Protocol of the Session on November 10, 2020

Die Reformschritte in anderen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Thüringen und Schleswig-Holstein waren deutlich größer.

Mit unserem Gesetzentwurf soll zunächst ein Erfordernis beim Einwohnerantrag gestrichen werden, das beim Bürgerbegehren bereits abgeschafft wurde. Der zusammen mit dem Einwohnerantrag vorzulegende Kostendeckungsvorschlag ist beim Einwohnerantrag ebenso verfehlt und wird von uns als unnötige Hürde angesehen.

Im Wesentlichen befasst sich unser Gesetzentwurf jedoch mit den Regelungen zum Bürgerbegehren und zum Bürgerentscheid. Hier haben wir zahlreiche Ansatzpunkte identifiziert, die wir angehen, um die Anforderungen an die Zulässigkeit solcher Verfahren zu senken, das Verfahren transparenter und für die häufig beteiligten Laien viel verständlicher zu gestalten.

So wollen wir den sogenannten Ratsentscheid einführen, sodass die kommunale Vertretung - also der Rat bzw. der Kreistag oder die Regionsversammlung - selber einen Bürgerentscheid beschließen kann. Das ermöglicht der Vertretung, Konkurrenzvorlagen mit zur Abstimmung zu stel

len, falls es zu einem Bürgerentscheid kommt. Dies bietet sich für alle Fälle an, in denen die Vertretung eine wichtige bzw. kontrovers gebliebene Frage nur unter Einbezug der Bürgerinnen und Bürger verbindlich beantworten möchte.

Auch neue, bisher ausdrücklich ausgeschlossene Themenkreise wollen wir der direkten Demokratie erschließen. Es erschließt sich uns beispielsweise nicht, warum privatrechtlich organisierte, aber faktisch durch die Kommune kontrollierte Einrichtungen nicht direktdemokratischen Entscheidungen zugänglich sein sollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn sie von der Kommune kontrolliert werden, sollen die Bürgerinnen und Bürger auch über sie mitentscheiden dürfen.

Schließlich wollen wir auch zusätzliche politische Ebenen wie die Ortschaften und Stadtbezirke für Bürgerbegehren und -entscheide erschließen und - ganz wichtig - Fairness, Neutralität der Verwaltung sowie den Datenschutz zugunsten der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Bürgerbegehren voranbringen.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung zum NKomVG befasst sich zwar mit einigen in unserem Gesetzentwurf enthaltenen Punkten, schlägt aber leider nur teilweise eine ähnliche Richtung ein. Ich hoffe, dass die direkte Demokratie letztlich als wichtiger und bereichernder Teil der repräsentativen Demokratie als Gewinnerin aus dem Gesetzgebungsverfahren hervorgehen wird.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Menge. - Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU der Kollege Bernd-Carsten Hiebing. Bitte schön, Herr Kollege! Sie haben das Wort.

Danke. - Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen heute über einen Gesetzentwurf sprechen, der eine Reform des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes

anstoßen soll.

Das allein sollte uns schon aufhorchen lassen, sprechen wir doch von der weitreichenden „Gemeindeverfassung“ unserer niedersächsischen

Städte, Landkreise, Gemeinden und Samtgemeinden sowie der Region Hannover. Wir nehmen hier die Rechtsgrundlage für den Aufbau der kommunalen Strukturen in Niedersachsen in den Blick. Insofern müssen wir den Gesetzentwurf, wie ich finde, sehr kritisch beleuchten und uns der Konsequenzen sehr bewusst sein.

In unserer aktuellen Debatte geht es um den vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der sich dem Thema Bürgerbegehren widmet und auf diesem Weg die direkte Demokratie auf kommunaler Ebene stärken will.

In der Begründung des Gesetzentwurfes beruft sich die Fraktion maßgeblich auf den Bürgerbegehrensbericht 2020. Diese Untersuchung vergleicht die Inanspruchnahme von Bürgerbegehren in den Bundesländern und sieht uns Niedersachsen - wie die grünen Antragsteller meinen - im quantitativen Ranking vergleichsweise weit hinten.

Dazu gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass Bürgerbegehren in den unterschiedlichen Bundesländern durchaus unterschiedlich gehandhabt werden. Ihre Betrachtungsweise, verehrte Frau Kollegin, ist, wie ich finde, da nicht allein zielführend. Während in Niedersachsen tatsächlich nur Vorhaben als Bürgerbegehren zu werten sind, die auch von Bürgerinnen und Bürgern erdacht und eingebracht werden, die bei Ihnen also auf der Prioritätenliste weit oben stehen, kann das in Bayern durchaus anders gemacht werden. Dort braucht es keine Unterschriftensammlung und auch kein Quorum. Nein, anders als bei uns fließen auch Ratsreferenden in die Statistik ein.

Wenn also ein bayerischer Gemeinderat bei einem Thema nicht mehr weiterweiß und keine Einigung erzielen kann, dann kann er das Anliegen als Referendum bei seinen Einwohnerinnen und Einwohnern zur Abstimmung stellen. Das ist durchaus nicht selten der Fall. Folgerichtig ist Bayern das Bundesland mit der höchsten Anzahl an Bürgerbegehren und wird damit als Positivbeispiel geführt. Bei anderen Gelegenheiten finden Sie die Bayern ja nicht so gut. Aber in diesem Fall finden Sie sie besonders gut. Da sind aber, wie ich finde, Äpfel mit Birnen verglichen worden. Liebe Frau Kollegin, ich glaube, das müssen Sie sich sagen lassen.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, trotz dieser unterschiedlichen Ausgangssituation befindet sich Niedersachsen im Länderranking der Bürgerbegehren

auf Rang vier, wenn es sich auch vielleicht eigentlich verbietet, in solchen Wettbewerbskategorien zu denken. Wenn wir das aber tun wollen, dann kann es mit Rang vier so schlecht bei uns nicht bestellt sein um das Format der Bürgerbegehren. Ich will an dieser Stelle feststellen: Immerhin Rang vier! So schlecht sind wir gar nicht!

Aus dem zugrunde liegenden Bericht einen aktuellen Handlungsbedarf abzuleiten, ist, glaube ich, zumindest diskussionswürdig. Ich bin ganz sicher, dass es nicht unbedingt erforderlich ist, etwas bzw. ganz vieles zu ändern.

Meine Damen und Herren, insofern wir diese Diskussion führen wollen, müssen wir uns auch eine andere Sichtweise noch einmal vor Augen führen. Wir müssen uns die grundsätzliche Frage gefallen lassen, unter welchen Voraussetzungen ein Mehr an direkter Demokratie von unserer Gesellschaft überhaupt gefordert wird und welcher Mehrwert für die Menschen in Niedersachsen auf diesem Wege erzielt werden kann. Denn es darf nicht sein, dass wir zusätzliche Türen öffnen, die die Demokratie de facto durchaus schwächen könnten und nicht das Wohl der Allgemeinheit in den Fokus rücken. Ich glaube, das Allgemeinwohl ist das eigentlich Wichtigere.

(Zustimmung bei der CDU)

Es muss vermieden werden, dass die politische Agenda durch Einzelinteressen bestimmt wird, durch kleine, kommunikationsstarke Gruppen, die eine schweigende Mehrheit zu dominieren wissen. Das, glaube ich, sollten wir auch nicht gut finden.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Hier ist das Zustimmungsquorum ganz elementar. Die Kommunen dürfen sich zudem, wie ich finde, keine Aufgaben diktieren lassen, die sie finanziell möglicherweise gar nicht zu schultern in der Lage sind.

Meine Damen und Herren, es ist vielen Vorhaben ebenso wenig zuträglich, wenn einfache, klare Verfahren unter dem Deckmantel der direkten Demokratie unnötig verlängert werden. Genauso wenig dürfen wir falsche Erwartungen wecken, wenn es um eine Entscheidungsfindung in der Bauleitplanung oder bei Gebietsreformen geht.

Es darf auch nicht sein, dass wir durch Bürgerbegehren ein Schwarz-Weiß-Denken forcieren, das uns mit Ja-Nein-Entscheidungen den Weg zu guten Kompromisslösungen verbaut. Mittelwege und

beiderseitiges Einvernehmen sind in meinen Augen immer noch der bessere Weg.

Und überhaupt: Wollen wir den Menschen, die sich in der Kommunalpolitik engagieren, die gewählt sind, um Entscheidungen für die Bürgerinnen und Bürger zu treffen, wirklich ein Stück Verantwortung und Entscheidungsgewalt nehmen? Wollen wir das wirklich? Wollen wir die kommunalen Organe gezielt abwerten, wo wir doch wissen, dass es schwer genug ist, überhaupt Kandidatinnen und Kandidaten zu finden? Anlässlich der im nächsten Jahr anstehenden Kommunalwahl werden wir wissen, was das zu bedeuten hat.

Meine Damen und Herren, die niedersächsische Form der Bürgerbeteiligung ist ein gutes und schon jetzt funktionierendes Instrument für die Menschen, das aber klare Regeln und Grenzen benötigt. Ich glaube, vieles von dem, was wir haben, ist bewährt und gut.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Hiebing. - Nun hat sich der fraktionslose Kollege Jens Ahrends zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Ahrends! Sie haben das Wort.

Herr Präsident, ich danke Ihnen. - Meine Damen und Herren! Es kommt nicht oft vor, aber manchmal muss auch ein konservativer Politiker einem Gesetzentwurf der Grünen zustimmen. Ich denke mal, heute ist für mich solch ein Tag.

(Zurufe von der CDU und von den GRÜNEN: Oh!)

Der hier vorliegende Gesetzentwurf soll das Niedersächsische Kommunalverfassungsgesetz im Hinblick auf Bürgerbegehren und Bürgerentscheide gemäß den §§ 32 und 33 NKomVG vereinfachen. Die Bürger sollen es leichter haben, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Das ist gut so; denn es ist das Land der Bürger, das durch die Politik verwaltet wird.

Herr Hiebing, das Allgemeinwohl wird dann vom Bürger definiert, wenn der über das, was da abzustimmen ist, entschieden hat. Der Bürger wird wissen, was für ihn das Beste ist, und nicht immer unbedingt die Politik. Die Schweiz zeigt uns, dass

es funktioniert. Warum soll das in Niedersachsen nicht möglich sein?

Von daher kann ich dem Gesetzentwurf der Grünen überwiegend zustimmen.

Insbesondere ist es zu begrüßen, dass die Mindestzahl der erforderlichen Unterschriften gemäß § 32 Abs. 4 gesenkt werden soll. Hier wird eine große Hürde für das Erreichen des Bürgerbegehrens gesenkt.

Die Änderung von § 33 Abs. 1 a kann ich jedoch nicht in dieser Form akzeptieren. Hier ist meines Erachtens zu ändern, dass nicht jeder Bürger, sondern jeder wahlberechtigte Bürger der Ortschaft oder des Stadtbezirkes ein Bürgerbegehren einreichen kann.

Es ist zu begrüßen, dass der Kostendeckungsvorschlag beim Einwohnerantrag gestrichen werden soll. Er ist eine unnötige Hürde und bisher die Hauptursache für das Scheitern von Bürgerbegehren in Niedersachsen. Oftmals wurden die Bürger durch das Erfordernis eines Kostendeckungsvorschlages davon abgeschreckt, einen Einwohnerantrag zu stellen.

Dass eine Vertretung nach § 32 Abs. 1 Satz 2 selbstständig einen Bürgerentscheid beschließen können soll, ist ebenso zu begrüßen.

Auch der reduzierte Themenausschluss nach § 32 Abs. 2 Satz 2 mit der Aufnahme von Bauleitplanungen, förmlichen Verwaltungsverfahren, Planfeststellungsverfahren sowie Flächennutzungs-

und Bebauungsplänen ist meiner Ansicht nach zu begrüßen.

Ebenso zu begrüßen ist die Festsetzung des Beginns der Sammelfrist nach § 32 Abs. 5 Satz 2 und 3 durch die Vertretung in Verbindung mit der im hier vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehenen Aufhebung der Dreimonatsfrist.