Protocol of the Session on January 29, 2009

Wir haben es aufgelöst. Haben wir Chaos? – Nein, wir haben kein Chaos. Im Gegenteil, wir haben mehr Leute in die Anstalten gebracht. Die machen dort Arbeit vor Ort. Wir haben auch einige ins Ministerium geholt, und wir haben einige, die wir da gar nicht mehr brauchen. Das ist eine vernünftige Art und Weise, auch einmal neu nachzudenken und nicht immer nur die Dinge, die man in 30 Jahren sozialdemokratischer Regierung gemacht hat, weiter zu machen. Nein: Wir denken neu, und das ist gut für dieses Land.

(Beifall von der FDP)

Kollege Giebels hat gesagt, wir modernisieren. – Ja. EDV-Programme, über die Sie fast Jahrzehnte lang diskutiert haben, vom Handelsregister über Grundbuch: Alles klappte nie. Meine Damen und Herren, ich kann als Anwalt sagen: Seit einigen Jahren klappt unwahrscheinlich viel, auch online, und das ist ein Verdienst der Justizpolitik des Landes Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der CDU – Frank Sichau [SPD]: Wer hat denn das Handelsregister einge- führt? Vergessen Sie das bitte nicht!)

Ja, Sie haben damit begonnen, aber die Frage ist, seit wann es denn ordentlich funktioniert. Darüber müssen Sie einmal nachdenken.

(Beifall von FDP und CDU – Lachen von Frank Sichau [SPD])

Auch haben wir reagiert, wenn es darum ging, dass Gerichte zu wenig Stellen hatten. Wir haben einen Ausgleich zwischen Verwaltungsgerichtsbarkeit und Sozialgerichtsbarkeit erreicht, wir haben Ausgleiche zwischen Verwaltungsgerichten, die unterschiedlich belastet waren, erreicht, wir haben erst jüngst neue Stellen für Richter und Staatsanwälte in diesen Haushalt eingebracht, gerade auch wegen der Bekämpfung der Jugendkriminalität. Sie sehen, wir reagieren auf die Probleme, wir sehen diese Probleme und wir werden alles das tun, was wir im Rahmen dieses Haushaltes machen können.

Meine Damen und Herren, wenn Sie mehr wissen wollen, so können wir das gerne im Ausschuss diskutieren; denn ich halte nichts von diesen ritualisierenden Reden, die hier vorgetragen werden. Die interessieren im Moment weniger SPD-Abgeordnete, als sonst im Rechtsausschuss sind. Von daher sollten wir die Debatte dort weiterführen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Orth. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Düker das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Giebels, auch wenn Sie es nicht glauben: Respekt für Ihren Antrag. Das muss man sagen: 55 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte in dieser Situation zu schaffen, da haben Sie sich in Ihrer Fraktion ganz tapfer geschlagen. Das muss man einmal sagen und auch wertschätzen können. Zwar ist das ein Tropfen auf den heißen Stein, aber es kommt in der Justiz sehr positiv an und bringt Entlastung. Das muss man der Fairness halber sagen. Ich weiß, wie schwierig es ist, so etwas in der eigenen Fraktion auch durchzubringen. Von daher, meine ich, kann man einen Pluspunkt geben.

(Beifall von der CDU)

Auf der einen Seite haben Sie sich vielleicht beim Richterbund ein dickes Lob eingefangen und Ihre Zielgruppe, Frau Ministerin, die Sie mit Demonstrationen vor dem Landtag in den letzten Jahren arg gebeutelt hat,

(Ministerin Roswitha Müller-Piepenkötter: Nein!)

wieder einmal etwas befriedet. Wir haben im Rahmen der letztjährigen Haushaltsberatungen auch gesagt, dass Richterstellen fehlen. Und wir hatten die Sozialgerichtsbarkeit thematisiert. Sie tun jetzt etwas. Von daher: richtige Entscheidung!

(Beifall von den GRÜNEN)

Auf der anderen Seite muss man aber sagen, Sie haben sich beim Strafvollzug in diesem Haushaltsjahr mehr als zurückgehalten. Vor dem Hintergrund, dass wir im letzten Jahr mehrfach, auch durch Anträge, Anhörungen, Fachgespräche und durch den Bericht des Ombudsmanns, die angespannte Situation unseres Strafvollzugs thematisiert haben, enttäuscht es mich, dass Sie dieses Thema für dieses Haushaltsjahr, wie ich finde, zu Unrecht links liegen lassen.

Was hat uns der Ombudsmann in seinem Bericht deutlich gemacht? – Er sagt, eines der zentralen Themen des Strafvollzugs, was die Probleme nur widerspiegelt, die da herrschen, ist der extrem hohe Krankenstand der Bediensteten. Noch in der letzten Ausschusssitzung wurde uns in Bezug auf Gelsenkirchen deutlich gemacht, dass dort bis zu 20 % der Beschäftigten krank sind. Im Jahr 2007 waren durchschnittlich 10,7 % der Beschäftigten im Vollzug krank, wobei es Spitzen in einzelnen Anstalten wie eben Gelsenkirchen mit 20 % gab.

Am Bericht des Ombudsmanns wurde deutlich, was beklagt wird, nämlich dass die Belastung für die Gesunden immer weiter steigt und sich diese Spirale weiter dreht, dass die Regeneration Langzeitkranker absolut defizitär ist,

(Beifall von den GRÜNEN)

dass er kaum eine Anstalt gefunden hat, in der die Beschäftigten diese Probleme nicht vorgetragen haben und nicht über eine enorme Anspannung und Belastung durch diese Dinge geklagt haben.

Außerdem werden die Auswirkungen auf die Gefangenen und die Bedeutung für das Betriebsklima ganz klar, wenn man eine solche Krankenquote hat. Jedes Unternehmen, das eine solche Krankenquote hat, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss sich doch fragen, was sich ändern muss.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Dann kam in der letzten Ausschusssitzung die Antwort – Frau Ministerin, ich weiß nicht, ob Sie es beantwortet haben oder Herr Mainzer –: Na ja, gut, dann müssen wir belastbarere Beschäftigte einstellen. – Also müssen wir bei den Beschäftigten die Frustrationstoleranz erhöhen – das finde ich zynisch –,

(Widerspruch von der CDU)

anstatt die Faktoren im Vollzug, die diese Menschen krank machen, zu ändern.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Also die Antwort fand ich etwas blamabel angesichts der Situation, die uns auch der Ombudsmann ganz klar und schonungslos mit seinem Bericht auf den Tisch gelegt hat.

Dann die Zunahme drogenabhängiger und psychisch auffälliger Gefangener: Die Beschäftigten

sagen, dass sie damit nicht mehr klarkommen, dass Sie Fortbildung brauchen. In unserem Fachgespräch – das Protokoll dazu habe ich herausgesucht – wurde uns das durch die Studie von Dr. Carl-Ernst von Schönfeld, die auch Sie kennen, Frau Ministerin, wissenschaftlich belegt. Er hat uns auf Nachfrage deutlich gesagt, dass mit seiner Studie wissenschaftlich sauber belegt ist, dass 50 % der Inhaftierten unter Suchterkrankungen leiden und insgesamt 80 % unter außerhalb der Justizvollzugsanstalten geltendem Blickwinkel tatsächlich eine psychiatrische Diagnose bekommen würden.

Das zeichnet ein Bild von unserem Strafvollzug, das alarmierend ist, Herr Giebels. Da muss man reagieren. Mit diesem Haushalt haben Sie auf diese angespannte Situation nicht reagiert. Aus meiner Sicht wäre das aber dringend notwendig gewesen. Der letzte Satz aus dem Bericht des Ombudsmanns bringt es, meine ich, auf den Punkt:

Die Bediensteten brauchen Perspektiven. Nur dann können sie auch den Gefangenen die Perspektiven geben, die diese immer wieder nachhaltig angemahnt haben. – Genau das. Wie soll das denn bei fehlenden Arbeitsstellen – auch das eine Bilanz aus dem Bericht –, fehlender Strukturierung des Tagesablaufs, fehlender Schuldnerberatung gelingen? Die Personalsituation im Sozialdienst ist defizitär. Es gibt 130 Psychologen für fast 18.000 Gefangene, die, wie ich gerade darstellte, erhöhte psychiatrische Auffälligkeiten aufweisen und unter Suchterkrankungen leiden.

Meine Damen und Herren, wie soll man unter solchen Bedingungen dem Anspruch an einen Behandlungsvollzug und dem Ziel des Strafvollzugsgesetzes gerecht werden, diese Menschen zu reintegrieren, diese Menschen zu befähigen, ein Leben ohne Straftaten zu führen? Wie soll das denn gelingen, wenn man in dieser angespannten Situation einfach so weitermacht?

Aus meiner Sicht hätte mit diesem Haushalt ein klares Signal kommen müssen in Richtung Sozialdienste, Herr Giebels.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben – das ist ja richtig – nach Siegburg in den Jugendvollzug viel Personal gerade aus den Fachdiensten hineingesteckt. Ich nehme nur den Sozialdienst, die Sozialarbeiter. Dass wir da langsam in Richtung ein Sozialarbeiter auf 40 jugendliche Gefangene kommen, ist richtig. Aber uns sagen die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter aus dem Sozialdienst ganz klar: Das geht zulasten des Erwachsenenvollzugs.

Frau Ministerin, wenn Sie auf die in einer Kleine Anfrage gestellte Frage: „Was stellen Sie sich für einen bedarfsgerechten Personalschlüssel für den Vollzug im Bereich Sozialdienst vor?“, antworten , dass Sie einen Schlüssel von einem Sozialarbeiter auf 100 bis 180 Gefangene in U-Haft und einem

Sozialarbeiter/eine Sozialarbeiterin auf 75 bis 140 Gefangene im geschlossenen Erwachsenenvollzug, dann bedeutet das zunächst eine deutliche Erhöhung der Fallzahlen gegenüber dem Iststand in einigen Anstalten und dann ist das die Verabschiedung von einem qualifizierten Behandlungsvollzug im Bereich des Erwachsenenvollzugs.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es kann doch nicht sein, dass wir hier solche Zahlen auch noch als adäquat hinstellen.

Ein anderes Beispiel: Sie nennen ein Ziel von einem Sozialarbeiter zu 90 in den Therapievorbereitungsabteilungen. Wie wollen Sie die Leute auf Therapie vorbereiten, wenn ein Sozialarbeiter 90 Gefangene zu betreuen hat? Da bilden sich Subkulturen. In den Wohngruppen bilden sich Strukturen, die Sie dann gar nicht mehr kontrollieren können.

Im Bereich der Justiz haben Sie für Entlastung gesorgt. Zu Recht bedanken sich hier Richter und Staatsanwälte bei Ihnen, dass ein bisschen Luft geschaffen wurde. Im Strafvollzug jedoch ist keine Entwarnung in Sicht. Da scheint es weniger Lobby zu geben. Ich warne dringend davor, Herr Giebels, Herr Dr. Orth, dass im Strafvollzug nicht wieder darauf gewartet wird, dass so etwas wie in Siegburg passiert, sondern dass präventiv gearbeitet wird, dass wir hier eine adäquate Ausstattung erhalten, damit die Idee der Reintegration, die Idee des Behandlungsvollzugs auch wirklich umgesetzt werden kann. – Schönen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Düker. – Jetzt hat Frau Ministerin MüllerPiepenkötter das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Unser Thema ist heute der Haushalt, und an dieses Thema möchte ich mich halten.

Die Justiz hat den in Nordrhein-Westfalen unbedingt notwendigen Prozess der Haushaltskonsolidierung und Haushaltssanierung mitgetragen, auch wenn damit schmerzhafte Einschnitte verbunden waren und harsche Kritik aus den Reihen der Berufsverbände laut geworden ist.

Mit der Koalitionsvereinbarung haben sich CDU und FDP zugleich dem Ziel verpflichtet, die Funktionsfähigkeit der Justiz zu stärken. Anders als mancher dies darzustellen versuchte, war dies kein leeres Versprechen. Die Koalitionsfraktionen waren sich des hohen Wertes der Justiz als Garant des Rechtsstaates jederzeit bewusst und daher auch bereit, Personalverstärkung dort vorzunehmen, wo dies zur Sicherheit der Rechtspflege und Intensivierung der Strafverfolgung erforderlich ist.

Ich erinnere zum Beispiel an 120 gestrichene kwVermerke im richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Dienst. Ich erinnere an ca. 150 gestrichene kw-Vermerke und 330 neue Stellen im Strafvollzug. Ich erinnere an 400 Stellen für befristet Beschäftigte im mittleren Dienst, die Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sozial, wie Sie immer sind, über zehn Jahre lang hingehalten haben, haben arbeiten lassen, ohne ihnen Sicherheit zu geben mit allen Folgen für die persönliche Sicherheit und für die Familien dieser Beschäftigten.

Meine Damen und Herren, der Ihnen zur Beratung vorliegende Haushaltsentwurf ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Koalitionsfraktionen der Justiz den Stellenwert geben, den sie verdient und braucht. Die Schaffung von 90 neuen Stellen für Richter und Staatsanwälte ist vorgesehen. Unter Berücksichtigung der erheblichen Zahl der schon in den Vorjahren erhaltenen und neu geschaffenen Stellen ist der von der rot-grünen Vorgängerregierung massiv betriebene Stellenabbau im richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Dienst gestoppt. Die Kehrtwende ist vollzogen.

Dafür, meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, danke ich Ihnen im Namen aller in der Justiz Tätigen und auch derjenigen, die sich an die Justiz wenden, um Recht zu suchen, und hier auf einen effektiven Strafvollzug vertrauen.

Meine Damen und Herren, ich bin sicher, dass das Signal, das hiervon ausgeht, in der Justiz verstanden und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei ihrer täglichen Aufgabenerfüllung weiter motivieren wird. Die neuen Stellen sind schwerpunktmäßig zur Intensivierung der Bekämpfung der Jugend- und Wirtschaftskriminalität und zur Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit vorgesehen. Die Bekämpfung der Jugendkriminalität ist ein Kernanliegen der Landesregierung, die weiß, dass null Toleranz gegenüber Jugendkriminalität sich nicht zum Nulltarif verwirklichen lässt.