werden müssen. Man sieht, dass Klienten auf Gesundheitsleistungen verzichten, die andere in Anspruch nehmen. Und man sieht, dass die Klienten in einem Entscheidungskonflikt bezüglich der Verwendung ihrer knappen finanziellen Ressourcen stehen. Es ist ja wahr, dass
insbesondere aufgrund einer in der Kindheit oder im Jugendalter erworbenen Behinderung lediglich über die Werkstatt für Behinderte oder nicht einmal über diese Einkommen erzielt werden kann. Dann ist die Situation, was die verfügbaren Finanzmittel und die Kaufkraft angeht, sehr schwierig.
Die Ursachen von Versorgungsmängeln, die es auch gibt, lassen sich teils auf fachliche Mängel, teils auf organisatorisch-strukturelle Mängel und teils auf Finanzierungsbedingungen zurückführen. Will man sie überwinden, dann werden sowohl der Gesetzgeber als auch die gemeinsame Selbstverwaltung im Gesundheitswesen ihren Beitrag leisten müssen. Aber es sind auch gesellschaftliche Änderungen notwendig. Deswegen sollte nach meiner Überzeugung in diesem Feld der Politik kein Raum für kurzfristigen parteipolitischen Motiven geschuldete Profilierungsversuche sein. Was wir hier wirklich nicht brauchen können, sind gegenseitige Vorwürfe; vielmehr brauchen wir hier ein Miteinander.
Ich nutze diese Debatte jedenfalls, um dafür zu werben, dass Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung nicht aufgrund dieser Behinderung von gesundheitsbezogenen Versorgungsleistungen ausgegrenzt werden dürfen, sondern die gesundheitsbezogenen Leistungen bekommen, die sie wegen der Behinderung und insbesondere zur Förderung ihrer sozialen Teilhabe benötigen. Wir werben dafür, dass Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung, die auf Eingliederungshilfen angewiesen sind, einmal dargestellt bekommen, dass wir beobachten und prüfen, wie sich Zuzahlungsregelungen und Leistungssausschlüsse für Medikamente, Heil- und Hilfsmittel auf ihre besondere Situation auswirken.
Ich werbe des Weiteren dafür, dass wir darüber nachdenken, ob wir nicht gesetzliche Grundlagen für medizinische Zentren für Erwachsene mit geistiger und mehrfacher Behinderung in Anlehnung an die sozialpädiatrischen Zentren brauchen. Sie wissen, dass es sich bei den sozialpädiatrischen Zentren um Spezialinstitutionen einer interdisziplinären ambulanten Krankenbehandlung handelt, die zu einer flächendeckenden medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit geistiger und mehrfacher Behinderung beitragen. Die Behandlung ist auf diejenigen Kinder auszurichten, die wegen der Art, Schwere oder Dauer ihrer Krankheit nicht von geeigneten Ärzten oder von geeigneten Frühförderstellen behandelt werden können. Die Arbeitskonzeption dieser SPZs sieht eine interdisziplinäre medizinisch-therapeutische, psychologische, pädagogische und ärztliche Diagnostik und Therapie, eine Frühförderung, die im Team durchgeführt und von Kooperation unter Einbeziehung der Familie und des sozialen Umfelds geprägt wird, eine kontinuierliche Betreuung durch konstante Teams während der gesamte Kindheit, eine komplementäre Betreuung durch niedergelassene Ärzte sowie
Wir alle wissen, dass es derzeit rund 135 sozialpädiatrische Zentren in Deutschland gibt. Ich mache auf das Problem aufmerksam, dass diese Versorgung mit dem 18. Lebensjahr endet. Der demografische Wandel auch bei den Menschen mit Behinderung sorgt aber dafür, dass der Versorgungsbedarf nach dem 18. Lebensjahr weiterhin gegeben ist und die Sorgen zum Teil zunehmen, weil dann die Rolle, die die Eltern spielen können, mit deren steigendem Alter natürlich kleiner wird, wenn sie selbst auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Aus diesem Grund sollten wir uns in den Ausschussberatungen gemeinsam die Frage stellen, ob wir nicht Grundlagen dafür schaffen müssen, dass das Konzept, das in den sozialpädiatrischen Zentren realisiert ist, auch in medizinischen Zentren für Erwachsene mit geistiger und mehrfacher Behinderung aufgegriffen und fortgesetzt wird.
Wir brauchen sektorübergreifende regionale Netzwerke von ambulanten und stationären Leistungserbringern, arbeitsteilige Zusammenarbeit und gegenseitige fachliche Beratung für die Lösung besonderer medizinischer Probleme. In diesen Netzwerken könnten die MZEBs, wenn man sie so nennen will, eine zentrale Rolle im Wissenstransfer einnehmen.
Auch über die Assistenz für Menschen mit Behinderung im Krankenhaus haben wir zu reden. Wir haben über Barrierefreiheit in den Krankenhäusern und im ambulanten Bereich zu sprechen. Sie wissen, dass Angelika Gemkow, die Behindertenbeauftragte der Landesregierung, sehr häufig auf die Notwendigkeit dieser Barrierefreiheit aufmerksam gemacht hat. Wir setzen uns dafür ein, auch die finanziellen Rahmenbedingungen für die Einrichtung und den Unterhalt barrierefreier Praxen zu überprüfen, damit die Ansprüche nach Art. 9 und 25 des UN-Übereinkommens realisiert werden.
Ich mache auch auf ein Problem aufmerksam, das darin liegt, dass die Versorgung in den sozialpädiatrischen Zentren seit geraumer Zeit davon beeinflusst ist, dass wir im Grunde genommen keine Fortentwicklung der Quartalspauschalen mehr haben. Seit einigen Jahren sind die Quartalspauschalen stabil. Auch darüber muss man sich austauschen, und dies in einer Situation, in der wir im Kern keine Studien, sondern einfach nur eine Wahrnehmung der empirisch erlebbaren Wirklichkeit brauchen.
Lassen Sich mich zum Schluss auf einen Gedanken eingehen, den einer der Referenten auf dem Deutschen Ärztetag vorgetragen hat und der vielleicht die Haltung unterstreichen kann, mit der wir uns den Menschen mit Behinderung nähern. Helmut Peters, der Leiter des Kinderneurologischen Zentrums in Mainz, hat ein Zitat von Hildegard von Bingen ange
Vielleicht ist das eine Haltung, mit der wir auf alle Menschen gleichermaßen blicken können. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Henke. – Für die FDP-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Dr. Romberg das Wort.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Als ich den Antrag gelesen habe, Herr Killewald, dachte ich zuerst: Mensch, die Sozialdemokraten nehmen es ernst, sie wollen die medizinische Versorgung von Menschen mit Behinderung wirklich verbessern. – Aber Ihre Rede hat Sie entlarvt. Das waren Pauschalvorwürfe an die Landesregierung, sie würde Behindertenpolitik im Wartestand betreiben. Sie haben unter anderem von Versorgungsämtern gesprochen. Bei dem Thema hätten Sie vielleicht auch einmal sagen können, dass die Reform der Versorgungsämter, nämlich ihre Kommunalisierung, sehr erfolgreich gelaufen ist – im Gegensatz zu dem, was Sie vorab an Horrorgeschichten immer wieder an die Wand geworfen haben.
(Heike Gebhard [SPD]: Wie man an den vie- len Anträgen im Petitionsausschuss sieht! – Barbara Steffens [GRÜNE]: Sie ist überhaupt nicht erfolgreich gelaufen!)
Es läuft sehr gut: Die Menschen mit Behinderung haben aufgrund der kurzen Wege erstmals Kontakt zu Menschen.
Die Beamten, die vor Ort tätig sind, wundern sich, was im Bereich des Schwerbehindertenrechts plötzlich alles an Gesprächen mit den betroffenen Menschen läuft.
Beim Thema Wartestand in der Behindertenpolitik vielleicht noch ein Wort zu dem, was die Landesregierung mit der Offensive „Integration unternehmen“ macht. Das ist ein Bereich, der unter Rot-Grün im Land unzureichend vorhanden war.
Es geht darum, Menschen mit Behinderung ein Arbeitsangebot in Integrationsunternehmen zu schaffen. Mit dieser Offensive, die wir jetzt angehen,
Wenn ich sehe, dass sechs der elf Punkte, die Sie im Forderungskatalog aufgeführt haben, an die Landesregierung gehen und fünf an die Bundesregierung, in der es SPD-geführte Gesundheits- und Sozialministerien gibt, frage ich mich: Warum tun Sie diese Dinge nicht?
stellen die Spitze der entsprechenden Ministerien und haben daher sämtliche Möglichkeiten, die Dinge dort umzusetzen.
Einig sind wir uns alleine in der Erkenntnis, dass es Versorgungsbereiche gibt, die tatsächlich optimierungsbedürftig sind. Gesundheitliche Angebote sollten nicht nur qualitativ und quantitativ angemessen sein. Die Zugangsmöglichkeiten sind auch patientenfreundlich zu gestalten. Es ist im Sinne der Menschen- und Bürgerrechte völlig klar, dass Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung das Recht auf eine Behandlung haben, die auf ihre spezifischen Beeinträchtigungen und den entsprechenden Hilfebedarf zugeschnitten ist. Es geht also um nichts anderes, als den Grundsatz „Teilhabe für alle“ auch im Gesundheitsbereich einzulösen.
Dennoch gibt es zwei zentrale Probleme, die ich mit diesem Antrag habe: Erstens. Für viele dargestellte Problemlagen ist die Selbstverwaltung zuständig. Zweitens. Diese hat den Handlungsbedarf erkannt und ist bereits aktiv geworden. Die SPD weiß, dass sich der Deutsche Ärztetag in diesem Jahr mit diesem Thema ausgiebig beschäftigt und hierzu auch weitreichende Beschlüsse gefasst hat.
Ich verweise etwa auf den Vortrag von Prof. Michael Seidel, der die Ergebnisse der Bethel-Studie über die Benachteiligung bei medizinischen Versorgungen zugrunde gelegt hat. Danach haben Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung verminderte Fähigkeiten, Gesundheitsrisiken zu minimieren und beginnenden Gesundheitsstörungen bzw. Krankheiten zu begegnen. Als Gründe sind eingeschränktes Wissen, eingeschränkte Organisationskompetenz, aber eben auch, wie bereits erwähnt, eingeschränkte Zugänge zu nennen.
Der Ärztetag hat unter anderem beschlossen, sich gegenüber den Ärztekammern dafür einzusetzen, dass das Fortbildungsangebot zum Versorgungsbereich von Menschen mit Behinderung ausgebaut wird, damit Ärzte für die genannten Problemlagen sensibilisiert werden und ihre Kompetenz verbessert wird.
Zusätzlich hat sich die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde speziell mit der Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung auseinandergesetzt. In Deutschland leben etwa eine halbe Million. Viele von ihnen leiden darüber hinaus an weiteren Behinderungen bzw. an chronischen Erkrankungen. Aufgrund des wachsenden Anteils von Älteren spielen zunehmend auch gerontopsychiatrische bzw. pflegerische Versorgungsfragen eine Rolle. Die Gesellschaft arbeitet nach eigener Aussage bereits seit Jahren dafür, dass sowohl der wissenschaftliche als auch der medizinische Fortschritt diesen Menschen zugute kommen.
Von ihnen wird auch betont, dass es seit den 70erJahren zu einer deutlichen Verbesserung der Versorgungssituation im Gesundheitswesen gekommen ist; es ist ja auch wichtig, zu sagen, von welchem Stand wir eigentlich kommen. Dennoch wurden Versorgungsdefizite ausgemacht. Das Problem liegt weniger darin, dass es an Erkenntnissen mangelt, sondern vor allem an der Umsetzung solcher Empfehlungswerte in der Fläche. Als Beispiel werden psychotherapeutische Interventionen für Menschen mit geistigen Behinderungen genannt, die ungeachtet nachweisbar guter Erfolge immer noch auf zahlreiche Vorbehalte stoßen. Vor diesem Hintergrund hat die Gesellschaft einen Forderungskatalog zur psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung erarbeitet. Man kann hoffen, dass diese Arbeit auch Früchte trägt.
Eine gute Chance, das Wissen in diesem Bereich in Nordrhein-Westfalen weiter zu entwickeln und zu vertiefen, bietet sich sicher auch mit der geplanten Fachhochschule für Gesundheitsberufe in Bochum. Das betrifft sowohl Menschen mit Behinderung als auch Menschen mit Demenzerkrankungen.
Die Ratifizierung der UN-Konvention haben wir ausdrücklich begrüßt. Länder und Kommunen müssen allerdings eng zusammenarbeiten, um das Zielvorhaben auch Wirklichkeit werden zu lassen. Die SPD könnte sich zum Beispiel auf Bundesebene dafür einsetzen, dass die Menschen mit Behinderung ihre Rechte auch wahren können. Hier diesen wenn auch gut gemeinten Antrag vorzulegen, das ist schon ein bisschen unglaubwürdig, wenn man im Bund untätig ist. Die gleichberechtigte Teilhabe am Gesundheitsleben ist nämlich nur dann gesichert, wenn zum Beispiel der Mehraufwand für die Behandlung behinderter Menschen angemessen abgerechnet wird. Diesen Punkt führen Sie im Antrag auch auf. Es ist nicht zielführend, Behinderte aus Pauschalen zu behandeln, die eigentlich für Menschen gedacht sind, die nicht behindert sind.
Wir alle wissen, dass wir Konventionen beschließen und ratifizieren können, so viele wir wollen: Die eigentliche Aufgabe besteht darin, den Inhalt in die Gesellschaft hineinzutragen und mit Leben zu erfüllen. Gesetzliche Regelungen können solche Ent
wicklungen begünstigen, aber in manchen Fällen leider auch erschweren. In jedem Fall ist es unerlässlich, dass sich alle Akteure im Gesundheitswesen für die Problematik weiterhin sensibilisieren und sich eingehender als bisher informieren und schulen lassen.
Die Initiativen, die bereits ergriffen wurden und in naher Zukunft realisiert werden, sind ein gutes Zeichen dafür, dass da einiges in Bewegung geraten. Die Aussicht auf einen nachhaltigen Erfolg ist sicher gegeben. – Danke schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Romberg, das Lied über die Versorgungsverwaltung, das Sie am Anfang gesungen haben, hat nichts mit der Lebensrealität in Nordrhein-Westfalen zu tun.
Vielleicht erkundigen Sie sich einmal bei Ihren Kollegen und Kolleginnen, die sich mit Petitionen befassen, wie viele Petitionen zu dem Themenbereich vorliegen. Die Welt ist nicht besser geworden, seit die Verlagerung der Versorgungsverwaltung auf die Kommunen stattgefunden hat. Aber wenn man die Augen schließt und weiterhin nur das herunterleiert, was man schon während des Verfahrens gesagt hat, dann glaubt man vielleicht irgendwann selber daran.
Ich finde allerdings auch – da möchte ich dem Kollegen Henke zustimmen –, dass das ein Thema ist, über das eben keine parteipolitische Auseinandersetzung geführt werden sollte. Vielmehr sollte man sich fragen: Welche Schritte und welche Maßnahmen sind in Nordrhein-Westfalen notwendig und sinnvoll, um die Situation für Menschen mit Behinderung in der medizinischen Versorgung zu verbessern?