Protocol of the Session on February 11, 2009

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am Montag dieser Woche ist unsere Kollegin Ulrike Apel-Haefs nach schwerer Krankheit gestorben. Sie wurde nur 57 Jahre alt. Traurig und bewegt müssen wir Abschied von einem lieben Menschen nehmen, von dessen Krebsleiden wir zwar wussten, dessen plötzlicher Tod uns aber doch völlig überrascht hat und umso mehr erschüttert.

Ulrike Apel-Haefs war bereits in der 12. Wahlperiode von 1999 bis 2000 Mitglied dieses Hauses, damals als Nachrückerin für Johannes Rau. In der laufenden 14. Wahlperiode zog sie 2005 über die Landesreserveliste in den Landtag ein.

Die parlamentarische Arbeit der gelernten Historikerin war von großem Engagement und beeindruckender Sachkenntnis geprägt, die sie im Hauptausschuss sowie im Ausschuss für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie, insbesondere in der Hochschulpolitik, einbrachte. Zudem vertrat sie den Landtag im Kuratorium der HeinrichHertz-Stiftung.

Mit Leidenschaft widmete sie sich aber auch der Politik in ihrer rheinischen Heimat. So war sie über zwei Jahrzehnte Mitglied des Kreistags im RheinKreis Neuss und dort seit 2005 Fraktionsvorsitzende. Seit 2004 hatte sie das Amt der stellvertretenden Landrätin inne. Dem Landesvorstand der nordrhein-westfälischen SPD gehörte sie seit April 2008 an.

Ulrike Apel-Haefs war eine Politikerin, die ihre Mandate stets mit großer Ernsthaftigkeit wahrnahm und dabei eher die leisen Töne bevorzugte. Gleichwohl konnte sie mit Charme und Warmherzigkeit überzeugen, was die Sozialdemokratin über Fraktionsgrenzen hinweg beliebt gemacht hat. Wir alle verlieren eine geschätzte Kollegin, viele aber auch eine gute Freundin.

Der Landtag Nordrhein-Westfalen wird Ulrike ApelHaefs ein ehrendes Andenken bewahren.

Unser tiefempfundenes Mitgefühl gilt dem Ehemann und seinen Angehörigen.

(Kurze Stille)

Ich danke Ihnen, dass Sie sich zu Ehren der Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben haben.

Meine Damen und Herren, ich heiße Sie herzlich willkommen zur 115. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen. Mein Gruß gilt auch unseren Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich elf Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich auf ein für die Parlamentsgeschichte des Landes besonderes Ereignis hinweisen, das sich heute zum 40. Male jährt. Am 11. Februar 1969 trat Artikel 41 a der Landesverfassung in Kraft. Damit begann die Erfolgsgeschichte für die Petitionsarbeit im Landtag.

Sensibilisiert durch lückenhafte Berichte der damaligen Regierung in einer Kölner Gefängnisaffäre, begannen sich die Fraktionen im Landtag Gedanken über eigene Rechercherechte zu machen. Dies führte nach langen Diskussionen am Ende zu der fraktionsübergreifenden Initiative, den Petitionsausschuss mit eigenen Prüfungsmöglichkeiten zu stärken. Über Bedenken der Landesregierung setzte man sich fraktionsübergreifend hinweg und beschloss mit der notwendigen verfassungsändernden Mehrheit den Artikel 41 a.

Die Stärkung der Parlamentsrechte mit Verfassungsrang war damals in Deutschland einzigartig und bahnbrechend. Erst im Jahre 1975 stattete der Deutsche Bundestag seinen Petitionsausschuss mit ähnlichen Befugnissen aus. Im Anschluss daran folgten die meisten anderen Bundesländer.

Wie wir alle wissen, arbeitet der Petitionsausschuss auch heute noch erfolgreich für die Menschen im Lande auf der Grundlage eben dieser Verfassungsbestimmung.

Meine Damen und Herren, wir treten nun ein in die Beratung der heutigen Tagesordnung.

Ich rufe auf:

1 Will die Landesregierung den Neubau von Atomkraftwerken?

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 14/8572

In Verbindung mit:

Atomkraft schadet dem Energieland NRW – Ministerpräsident muss Phantomdebatte in der schwarz-gelben Landesregierung beenden

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 14/8573

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion der SPD haben gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu den oben genannten aktuellen Themen der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Redner Herrn Priggen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Herr Pinkwart! Frau Thoben! Liebe Gäste! Was ist im Moment unser Hauptthema in der aktuellen politischen Debatte? Was beschäftigt uns derzeit am meisten? – Am meisten beschäftigt uns die Zuspitzung der wirtschaftlichen Krise, von der wir leider erwarten, dass sie sich in den nächsten Monaten noch deutlich verschärfen wird.

Alle erwarten, dass sich die Krise Mitte des Jahres – das ergeben die Gespräche, die wir im Hintergrund mit Firmen führen – dramatisch zuspitzt und wesentlich mehr Menschen in die Arbeitslosigkeit entlassen werden, als wir uns das wünschen und es noch zu Beginn des letzten Jahres gedacht haben. Seit Herbst des vergangenen Jahres spricht die Landesregierung davon, dass wir unter Umständen in eine Rezession gehen werden. Doch vom Herbst letzten Jahres bis zum heutigen Tage handelt die Landesregierung in dieser Frage überhaupt nicht.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Wir haben Konjunkturprogramme des Bundes in Milliardenhöhe; an der Verschuldung werden wir alle noch schwer zu tragen haben. Aber das, was wir hier erleben, ist Verweigern von Regierungshandeln, wie ich es in der Form, wie es hier passiert, noch nie erlebt habe.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Gleichzeitig tritt jetzt der Forschungsminister und stellvertretender Ministerpräsident eine Atomkraftdebatte los, bei der er im Prinzip offen und klar – dafür muss man ihm wiederum dankbar sein – sagt, was sein politisches Ziel ist, nämlich nicht nur eine Laufzeitverlängerung, sondern auch neue Reaktoren. Das bedeutet perspektivisch auch neue Reaktoren in Nordrhein-Westfalen; denn das ist die ehrliche Konsequenz dessen, was er sagt.

Ganz ruhig und nüchtern betrachtet lautet doch die Frage: Brauchen wir tatsächlich neue Reaktoren in der Energiepolitik in Nordrhein-Westfalen und in der Bundesrepublik?

(Zuruf von den GRÜNEN: Nein!)

Wer profitiert eigentlich von der Debatte? Da kann man nur sagen: Die Probleme, die wir im Energiebereich haben, sind in allererster Linie Probleme aufgrund der monopolistischen Strukturen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben keinen Wettbewerb, vor allen Dingen nicht im Gasmarkt. Wir haben keinen Wettbewerb, keinen funktionierenden Strommarkt. Wir bräuchten mehr Wettbewerb, mehr Marktteilnehmer. Das müsste unser aller Ziel sein,

(Beifall von den GRÜNEN)

auch unter den Überschriften, die wir ebenso zu erfüllen haben: Klimaschutz und eine drohende Verknappung von Ressourcen.

(Christian Lindner [FDP]: Was ist mit der Mi- nistererlaubnis?)

Wem nützt an dieser Stelle diese Debatte? Wer baut überhaupt neue Reaktoren? Wer betreibt sie? Sind das Mittelständler, sind das Stadtwerke? – Nein, es sind nur die großen vier Strommonopolisten: E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW. Es sind die einzigen, die von der Debatte profitieren. Kein Stadtwerk, kein mittelständisches Unternehmen käme auf den Gedanken, Atomreaktoren bauen zu wollen. Die finanzielle Dimension würde alles, was diese könnten, sprengen. Die einzigen, denen das nützt, sind diejenigen, die diese monopolistischen Strukturen letztendlich verursachen und davon auch profitieren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aber was wir brauchen, sind vor allen Dingen neue Kraftwerke mit dezentraler Kraft-Wärme-Kopplung, also Kraftwerke, die gleichzeitig Strom und Wärme erzeugen. Alle sagen, wir brauchen sie verstärkt. Aber das Regierungshandeln läuft genau dem zuwider. Die Kraft-Wärme-Kopplung fristet ein Schattendasein in Nordrhein-Westfalen, in einem Land, für das sie am besten geeignet wäre. Die KraftWärme-Kopplung wäre gut für Stadtwerke, für Mittelständler, für Firmen, die Strom und Teilwärme brauchen und die Restwärme auskoppeln können. Sie müssten wir als allererstes fördern. Da müssten Milliarden investiert werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dann können wir auch nüchtern überlegen, ob es wirklich einen Boom der Atomkraft gibt. Im Moment gibt es lediglich einen Boom der Ankündigungen. Aber in den USA, dem Land, in dem die Atomkraft politisch gar nicht so umstritten ist, in dem es Mehrheiten für Neubauten gäbe, ist seit 1979 kein neuer Reaktor bestellt worden.

Es gibt zwei Reaktorbaustellen in Europa. Wir haben alleine in Nordrhein-Westfalen sechs Baustellen für Kohlekraftwerke; bundesweit sind es noch viel mehr. Es gibt aber keinen realen Boom für Atomreaktoren; denn es gibt mehr altersbedingte Schließungen als Neubauten. Das ist völlig klar.

Die zehn geplanten oder angekündigten Reaktoren in Großbritannien würden 50 Milliarden € kosten. Das sind 5 Milliarden pro Anlage. Für ein Zehntel eines solchen Kraftwerkes bekämen Sie ein modernes Gaskraftwerk. Daran, ob diese Reaktoren in Großbritannien tatsächlich gebaut werden, kann man Zweifel haben; denn Sie müssen sich dort auch wirtschaftlich bewähren.

(Beifall von den GRÜNEN)

Atomkraft lässt sich in der Regel nur mit massiven staatlichen Subventionen errichten. Das zeigt auch unsere Geschichte.

Insgesamt laufen in der Welt zurzeit 438 Reaktoren. Das sind 2 % des Primärenergiebedarfs. Wer das auf nur 10 % steigern wollte, müsste rund 2.000 neue Reaktoren weltweit bauen. Niemand kann glauben, dass das tatsächlich geschieht. Man muss auch politisch fragen, wenn man sich die Konflikte mit Nordkorea und mit dem Iran anschaut: Wer will denn weltweit 2.000 Reaktoren mit all den Risikopotenzialen und bei all dem Theater, das es darum gibt, haben?

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Schauen wir auf Nordrhein-Westfalen: In NordrheinWestfalen ist der letzte Reaktor vor 15 Jahren abgeschaltet worden, und zwar nicht aus Gründen, die Rot-Grün mit dem Ausstiegsgesetz zu verantworten hätte, das sogar im Konsens mit der Industrie beschlossen worden ist. Nein, er ist altersbedingt abgeschaltet worden, weil er marode, weil er nur noch Schrott war. Das war in Würgassen – ohne ein Ausstiegsgesetz.

Wenn wir – das ist das, was Frau Thoben und Herr Weisbrich immer wieder in die Debatte bringen – die Geschichte des Thorium-Hochtemperaturreaktors in Nordrhein-Westfalen betrachten, wird deutlich, dass es eine Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen mit Milliardenkosten ist, die die öffentliche Hand in der Folge getragen hat und tragen wird. Der Thorium-Hochtemperatur-Versuchsreaktor in Jülich wurde vor langem abgeschaltet, weil er mürbe war und Radioaktivität freigesetzt hat, also auch nicht aus Ausstiegsgründen. Jetzt soll er um ein paar Hundert Meter versetzt werden. Es wird Jahrzehnte dauern, bis man ihn wirklich stilllegen kann. Im Übrigen kostet nur der Abriss für diesen kleinen Versuchsreaktor um die 500 Millionen €.