Protocol of the Session on March 22, 2023

Der nächste Redner ist Herr Politze von der SPDFraktion. Bitte schön!

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Ulf Thiele [CDU])

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Thiele, ich muss da gar nicht viel einsammeln. Und eigentlich müsste auf Ihrer Seite eingesammelt werden.

Das, was die CDU in Niedersachsen mit ihrem Gesetzentwurf macht, ist Misstrauen zu säen und

(Volker Bajus [GRÜNE]: So ist es!)

Eltern durch eine - ich sage es wieder, Herr Kollege Fühner, weil Sie es nicht begriffen haben - suggerierte Wahlfreiheit in Niedersachsen für die Förderschule Lernen zu verunsichern. Das ist in höchstem Maße verantwortungslos, und das ist, weil Sie es

auch im Wahlkampf betrieben haben, in höchstem Maße populistisch.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜ- NEN - Widerspruch bei der CDU)

Sie tragen das auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler aus, Sie spielen mit den Ängsten der Eltern,

(Carina Hermann [CDU]: Sprechen Sie doch mal mit den Schülern und Eltern!)

und Sie spielen mit der Zukunft der Schülerinnen und Schüler. Ich finde, das, was die CDU da macht, ist verantwortungslose Politik.

Aber da Sie das ja als Wahlkampfthema hatten: Die Antwort darauf haben Sie von den Wählerinnen und Wählern in Niedersachsen bekommen. Sie sitzen in der Opposition, und da gehören Sie auch hin!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜ- NEN - Zuruf von Jörn Schepelmann [CDU])

Verlässlichkeit und Kontinuität sind wesentliche Voraussetzungen für die Akzeptanz von Schul- und Bildungspolitik durch Bürgerinnen und Bürger. Verlässlichkeit - das ist ein entscheidender Punkt.

Das Für und Wider bei der Diskussion um die Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen ist in den parlamentarischen Beratungen zuhauf und abschließend ausgetauscht worden. Gleichwohl hat die CDU wieder diesen Gesetzentwurf eingebracht. Aber Sie haben dabei ausgeblendet, dass die CDU bei der Einführung der inklusiven Schule - 2012, Kultusminister war Bernd Althusmann - das Auslaufen der Schulform ausdrücklich mitbeschlossen hat.

(Volker Bajus [GRÜNE]: So ist es!)

In der Großen Koalition waren Sie mit daran beteiligt, die einmalige Verlängerung des Weiterbestehens gesetzlich zu verankern.

(Zuruf von Jörn Schepelmann [CDU])

Herr Politze, lassen Sie eine - - -

Ein Hin und Her bei schulpolitischen Grundlagen ist wenig hilfreich. In der Bildungspolitik sind langfristig angelegte Prozesse dringend notwendig, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Herr Politze, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn Reinken zu?

Nein.

(Zurufe von der CDU)

Eine Doppelstruktur schwächt die inklusive Schule, und die rund 290 Vollzeiteinheiten bei den Lehrkräften fehlen im ABS-Bereich bei den allgemeinbildenden Schulen. Damit sorgen Sie dafür, dass das Gelingen der Inklusion deutlich erschwert wird.

Herr Politze, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn Pastewsky, AfD-Fraktion, zu?

Ich würde gerne bis zum Ende ausführen.

Gut, damit haben wir das geklärt.

Wie sieht es eigentlich mit der Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention aus, die von allen ratifiziert worden ist? Darauf will ich noch einmal hinweisen. Die Länder haben sie ratifiziert, die Kommunen haben sie ratifiziert usw.

Es gibt keine neuen Argumente für die Notwendigkeit der Institution Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen im Sekundarbereich. Nach zehn Jahren der Verzögerung brauchen wir Klarheit im System und Entschiedenheit in der Umsetzung, damit inklusive Bildung in den allgemeinen Schulen verantwortlich angenommen und umgesetzt werden kann.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Weil es keine weiteren Argumente gibt, erübrigt sich eine Debatte um die Auflösung oder Abschaffung. Gleichwohl ist eine Diskussion über die Gestaltung der inklusiven Bildung in der allgemeinen Schule wichtig - und der verschließen wir uns nicht, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Es geht um die Bereitstellung der notwendigen pädagogischen Expertise für Schülerinnen und Schüler, die einen Unterstützungsbedarf im Förderschwerpunkt Lernen im Sekundarbereich haben.

Hier stimmen wir sicherlich überein. In der inklusiven Bildung müssen die didaktischen, methodischen und organisatorischen Voraussetzungen für entwicklungsförderliches individuelles Lernen gewährleistet werden. Die Professionalität sonderpädagogischer Unterstützung muss sichergestellt sein. Das haben die demokratischen Fraktionen des Landtags übrigens in dem gemeinsamen Entschließungsantrag niedergelegt.

Die SPD ist der Überzeugung, dass die Formen der Unterstützung für die Schülerinnen und Schüler mit den entsprechenden Bedarfen, wie sie in den Förderschulen weitgehend gesichert waren, auch in den weiterführenden Schulen realisiert werden können. In den Grundschulen ist dies mit der sonderpädagogischen Grundversorgung längst erreicht worden - übrigens auch dort gegen massiven Widerstand. Aber heute ist das eine gut gelingende Praxis, meine sehr geehrten Damen und Herren, die aber immer weiter verbessert werden muss.

Die Koalition setzt sich dafür ein, die notwendigen und angemessenen Voraussetzungen für die Unterstützungsangebote und die fachliche Qualität im Schwerpunkt Lernen auch in der Sekundarstufe und in der allgemeinbildenden Schule zu schaffen. Diese umfassen, neben weiteren Punkten, die Bereitstellung des Personals für die sonderpädagogischen Zusatzbedarfe, die systemische Zuweisung, die Konsequenzen für die Aus-, Fort- und Weiterbildung aller Lehrämter in heterogenen Lerngruppen, die Vernetzung der sonderpädagogischen Lehrkräfte in der inklusiven Bildung zum Erhalt ihrer Qualifikation und die flexible und regional geprägte Unterrichtsorganisation in der allgemeinen Schule in personeller, didaktisch-methodischer, räumlicher und auch zeitlicher Hinsicht

(Ulf Thiele [CDU]: Wenn es mal so wäre!)

sowie die Profilierung und Stärkung der Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren für die Inklusion. Diese Auflistung könnte man noch lang fortführen. Das machen wir aber nicht.

Von den Ausbildungseinrichtungen und von den entsprechenden Fachverbänden liegen umfassende, detaillierte und vor allen Dingen erprobte Konzepte vor, die nur angewandt werden müssen, damit wir bei der Thematik weiterkommen.

Die inklusive Bildung ist auch längst in unseren Schulen angekommen - nur nicht bei Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren von der CDU. Es braucht nicht mehr die besondere Schule für einige

Schülerinnen und Schüler, sondern eine allgemeine inklusive Schule, in der alle lernen, aber auch leben können.

Jetzt komme ich auf den Satz „Gute Bildungschancen ermöglichen!“ von Herrn Fühner zurück. Schauen Sie einfach mal in die aktuelle Klemm-Studie! Sie spricht eine eindeutige Sprache, was den Erfolg bei Schulabschlüssen anbelangt, der Ihnen ja so wichtig ist, Herr Fühner. Beispielsweise kann man auf Seite 9 der Studie nachlesen, dass das Verfehlen eines Hauptschulabschlusses anders, als es die Bezeichnung „ohne Hauptschulabschluss“ vermuten lässt, nur am Rande mit der Hauptschule zu tun hat. Lediglich 13 % der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss haben 2020 in Hauptschulen gelernt. Mit etwa 49 % stammen die Schülerinnen und Schüler, die den Hauptschulabschluss verfehlen, aus Förderschulen Lernen.

(Ulf Thiele [CDU]: Ein Jahr später ma- chen die in aller Regel in der berufsbil- denden Schule ihren Hauptschulab- schluss!)

Ferner ist mit Blick auf die Gruppe der Schülerinnen und Schüler mit einem diagnostizierten sonderpädagogischen Förderbedarf eine Beobachtung zum Schulerfolg an den beiden Lernorten - Förderschule und allgemeinbildende Schule - von Interesse. Insgesamt acht der 16 Bundesländer berichten über die Schulabschlüsse, die diese Jugendlichen an den beiden Lernorten erreichen. Im Durchschnitt dieser acht Bundesländer verfehlen 67 % der Schülerinnen und Schüler mit diagnostiziertem Förderbedarf Lernen den Hauptschulabschluss. An der Förderschule Lernen sind es sogar 72,7 %! Und am Lernort allgemeinbildende Schule? - 45,5 %!

Demnach gelingt es besonders den allgemeinbildenden Schulen, Jugendliche erfolgreich zum Hauptschulabschluss zu führen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Es muss doch im Vordergrund stehen, dass Schülerinnen und Schüler die Schule nicht ohne Abschluss verlassen, womit sie nicht in den ersten Arbeitsmarkt gelangen können!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Zuvor veröffentlichte Studien zeigen zudem, dass die Quote seit Jahren konstant ist und sich der Unterschied zugunsten der allgemeinbildenden Schule in der Tendenz über alle Förderschwerpunkte hinweg findet.

(Ulf Thiele [CDU]: Sie werden erleben, dass dieser statistische Wert an den allgemeinbildenden Schulen bald ra- pide schlechter wird!)

Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf - Herr Thiele, auch Ihnen würde das Zuhören guttun - sind in inklusiven Lernsettings im Vergleich seltener dem Risiko ausgesetzt, ihre Schulzeit ohne Schulabschluss zu beenden als gleichaltrige Schülerinnen und Schüler an Förderschulen. Das Erreichen des Schulabschlusses - ich sage es noch einmal - muss doch oberste Priorität haben!

Vor diesem Hintergrund gilt es einmal mehr, die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention konsequent voranzutreiben, um möglichst vielen Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit eines Abschlusses zu geben. Wir jedenfalls haben mit unserer Politik die Schülerinnen und Schüler im Blick, meine sehr geehrten Damen und Herren,

(Lachen bei der CDU - Ulf Thiele [CDU]: Sie haben Ihr Parteiprogramm im Blick!)

und werden daher konsequent an der Umsetzung des gemeinsam getragenen Entschließungsantrags zur gelingenden Inklusion weiterarbeiten.