Protocol of the Session on June 25, 2009

Ihnen helfen auch die schönen Worte, die schönen Vorträge, Herr Dr. Rüttgers, an der einen oder anderen Stelle nicht weiter, wenn Sie nicht sehen, dass ganzheitliche leistungsorientierte vielfältige Bildung in Nordrhein-Westfalen anders gestaltet werden muss.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir müssten jetzt damit anfangen, nicht erst nach der ersten Landtagswahl. Wir freuen uns auf die Auseinandersetzung in diesem zentralen Feld der Landespolitik. – Herzlichen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Frau Löhrmann. – Für die FDP spricht nun der Kollege Witzel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren. Wer die Redner der Grünen gehört hat, hat heute abschließend den Beleg dafür bekommen, dass Ihre InterviewAussagen verstärkt in den letzten Wochen zutreffend sind, dass Sie eine so große Nähe zur Linkspartei haben.

(Beifall von der FDP)

Frau Schäfer, wenn Sie sich hier über Qualitätsdefizite im Bildungsbereich beschweren, dann handeln Sie wie ein Vampir, der sich über die Blutarmut seiner Opfer beschwert.

(Horst Becker [GRÜNE]: Ein rhetorischer Weitwurf!)

Meine Damen und Herren, deshalb sollten gerade Sie von der SPD einmal Ihr Verhältnis zu den Gewerkschaften überdenken. In welchem Kontext

gehen Sie hier parlamentarisch um mit Vokabeln wie Streik, mit tariffähigen Zielen, mit Aspekten von Tarifautonomie und mit Friedenspflicht? Es sollte Ihnen zu denken geben, in welchen Kontext heute Vokabeln gerückt werden, mit denen Sie traditionell einmal anders umgegangen sind.

Zumindest eines muss ich honorieren: dass sich der Abgeordnete Kollege Sören Link, der nach seiner Rede hier wohl die Debatte verlassen hat

(Zuruf von der SPD)

aber schon lange –, zumindest klar distanziert hat von Gewalt und Randale. Selbiges würde ich mir von den Grünen wünschen, wenn Sie hier so moralinsauer über Menschenrechtsverletzungen dieser Regierung und der Mehrheit hier im Landtag in unserem Bildungswesen reden. Da können Sie sich einmal sehr klar positionieren.

Es ist geradezu schizophren, wenn Schüler während der Schulzeit streiken, auf die Straße gehen und die zentrale Forderung lautet: Sorgt für weniger Unterrichtsausfall!

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Als die Ersatz- schulen hier waren, haben wir das nicht von Ihnen gehört!)

Das ist gaga. Überzeugen würde es mich – unabhängig davon, dass weniger als 1 % der Schüler beteiligt war –, wenn die Leute zur Schule gingen, jede Unterrichtsstunde wahrnähmen, die angeboten wird, und sich dann, wenn die Veranstaltung Schule vorbei ist, in ihrer Freizeit gesellschaftlich einbrächten. Das hätte eine etwas höhere Glaubwürdigkeit.

(Beifall von FDP und CDU)

Zum Thema Glaubwürdigkeit: Was viele der Initiatoren wollen – deshalb ist es sehr wohl richtig zu schauen, wer hier was veranstaltet –, entnimmt man einschlägigen Internetauftritten und den Materialien, die verteilt werden, zum Beispiel dem Streikaufruf „Klassenkampf“. Da steht: Schulstreik gegen Leistungsterror und Konkurrenzdruck.

Dieser Aufruf beginnt mit der Feststellung: Schüler haben ein Problem damit, zu unmenschlichen Zeiten aus dem Bett gejagt und vom Staat zum Schulbesuch gezwungen zu werden.

(Lachen bei der FDP)

Das mag ja noch humorvoll klingen. Es geht dann aber weiter mit Aufforderungen zur Zeugnisverbrennung als Happening-Event gegen Notengebung und Versetzungsordnung. Ich glaube, da sollten wir uns der Vergangenheit bewusst werden und solche Bilder von Zeugnisverbrennungen nicht zelebrieren.

(Beifall von FDP und CDU – Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Davon sollten Sie sich als Grüne distanzieren. Das wäre hilfreich.

Es wäre auch sehr hilfreich, Frau Löhrmann, wenn Sie sich einmal die Unterstützerliste des von Ihnen hier so solidarisch bekundeten Bildungsstreik einmal anschauen: Antifa, Sozialbetrug, Assoziation marxistischer Studierender, Attac Deutschland – gegen Letztere werden Sie nichts haben; das ist ja Ihr Personalrekutierungspool für Europa-Abgeordnete –, Campusgrün, Die Piraten, Die Linke, Grüne Jugend, Internationale Marxistinnen, Junge Linke, Jusos überall, linke Gruppen, Linksjugend, Linkswärts, MLPD, Revolutionär Sozialistisches Forum, Sozialistische Alternative, Sozialistische Jugend, Rosa-Luxemburg-Stiftung und so weiter und so fort.

Lesen Sie das auf den offiziellen Veranstalterseiten nach! Dann können Sie ein bisschen das einordnen, was hier politisch beabsichtigt wird.

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Aber eines lassen wir Ihnen nicht durchgehen: dass Sie als Rot-Grün nach zehn Jahren gemeinsamen rot-grünen Regierens in unserem Bundesland Nordrhein-Westfalen, selbst in Landtagsdrucksachen hier schriftlich fixiert, einräumen müssen, dass Sie, bezogen auf die wichtigste Kompetenz für junge Menschen, die Lesekompetenz, die am allermeisten entscheidet, welche Chancen junge Menschen haben, in unserer Gesellschaft teilzuhaben, die schlechtesten Werte bundesweit hinterlassen haben – und das in einem engen Zusammenhang von Bildungschancen und sozialer Herkunft.

Nachdem Sie diese Verheerungen in NordrheinWestfalen angerichtet haben, uns mit großem moralischen Anspruch für eine Bildungspolitik, die Chancen fördert, die Schülern Sprachförderung gibt – zwei Jahre, bevor sie überhaupt den ersten Tag in der Schule verbringen –, anzugreifen, das ist scheinheilig, unredlich und trägt in der Sache nicht.

(Beifall von FDP und CDU)

Nie war das Ausmaß an Unterrichtsausfall größer als zu Zeiten von Rot-Grün. Nie waren die Klassen größer. Und nie war Nordrhein-Westfalen deutschlandweit mehr am Ende der Bildungsbundesliga als zum Ende der Regierungszeit von Rot-Grün.

Sie haben für eine Verschlechterung der SchülerLehrer-Relation gesorgt und erklären heute, nachdem wir die Werte verbessert haben, weniger große Klassen haben und die besten Werte erreichen – wir sind noch nicht am Ende unserer Ziele; aber wir haben die Trendwende hinbekommen –, wir böten jungen Menschen keine Zukunftsperspektive. Da sollten Sie einmal, auch wenn es wehtut, etwas selbstkritischer in den Spiegel schauen und überprüfen, was Sie in diesem Land hinterlassen haben.

Wir haben ganz bewusst umgesteuert, setzen neue Prioritäten und denken in neuen Chancen für die Jugend in unserem Land. Diesen Kurs werden wir auch weiterhin unbeirrt gehen. Ich kann Sie nur auffordern: Verlassen Sie die Schützengräben der

letzten Jahrzehnte, in denen Sie noch hocken, und schließen Sie sich einem Kurs moderner Politik der Reform und Neuorientierung für NordrheinWestfalen an, für ein Land der neuen Chancen. – Vielen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Danke schön, Herr Witzel. – Für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Pinkwart.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wenn Herr Witzel zutreffend die Quellen für diesen Bildungsstreik hier benannt hat, finde ich es schon sehr gut, dass der Landtag sich heute noch einmal sehr intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt hat. Die Debatte hat erneut gezeigt – vor allem Ihr Beitrag, sehr verehrte Frau Löhrmann –, dass Sie nicht nur, wie Ralf Witzel es ganz vorzüglich herausgearbeitet hat, eine desaströse Bilanz nach zehn Jahren Rot-Grün hinterlassen hatten, sondern auch jetzt in der Debatte ganz offensichtlich nichts inhaltlich Substanzielles zur Weiterentwicklung des Bildungssystems beizutragen haben.

(Beifall von CDU und FDP)

Sie haben sich hier nur in Allgemeinheiten verbreitet und keinen wirklich konkreten Vorschlag gemacht.

Sie haben aber auch – dies bedauere ich sehr – nicht die Kraft aufgebracht, nachdem Frau Kollegin Beer selbst es offensichtlich nicht vermocht hat, für Ihre Fraktion den Menschenrechtsverletzungsvorwurf, den Sie ganz allgemein in ihrer Rede gemacht hat, auszuräumen.

(Beifall von CDU und FDP – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Sie haben den Zusammenhang nicht gesehen!)

Ich sage Ihnen, liebe Frau Löhrmann: Das ist auch in Anbetracht der Situation, die wir im Moment etwa im Iran erleben, eine Beleidigung all der Menschen auf dieser Erde, die unter Menschenrechtsverletzungen zu leiden haben.

(Beifall von CDU und FDP)

Ich weise darauf hin – es ist mir wichtig, dies festzuhalten, wenn Sie hier mit solchen Begriffen operieren –, dass wir uns in Nordrhein-Westfalen glücklich schätzen dürfen, dass unter den Studierenden an unseren Hochschulen über 60.000 junge Menschen sind, die aus anderen Ländern freiwillig zu uns gekommen sind, um ein gutes Studium wahrnehmen zu können.

(Beifall von CDU und FDP)

Dies zeigt mir, dass wir hier offensichtlich sehr verantwortungsvoll mit den Dingen umgehen, wie ich

Ihnen überhaupt raten möchte – neben dem Grundsatz, den ich teile, Frau Beer, Bildung ist Menschenrecht, Bildung ist Bürgerrecht und keine Ware –, hier doch bitte auch einmal zu sehen, dass das Recht auf Bildung, die Bildungsfreiheit, nie losgelöst von der persönlichen Verantwortung für Bildung gedacht werden kann.

(Beifall von CDU und FDP)

Das ist die Verantwortung des Einzelnen, worauf auch die Zukunftskommission in ihrem Bericht ganz vorzüglich aufmerksam gemacht hat.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Sie durfte sich dazu gar nicht äußern! Lächerlich!)

Es ist die Verantwortung des Einzelnen wie auch die Verantwortung der Eltern, für ihre Kinder zunächst einmal alles zu tun, um ihnen die besten Startbedingungen zu geben. Der Staat kann viel tun; aber ohne den Einzelnen ist er schlicht und ergreifend überfordert.