Protocol of the Session on October 26, 2005

Meine Damen und Herren! Ich heiße Sie herzlich willkommen zur zehnten Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen in dieser Wahlperiode. Mein Gruß gilt auch den Gästen auf der Zuschauertribüne sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien.

Für die heutige Sitzung haben sich acht Abgeordnete entschuldigt; ihre Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich noch einen Hinweis geben: Nach § 33 der zurzeit gültigen Geschäftsordnung wird bei Zwischenfragen weder die Zeit der Frage noch die Zeit der Beantwortung auf die Redezeit angerechnet. Das möchte ich noch einmal vorab sagen, damit nicht alle Redner erst fragen, ob sie die Zeit angerechnet bekommen.

Wir treten nunmehr in die Beratung der heutigen Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Aktuelle Stunde

Thema: Muss Ministerpräsident Rüttgers die Politik der Landesregierung neu ausrichten?

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

In Verbindung damit:

Thema: Nordrhein-Westfalen erwartet Rückenwind für die Erneuerung des Landes

Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der FDP

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit Schreiben vom 24. Oktober 2005 gemäß § 90 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu der zuerst genannten aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt. Ebenfalls mit Schreiben vom 24. Oktober 2005 haben die Fraktionen der CDU und der FDP zu dem zweiten Thema eine Aktuelle Stunde beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin Frau Löhrmann von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte schön.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um zu beschreiben, welches Bild die Regierung Rüttgers/Pinkwart im Moment abgibt, mache ich gerne eine Anleihe bei Altbundeskanzler Helmut Kohl. Er hat einmal sinngemäß gesagt: Vom Zustand der Koalition kann überhaupt keine Rede sein. Das trifft es, meine Damen und Herren.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Erinnern Sie sich noch an die demonstrativ zur Schau gestellte Harmonie bei den Koalitionsgesprächen, an den Versuch, die magere 100-TageBilanz mit Stolz geschwellter Brust zu präsentieren? Und jetzt, gut vier Monate nach Regierungsübernahme: Was ist da noch übrig von dieser Koalition der Kuscheltiere?

(Zuruf von Johannes Remmel [GRÜNE])

Nicht nur die Medien sind voll von Berichten über Pleiten, Pech und Pannen, nein - und das ist auch immer das Interessante -, auch innerhalb der Koalition brodelt es mächtig.

(Widerspruch von Dr. Gerhard Papke [FDP])

„Maßgebliche Kräfte in der FDP“ - so ist etwa in den „Aachener Nachrichten“ vom 18.10. zu lesen - „drängen bereits auf eine Kabinettsumbildung.“ Der Chef der Staatskanzlei, Herr GroßeBrockhoff, gilt als überfordert. Selbst der ständige Rat bei der Vorgängerin hilft nicht viel weiter.

Nachdem Ministerin Sommer unserem Ministerpräsidenten das Zwergschuldesaster beschert hat, um ihn anschließend öffentlich zu korrigieren, wackelt ihr Stuhl schon jetzt so kräftig, dass Wetten angenommen werden, wie lange sie sich noch halten kann. Es fehlt nur noch der entsprechende Ersatz, denn mit Herrn Reul kann es der Ministerpräsident ja nicht so gut.

Meine Damen und Herren, die Sommerzeit geht bekanntlich am kommenden Sonntag zu Ende. Herr Rüttgers, wir wüssten gerne: Planen Sie eine Kabinettsumbildung, wie es Ihr Koalitionspartner diskutiert? Oder glauben Sie, mit weiteren Bauernopfern über die Runden zu kommen? Oder ist für Sie der Fall mit dem Aussitzen erledigt, obwohl Sie sich wieder dem Parlament in dieser Angelegenheit gestellt noch die Größe besessen haben, diesen gravierenden Fehler Ihrer Regierung zuzugeben? Beides ist ein Armutszeugnis für einen Regierungschef, der hier mit Demutsgesten angetreten ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, Ihnen ist doch bekannt, dass unsere Landesverfassung keinen Landespräsidenten vorsieht, sondern einen Ministerpräsidenten mit starker Stellung auch hier im Parlament.

Ein Teil des Chaos, Herr Ministerpräsident, das Ihre Kabinettsmitglieder präsentieren, hat damit zu tun, dass Sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in ihren Häusern offensichtlich nicht über den Weg trauen. Unterschätzen Sie doch nicht das überwiegend fachliche Interesse der Ministerialen! Es kann nicht gut gehen, wenn Sie weiter versuchen, nicht mit den Fachleuten, sondern gegen sie oder an ihnen vorbei zu regieren.

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Das ist wahr!)

Meine Damen und Herren, die knapp 100 zusätzlichen hoch dotierten Stellen für politische Vertraute haben jedenfalls nicht dafür gesorgt, das Regierungshandeln zu optimieren.

Herr Ministerpräsident, über Ihr Agieren in der Bundespolitik kann man nur noch den Kopf schütteln. Bei den wichtigen Gesprächen, in denen es um die personellen Weichenstellungen für das neue Bundeskabinett geht, sind Sie nicht da. Erinnern wir uns: Da verkündet am Montag vergangener Woche nachmittags Frau Merkel die neuen Kabinettmitglieder, und morgens ist der Ministerpräsident im Deutschlandfunk mit der Aussage zu hören: Sie glaubten, dass Sie in NRW zufrieden sein könnten, und Sie seien - Zitat - „selber in die Entscheidungsfindung einbezogen gewesen.“

Als aber klar wird, dass aus der NRW-CDU niemand am Kabinettstisch Platz nehmen wird, geht das Heulen und Zähneklappern los. Sie müssen uns erklären, ob Sie nun einbezogen worden sind oder nicht. Offensichtlich sind Sie nicht einbezogen worden.

(Zuruf von der CDU: Das brauchen wir Ihnen nicht zu erklären!)

Und dann dieser Brief vom letzten Sonntag. Ausgelöst durch die anhaltende interne und öffentliche Kritik über Ihre bundespolitische Machtlosigkeit schustern Sie Hals über Kopf diesen kruden Wunschzettel zusammen. Abgesehen davon, dass Sie sich immer noch nicht entscheiden können, ob Sie die alte oder die neue Rechtschreibung anwenden wollen - das geht nämlich in Ihrem Brief durcheinander -, hätten Sie kaum ein beredteres Zeugnis der eigenen Schwäche abgeben können, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Machen wir uns klar: Der Ministerpräsident des größten Bundeslandes, der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, schreibt an Mitglieder der Verhandlungskommission in Berlin. An wen wendet er sich - an seine Bundesvorsitzende, die zukünftige Bundeskanzlerin? Nein, er hat es offensichtlich schon aufgegeben, sie zu überzeugen. Stattdessen schreibt er an den Bundesvorsitzenden der SPD, den designierten Vizekanzler, und an seinen sozialdemokratischen Vorgänger, den zukünftigen Finanzminister.

Herr Ministerpräsident, deutlicher kann man nicht dokumentieren, dass Sie glauben, in Berlin ohne die SPD nicht durchsetzungsfähig zu sein.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Damit haben wir de facto auch hier in NRW eine große Koalition. Am besten laden Sie Frau Kraft und Herrn Dieckmann direkt zu Ihren Kabinettsitzungen ein, damit die Abstimmung besser klappt.

(Beifall von Reiner Priggen [GRÜNE])

Ihnen, Herr Pinkwart und Herr Wolf, wünschen wir weiterhin viel Vergnügen als fünftes Rad am Wagen. Dass Ihre Fraktion diese Konzentration an Peinlichkeiten auch noch selbst zum Anlass einer Aktuellen Stunde nimmt, erinnert mich an Erich Kästner, der schreibt: "Nie sollt ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken."

(Lachen und Beifall von GRÜNEN und SPD)

Herr Rüttgers, die Geschäftsgrundlage für Ihre erste Regierungserklärung ist in zentralen Teilen entfallen. Das marktradikale Durchregieren, auf das Sie und Ihr Koalitionspartner bei Ihrer Regierungsbildung gesetzt haben, wird nicht stattfinden. So schnell hat noch keine Landesregierung an programmatischer und personeller Glaubwürdigkeit verloren.

Herr Rüttgers, ich fordere Sie auf, Klarheit zu schaffen. Ordnen Sie Ihre Geschäfte und ziehen Sie die Konsequenzen aus dem Ergebnis der Bundestagswahl. Auch wenn es Ihnen nicht passt - bereiten Sie eine neue Regierungserklärung vor, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von den GRÜNEN)

Darauf haben die Menschen in NordrheinWestfalen einen Anspruch und wir als Abgeordnete in diesem Parlament auch. Herr Ministerpräsident, ich bin sehr gespannt auf Ihren heutigen Beitrag. - Herzlichen Dank.

(Beifall von GRÜNEN und SPD)

Danke schön, Frau Löhrmann. - Das Wort hat Herr Biesenbach von der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Wochen versuchen die Grünen nun, den Ministerpräsidenten ans Rednerpult zu zitieren,

(Dr. Axel Horstmann [SPD]: Stattdessen kommen Sie!)

um ihm Themen aufzuzwingen, zu denen Sie gerne etwas hören möchten. Frau Löhrmann, das ist Ihnen nach vielen Geschäftsordnungsdebatten nicht gelungen. Auch in der letzten Sitzung des Hauptausschusses stellten wir fest, dass Sie einfach nicht die Mittel haben, weil es sachlich auch nicht notwendig ist. Daraufhin haben Sie uns versprochen: Dann fällt uns schon etwas ein, um den Ministerpräsidenten zu dem Thema zum Reden zu bringen, zu dem wir ihn gerne hören möchten.

Wenn das, was Sie heute vorgebracht haben, das Kreativpotenzial der Grünen ist, dann hätten Sie besser nichts getan. Nachdem ich Ihre Antragsbegründung gelesen und Ihre Rede gehört habe, denke ich, dass das weit unter dem Niveau liegt, das wir uns wünschen.

(Beifall von CDU und FDP)

Der Wahlkampf ist doch schon lange vorbei. Ich habe aber den Eindruck, dass die Grünen wie ein angeschlagener Boxer noch nicht mitbekommen haben, dass der Gong längst ertönt ist. Nach wie vor weigern sich die Grünen offensichtlich, das desaströse Scheitern ihres Feldversuches wirklich einzugestehen.