Protocol of the Session on April 2, 2009

(Beifall von der FDP)

und zwar an dem Ort, wo dies individuell am besten gelingen kann.

SPD und Grüne loben doch immer die skandinavischen Länder. Frau Dr. Koinzer verweist als Expertin zur Anhörung darauf, dass auf Druck der Eltern in Schweden, im Vorzeigeland der Integration, wieder spezielle Förderschulen aufgebaut werden.

(Beifall von FDP und CDU)

Wir fühlen uns hierdurch bestätigt. Wir brauchen ein umfassendes und vielfältiges Angebot, um allen individuellen Bedürfnissen entsprechen zu können.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchte hier noch einmal unterstreichen: Der FDP geht es um das Wohl des einzelnen Kindes, des einzelnen Jugendlichen. Manche können nicht in der Regelschule unterrichtet werden. Auch fühlen sich manche Kinder in der Regelschule nicht wohl, da sie dort zu gefühlten Außenseitern werden, vor allen Dingen in der Pubertät. Deshalb gilt: Die Qualität der Förderung entscheidet über den jeweils richtigen Förderort für das einzelne Kind. Danach muss sich der Förderort richten und nicht nach irgendeiner Ideologie, Frau Beer.

Ich möchte zum Schluss noch auf die UNKonvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung zu sprechen kommen. Da hat es ja die Zustimmung der nordrhein-westfälischen Landesregierung im Bundesrat im Dezember gegeben. In

dieser UN-Konvention heißt es „inclusive education system“. Inclusive education system, Frau Beer, meint ein Bildungssystem, das alle einbezieht

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Richtig!)

und auch Menschen mit Behinderung nicht ausschließt. Das ist doch selbstverständlich. Als Forderung in der Konvention heißt es „inclusive education system“, weil es leider noch Länder auf dieser Erde gibt, die Behinderte nicht in ausreichendem Maß fördern

(Sigrid Beer [GRÜNE]: So wie das deutsche Schulsystem!)

und sie nicht an Bildung partizipieren lassen. Aber was machen wir denn hier im Land, Frau Beer? Wir haben eine Betreuungsdichte, einen Betreuungsschlüssel in den Förderschulen, wovon andere Länder wirklich träumen. Das müssen Sie doch bitte zur Kenntnis nehmen.

Wir eröffnen beide Wege. Wir haben die Förderschulen, und wir haben den integrativen Unterricht und den gemeinsamen Unterricht. Mehr individuelle Förderung – auf die einzelnen Bedürfnisse des Kindes zugeschnitten – kann man sich doch gar nicht vorstellen.

Gehen Sie doch bitte nicht so leichtfertig ideologisch mit Übersetzungen um, Frau Beer. Sie mögen vielleicht viel von gesunder Ernährung verstehen, aber sicherlich nicht von vernünftiger Übersetzung.

(Lachen bei der FDP)

Bei Übersetzungen ist Präzision gefragt, genau wie in der Wissenschaft, Frau Beer. Die Übersetzung von „inclusive“ bedeutet eben nicht Inklusion.

(Zuruf von Sigrid Beer [GRÜNE])

Nein, bedeutet es nicht. Ich gebe Ihnen gerne eine individuelle Förderstunde

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

und zeige Ihnen Auszüge aus entsprechenden Dictionaries, also nicht gerade aus so einem kleinen Pocketdictionary, wo Sie vernünftig nachlesen können, was diese Übersetzung bedeutet.

Ich finde es unzulässig und frivol, wenn ideologisch interessierte Kreise versuchen, Mehrheiten zu gewinnen, um Begriffe in der Übersetzung zu missdeuten. Frau Beer, das sollte Ihnen zuwider sein

(Beifall von FDP und CDU)

als einer Person, die sonst so sehr auf Wissenschaftlichkeit zählt. – Entschuldigung, denken Sie darüber bitte einmal nach und machen Sie sich klug, was diese Übersetzung bedeutet, bevor Sie hier so ideologisch durch die Lande ziehen.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Pieper-von Heiden. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Frau Abgeordnete Beer das Wort. Bitte schön.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, die Sie uns hier heute besuchen! Da ich auf Wissenschaftlichkeit und Fachlichkeit großen Wert lege, gehe ich auf die Äußerung von Frau Pieper-von Heiden nicht ein, weil es sich nicht lohnt, sich mit Ihnen an dieser Stelle auseinanderzusetzen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD – Frank Si- chau [SPD]: Das war Vulgärpädagogik!)

Der entscheidende Unterschied zum jetzigen Zustand ist vor allen Dingen, dass die Ratifizierung der UN-Konvention in der Tat ein radikales Umdenken erfordert. Das, was wir in Nordrhein-Westfalen und im bundesdeutschen Schulwesen insgesamt erleben, ist, dass Eltern gezwungen werden, ihre Kinder an Förderschulen unterrichten zu lassen.

(Ute Schäfer [SPD]: Richtig!)

Es gibt Zwangszuweisungen an die Förderschulen. Es gibt nicht das Recht der Kinder, es gibt nicht das Recht der Eltern, zu entscheiden, wo ihre Kinder gefördert werden sollen.

(Rüdiger Sagel [fraktionslos]: So ist es!)

Das ist genau die Ausgangslage, die Sie negieren. Frau Pieper-von Heiden, Ihre Übersetzungskünste arbeiten Sie einfach einmal nach.

State parties shall ensure an inclusive educational system at all levels and life-long learning.

Das ist die Herausforderung und genau die Textgrundlage, die für die Bundesrepublik verbindlich ist. Es ist eben nicht die deutsche Übersetzung mit dem Begriff der Integration, die zutrifft. Der fundamentale Unterschied zwischen Integration und Inklusion ist der, dass der Begriff der Integration davon ausgeht, dass es eine Gemeinschaft gibt, in die Einzelne mühsam mit Einzelmaßnahmen integriert werden müssen. Inklusion hingegen bezeichnet die Gemeinschaft, in der alle ohne Einschränkung dazugehören. Die Gemeinschaft muss dann sicherstellen, dass alle die gleichen Chancen zur Teilhabe erhalten und entsprechend unterstützt werden.

(Ingrid Pieper-von Heiden [FDP]: „Inklusion“ hat eine andere Bedeutung im Deutschen als im Englischen!)

NRW hat in der Tat den Ratifizierungsakt im Bundesrat vollzogen. Damit kommt es auch in die Umsetzungspflicht. Das wurde in der Sendung „Westpol“ am 15.02.09 thematisiert.

Die Grünen haben dazu schon im vergangenen Jahr einen Antrag eingebracht, der darauf abzielt, dass das Recht auf gemeinsamen Unterricht im Schulgesetz verankert wird. „Westpol“ hat die Schulministerin gefragt, ob sie die UN-Konvention so interpretiere, dass alle Kinder mit Behinderung in eine Regelschule gehen sollten, wenn sie es denn möchten.

Dazu zitiere ich die Ministerin aus dem „Westpol“Beitrag:

Nein, so interpretiere ich sie nicht ganz deutlich. Ich muss dazu sagen, dass ich lange Zeit – bevor ich Ministerin war – gerade auch mit dieser Thematik immer betraut war bei Anträgen von Eltern, die gesagt haben, mein Kind sollte in den gemeinsamen Unterricht. Und es ist sicherlich sehr wichtig und richtig, Anwalt des Kindes zu sein und immer genau zu entscheiden: Kann dieses Kind mit seinen Beeinträchtigungen am besten in der Regelklasse oder in der Förderschule gefördert werden.

Es bleibt uns verschlossen, was die Ministerin genau sagen wollte. Aber es steht auf jeden Fall fest: Eltern sollen das uneingeschränkte Schulwahlrecht für ihre Kinder nicht bekommen, es soll ihnen nicht zugestanden werden.

Das bedeutet auch, dass die Ministerin nicht gewillt ist, die UN-Konvention konsequent umzusetzen. Damit wir gar nicht erst wieder falsche Fährten legen: In den Förderschulen wird in der Tat eine hervorragende pädagogische Arbeit mit einer großen Hinwendung zum Kind erbracht. Hier wird eine Individualisierung geleistet, die man in vielen anderen Schulen nicht vorfindet.

Aber trotzdem kann selbst diese Anerkennung nicht darüber hinweghelfen, dass sich die Förderschulen als „Schonraumfallen“ erwiesen haben. Die Problematik besteht darin, dass es sich insgesamt um anregungsarme Lernmilieus handelt, die sich eben nicht als leistungsfördernd erweisen.

Dazu gibt es empirische Forschungen von dem schon genannten Professor Wocken und von Professor Schuck, beide aus Hamburg, sowie von Professor Ulf Preuss-Lausitz. Herr Professor Wocken und Herr Professor Preuss-Lausitz werden in der Anhörung ihre Erkenntnisse vortragen und Rede und Antwort stehen.

Eine besondere Problematik weisen zudem die „Förderschule Lernen“ und die „Förderschule soziale und emotionale Entwicklung“ auf. Ulf PreussLausitz sagt das sehr drastisch: Die „Förderschule Lernen“ ist eine Armenschule. Er beschreibt auch zutreffend, dass sie eine Migranten-Ghetto-Schule ist. Dass die Förderschule unter diesen Bedingungen als eine Schule mit ungünstigem Lernmilieu bezeichnet werden muss, hat auch schon Professor Baumert 2003 festgestellt. Das ist beklagenswert;

doch leider kommen wir über diesen Tatbestand nicht hinweg.

Wer mit den Eltern von Kindern mit Behinderungen spricht, wird mit der Verzweiflung der Eltern konfrontiert. So führte Tina Sander vom Elternverein „Wir mittendrin e.V.“ aus Köln auf einer Veranstaltung der Grünen Anfang des Jahres hier im Hause aus:

Unseren Verein gibt es aus einem einzigen Grund: Wir brauchten ein Ventil für unsere Fassungslosigkeit und unsere Wut über die Erfahrung, die wir rund um die Einschulung unserer behinderten Kinder machen mussten.

Wir waren ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass es doch möglich sein sollte, unsere Kinder an einer Regelschule anzumelden, wo sie mit entsprechender Unterstützung mit den anderen Kindern gemeinsam unterrichtet werden könnten.

Schließlich waren wir in den ersten Lebensjahren unserer Kinder zu der Überzeugung gelangt, dass das selbstverständliche Aufwachsen mit gesunden Kindern die beste und wirksamste Vorbereitung auf ein Leben in der Mitte unserer Gesellschaft ist und nicht der Schonraum der Förderschule, wo sie den ganzen Tag nur mit ähnlich behinderten Kindern zusammen sind. Doch als der Termin zur Schulanmeldung näher rückte, mussten wir feststellen, dass wir von einer schier unüberwindlichen Mauer stehen.

In der jetzigen Situation ist die integrative Beschulung eines Kindes mit sonderpädagogischem Förderbedarf die absolute Ausnahme und nicht die Regel.

Also lassen Sie doch bitte die Eltern entscheiden, wo ihr Kind beschult werden soll. Geben wir dann natürlich auch die entsprechenden Unterstützungsmittel in das System hinein. Es ist absolut nicht mehr akzeptabel, dass Eltern in NRW darauf zurückgeworfen werden sollen, ihre Rechtsansprüche in Bezug auf die Umsetzung der Konvention vor Gericht einzeln erstreiten zu müssen.