Protocol of the Session on December 4, 2008

Richtig ist, dass der Begriff „Inklusionskonzept“ in die internationale Menschenrechtsdebatte Eingang gefunden hat. In der UN-Konvention wird er bei der Bildung besonders eingesetzt.

Doch wer in unserem Land verbindet mit dem Begriff „inklusive Bildung“ bzw. „einschließende Bildung“ individuell angepasste Förderungs- und Unterstützungsmaßnahmen von jungen Menschen mit Behinderung? Wie kann der Anspruch auf Bildung umfassender festgeschrieben werden, als in Art. 24 – ich zitiere –:

Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen mit dem Ziel, …

Dann folgt eine detaillierte Aufzählung der verschiedenen Einsatzfelder.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass die Denkschrift zu dieser UN-Konvention in Art. 24 sehr ausdrücklich vom einbeziehenden Bildungssystem auf allen Ebenen spricht. Ich glaube nicht, dass wir das gegeneinander ausspielen sollten. Es geht nämlich darum, alle Fähigkeiten und Möglichkeiten, vor allem aber das Selbstwertgefühl des Menschen, voll zur Entfaltung zu bringen. Es lohnt in der Tat, diese Konvention nicht nur genau zu lesen, sondern sich ernsthaft und intensiv um ihre Umsetzung zu bemühen.

Gerade auf dem Gebiet von Schule und Bildung für junge Menschen mit Behinderungen ist noch viel zu tun. Das ist vor allem in den letzten Jahren zu wenig geschehen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, das 2003 unter rot-grüner Verantwortung verabschiedet wurde. Dabei war der so wichtige landespolitische Teil „Schule und Bildung“ völlig ausgeklammert worden mit der fadenscheinigen Begründung, dass man zunächst mögliche Konsequenzen aus den PISA-Studien abwarten wolle und deswegen der Bereich „Schule und Bildung“ noch nicht entscheidungsreif sei.

Dieser Vorwand konnte nicht kaschieren, dass die damalige Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen klare Zielsetzungen und Umsetzungsschritte im Bildungsbereich für Menschen mit Behinderungen nicht festschreiben wollten oder nicht festschreiben konnten. Jedenfalls: Geschehen ist zu wenig. Die Koalitionsfraktionen konnten sich damals nicht einigen.

Darum ist es gut, dass wir jetzt mit den Kompetenzzentren, den 20 Pilotregionen, neue Wege beschreiten, um frühzeitig, wohnortnah und individuell die bestmögliche Förderung und Unterstützung eines jeden Kindes zu erreichen. Dabei ist es das Ziel unserer Fraktion, diese Förderung immer mehr auch in allgemeinen Schulen zu erreichen, ohne dies als den einzig möglichen Weg zu propagieren.

Zurück zur UN-Konvention: Sie ist ein Meilenstein – auch da stimme ich Ihnen zu, Frau Steffens – zur Erreichung der Chancengleichheit von Menschen mit Behinderungen. Um dies zu erreichen, sind Aktionspläne konkreter Maßnahmen notwendig – Maßnahmen, die die Lebenssituation der Menschen spürbar verbessern. Ich denke, über die Grundlagen, über die Paradigmen sind wir uns einig. Aber wir brauchen so konkrete Maßnahmen, wie sie im Programm „Teilhabe für alle“ festgeschrieben sind. Debatten auf hohem theoretischen Niveau helfen uns da nicht weiter.

Ihr Antrag wird dem Kernanliegen der Konvention nicht gerecht. Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab. Aber ich weiß: Es wird weitere Diskussionen geben, weil es längst auch schon auf Landesebene eine interministerielle Arbeitsgruppe gibt, um das Programm fortzuschreiben, und ich freue mich auf die Diskussionen zu dieser Konvention. Denn sie ist – und dabei

bleibe ich – eine Riesenchance für uns, die Politik für Menschen mit Behinderung zu gestalten. – Vielen Dank.

(Beifall von CDU und FDP – Zurufe von Sig- rid Beer [GRÜNE] und Horst Becker [GRÜ- NE])

Vielen Dank, Frau Kollegin Monheim. – Als nächste Rednerin hat für die Fraktion der SPD die Kollegin Veldhues das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die UN-Konvention ist ein internationales, rechtsverbindliches Dokument, das die Lebensqualität von behinderten Menschen verbessern soll. Diese Konvention verlangt von den Regierungen die Teilhabe aller Menschen an Bildung, Arbeit, Beruf und Gesellschaft. Es sind also keine neuen Rechte oder Forderungen. Es ist das Einfordern bestehender Rechte, die bislang auch für Menschen mit Behinderungen galten, aber sie mussten in der Lebensrealität täglich neu erkämpft werden.

Menschen mit Behinderungen – auch in NRW – wollen leben wie wir alle: einfach ganz normal. In der Fachöffentlichkeit und im heute vorliegenden Antrag wird über die Begriffe bzw. die Übersetzung der Inklusion oder Integration gestritten. Lassen Sie mich hierzu unseren Alt-Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zitieren: Was im Vorhinein nicht ausgegrenzt wird, muss hinterher nicht wieder eingegliedert werden. – Für uns als SPD-Fraktion heißt das: frühe Förderung, Hilfen und Unterstützung vom Beginn des Lebens an.

Wir haben in NRW ein gut ausgebautes Netz an Frühförderstellen. Junge Familien werden gleich nach der Geburt eines gehandicapten Kindes beraten und unterstützt. Wenn diese Kinder dann gemeinsam – Kinder mit Behinderung und Kinder ohne Behinderung – in Kindertagesstätten betreut werden, erleben diese Kinder, dass es ganz normal ist, verschieden zu sein. Das prägt, meine Damen und Herren, und es hilft uns allen, Vorurteile und Berührungsängste erst gar nicht aufkommen zu lassen. Das ist in der politischen Diskussion eigentlich unstrittig. Also lassen Sie uns gemeinsam dafür Sorge tragen, dass integrationshemmende Regelungen geändert werden.

Die jetzige kommunale Zuständigkeit bei der Festlegung der Elternbeiträge für den Kindergarten lässt für finanzschwache Kommunen zum Beispiel keinen Spielraum, Familien mit behinderten Kindern vom Elternbeitrag freizustellen. Für sie bleibt oft der für den Staat viel teuerere Besuch einer Sondereinrichtung die einzige Möglichkeit. Wir kämpfen dafür, dass diese integrationshemmenden Gesetze endlich geändert werden. Denn Kinder, die gemeinsam

den Kindergarten besucht haben, möchten auch weiterhin gemeinsam ihre Schullaufbahn starten, und zwar liegt hier die Betonung auf „gemeinsam“.

Wir möchten, dass alle Eltern in NRW die Wahlfreiheit haben, die Schule mit den besten Fördermöglichkeiten auszusuchen. Nicht die Kinder müssen passgenau für die Schule sein, sondern die Schule muss die Förderung passgenau an den Bedürfnissen des Kindes ausrichten.

(Beifall von der SPD)

Individuelle Förderung ist doch das Zauberwort unserer Schulministerin. Individuelle Förderung darf aber die besonderen Bedürfnisse behinderter Kinder nicht negieren, wie es im Augenblick immer der Fall ist. Da gibt es dringenden Handlungsbedarf.

Verbesserungen haben wir in NRW für den Bereich des Wohnens erreicht. Seit dem Jahre 2003 haben wir eine einheitliche Kostenträgerschaft für das ambulante und stationäre Wohnen mit Betreuung. Seit dieser Zeit haben sich die ambulanten Wohnformen mehr und mehr durchgesetzt. Damit rückt der menschenrechtliche Ansatz in den Vordergrund und macht Teilhabe und Selbstbestimmung behinderter Menschen zur Richtschnur. In den Hintergrund tritt langsam, aber kontinuierlich der reine Fürsorgegedanke. Für uns gilt: So viel Selbstbestimmtheit wie möglich, so viel Hilfe wie nötig. – Das ist auch die einhellige Forderung von Betroffenen. Große Baustellen sehen wir auch noch für die Landespolitik: Zugänglichkeit und Barrierefreiheit. Sehen Sie dieses Podium? – Selbst ein Bundesinnenminister käme hier nur sehr schwierig hoch. Auch dieses Haus ist nicht barrierefrei. Wir müssen für Behinderte auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. Da sehen wir noch große Aufgaben auf uns zukommen.

Meine Damen und Herren, die Forderung der nächsten Jahre wird sein, den Automatismus zu brechen. Der Automatismus für viele Behinderte und ihre Familien heißt heute: Sonderkindergarten, Sonderschule, Werkstatt für Behinderte und vielleicht irgendwann das stationäre Wohnheim. Das entspricht nicht dem Willen von Behinderten. Da sind wir aufgerufen, Abhilfe zu schaffen.

Auch der Lebensalltag von älter werdenden behinderten Menschen wird eine Aufgabe für die nahe Zukunft. Denn hier betreten wir Neuland. Wir werden das erste Mal eine Generation schwerbehindert und schwerstbehinderter Menschen im Rentenalter haben. Aufgrund unserer unglückseligen braunen Vergangenheit haben diese Menschen nie ein hohes Alter erreichen können. Die Herausforderung haben wir also in den nächsten Jahren auf der Tagesordnung.

Ich darf zusammenfassen: Die SPD-Fraktion stimmt dem vorliegenden Antrag zu. Wir hoffen, dass, wie Sie fordern, bei der Übersetzung der nötige Klä

rungsprozess eingeleitet wird. Wir hoffen da auf Klärung.

Wir werden die Herausforderungen an die Landesgesetzgebung nachhaltig unterstützen. Die Programme „Mit gleichen Chancen leben“ oder „Teilhabe für alle“ sind ja erste Ansätze. Auch mit dem neuen Wohn- und Teilhabegesetz haben wir einvernehmlich die Selbstbestimmung der Menschen gestärkt, die unterstützt wohnen, so zum Beispiel bei Besuchsregelungen, Kontrollrechten oder dem Recht auf Einzelzimmer.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eines ist mir wichtig: Bei allen Forderungen nach Verbesserungen wollen wir nicht aus dem Blick verlieren, dass die Hilfen für Menschen mit Betreuungsbedarf fast ausnahmslos von der kommunalen Familie finanziert werden. In Nordrhein-Westfalen sind das zurzeit ca. 2,3 Milliarden €, mit steigender Tendenz, da wir immer noch steigende Fallzahlen haben. Hier ist dringend eine Finanzbeteiligung des Bundes gefordert. Es handelt sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die kann nicht alleine von den Kommunen geschultert werden.

Trotzdem halten wir die Forderungen für berechtigt. Wir treten dafür ein. Lassen Sie uns gemeinsam für die Umsetzung kämpfen! Diskutieren wir über die Grundsätze und Anforderungen, die darin enthalten sind! Überlegen wir gemeinsam, wie wir die Lebensbedingungen von Menschen mit Handicaps in unserem Land verbessern können! Selbstbestimmung und Teilhabe sind kein Gnadenakt, sondern ein Menschenrecht. Barrierefreiheit ist keine Nettigkeit, sondern eine Verpflichtung. Meine Damen und Herren, Barrierefreiheit beginnt in den Köpfen, auch in unseren. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat für die Fraktion der FDP der Kollege Dr. Romberg das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es steht außer Frage, dass die Ziele der UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen richtig sind. Im Mittelpunkt steht das Recht auf umfassende Teilhabe, Chancengleichheit und Selbstbestimmung in allen Bereichen des Lebens. Diese Zielsetzung möchte ich auch aus Anlass des gestrigen Welttages der Behinderten bekräftigen. Daher brauchen wir schnellstmöglich eine Ratifizierung der Konvention.

In der UN-Konvention wird ausdrücklich festgelegt, dass Menschen mit Behinderungen Subjekte von Rechten sind, wie Heiner Bielefeldt, der Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, betont hat. Der Perspektivenwechsel hin zu einer konsequen

ten Teilhabeorientierung sei auch in Deutschland bislang keinesfalls vollzogen. Die Bochumer Juristin und Expertin für Menschenrechte Theresia Degener hat die UN-Konvention vor diesem Hintergrund als Meilenstein bezeichnet. Das primär an Medizin orientierte Modell wurde nun zugunsten eines sozialen Modells, das sich an der Überwindung der unterschiedlichen Teilhabebarrieren orientiert, überwunden.

Die UN-Konvention wurde bislang von 130 Staaten unterzeichnet. Dazu gehören 36 Staaten, die die Konvention bereits ratifiziert haben. Von deutscher Seite wurde die Konvention von Beginn an unterstützt. Deshalb ist es nur logisch, die Ratifizierung zügig und ohne Vorbehalte vorzunehmen.

Klar ist, dass die Umsetzung nicht von heute auf morgen möglich ist und dass man gut daran tut, sich wirklich auch auf einen längeren Prozess einzurichten. Denn der eigentliche Paradigmenwechsel besteht darin, Behinderung als normale Erscheinung des menschlichen Lebens zu werten. Das muss sich erst einmal in den Köpfen der Menschen auch hier in Nordrhein-Westfalen festsetzen. Es wird sicher noch etliche Jahre dauern, dort die Barrieren im Kopf abzubauen.

Zu diesem Zweck ist es zum einen unerlässlich, die Konvention einer breiten öffentlichen Diskussion zuzuführen und die Betroffenen von Anfang an aktiv einzubinden. Zum anderen müssen die Verantwortlichen auf allen gesellschaftlichen Ebenen prüfen, inwieweit die rechtlichen und sozialpolitischen Rahmenbedingungen mit den Zielen der Konvention im Einklang stehen. Gegebenenfalls muss auch an einigen Punkten gegengesteuert werden. Das wird eben auch von der Seite der Betroffenen erwartet.

Zur Übersetzung und den damit verbundenen Problemen, die im Antrag beschrieben werden, ist Folgendes zu sagen: Auch die FDP ist sich darüber im Klaren, dass die Übersetzungsfrage nicht unterschätzt werden darf.

Was die Bewertung der inklusiven Beschulung im Vergleich zur integrativen Beschulung angeht, so sollten nicht die Strukturen alleine betrachtet werden. Der Wunsch und die individuellen Voraussetzungen der betroffenen Personen müssen im Mittelpunkt stehen. Hier brauchen wir, meine ich, weniger Ideologie und mehr Pragmatismus.

Sowohl die FDP-Fraktion hier in NordrheinWestfalen als auch unsere Bundestagsfraktion stehen der UN-Konvention uneingeschränkt positiv gegenüber. Gleichzeitig warnen wir davor, die Rechtsdurchsetzung mit übertriebenem Regulierungseifer zu begleiten. Denn das könnte sich etwa beim Zugang zum Arbeitsmarkt auch als Bumerang für betroffene Menschen erweisen.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Hier ist das richtige Augenmaß, hier ist Fingerspitzengefühl gefragt, damit der bürokratische Aufwand nicht künstlich erhöht wird. Auf diese Weise würde das eigentliche Ziel konterkariert, möglichst viel Normalität im Umgang mit behinderten Menschen zu erreichen.

(Beifall von Ralf Witzel [FDP])

Abschließend noch ein Wort zum Thema Zwangsunterbringung: In der Denkschrift ist eine Feststellung enthalten, wonach die Bundes- und Landesgesetze den Richtlinien der UN-Konvention entsprechen. Nach Meinung der FDP-Fraktion ist das geltende Recht mit der UN-Konvention vereinbar. Es bedarf daher mit der Ratifizierung der Konvention nicht der Änderung, die die Grünen wollen, sondern allein der restriktiven Interpretation und Handhabung auch unseres PsychKG hier in NordrheinWestfalen, wofür wir uns übrigens seit Jahren stark machen.

Sie sprechen auf Seite 2 Ihres Antrags so nebulös davon, die Zwangsunterbringungen in Recht und Praxis einer Überprüfung zu unterziehen und entsprechende Änderungen vorzunehmen. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie konkreter vorgeschlagen hätten, was am PsychKG verändert werden soll. Wir sind immer noch ein Landesparlament. Schaut man sich die Überschrift Ihres Antrags an, könnte man denken, man spreche zu einem Antrag im Deutschen Bundestag. Wenn Sie auf Ebene des Landesrechts konkret etwas einbringen wollen, bitte ich Sie, Vorschläge auch so zu unterbreiten,

(Beifall von der FDP)

dass wir zum Beispiel über eine Änderung des PsychKG zu beraten haben. Bleiben Sie nicht so nebulös!

(Zuruf von Sylvia Löhrmann [GRÜNE])

Ich glaube, das können Sie besser. – Danke schön.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Romberg. – Als nächster Redner spricht für die Landesregierung Herr Minister Laumann. Bitte schön, Herr Minister.