Protocol of the Session on October 24, 2008

(Beifall von den GRÜNEN)

Maria Böhmer, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, ist zu Recht bitter enttäuscht, und zwar so, dass sie mahnen muss, dass wenigsten die Selbstverpflichtungen aus dem Integrationsgipfel einzuhalten sind. Arbeitsmarktforscher und die Wirtschaft reklamieren zu Recht, dass es gelingen muss, mehr Kindern aus bildungsfernen Schichten – darunter auch die Anteile der Migrantinnen und Migranten – eine höherwertige Bildung zu vermitteln, damit sie an die Universitäten gehen können. Was machen wir in NRW? – Wir schicken die Kinder an die Hauptschule und hängen sie damit ab.

Fachkräfte- und Akademikermangel sind längst da. Das gegliederte Schulwesen wird zementiert, damit auch die soziale Ungleichheit, die sogar verstärkt wird. Wir hängen Kinder in den Haupt- und Förderschulen ab, statt ihnen Chancen auf ein Miteinander in dieser Gesellschaft und im Lernen zu geben, auf das sie ein Recht haben. Dieses Miteinander verdienen sie.

Nichts war auf dem sogenannten Bildungsgipfel auch zu hören zur UN-Deklaration der Rechte von Menschen mit Behinderungen, die ein Recht auf Inklusion haben, aber in unserem System konsequent aussortiert werden. Wir brauchen endlich das

Recht auf gemeinsamen Unterricht. Auch das muss umgesetzt werden.

(Lachen von Ingrid Pieper-von Heiden [FDP])

Dass Sie darüber lachen, Frau Pieper-von Heiden, ist Ausweis, wie wenig Sie über die Wirklichkeit in dieser Gesellschaft wissen! Das ist ein Schlag ins Gesicht der Eltern, die sich jeden Schritt in der Integration mühsam erkämpfen müssen.

Sonderschulen, wie wir sie im System haben, sind ein Phänomen, das international in den erfolgreichen PISA-Nationen nur Unverständnis und Kopfschütteln auslöst. Das Ergebnis des Bildungsgipfels ist ein Desaster. Der seit Monaten groß angekündigte Aufbruch in die Bildungsrepublik bleibt im kleinkarierten Kompetenzstreit zwischen Bund und Ländern hängen, bevor er überhaupt richtig begonnen hat. Mehr als ein bisschen Botox für ein überaltertes und überholtes Schulsystem ist dabei nicht herausgekommen. Früher hieß es: Dresden, das liegt im Tal der Ahnungslosen. – Heute muss man sagen: Dresden, das ist das Tal der Bildungstränen.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Frau Beer. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Pinkwart.

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Der Voodoo- Minister!)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Genehmigung der Präsidentin darf ich in erster Beantwortung Ihres Beitrags, Frau Kraft, Sie aus der „Frankfurter Rundschau“ vom 18. Januar 2007 zitieren. Dort haben Sie in einem Interview gesagt:

Wir

damit meinen Sie die SPD –

haben die Regierungsrolle in NordrheinWestfalen wahrscheinlich auch verloren, weil wir uns nicht schnell genug auf gesellschaftliche Veränderungen eingestellt haben. Auch bei uns im Land hat das dazu geführt, dass Bildung vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Das darf so nicht bleiben. Es muss über Bildung wieder Aufstieg möglich sein.

Genau das ist die zutreffende Bilanzierung Ihrer Regierungspolitik gewesen.

(Beifall von CDU und FDP)

Sie haben eine Bildungspolitik gemacht, die eben nicht für Chancengerechtigkeit beim Start gesorgt hat.

(Widerspruch von der SPD)

Genau das ändert diese Landesregierung. Das gefällt Ihnen nicht; das kann ich nachvollziehen. Genau das aber ändert diese Landesregierung, und zwar über die gesamte Bildungskette. Es ist eben diese Landesregierung, die damit begonnen hat, die bundesweit schlechteste Unter-Dreijährigen-Betreuungsrelation – bei Ihnen lag sie bei 2,8 % – über 10 % in Richtung 30 % zu entwickeln.

(Beifall von CDU und FDP)

Das hätten Sie längst tun können, denn andere Bundesländer hatten es schon getan, und zwar auch von CDU und FDP regierte Länder. Sie haben zulasten unserer Kinder den Zug der Zeit verschlafen.

(Beifall von CDU und FDP)

Sie haben mit Ihrer Schulministerin im Jahre 2004 eindrucksvoll beim Finanzminister verhandelt, dass nicht 26.000 Lehrerstellen abgebaut werden müssten, sondern nur 16.000 Lehrerstellen. Sie haben Lehrerstellen abbauen wollen; wir haben 7.000 neue Lehrer an die Schulen gebracht! Das ist der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Politik.

(Beifall von CDU und FDP – Widerspruch von der SPD)

Jetzt kommen wir zu Ihren Erfolgen an den Hochschulen. Sie haben tolle Listen verteilt, zu denen wir uns noch einlassen werden. Sie argumentieren mit Blick auf die Hochschulen, die Einführung von Studiengebühren habe abschreckende Wirkung. Kurz vor dem Bildungsgipfel haben Sie noch eine HISStudie hochgezogen, zu der der Leiter dieser Studie sagt, eine abschreckende Wirkung von Studiengebühren sei sehr gering. Sie haben das zum Hauptthema des Bildungsgipfels machen wollen, um ihm gar nicht erst einen politischen Erfolg zu ermöglichen.

(Beifall von CDU und FDP)

Jetzt kommen wir aber einmal zu Ihrer Bilanz, Frau Kraft, in der Zeit, in der Sie Verantwortung getragen haben. Schauen Sie sich einmal die Jahre 2003/2004 und 2004/2005, also die Jahre, in denen Sie, Frau Kraft, Verantwortung hatten, an und vergleichen Sie den Zuwachs der Zahl der Studienberechtigten in Nordrhein-Westfalen mit dem Zuwachs bei den Studienanfängern. In der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung haben 12.200 zusätzliche Studienberechtigte in Nordrhein-Westfalen kein Studium aufgenommen. Bei Ihnen gab es einen höheren Zuwachs bei den Studienberechtigten als bei Studienanfängern. Wenn man sich unsere Jahre anschaut, dann gebe ich zu, dass es bis zu diesem Studienjahr ebenfalls einen höheren Studienberechtigtenzuwachs als Studienanfängerzuwachs gab.

(Hannelore Kraft [SPD]: Schauen Sie sich einmal Ihre Zahlen an! Die sind dramatisch schlechter!)

Nein! Bei Ihnen liegt das Delta bei 12.200, bei uns nur bei 9.200. Ich sage jetzt „nur“, aber das ist sicherlich auch noch zu verbessern. In diesem Jahr wird sich das erstmals anders darstellen. Aber bei Ihnen waren die Verluste viel größer als bei uns. Das müssen Sie bitte einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall von CDU und FDP)

Man muss natürlich fragen, warum die Verluste größer waren. Sie haben in Nordrhein-Westfalen – so wie alle anderen Bundesländer es auch getan haben – die Umstellung auf Bachelor/Master beschlossen. Sie wussten, dass das zu anderen Betreuungsrelationen und Betreuungsnotwendigkeiten führt. Statt aber mehr Mittel bereitzustellen, haben Sie den Hochschulen über den sogenannten Qualitätspakt weniger Stellen zur Verfügung gestellt und sie in Orts-NCs hineingezwungen, was wir jetzt mit dem Hochschulpakt ändern, damit die Hochschulen endlich mehr Geld bekommen, um mehr Studienplätze schaffen zu können!

(Beifall von CDU und FDP)

Jetzt komme ich vor diesem Hintergrund zu dem Bildungsgipfel. Es ist richtig, wenn Ministerpräsident Jürgen Rüttgers sagt, dass es, bezogen auf die Zielbeschreibung, ein guter Gipfel war.

(Lachen von Hannelore Kraft [SPD])

Einen Moment mal! In den Zielen sind wir uns einig; jedenfalls habe ich in Ihren Reden bisher nicht gehört, dass Sie andere Ziele hätten. Die zentrale Frage bei der Bildung ist aber, ob die Politik die Kraft findet, über die Zielbeschreibung hinaus durch entsprechende Prioritätensetzung in den öffentlichen Haushalten die notwendigen finanziellen Anstrengungen zu unternehmen, damit man diese Ziele erreichen kann. Diesbezüglich haben wir im Land Nordrhein-Westfalen bei allen Positionen, die wir – auch bei dem Bildungsgipfel – eingebracht haben, im Landeskabinett immer die Zustimmung des Finanzministers erhalten, sodass wir diese Maßnahmen tatsächlich umsetzen können. Ob es die Sprachförderung ist, die wir längst eingeführt haben, ob es eine bessere Schüler/Lehrer-Relation ist, ob es der Hochschulpakt ist, ob es die Exzellenzinitiative oder der Ausbau der Fachhochschulen ist – all das haben wir schon beschlossen! Das ist der Unterschied zu Ihnen.

(Beifall von CDU und FDP – Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Sie haben doch gar keine klare Li- nie!)

Was war Ihr Beitrag dazu, liebe Frau Kraft? – Dass die Grünen das anders reflektieren können, will ich ihnen durchgehen lassen, weil sie in der Bundesregierung nicht vertreten sind. Aber Ihre Partei, liebe Frau Kraft, ist in der Bundesregierung, sie trägt dort Verantwortung und stellt den Bundesfinanzminister. Vor dem Bildungsgipfel konnte man in allen Medien einen bemerkenswerten Gleichklang zwischen

Bundeskanzlerin und Bundesfinanzminister beobachten.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Einer muss der Kanzlerin ja soufflieren!)

Man hat gemeinsam einen Kraftakt unternommen, um das Bankensystem und die Finanzwelt zu stabilisieren. Wen haben Sie als SPD denn nach Dresden geschickt, um den Bildungsgipfel zu einem Erfolg zu führen? – Sie haben Herrn Scholz geschickt, den keiner im Land kennt. Sie hätten Herrn Steinbrück schicken müssen, um deutlich zu machen, dass Sie nicht nur ehrgeizige Ziele haben, sondern diese auch umsetzen wollen! Das ist der Grund, warum wir dort nicht zum Erfolg gekommen sind.

(Beifall von CDU und FDP)

Lassen Sie mich einen letzten Punkt dazu sagen.

(Hannelore Kraft [SPD]: Wenn die Bundes- kanzlerin den Finanzminister an ihrer Seite braucht, ist das ja in Ordnung!)

Nein, Frau Kraft, da kommen Sie nicht heraus. Schauen Sie sich doch bitte einmal an, wie die Verantwortung im Land verteilt ist! Bund und Länder teilen sich den Steuerkuchen so – ein Teil geht an die EU –, dass der Bund mit 43 % an den Steuereinnahmen teilnimmt und Länder und Kommunen mit 53 %. Wissen Sie, wie die Relation bei den Bildungsausgaben über den gesamten Bildungsprozess hinweg – von der frühkindlichen Erziehung bis zur Weiterbildung – aussieht? – Länder und Kommunen tragen 84 % aller staatlichen Bildungsausgaben, der Bund nur 15,9 %.

Bei der Finanzmarktkrise hat der Bund, obwohl dies seine originäre und alleinige Zuständigkeit – die Länder haben diesbezüglich keine Zuständigkeit – betraf, gesagt, dass es um eine gesamtstaatliche Verantwortung geht und die Länder sich mit 35 % an dieser gesamtstaatlichen Aufgabe beteiligen sollten. – Wenn wir die Bildung in Deutschland nach vorne bringen wollen,

(Sylvia Löhrmann [GRÜNE]: Dafür muss man aber doch die Voraussetzungen schaffen!)

muss der Bund endlich auch in finanzieller Hinsicht zu seiner Verantwortung stehen. Sonst schaffen wir das zusammen nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren. – Herzlichen Dank.

(Beifall von CDU und FDP)

Danke schön, Herr Dr. Pinkwart. – Für die SPD spricht nun der Kollege Schultheis.

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zunächst, Herr stellvertretender Minister