Protocol of the Session on April 2, 2009

Vielen Dank, Herr Brockes. – Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Groschek das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die FDP mit einer solchen Inbrunst Betriebsräte und Gewerkschafter zitiert, ist das – mit Verlaub – intellektueller Sozialmissbrauch, Herr Papke.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wir haben gerade in Nordrhein-Westfalen Industriepolitik häufig auch gegen Ihren Widerstand modernisiert. Das wurde als rot-grüne Flausen denunziert. Aber die ökologische Erneuerung der Industriepolitik in Nordrhein-Westfalen setzt in Wirklichkeit Maßstäbe, an die Sie sich langsam heranrobben wollen und für die Sie immer noch kein klares Kursbuch haben.

(Ralf Witzel [FDP]: Und Sie sind Kapitän auf der „Titanic“!)

Arbeit und Umwelt wurden in Nordrhein-Westfalen großgeschrieben. Was wir jetzt als Chance des Klimawandels bezeichnen, nämlich durch modernste Umwelttechnologien Klimaschutz zu betreiben, hatte seine Wurzeln unter rot-grüner Ägide in Nordrhein-Westfalen. Deshalb kann das Land industriepolitisch aufatmen, wenn der Muttertag des nächsten Jahres vorbei ist, meine Damen und Herren.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wenn wir uns auf den Antrag von CDU- und FDPFraktion beziehen, erkennen wir seit einigen Monaten ein typisches Strickmuster. Sie besetzen Themen, ohne sie zu durchdringen. Sie besetzen sie, indem der Ministerpräsident Schlagzeilen macht, ohne das Thema bis ins Kleingedruckte zu durchdringen. Das ist die neue Masche der sogenannten Koalition der Erneuerung, wobei „Erneuerung“ bei Ihnen nur noch kleingeschrieben wird.

Herr Kollege Groschek, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, jetzt noch nicht, später vielleicht.

(Zurufe von der CDU)

Drei Botschaften stehen in Ihrem Antrag. Die erste Botschaft lautet: Wir müssen die Blockade überwinden. Die zweite Botschaft lautet: Wir müssen Atomkraftwerke länger laufen lassen.

(Demonstrativer Beifall von der FDP)

Die dritte Botschaft lautet: Wir müssen endlich ein industriepolitisches Leitbild suchen. – Seit wann sind Sie eigentlich in der Regierungsverantwortung? Wann fangen Sie endlich einmal mit der Suche

nach einer industriepolitischen Perspektive für dieses Land und für die arbeitenden Menschen an?

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zurufe von CDU und FDP)

Die richtige Weichenstellung wurde in Ihrem Antrag jedenfalls nicht vorgenommen. Eine klare Orientierung fehlt. Deshalb sagen wir Nein zu diesem Antrag. Zum Entschließungsantrag der Grünen sagen wir Ja.

Ich komme nun auf einzelne Punkte zu sprechen, zunächst auf die Blockade. Sie selbst sind doch oft an der Spitze der Blockierer. In Krefeld hat sich Kollege Schittges gegen Großprojekte ausgesprochen. Die inzwischen legendäre Kölner CDU war zusammen mit Kommunisten im Regionalrat gegen die Planungsperspektiven der Kraftwerkserneuerung.

(Beifall von der SPD – Zurufe von Winfried Schittges [CDU] und von Johannes Remmel [GRÜNE])

Sie heften Orden an die Brust von SolarWorld und loben die Windkraft, die von uns gepowert wurde. Gleichzeitig blockiert Ihre neue Mehrheit hier das Repowering von Windkraftanlagen. Eine solche Politik ist doch schizophren!

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Rainer Schmeltzer [SPD]: Entlarvend ist das! – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP] – Zurufe von der CDU)

Kommen wir zur Kraftwerkserneuerung. Frau Kollegin Thoben wollte mit der Weltmacht Oberösterreich gegen die EU zu Felde ziehen und die Vollauktionierung im Emissionshandel unterbinden.

(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Sie hätten lieber dafür sorgen sollen, dass frühzeitige Einnahmen aus dem Emissionshandel in Zukunft investiert werden und nicht auf die Gewinnkonten von RWE & Co. fließen, wie es jahrelang passiert ist.

(Beifall von der SPD – Zurufe von CDU und FDP)

Ich will Hubertus Schmoldt zitieren – weil Sie sich gern auf Gewerkschafter berufen –, der im Dezember vergangenen Jahres gesagt hat, es müsse Schluss sein mit der Schweinerei, dass die großen Energieversorger bis zu 5 Milliarden € jährlich als leistungsloses zusätzliches Gewinneinkommen bei den Kunden abzocken, weil sie kostenlos zugewiesene Emissionsrechte einpreisen. Das ist eine verantwortungslose Energiepolitik auf dem Rücken von Umwelt und Verbrauchern. Damit muss endlich Schluss sein in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Ich komme zum nächsten Punkt, weil Herr Brockes ein klares Signal gefordert hat. Wenn Sie hier eingestehen, dass Sie keine industriepolitische Strategie haben, ist das im Grunde die Fortsetzung der gestrigen Diskussion. Es war schon bezeichnend, dass die FDP hier sagt, mit ihr werde es keine staatliche Rettungsoption bei Opel oder sonst wo geben. Der neue wirtschaftspolitische Held der Union sagt: Jein, mal schauen, wie wir klarkommen. – Mit einer solchen Brüderschaft wird man die Krise in Nordrhein-Westfalen nicht meistern können.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Das Gleiche gilt für Ihre, wie ich glaube, bewusst gesetzte strukturpolitische Zurückhaltung, um es vorsichtig zu formulieren. Gerade jetzt brauchen wir in den Problemregionen und in den Problembranchen eine sehr zielstrebige und problemorientierte Ziel-2-Förderung. Was machen Sie? Sie schreiben erneut in den Antrag, Sie wollten keine Problemorientierung, sondern eine Wettbewerbsorientierung der Fördergelder. Das haben Sie immer noch nicht gelernt. Das beruht auf Ihren Ideologien „Privat vor Staat“ und „Freiheit vor Gleichheit“. Das ist „Gestern“ und nicht „Morgen“!

(Beifall von der SPD – Ralf Witzel [FDP]: Sie haben für diesen Dreiklang noch „Erwirtschaf- ten vor Verteilen“ vergessen!)

Wenn Sie Atomkraftwerke länger laufen lassen wollen und sich neben dem stellvertretenden Ministerpräsidenten mit der Zukunftskommission einen zweiten Kronzeugen mit dem Hinweis besorgen, der Neubau von Atomkraftwerken in Nordrhein-Westfalen müsse möglich werden, zeigt das, dass Sie nichts begriffen haben.

Wir brauchen in Nordrhein-Westfalen eine Energiepolitik für Umwelt und für Arbeitsplätze. Das ist eine Energiepolitik mit der heimischen Braun- und Steinkohle, mit Energiesparen und mit erneuerbaren Energien. Ich fordere Sie auf: Beenden Sie endlich die Repowering-Blockade von Windkraftanlagen! Das wäre ein konkreter Schritt nach vorn – und nicht das, was Sie aufgeschrieben haben.

(Beifall von SPD und GRÜNEN – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Unsere Perspektive ist klipp und klar: Wir wollen Arbeit statt Arbeitslosigkeit auch in der Industriepolitik finanzieren. Wir wollen endlich neben der Schutzfunktion auch eine Gestaltungsfunktion wahrnehmen. Wir wollen gute Arbeit für alle als Zielmarke des nächsten Aufschwungs. Dabei müssen alle mitmachen: Wirtschaft und Gewerkschaften, Arbeitnehmer und Unternehmer sowie ein handlungsfähiger und gestaltungswilliger Staat. Diese Landesregierung ist eine Tunichtgut-Landesregierung, die nichts macht, außen vor bleibt und im Antrag noch nicht einmal als Antreiber einer solchen

Industriepolitik erwähnt wird. Das ist zu kurz gesprungen, meine Damen und Herren.

Wir wollen ganz klar eine Problemorientierung statt einer Wettbewerbsorientierung bei den Ziel-2Mitteln. Wir wollen als neues Instrument, um Arbeit zu schaffen und stützen, statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren, einen Struktursozialplan. Das heißt: Es muss möglich sein, dass bedrohte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die um ihren Arbeitsplatz fürchten, in ihrem Unternehmen zu einer Qualifizierungs- und Transfergesellschaft wechseln, wobei sie ein Rückkehrrecht in das Altunternehmen bekommen. Denn das ist sowohl eine wirksame Sozialpartnerschaft als auch eine Brücke der Solidarität, die diese Gesellschaft bauen muss. Wir wollen, dass der erfolgreiche Kurs von Olaf Scholz fortgesetzt und diese Brücke neu gebaut wird, und fordern daher einen Sozialplan Struktur.

Wir wollen ferner Mitbestimmung stärken, weil gerade in der Krise deutlich wurde: Die Betriebsrätinnen und Betriebsräte haben als Erste ein Interesse daran, jenseits von kurzfristigen Profitperspektiven langfristig das Wohl des Unternehmens und die Arbeitsplatzsicherheit in den Fokus zu stellen. Deshalb brauchen wir eine Stärkung und keine Aushöhlung der Mitbestimmung in unserem Land.

(Beifall von der SPD)

Wir brauchen weiterhin ein Bündnis für eine ökologische Industriepolitik. Da springen Sie in Ihrem Antrag am kürzesten. Sie delegieren die Verantwortung für das Schaffen von Akzeptanz auf die Anlagenbauer, auf die Produzenten, auf die Industrie. Nein, meine Damen und Herren, die Landesregierung muss sich endlich an die Spitze setzen, um in diesem Land Akzeptanz zu schaffen. Akzeptanz war eine gute sozialdemokratische Tradition. Sie haben diese Tradition vor die Wand gefahren.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Das funktioniert nur, wenn man aus Betroffenen Beteiligte macht; das haben Sie sträflich versäumt.

Sie haben schließlich die Pflicht, das RWE endlich dazu zu zwingen, zu drängen, dass das Kraftwerkerneuerungsprogramm Zug um Zug umgesetzt wird. Das RWE ist im Verzug. Garzweiler II wäre nie genehmigt worden, wenn man von vornherein eine solche Investitionsblockade durch das RWE selbst hätte vermuten können.

Letzter Punkt: Es muss Schluss sein mit der Verunsicherung von energiewirtschaftlichen Investoren durch Ihr Aufbohren der Verträge des Atomkraftausstiegs.

(Dr. Gerhard Papke [FDP]: Das sagen Sie!)

Wer so tut, als sei die längere Laufzeit für nord- und süddeutsche Atomkraftwerke ein Pluspunkt in Nordrhein-Westfalen, verschweigt seine eigentlichen Ziele. Denn das kann nicht Ihr Interesse sein. Ihr

Interesse ist offensichtlich eine Neubauoption für Atomkraftwerke in diesem Land. Auch dazu sagen wir Nein; da wird es bei uns nie eine Akzeptanz geben.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Groschek. – Für Bündnis 90/Die Grünen erhält der Abgeordnete Priggen das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Schülerinnen und Schüler des Couven-Gymnasiums in Aachen, herzlich willkommen! Die Kernfrage ist doch: In welchem aktuellen Zusammenhang ist der Antrag gestellt worden? Der aktuelle Zusammenhang ist eine sich bedrohlich verschlimmernde Wirtschaftskrise. Der aktuelle Zusammenhang ist: Unternehmen quer durch alle Branchen haben Auftragsrückgänge von 30 bis zu 50 %, und – das kann ich jeden Morgen in der Zeitung nachlesen – immer mehr große, namhafte Firmen überlegen, betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen. Vor diesem realen Hintergrund diskutieren wir.

Wenn ich mir vorstelle, irgendjemand von denen, die da bedroht sind, hätte die Vorstellung des Antrags gehört, Herr Kollege Wittke: Das sind nur alte Kamellen. Das hilft niemand von denen, die Angst haben, demnächst eventuell auf der Kündigungsliste zu stehen.