Vor diesem Hintergrund berichten uns – ich kann mir nicht vorstellen, dass das völlig am Ministerium vorbeigeht – und sicher auch Ihnen Eltern von unter dreijährigen Kindern mit Behinderungen, dass sie sich ein Stück von dem Ausbau der Förderung für unter Dreijährige abgehängt fühlen, weil sie erleben, dass sich Regeleinrichtungen ganz schwer tun. Da liegen Anspruch und Wirklichkeit, also die Hoffnung der Eltern von Kindern mit Behinderungen und die Realität, die sie erleben, sehr weit auseinander mit der Folge, dass Kinder unter drei Jahren mit Behin
derungen, insbesondere mehrfach- und schwerstbehinderte Kinder, wenn überhaupt nur in heilpädagogischen Einrichtungen eine Chance haben. Die werden im Moment weniger. Das ist zum Teil auch durchaus gewollt.
Aber der Punkt ist: In den heilpädagogischen Einrichtungen ist, um überhaupt die Zahl der Kinder aufnehmen zu können, die Regel, dass man Kinder frühestens im Alter von zwei bis drei Jahren aufnehmen kann. Haben Sie also ein ein- bis zweijähriges Kind mit Behinderungen, mehrfach schwerstbehindert, und wollen wieder arbeiten gehen – dabei geht es nicht um eine Ganztagsbeschäftigung, sondern darum, wieder ein Stück zurück in den Alltag zu kommen und ein Stück ein normales Leben führen zu können und das Kind gleichzeitig gut betreut zu wissen –, dann sind sie nach der Elterngeldphase in einer ganz schweren Bredouille. Das muss man einfach sehen.
Ich habe mit vielen Leiterinnen und Leitern von heilpädagogischen Einrichtungen gesprochen, die durch die Bank bestätigen, dass sie sich im Augenblick wegen der hohen Zahl von Kindern und Bedarfen nur in der Lage sehen, wenn überhaupt zwei- bis dreijährige Kinder aufzunehmen.
Es geht also nicht um die Frage, ob man dazufinanziert oder ob es eine Leistung des Landschaftsverbandes ist, sondern es geht faktisch darum, wie alt das Kind ist und dass auf das individuelle Problem des Kindes geschaut wird: Welche Behinderung liegt vor, und welcher Pflegebedarf besteht? Insbesondere wenn es dann noch um medizinische Pflege geht, tun sich die Regeleinrichtungen naturgemäß schwer. Ich finde es auch richtig, dass man sich das sehr genau überlegt.
Deshalb will ich nur noch einmal betonen: Es geht nicht darum, ob das KiBiz dies leistet oder nicht, sondern es geht uns darum, wie man jetzt mit der UN-Konvention einerseits und dem KiBiz andererseits sowie den konkreten Lebenslagen von Eltern mit Kindern mit Behinderungen tatsächlich in einen Abgleich kommen kann, um den Familien konkret zu helfen.
Da sind wir – anders als offensichtlich Sie, Herr Minister, und die regierungstragenden Fraktionen – der Auffassung, dass der individuelle Förderbedarf des Kindes und damit der individuell geschlossene Förderplan der bessere Weg ist, und zwar bis zum Alter von zehn Jahren, weil der Übergang von der Regeleinrichtung oder der heilpädagogischen Einrichtung zur Schule oder Förderschule an vielen Stellen von den Eltern als ein riesiges Problem geschildert wird und sie sich dort ausgesprochen schwer tun.
Vorhin hat die Schulministerin vorgelesen, welche Wege Kinder möglicherweise zwischen Förder- und Regelschule gehen können. Deshalb glauben wir,
Wenn Sie kritisieren, dass dies jetzt ein Stück weit neben dem System ist, dann sage ich: Systeme sind auch dazu da, sich an die Lebensrealitäten von Menschen anzupassen; nicht die Menschen müssen sich nach den Systemen richten.
Deshalb, Herr Minister, will ich noch einmal deutlich machen: Es geht uns an dieser Stelle überhaupt nicht darum, zu behaupten, das KiBiz sei Schuld daran, sondern ich glaube, dass die Unsicherheit im Land durch die Übergangssituation entstanden ist, die einige Einrichtungen vor neue Aufgaben gestellt hat, die sie gerne angenommen haben, die jetzt im Zuge der Umsetzung aber feststellen, dass einige Vorstellungen nicht so einfach umzusetzen sind und sich manches, bei dem man gedacht hat, das bekommt man schon leicht hin, in der Zwischenzeit als ein sehr schweres Problem herausgestellt.
Deshalb würde ich mich freuen, wenn wir zu einer sehr sachlichen und an den Bedarfslagen und Bedürfnissen der Menschen, der Eltern und der Familien mit Kindern mit Behinderungen ausgerichteten Diskussion und zu Lösungen kommen könnten. Wenn es gemeinsame Lösungen gäbe, wäre das umso besser. Ich glaube, es wäre ein Signal für die Menschen im Land, dass ihre Probleme wahrgenommen und sie mit ihren Problemen auch ernst genommen werden. – Vielen Dank.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrags Drucksache 14/8880 an den Ausschuss für Generationen, Familie und Integration – federführend – sowie an den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die abschließende Beratung und Abstimmung soll dann dort in öffentlicher Sitzung erfolgen. Wer ist dafür? – Ist jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der Antrag einstimmig so überwiesen.
8 Menschenwürde im Strafvollzug sichern – Haftvermeidung ausbauen – Entschädigung angemessen gestalten
Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Kollegin Düker das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschäftigen uns in unserem Antrag heute mit drei Problemfeldern. Die erste Frage, die man sich angesichts über 800 anhängiger Klageverfahren gegen menschenunwürdige Unterbringung im Strafvollzug in NRW stellt, lautet: Gilt Menschenwürde auch für Straftäter in Nordrhein-Westfalen? Und wenn ja: Was ist eine menschenwürdige Unterbringung im Strafvollzug?
Das Oberlandesgericht Hamm hat mit seinem 11. Zivilsenat in einem Beschluss vom 13. Juni 2008 dazu ausgeführt – ich zitiere –:
Das Recht auf Achtung seiner Würde kann auch dem Straftäter nicht abgesprochen werden, mag er sich in noch so schwerer und unerträglicher Weise gegen die Werteordnung der Verfassung vergangen haben.
In dem Beschluss heißt es weiter, dass die menschliche Würde unmenschliches, erniedrigendes Strafen für einen Rechtsstaat verbietet.
Das zeichnet die Kraft des Rechtsstaates aus, dass dieser eben auch mit Straftätern so umgeht und ihnen die Menschenwürde zubilligt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Ansprüche sind in Nordrhein-Westfalen nicht flächendeckend erfüllt. Wir haben nach dem Strafvollzugsgesetz keine konkreten Anforderungen an die Mindestgröße. Wir haben auch keine Rechtsverordnung, die das regelt.
Ich finde – das ist unser Anliegen im Antrag –, wir sollten es auch nicht in jedem Einzelfall der Rechtsprechung überlassen, was nun Menschenwürde ist und was nicht, sondern wir sollten es, Frau Ministerin, gesetzlich verankern,
Das OLG Hamm stellt zu dieser Frage, was das nun ist, weiter fest – ich zitiere wieder aus dem oben genannten Beschluss –: Bei einer Grundfläche von weniger als 5 m2 ist die Fortbewegungsmöglichkeit und Freizeitbeschäftigung des Gefangenen auf der Fläche, die ihm unter Berücksichtigung des für die Möblierung notwendigen Flächenbedarfs noch verbleibt, bereits derart eingeschränkt, dass von einer menschenwürdigen Unterbringung kaum noch die Rede sein kann. – Fünf Quadratmeter, liebe Kolleginnen und Kollegen!
muss das Gericht uns sagen? Es reicht nicht, wenn das Klo – ich zitiere wieder aus dem Beschluss – ohne Sicht- und Geräusch- bzw. Geruchsschutz nur durch einen Vorhang abgetrennt ist, sondern da muss es eine räumliche Trennung geben. – Das müssen die Gerichte uns sagen? Ich finde es erschütternd, Frau Ministerin,
dass uns die Gerichte sagen müssen, dass man räumlich abgetrennt, ohne dass die Mitgefangenen daneben sitzen, in unserem Strafvollzug aufs Klo gehen kann.
Diese Situation ist nicht erfüllt. Einzelzellen in Nordrhein-Westfalen sind deutlich unter 10 m2 groß. Diese Einzelzellen – und das sind keine Einzelfälle – werden häufig auch doppelt belegt und unterschreiten diese Mindestansprüche.
Die zweite Frage, die sich für uns stellt, lautet: Was ist eigentlich die Freiheit eines Bürgers und einer Bürgerin wert? Das heißt, wie viel Entschädigung sollen diejenigen bekommen, die unschuldig in Haft sitzen oder saßen?
Nach geltender Rechtslage, seit 1987, liegt hier der Satz unverändert bei 11 €. 11 € pro unrechtmäßigem Hafttag! In Luxemburg bekommt man dafür 200 €, in Österreich und Finnland – um einmal andere Länder zu nennen, die vielleicht nicht so flüssig sind mit Steuermitteln – 100 €. In Schweden bekommt man für die ersten zwei Tage 315 €, in Holland immerhin 70 €. In Deutschland sind auch inzwischen Gerichtsentscheidungen so weit, die sagen: 11 € sind erbärmlich für einen Rechtsstaat, 11 € für einen unschuldig erlittenen Hafttag.
Der Deutsche Anwaltsverein fordert 100 € Untergrenze, die Justizministerkonferenz 25 €. Alle haben also eigentlich erkannt, dass hier endlich Änderungen notwendig sind. Die Länder blockieren das aber auf der Bundesebene. Wir erwarten von NordrheinWestfalen, dass auch hier rechtsstaatliche Prinzipien auf Bundesebene vertreten werden.
Es ist eine angemessene Entschädigung notwendig, aber nach unten hin ist das aus unserer Sicht auf mindestens 50 € zu begrenzen.
Drittens. Frau Ministerin, Sie sagen: Wir bauen, bauen, bauen, um die Situation in unseren Haftanstalten zu verbessern. – Da würde ich mir im nächsten Satz wünschen: Wir versuchen auch, Haft zu vermeiden. – Dieser Satz fehlt leider in Ihren Ausführungen, wenn Sie sagen: Wir bauen, bauen, bauen.
Wir haben noch zu viele Menschen, die ihre Ersatzfreiheitsstrafe im Knast verbüßen, weil sie keine Geldbußen zahlen konnten. Diese Leute gehören eigentlich nicht ins Gefängnis. Wir könnten – wie
andere Länder, zum Beispiel Baden-Württemberg – noch mehr auf Haftvermeidung setzen. Denn diese Klientel ist in einem Drehtüreffekt gefangen. Die Leute haben ihre Geldbuße nicht bezahlt. Sie haben meist auch noch fünf andere Probleme nebenher, Drogenabhängigkeit, soziale Probleme. Die gehören nicht in den Knast. Wenn die herauskommen, sind sie mit dem Drehtüreffekt auch schnell wieder drin.
Um diese Menschen wirklich da herauszuholen, haben wir gute Projekte im Land. Die müssen wir nur flächendeckend ausbauen. Hier fehlt es an einem Gesamtkonzept, damit wir noch mehr auf Haftvermeidung setzen. Diese Konzepte fehlen bei Ihrem ambitionierten Bauprogramm leider. Deswegen ist dieser dritte Punkt für uns ganz besonders wichtig, wenn wir über das Thema reden. – Schönen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag spricht die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen wichtigen Bereich der Vollzugspolitik an. Aber zugleich offenbaren Sie mit diesem Antrag auch die eigenen Defizite aus Ihrer rot-grünen Verantwortungszeit, Frau Düker.
Da komme ich gleich drauf. – Die Zahl der gerichtlich anhängigen Verfahren wegen der Umstände der Unterbringung der Gefangenen zeigt nämlich ganz deutlich, dass Sie während Ihrer Regierungszeit dazu eigentlich nichts gemacht haben. Denn Fakt ist, dass die meisten Vollzugseinrichtungen vor langer Zeit errichtet wurden und sich seither natürlich die Maßstäbe an eine Unterbringung von Gefangenen deutlich verändert haben. Während der zehnjährigen gemeinsamen Verantwortungszeit von SPD und Grünen wurden netto lediglich 320 Haftplätze neu geschaffen. Wir haben in NordrheinWestfalen rund 18.000 Haftplätze. Da können Sie das Verhältnis vielleicht auch selber einmal bewerten.