Protocol of the Session on October 26, 2005

Ich halte dieses Vorgehen gerade auch deshalb für vertretbar, weil die neue Landesregierung keinen Zweifel daran gelassen hat, dass sie alle notwendigen Schritte einleiten wird, um, beginnend mit dem ersten eigenen Haushalt 2006, wieder zu geordneten Staatsfinanzen zu kommen. Auch und gerade weil die Haushaltslage dramatisch ist, dürfen wir die grundlegenden Perspektiven nicht vernachlässigen.

Mittelfristig steht uns ohne Zweifel eine riesige Aufgabe bevor, bei deren Lösung wir uns nicht mit Klein-Klein und Alibimaßnahmen begnügen können und dürfen. Wir bekommen die Probleme der öffentlichen Haushalte nur in den Griff, wenn wir uns an ganz klaren Grundsätzen orientieren.

Erstens. Die Einnahmen müssen wieder die Ausgaben bestimmen. Es muss mit realistischen Einnahmeprognosen gearbeitet werden, die den Deckel für ebenfalls realistisch zu kalkulierende Ausgaben darstellen. Gleichzeitig bedarf es einer Umstellung des Haushaltsaufstellungsverfahrens, wozu die neue Landesregierung bereits die ersten Schritte in die Wege geleitet hat. Zukünftig wird es zu einer Haushaltsaufstellung top-down kommen, bei der zuerst festgelegt wird, wie viel Geld zur Verfügung steht, mit dem die Ressorts dann ihre Aufgaben finanzieren können.

Zweitens. Wir brauchen mehr dezentrale Budgetverantwortung. Die Haushaltskonsolidierung ist nicht die alleinige Aufgabe des Finanzministers. Hier ist die gesamte Landesregierung mit allen ihren Ressorts gefordert - nicht zuletzt sind auch Sie, meine Damen und Herren, das gesamte Parlament, gefordert.

Drittens. Wir müssen langfristig denken. Die Haushaltskonsolidierung darf niemals nur den kurzfristigen Sparerfolg für einen Haushalt im Blick haben. Das war sicherlich bei der Aufstellung des Doppelhaushalts 2004/2005 hier im Parlament so. Wir müssen durch strukturelle und langfristig angelegte Veränderungen dafür sorgen, dass wir uns in der Zukunft Gestaltungsspielräume zurückerobern. Das ist dann wahrhaft soziale Politik, meine Damen und Herren.

(Beifall von der CDU)

Diese Gestaltungsspielräume sind bei rund 6,5 Milliarden € strukturellem Defizit nicht mehr gegeben. Die vordringliche Aufgabe besteht darin, das Strukturproblem des Landeshaushalts zu beseitigen, um wieder wirklich ausgeglichene Haushalte verabschieden zu können. Wir arbeiten dafür, dieses Ziel schrittweise zu realisieren. Wir möchten spätestens bis zum Ende der Wahlperiode wieder zu Haushalten kommen, die die Kreditobergrenze der Verfassung einhalten. Dann machen wir uns ans Werk, einen vollständigen Abbau der Neuverschuldung zu erreichen.

Das alles wird nicht ohne Einschnitte vonstatten gehen können. Wir werden uns die Frage stellen müssen: Was kann, was muss der Staat leisten? Danach müssen wir unsere Prioritäten ausrichten.

Erste Akzente dazu finden sich bereits im Nachtragshaushalt. Wie wichtig uns Bildung und Ausbildung sind, lässt sich daran ablesen, dass wir trotz der katastrophalen Abschlussbilanz die Einrichtung von 1.000 neuen Lehrerstellen im Nachtragshaushalt finanzieren.

(Beifall von der CDU)

Um solche Gewichtungen geht es auch bei den zukünftigen Debatten.

Wir werden uns intensive Gedanken über die Personalsituation des Landes machen müssen. Auch bei diesem Punkt bedarf es zunächst eines strukturierten Konzeptes, um die Probleme in den Griff zu bekommen.

Dazu hat die hochrangige Expertenkommission konkrete Vorschläge vorgelegt, die wir sorgfältig prüfen und sicherlich auch bereits in die Haushaltsplanungen für 2006 einbeziehen werden. Das

Ziel eines strukturellen Stellenabbaus in der engeren Landesverwaltung steht. Teil einer zielführenden Konzeption - dies wird sich im Haushalt 2006 bereits wieder finden - muss darüber hinaus der beschleunigte Abbau von kw-Stellen sein.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Offen, klar und transparent - so stellt sich die neue Finanzpolitik mit dem zweiten Nachtragshaushalt 2005 im Landtag vor. Wir haben uns nicht gescheut, eine klare, eindeutige und schnörkellose Darstellung der Haushaltssituation zu liefern. Wir verhandeln ab heute - jetzt und in den kommenden Wochen - die Abschlussbilanz von Rot-Grün.

Ich bitte um die politische Rückendeckung dieses Hauses für die notwendigen Maßnahmen, um einen Schlussstrich unter diese Haushaltspolitik der Vergangenheit ziehen zu können. Dann wird sich schon bald, nämlich mit der Vorlage des ordentlichen Haushalts 2006, unsere neue Finanzpolitik beweisen können.

Diese offene, klare und transparente Politik wird geprägt sein durch das Leitbild des vorsichtigen Kaufmanns. Dann sind wir gut gerüstet, um die Finanz- und Strukturkrise des Landeshaushalts zu meistern. - Herzlichen Dank.

(Lang anhaltender Beifall von CDU und FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Linssen hat nicht, wie von der Landesregierung angemeldet, 20 , sondern 28 Minuten gesprochen. Deswegen bekommen auch die vier Fraktionen die Möglichkeit, 28 Minuten zu uns zu sprechen.

Als erste Rednerin hat Frau Abgeordnete Kraft, die Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Höhn hat uns vorhin bei ihrer Abschiedsrede in diesem Hohen Haus den Rat gegeben, als Opposition sollten wir die Regierung an dem messen, was sie versprochen und angekündigt hat.

Lieber Herr Finanzminister, am Tag Ihrer Amtsübernahme haben Sie eine völlige Umkehr der Haushaltspolitik in NRW verkündet. Sie wollten neben der geplanten Haushaltssperre zusätzlich eisern sparen. Damit wollten Sie auch noch sofort beginnen.

Insofern haben wir schon gespannt darauf gewartet, was sich denn von diesen Ankündigungen jetzt in diesem Nachtragshaushalt wieder findet.

Ich halte fest: Sie nehmen für dieses Jahr weit mehr Schulden auf als nötig. Sie legen sich einen Sparstrumpf aus teuer geliehenem Geld an.

(Zurufe von der CDU)

- Ich werde das gleich belegen. Zur Rechtfertigung reden Sie über eine angebliche Schlussbilanz der vorherigen Landesregierung.

(Zuruf von der CDU: Das ist doch richtig! Was denn sonst?)

- Sie brauchen sich gar nicht aufzuregen. - Damit eins von vornherein klar ist: Wir entziehen uns als SPD-Fraktion nicht unserer Verantwortung. Das ist nicht unser Wille; das habe ich auch öffentlich deutlich gemacht.

(Beifall von der SPD)

Wir wissen alle - und das nicht erst seit gestern -, dass die Haushalts- und Finanzsituation dramatisch ist. Daraus haben wir auch nie einen Hehl gemacht.

(Beifall von der SPD - Zurufe von der CDU)

Alle öffentlichen Haushalte stehen vor dem harten Weg der Sanierung. Die Gespräche, die zurzeit in Berlin geführt werden, machen deutlich, vor welchen riesigen Aufgaben die Politik bei der Haushaltskonsolidierung steht, im Bund wie in den Bundesländern.

Wir haben allerdings in den letzten Jahren schon mit diesem Weg begonnen. Daran darf man ja noch einmal erinnern.

(Zurufe von der CDU)

Im Doppelhaushalt 2004/2005 haben wir etwa 1,4 Milliarden € eingespart. Von 2001 bis 2005 wurden die Ausgaben des Landes real von 49,2 Milliarden € auf 48 Milliarden € gesenkt.

Das war erst der Anfang des Weges. Das hat auch der vorherige Ministerpräsident und unser vorheriger Finanzminister hier in diesem Hause noch Anfang dieses Jahres deutlich gemacht.

Wir haben uns dieser Aufgabe gestellt. Wir wissen auch, dass wir jetzt gemeinsam gefordert sind - Regierung und Opposition.

(Rudolf Henke [CDU]: Gestellt und nicht er- füllt!)

- Ich habe Ihnen doch gerade dargelegt, wie wir diesen Weg eingeleitet haben. Entschuldigung, Herr Henke!

(Rudolf Henke [CDU]: Gestellt und nicht er- füllt!)

Wir stellen uns dieser Aufgabe. Dabei - das sage ich Ihnen sehr deutlich - werden wir auch weiterhin die soziale Ausgewogenheit zum Maßstab unserer Kooperation bei Haushaltssanierungen machen.

(Beifall von der SPD - Rudolf Henke [CDU]: Schulden sind nicht soziale Ausgewogen- heit!)

- Herr Henke, warten Sie doch erst einmal ab; ich habe doch noch ein bisschen Redezeit.

Wir räumen auch klipp und klar ein, dass der Haushalt 2005 auf der Einnahmeseite Risiken enthielt, die jetzt zu Korrekturbedarf führen.

Die Mindereinnahmen, die im Nachtrag aufgelistet sind, gehen auf das Konto der alten Landesregierung und der rot-grünen Koalition. Darüber müssen wir heute nicht streiten. Das habe ich auch öffentlich gemacht, auch in Pressegesprächen dazu. Das ist das, was ich immer „Konto RotGrün“ genannt habe.

Beispiele dafür sind Veräußerungen von Beteiligungen, die wir nicht realisieren konnten - die hätten Sie jetzt wahrscheinlich auch gerne realisiert -, oder die Studienfonds oder die Konzessionseinnahmen aus Spielen und Wetten. Wir wissen alle, warum letztere nicht im erwarteten Ausmaß eintreten können. Das liegt daran, dass das Internet inzwischen eine größere Rolle spielt, als wir alle prognostizieren konnten.

Auch ein Teil der Mehrausgaben, die Sie jetzt neu ausweisen wollen, geht aus unserer Sicht in Ordnung. Das fällt unter die Rubrik „Hätten wir auch gemacht“. Das ergibt sich im Haushaltsvollzug, bei dem sich zeigt, dass bestimmte Ansätze nicht ausreichen. Da muss jetzt etwas draufgelegt werden. Das ist in Ordnung. Ich nenne als Beispiel nur die vorbeugenden Maßnahmen gegen die Vogelgrippe, die Schutzimpfungen. Ich nenne auch ganz bewusst die 1.000 Lehrerstellen, die wir auch hätten einstellen müssen,

(Beifall von der SPD - Zurufe von der CDU)

weil sie - wie wir hier schon mehrfach festgestellt haben - dazu dienen, die Schüler-Lehrer-Relation konstant zu halten, was wiederum im Schulgesetz seine Grundlage hat.

Bis zu diesem Punkt und in diesen Punkten besteht Konsens. Das gilt übrigens auch für den Länderfinanzausgleich. Auch die Mehrausgaben für den Länderfinanzausgleich müssen ausgewiesen werden. All dies müssen Sie jetzt tun, und wir hätten es auch gemacht.

Das Stichwort Länderfinanzausgleich gibt allerdings Anlass zu einer Frage. Die Mehrausgaben entstehen, weil die Steuereinnahmen des Landes höher sind als im Haushalt veranschlagt. Übrigens wurden diese Zahlen erst am 25. Juli bekannt. Das sage ich für diejenigen, die auf der Zuschauertribüne sitzen. Wir hätten es also gar nicht wissen können. Das ist ein etwas kompliziertes Geflecht. Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Steuereinnahmen nicht so regelmäßig sprudeln, dass sie wirklich sicher prognostiziert werden könnten.