Protocol of the Session on January 16, 2009

Die Anforderung an diesen Pakt, an dieses Konjunkturprogramm ist klar. Es heißt für die Politik, entschlossen und mutig zu handeln und zielgenau dieses Programm umzusetzen, aber vor allem, Herr Rüttgers, es schnell umzusetzen, damit es möglichst bald seine Wirkung entfalten kann.

(Beifall von der SPD)

Meine Damen und Herren, angesichts der Situation, dass die Bänder in Nordrhein-Westfalen in vielen

Betrieben stillstehen, dass wir leere Auftragsbücher im Maschinenbau und Umsatzeinbrüche beim Stahl haben, dass in meiner Heimatstadt ein Walzdrahtwerk seit einigen Tagen völlig stillsteht, dass die Menschen Furcht davor haben, dass die Krise dazu führt, dass sie ihre Arbeit verlieren, haben wir eine Sondersitzung des Landtags beantragt und die Landesregierung aufgefordert, sich zu erklären. Das, was wir heute gehört haben, war nichts.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Den Zuhörern und Zuschauern, Herr Rüttgers, ist heute klar geworden, warum sich die Landesregierung nicht erklärt: Es kann faktisch keine Abstimmung über Ihre Regierungserklärung zwischen den Koalitionsfraktionen geben. Das ist der Grund, warum sie nicht stattgefunden hat.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Die Große Koalition hat ein 50-Milliarden-Programm beschlossen, im Koalitionsausschuss verhandelt und in einer Sondersitzung des Bundestages beraten. Die Kanzlerin hat dazu innerhalb von 24 Stunden eine Regierungserklärung abgegeben. Die Ministerpräsidenten der Länder von Niedersachsen und Brandenburg sehen sich in der Lage, durchaus verbindlich für ihre Bundesländer zu erklären, wie man es umsetzen will. Die Große Koalition hat sich vorgenommen, in den nächsten zwei Wochen elf Gesetzentwürfe für dieses Programm vorzulegen und zu beschließen.

Was passiert dagegen in NRW? – In NRW – das haben wir gerade gemerkt – tagt der Koalitionsausschuss neuerdings öffentlich. Es ist schön, einmal daran teilhaben zu dürfen.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

In NRW zänkeln die Koalitionsfraktionen kleinkariert daher. Wieder einmal sind die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen zerstritten; zerstritten insbesondere vor dem ideologischen Hintergrund, nicht das Konjunkturprogramm rasch umsetzen, sondern möglichst recht behalten zu wollen. Es gibt politische Ausschläge von „Privat vor Staat“ -von den Kollegen Papke, Stahl und in der Vergangenheit auch Herrn Rüttgers bibelhaft, monstranzartig vor sich hergetragen – bis neuerdings zu der Frage: Wie kann sich der Staat möglichst breitflächig durch die Verstaatlichung von Unternehmen in die Wirtschaft hineinbegeben?

Sie haben es „Deutschlandfonds“ genannt, Herr Rüttgers. Das ist, mit Verlaub, ein Begriff, der zuvor – wenn auch in einem völlig anderen Zusammenhang – schon länger in der Diskussion war. Ich finde die Kommentierung der „Süddeutschen“ vom 14. Januar zum Thema Deutschlandfonds bemerkenswert und zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:

Die SPD und ihr Kanzlerkandidat Steinmeier hatten es als Erste in die Debatte geworfen, gemeint war die Aufstellung und Finanzierung ei

nes Bauprogramms für Städte und Gemeinden. Der Begriff freilich war politisch so köstlich, dass der spezielle SPD-Gegner, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers von der CDU, das nicht ertragen konnte. Also machte er sich daran, das Label für sich und die CDU zu erobern, kurz darauf hieß der von Rüttgers ins Spiel gebrachte Firmenrettungsplan auch „Deutschlandfonds“. Inzwischen ist der Begriff „eliminiert“, wie die Kanzlerin in der Fraktion erklärte.

(Beifall von der SPD)

Wie intensiv die beiden Koalitionsfraktionen in Berlin im Rahmen der Entwicklung des Konjunkturprogramms die Frage eines Deutschlandfonds, einer – wie von Herrn Rüttgers vorgeschlagen – direkten Beteiligung des Staates an Unternehmen, die in eine Schieflage geraten sind, beraten haben, kann man in der „FAZ“, ebenfalls vom 14. Januar, nachlesen:

Der Rüttgers-Plan wird angesprochen, aber ohne Namensnennung und ohne Details. Die Runde stellt lediglich fest, dass der Bürgschaftsrahmen über die Banken hinaus auf wichtige Firmen ausgeweitet wurde. Nur zur Klarstellung, sagt Steinmeier, es gehe nicht um Bundesbeteiligungen. Die Unionsseite bestätigt das.

Nach 60 Sekunden ist das Thema vom Tisch, Herr Rüttgers.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

So geht die Große Koalition mit dem um, was Sie immer gerne tun: politische Wohltaten einfordern, allerdings nie in Nordrhein-Westfalen, sondern immer von anderen.

Meine Damen und Herren, wenn man sich in Erinnerung ruft, wie diese Koalition miteinander über die Rolle des Staates in der Wirtschaft diskutiert hat, manifestiert in ihrem Koalitionsvertrag unter der Begrifflichkeit „Privat vor Staat“, und sich der Staat nunmehr sogar direkt in Unternehmen, die in Schieflage geraten sind, einkaufen soll, wie es der Ministerpräsident vorschlägt, dann fällt mir nur das Bild von gestern Abend ein, als er bei Maybrit Illner in der Talkshow nicht nur räumlich, sondern auch verbal in unmittelbarer Nähe zu Herrn Gysi saß. Wenn Sie Ihre politische Ausschlagskraft nach rechts und links noch ein bisschen erweitern, werden Sie sich mit Herrn Gysi wahrscheinlich demnächst in den Armen liegen. Darauf kann man nur noch warten, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von der SPD)

Wir steuern in Nordrhein-Westfalen auf eine Krise zu, die ein entschlossenes, wirkungsvolles und rasches Handeln der Landesregierung erfordert, die allerdings – blockiert von der FDP – nicht so recht in Tritt kommen will. Der Ministerpräsident ist zurzeit

nicht satisfaktionsfähig. Er ist eine „Lame Duck“ in einer babylonischen Gefangenschaft der FDP.

Herr Papke, wir haben mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen, dass Sie das komplette Paket aufschnüren und – wie Sie sagen – für Verbesserungen sorgen wollen. Ich garantiere Ihnen: Weder die NRW-FDP noch die Bundes-FDP werden das Konjunkturprogramm noch einmal aufschnüren. Meine Frage an Sie ist: Werden Sie dann nicht weiter blockieren, sondern dafür sorgen, dass dieses Paket mit Ihrer Hilfe den Bundesrat passieren kann? Beantworten Sie bitte diese Frage.

(Beifall von der SPD)

Zusammengefasst erleben wir heute, an diesem Tag – angesichts einer tiefen Krise in der Bundesrepublik, in Nordrhein-Westfalen, der Furcht vieler Menschen davor, dass die Krise sie so erreicht, dass sie ihre Arbeit verlieren, angesichts tatsächlich vorhandener Zukunftsängste –, dass diese Regierung dazu nichts erklären kann – nichts. Herr Rüttgers, wenn Sie so weiterarbeiten, dann endet in 17 Monaten Ihre Regierungszeit, ohne dass Sie jemals mit dem Regieren wirklich angefangen hätten.

(Beifall von der SPD – Zuruf von Helmut Stahl [CDU])

Herr Stahl, vielen Dank für den Zwischenruf. Auf Sie gehe ich auch gerne noch ein. – Wir haben diese Sondersitzung in dem festen Willen beantragt, hier zu skizzieren, dass es eine Handlungsnotwendigkeit für die Landesregierung, für dieses Landesparlament gibt, über diese Krise zu beraten, zu handeln und sich nicht darauf zu beschränken, wie Sie, Herr Stahl, herumzunölen, dass Sie heute Morgen an einem Empfang nicht teilnehmen konnten. Denn es ist die erste Pflichte eines Abgeordneten, in einer solchen Situation hier im Parlament zu sitzen, um eine Krise zu bewältigen, und nicht von Empfang zu Empfang zu laufen!

(Beifall von der SPD)

Dieses Konjunkturprogramm, das durch die Investitionsbereitschaft und das Können der Kommunen, den Mittelstand zu stärken, in hohem Maße Investitionsmängel in den Kommunen beheben soll, dieses Konjunkturprogramm begrüßen wir ausdrücklich.

Wir begrüßen im Übrigen auch ausdrücklich, dass zwei Drittel dieses Programms unmittelbar in Bildungseinrichtungen fließen sollen, weil dies unserer Haltung entspricht, die da lautet: Die Zukunft dieses Landes liegt darin, dass der Bildungssektor ausgebaut wird und nicht in einem Dinosaurierschlaf verbleibt, den Sie herbeigeführt haben, meine Damen und Herren.

(Beifall von der SPD)

Wir wollen, dass die Bildungseinrichtungen durch die Kommunen wirklich effektiv modernisiert werden können, dass durch dieses Investitionsprogramm tatsächlich ein wichtiger Beitrag für die kommunale Wirtschaft, für den Mittelstand geleistet werden kann.

Die Größenordnung beträgt 2 Milliarden €. Pikanterweise ist das nahezu exakt die Summe, die Sie in den letzten Jahren den Kommunen, die jetzt Nutznießer dieses Programms sein sollen, vorenthalten haben.

(Beifall von der SPD)

Die bekommen vom Bund jetzt das, was Herr Linssen als Finanzminister bei seinem Raubzug durch die kommunalen Kassen mit einem Rollgriff schon längst kassiert hat.

(Beifall von der SPD)

Dieses Programm ermöglicht, tatsächlich das anzupacken, was über viele Jahre – ich rede da über Städte wie Gelsenkirchen, Oberhausen, aber auch Wuppertal, Remscheid und Solingen – liegen bleiben musste, weil die Finanzausstattung der Kommunen nicht ausreichend ist. Ich will aber auch sehr deutlich sagen: Es wird jetzt vieles Wichtige aufgegriffen, aber dieses Konjunkturprogramm wird nicht in der Lage sein, das eigentliche Übel, warum die Infrastruktur so erneuerungsbedürftig geworden ist, zu beseitigen, nämlich das Grundübel, dass Kommunen in Nordrhein-Westfalen über keine ausreichende Finanzausstattung verfügen: ein Tatbestand, der bedauerlicherweise von dieser Landesregierung permanent geleugnet wird.

(Zuruf von Angela Freimuth [FDP])

Frau Freimuth, ich will Ihnen Zahlen nennen: Von den 396 Kommunen in Nordrhein-Westfalen sind 174 nicht in der Lage, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, 102 sind sogenannte Nothaushaltsgemeinden, deren Finanzlage so brisant ist, dass die Kommunalaufsicht faktisch das Regieren vor Ort übernommen hat. Das ist die Situation in den Kommunen. 50 % aller Kassenkredite, Frau Freimuth, die in der Bundesrepublik Deutschland von den Kommunen in Anspruch genommen werden, sind von nordrhein-westfälischen Kommunen in Anspruch genommen worden. Allein die Nettopro-Kopf-Verschuldung in den Kommunen ist seit 2005, seit Beginn Ihrer Regierungszeit, um 23 % gestiegen.

Deshalb ist unsere klare Position: Dieses Geld, was von der Bundesregierung für die Kommunen reserviert ist, gedacht ist, muss auch tatsächlich zu 100 % an die betroffenen Kommunen weitergeleitet werden.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Es kann nicht sein, dass diese Landesregierung – wie bei der Kita-Förderung – Teile davon einbehält.

Es droht, dass sie sie deshalb einbehalten könnte, weil mit diesen Mitteln der Kommunen das Versprechen und die Zusicherung der FDP, nicht weiter auf der Bremse zu stehen, nicht der politische Hemmschuh bei diesem Programm zu sein, teuer bezahlt werden soll. Das darf nicht sein.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Wir wollen, dass das Geld zu 100 % an die Kommunen fließt, und zwar durch Pauschalen, die gewährleisten, dass die meisten Gelder in die Kommunen, in denen die Not am größten ist, gehen.

Die Landesregierung hat sich heute

(Marc Jan Eumann [SPD]: Nicht mit Ruhm bekleckert!)

nicht mit Ruhm bekleckert; sie ist abgetaucht; sie hat sich erklärungsunwillig, erklärungsunfähig gezeigt. Dennoch kommt es in dieser Sondersitzung des Landtags dazu, dass die Landeswirtschaftsministerin zuerst redet.

(Zuruf von der SPD: Vorträgt!)