Wenn sich Eltern für eine Förderschule entscheiden, müssen sie dies beantragen, und ihrem Antrag wird stattgegeben. Im Moment ist es umgekehrt. Mütter und Väter müssen einen unsinnigen Hürdenlauf hinter sich bringen. Damit wird der Elternwille wieder einmal mit Füßen getreten. Das darf und kann nicht sein, meine Damen und Herren. Und nach dieser UN-Konvention schon mal gar nicht.
Wie alle Bundesländer so ist auch das Land Nordrhein-Westfalen aufgefordert, den Weg zu einem inklusiven Schulsystem zu ebnen. Aber die NRWLandesregierung lehnt gemeinsames Lernen ab. Meine Damen und Herren von der Koalition, kann es sein, dass Sie Unterschiedlichkeit nicht als Chance verstehen, sondern als Störfaktor?
Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: Was muss noch passieren und wer muss sich noch einschalten, ehe Sie endlich einsehen, dass das Schulsystem in seiner jetzigen Form nicht mehr länger tragbar ist? – Die Trennung neunjähriger Kinder nach vermeintlichen Begabungsstrukturen ist nämlich genauso wenig zeitgemäß wie die Trennung behinderter Kinder von nicht behinderten Kindern.
Herr Witzel, Sie können ja gleich reden. – Er hat mit einer Studie belegt, dass Förderschulen ihrem Namen nicht gerecht werden. Und das, meine Damen und Herren, liegt nicht an den Pädagoginnen oder Pädagogen. Laut dieser Studie verbessern Schüler nach der Überweisung an eine Förderschule nicht etwa ihre Leistungen, nein, sie fallen vielmehr zurück. Auch hier zeigt sich: Heterogenes Lernen fördert mehr als homogenes Lernen.
Es ist in diesem Zusammenhang doch keine Frage: Die Ausgrenzung in Förderschulen bedeutet den Einstieg in lebenslange Sonderwege am Rande unserer Gesellschaft. Der Anteil der Sonderschüler an allen Schülern liegt bei knapp 12 %. Die wenigsten dieser Schüler beenden ihre Schullaufbahn mit einem Abschluss. So erreichen durchschnittlich gerade einmal gut 20 % den Hauptschulabschluss, während knapp 80 % der Schülerinnen und Schüler die Förderschulen ohne Abschluss verlassen.
Mit anderen Worten: Unser Schulsystem verbaut nicht nur armen Kindern ihre Zukunftschancen, sondern auch behinderten. Gleichzeitig wird mit dem bisherigen System allen Kindern die Vielfalt unserer Gesellschaft in der Schule vorenthalten. Wie sollen Kinder denn lernen, respektvoll und konstruktiv mit Andersartigkeit umzugehen?
Alle Beteiligten können von der inklusiven Schule profitieren. Denn diese Einrichtung geht von der Besonderheit und den individuellen Bedürfnissen von behinderten und nicht behinderten Jugendlichen aus. Sie lernen so von Anfang an den gemeinsamen Umgang miteinander.
Deshalb geht es der SPD-Fraktion mit diesem Antrag auch darum, unsere Gesellschaft humaner zu machen, meine Damen und Herren. Um es mit den Worten des Pädagogikprofessors Wocken zu sagen:
Integration ist kein Gnadenakt, der großzügig gewährt oder auch rechtens verweigert werden könnte; sie ist eine humane und demokratische Verpflichtung, die uns alle angeht.
Mein Fazit lautet deshalb: Es ist höchste Zeit für eine inklusive Schule. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin Schneppe. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der CDU Frau Kollegin Kastner das Wort. Bitte sehr, Frau Kastner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Sonderpädagogische Förderung: Benachteiligung abbauen, Integration ausbauen, Inklusion verwirklichen!“, schon bei diesem Titel bin ich mir nicht ganz sicher, ob das, was über dem Antrag steht, wirklich zum Tragen kommt. Und wenn ich die Rede der Kollegin Revue passieren lasse, so habe ich das Gefühl, es geht Ihnen mehr um eine Strukturdebatte im Allgemeinen als um das wirkliche, inhaltliche Ziel, das dahintersteckt.
Darüber hinaus habe ich mich bei Ihrem Antrag gefragt, ob ein Thema, das es in der Tat intensiv und ernsthaft zu bearbeiten gilt, wieder einmal populistisch auf den Markt gebracht werden soll. Vielleicht haben Sie auch verdrängt, dass wir auf der Basis des Grünen-Antrags „Regelschule ist der erste Förderort“ bereits eine Anhörung vereinbart haben, in der wir uns diesem Thema inhaltlich sehr intensiv nähern werden.
Einige Anmerkungen zu Ihrem Antrag. Schon der erste Satz hat dafür gesorgt, dass mir die Haare zu Berge standen. Sie schreiben:
Auch in Nordrhein-Westfalen werden Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen oder Lern- und Entwicklungsstörungen frühzeitig aus dem allgemeinen Schulsystem aussortiert.
Aussortieren? – Ich hatte in den letzten Wochen mehrfach das Vergnügen, das Aussortieren zu betreiben, denn ich musste bei meiner Tochter auf dem Bauernhof einspringen, um Kartoffeln auszusortieren. Da schmiss man die grünen, die kaputten und die mit der Ecke weg. Das System der Förderschulen so zu beschreiben, ist eine, gelinde gesagt, Unverschämtheit.
So ein Satz trifft die Kinder und es trifft auch nach wie vor die Lehrerinnen und Lehrer sowie die an den Schulen tätigen Kräfte.
Außerdem sind Förderschulen nicht eine Art der Aussortierung im Schulsystem, sondern sie sind Teil unseres Bildungssystems.
Ihr oberstes Prinzip ist die bestmögliche Förderung der Kinder im System Schule. Alle an diesen Schulen arbeitenden Kräfte tun den lieben langen Tag nichts anderes, als den Kindern und Jugendlichen an diesen Schulen nicht nur den Weg zu mehr Wissen zu bereiten, sondern ihnen auch einen Weg ins Leben zu ermöglichen.
Den ersten Satz des zweiten Absatzes habe ich – ich will es vornehm formulieren – nicht ganz verstanden:
Das gemeinsame Lernen von Schülerinnen und Schülern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf hingegen ist systembedingt selten.
Ich habe das Gefühl, ich hätte da etwas verpasst. Ich kann mich noch an die vergangene Regierungen erinnern. Damals wurde mit dem sogenannten gemeinsamen Unterricht vollmundig ein Projekt gestartet, das so richtig schön in den Sand gesetzt worden ist. Ich kann mich noch gut erinnern: Es gab Modellprojekte für den gemeinsamen Unterricht. Fünf Kinder mit Behinderung – nach AO-SFVerfahren bestimmt – konnten mit 15 Kindern ohne Behinderung in eine Klasse gehen. Pro Kind mit Behinderung gab es fünf Stunden zusätzlichen Unterricht. Das sind bei fünf Kindern 25 Stunden und bedeutet also eine zweite Lehrkraft in der Klasse.
Der Start ging ja noch. Aber wo ist die Form am Ende gelandet, und wo sind wir im Moment? Das Modell hört sich gut an, wurde aber nie so gelebt. Vielleicht geschah das noch im ersten Jahr des Modellprojekts. Die Lehrerstunden wurden ziemlich schnell gedeckelt. Jede weitere Neueinrichtung von gemeinsamem Unterricht führte zu Lehrerstunden
abzügen an den bestehenden Schulen. Ich habe viele Protestveranstaltungen mitgemacht. Denn am Ende der Regierungszeit blieben statt der fünf Stunden maximal zwei Stunden pro Kind übrig.
Nun werden Sie wie gewohnt gegen den Rückwärtsblick protestieren; das kann ich auch gut verstehen, wenn ich mir vorstelle, dass ich mir so etwas anhören müsste.
Ich werde auch damit aufhören, um Ihnen deutlich zu machen, dass wir entgegen der Behauptung, die Sie vorhin aufgestellt haben, die gegenwärtige Landesregierung tue nichts, auch ohne die UNKonvention bereits in weiser Voraussicht längst gestartet sind, um die schlechten Hinterlassenschaften Ihrer Regierung zu verändern.
Die von Ihnen eingeforderte Neuorientierung der sonderpädagogischen Förderung haben wir mit dem Pilotprojekt „Kompetenzzentren für Sonderpädagogische Förderung“ eingeleitet. Hier wird im Moment in 20 Projekten versucht, gezielt das zu tun, was uns allen als Ziel vor Augen steht: Kinder gehen in ihre wohnortnahen Schulen und können dann, wenn es einen besonderen Förderbedarf zu erfüllen gibt, mit Fachkräften bedient werden, die aus den sonderpädagogischen Zentren in die Schule kommen.
Nach ersten Gesprächen mit den beteiligten Schulen können wir feststellen, dass diese Neuerungen auf sehr viel Wohlwollen stoßen und sowohl die Förderschulen als auch die allgemeinen Schulen diesen Projekten viel Positives abgewinnen können. Wir hoffen und gehen davon aus, dass diese Pilotprojekte ausgeweitet werden.
Wir erfahren allerdings auch etwas anderes: Gerade an den allgemeinen Schulen entstehen durchaus Probleme mit dem Verbleiben der Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf. Hier muss durchaus noch dafür Sorge getragen werden, dass diese Schüler auch die Förderung bekommen, die sie brauchen. Das Problem muss ernst genommen und auch aufgelöst werden. Das sage ich ganz deutlich.
Er muss erlernt werden. Dabei brauchen die Regelschulen Hilfe. Deshalb ist es auch gut, dass im neuen Lehrerausbildungsgesetz schon die richtigen Weichen gestellt werden.
Damit komme ich zum letzten Punkt Ihrer Feststellung, Ziel sei ein inklusives Bildungssystem. Das würde bedeuten, dass wir die Förderschulen generell aufheben. Das, meine Damen und Herren, wird meine Fraktion sicherlich nicht mittragen.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist ein Verstoß gegen die UN-Menschenrechtskonvention! – Gegenruf von Ralf Witzel [FDP]: Quatsch! Es geht doch um das Wohl des Kindes!)
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir zwar ein deutliches Mehr an Integration brauchen – und zwar in allen gesellschaftlichen Bereichen –, dass wir aber auf die in unserem Lande sorgfältig arbeitenden Förderschulen nicht so einfach verzichten können. Ich bin oft genug in Förderschulen und sehe dort die Kinder, deren Förderbedarf besonders groß ist. Ich sehe die große Kreativität dieser Schulen, diesen Förderbedarf adäquat umzusetzen.