Daraus entstand dann - das hat Frau Viehoff vorhin dargestellt - 2015 das Netzwerk zur Provenienzforschung, das hier am Landesmuseum in Hannover angesiedelt ist und eine Plattform bildet, von der aus alle Aktivitäten gesteuert werden. Das ist eine sehr kluge Entscheidung gewesen, die wir dann über das schon erwähnte Programm 2018 weiter fortgesetzt haben, und zwar wissenschaftlich begleitet und fundiert, aber nicht nur - genau wie Herr Plett gesagt hat - aus der Sichtweise deutscher Wissenschaftler, sondern unter Hinzuziehung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den Staaten, aus denen diese Kunstgegenstände geraubt worden sind.
Das heißt, es ist eine Kooperation mit Wissenschaftlern aus Tansania, Burundi, Ruanda, Namibia und vielen anderen Staaten, die ehemals deutsche Kolonien waren, entstanden, die gepflegt wird und auch lebt und funktioniert. Da geht nicht nur jemand mal hin und guckt, was das eigentlich für ein Fundstück ist, sondern daran wird wirklich intensiv gearbeitet, und die Wissenschaftler machen sich auch Gedanken, woher dieses Fundstück gekommen sein könnte. Das ist nämlich das Grundproblem. Provenienzforschung ist eigentlich nichts anderes als Detektivarbeit - tiefschürfende Detektivarbeit. Bei bestimmten Artefakten, z. B. aus Neuguinea, glaubt man gemeinhin, dass man genau weiß, woher sie stammen. Das ist aber mitnichten der Fall. Durch die Untersuchungen wird dann erst festgestellt, wo sie zu lokalisieren sind, in welche Zeit und zu welchen Umständen sie passen. Das heißt, man muss eine lückenlose Forschung betreiben, um die Herkunft festzustellen.
Was sagen die ausländischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die das begleiten, dazu? Es könnte ja sein, dass sie sagen: Gebt uns alle Artefakte mit; wir erforschen sie bei uns zu Hause! - Sie sind eigentlich ganz froh, dass sie die Möglichkeit haben, diese Dinge hier in einem sehr geschützten Bereich sehr frei zu erforschen und für sich Erkenntnisse zu sammeln, um Teile der Geschichte in ihre Staaten zurückzuholen und damit auch ein Geschichtsbewusstsein zu schaffen.
Der Kolonialismus hat - anders, als es eben dargestellt wurde - eben nicht segnend dafür gesorgt, dass keine Versklavung mehr stattfindet. Die Versklavung fand dann eben nicht mehr per Verschiffung in andere Länder statt, sondern direkt vor Ort, weil das günstiger war. - Ich weiß gar nicht, wie man auf so etwas kommt! Aber egal, ich wollte mich ja nicht aufregen.
Wichtig ist auf jeden Fall, dass dieses Projekt weiter fortgeführt wird. Diese Landesregierung ist deshalb sehr daran interessiert, dieses Thema voranzutreiben. Wir haben das über die Kulturministerkonferenz angestoßen. Der Kulturausschuss hat gerade in der letzten Woche über das Thema beraten. Die Kulturministerkonferenz wird bei ihrem nächsten Treffen wieder darüber diskutieren und voraussichtlich ein weiteres Papier dazu beschließen.
Ich möchte aber noch etwas Grundsätzliches zu dem Antrag sagen. Sie haben ja - das fand ich interessant - 2019 einen Parteitagsbeschluss auch zu diesem Thema gefasst - ich lese ja, was Sie machen -, der sehr dem ähnelt, was in dem vorliegenden Antrag steht. Dass es anderthalb Jahre gedauert hat, bis der Antrag vorgelegt wurde, finde ich schade. Ich meine, das hätte man auch etwas schneller transferieren können.
Dass es einen gleichlautenden Antrag im Deutschen Bundestag gibt, ist, glaube ich, normal, wenn man im Parlamentarismus gut kooperiert.
Ich möchte dazu aber sagen: Entgegen der Darstellung, die im Antrag immer wieder durchkommt, ist Niedersachsen ein Beispiel für andere Länder. Die Vertreter anderer Bundesländer kommen nach Niedersachsen und schauen sich das an, was wir machen, und übertragen das dann auf ihre Länder. Wir sind also führend in dieser Frage, auch bei dem, was die entsprechenden Institute an den Universitäten tun - in der Schulbuchforschung, aber auch darüber hinaus; Frau Dr. Lesemann hat darauf hingewiesen.
Ich meine, das sollten wir nicht kleinreden, sondern dieses Thema vernünftig diskutieren; denn es ist viel zu wichtig. Zum einen wird dadurch unser Geschichtsbewusstsein gestärkt, und zum anderen kann es auch dazu beitragen, viel mehr Verständnis mit Blick auf die Herkunft und die Vergangenheit der Menschen, die heute in Afrika leben, zu entwickeln und das zu überformen - nicht im Sinne von „gleichmachen“, sondern von „mitdenken“.
Letzter Hinweis: Sie alle gucken wahrscheinlich gelegentlich „Terra X“ - eine der besten Wissenschaftssendungen, die es im Fernsehen gibt, und das auch noch zu einer guten Zeit, nämlich sonntags um 19.30 Uhr. „Terra X“ hat in drei Sendungen das Thema Mittelamerika bzw. Mexiko aufgegriffen - zuletzt das Leben der Azteken.
Ich empfehle jedem, diese Sendungen in der Mediathek anzuschauen. Denn dieses Format greift genau die Frage auf, wie man eigentlich mit dem kolonialen Erbe umgehen kann und was uns das eigentlich angeht. Gerade am Beispiel der Azteken wird deutlich, dass durch das Eindringen der Spanier eine Hochkultur im Entstehen völlig plattgemacht worden ist. Bis vor Kurzem glaubte man, dass nichts davon übrig geblieben ist. Allerdings sind Reste bestehen geblieben, weil die Spanier Mexiko-Stadt einfach auf die Aztekenstadt gebaut haben. Bei Grabungen werden jetzt große Teile der alten Hauptstadt der Azteken freigelegt, sodass man deren Kultur neu entdecken kann. Das ist das Spannende.
Warum sage ich Ihnen das? - Weil unsere Forscherinnen und Forscher in den fünf Museen, die daran beteiligt sind, gerade im Kleinen hier genau das machen. Das müsste noch ausgeweitet werden. Diese Schritte werden dann kommen.
Federführend soll der Ausschuss für Wissenschaft und Kultur sein, mitberatend der Ausschuss für Haushalt und Finanzen und der Kultusausschuss. Wer dem so zustimmen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Sehe ich nicht. Damit ist das einstimmig so beschlossen und überwiesen.
Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung: Telemedizin in Justizvollzugsanstalten - Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU - Drs. 18/7348
Zur Einbringung hat sich für die CDU-Fraktion Frau Abgeordnete Dr. Esther Niewerth-Baumann zu Wort gemeldet. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vom kolonialen Erbe direkt in die JVA und zum Thema Telemedizin! - Telemedizin in Justizvollzugsanstalten in Niedersachsen findet in Form unseres gemeinsamen Pilotprojektes zur Telemedizin in der JVA Hannover seit Juli dieses Jahres statt. In Baden-Württemberg gab es bereits ein Pilotprojekt, das sehr gut gelaufen ist. Telemedizin wurde in Niedersachsen aber auch schon an anderer Stelle praktiziert. Das hat mir mein Nachbar, der Kollege Röhler erzählt. In der Helios-Klinik in Cuxhaven wird Telemedizin häufig praktiziert. Sie arbeitet mit Schiffen zusammen. Wenn jemand an Bord eines Schiffes krank wird und kein Arzt anwesend ist, ist es natürlich häufiger notwendig und wichtig, dass Telemedizin Anwendung findet.
Wir wissen, dass in Niedersachsen Ärztemangel besteht. Leider reißen sich Ärzte nicht gerade darum, in einer JVA zu arbeiten. In den JVAen in Niedersachsen sind 112 Ärzte im Einsatz, davon 23 als hauptamtliche Ärzte und 89 als nebenamtliche Ärzte. Es wird zunehmend schwieriger, die Insassen in den Justizvollzugsanstalten medizinisch zu versorgen. Hier kann Telemedizin eine sinnvolle und gute Ergänzung sein.
In den letzten Haushalt haben wir Mittel für ein Pilotprojekt eingesetzt. Dieses Pilotprojekt ist inzwischen in der JVA Hannover gestartet. Dort findet das Projekt „Telemedizin im Justizvollzug“ statt. Dort soll auch Teleradiologie eingesetzt werden. Auch das ist eine gute Möglichkeit. Dabei werden die Röntgenaufnahmen vor Ort gemacht, und die Bilder werden dann direkt weitergeschickt.
Viertens können auch Übersetzungsprogramme im Rahmen der Telemedizin eingesetzt werden. Dann ist es besser möglich, sich mit Gefangenen mit Migrationshintergrund zu verständigen.
Fünftens kann die Zahl der Ausführungen durch den Einsatz von Telemedizin reduziert werden. Das Positive ist, dass die rechtlichen Voraussetzungen für Telemedizin in Niedersachsen bereits mit § 7 der Berufsordnung geschaffen sind.
Telemedizin kann insofern ein sehr, sehr sinnvolles Mittel sein. Wir sind gespannt, wie unser Pilotprojekt laufen wird. Telemedizin kann die Versorgung vor Ort natürlich nicht vollständig ersetzen, sie kann sie aber sinnvoll ergänzen. Insofern finden wir es gut, dass das jetzt läuft, und sind gespannt, wie es mit der Telemedizin in Niedersachsen weitergehen wird.
Vielen Dank, Frau Dr. Niewerth-Baumann. - Für die SPD-Fraktion liegt eine Wortmeldung der Abgeordneten Dunja Kreiser vor. Bitte schön, Sie haben jetzt das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Telemedizin hatte bereits am 10. März 1876 ihren Ursprung. Der Erfinder der Telefonapparatur, Alexander Graham Bell, hatte sich Säure über seinen Anzug gegossen und seinen im Nebenzimmer sitzenden Kollegen Thomas A. Watson angerufen und um Hilfe gebeten. Die kam dann auch relativ schnell. Mittlerweile sind die Entfernungen etwas größer, und Telemedizin ist digitaler geworden. Die NASA untersucht in wesentlich größerer Entfernung von der Erde aus ihre im All beschäftigten Astronauten auf körperliche Vitalität hin.
Aber zurück nach Niedersachsen zu dem Antrag in der Drucksache 18/7348. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns im Unterausschuss „ Justizvollzug und Straffälligenhilfe“ über das hohe Engagement des Ministeriums unterrichten lassen, die Beschäftigung von Medizinerinnen und Medizinern im niedersächsischen Justizvollzug voranzutreiben. Das geht aber leider nicht ganz auf, weil das Beschäftigungsinteresse von Medizinerinnen und Medizinern in diesem Bereich sehr gering ist. Gerade einmal 112 Medizinerinnen und Medizi
ner - 23 hauptberuflich, 89 nebenberuflich - arbeiten für den niedersächsischen Justizvollzug an den 13 Standorten mit 23 Abteilungen. Dazu kommt noch die Jugendarrestanstalt mit 4 weiteren Abteilungen. Wir reden dabei von knapp 4 800 Inhaftierten. Insgesamt könnte die ärztliche Versorgung verbessert werden. Telemedizin kann dafür eine zusätzliche Lösung sein.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich deshalb, dass die Telemedizin in einem Pilotprojekt für die JVA Hannover starten kann, und erhoffe mir eine mehrheitliche Zustimmung für diesen Antrag.
50 000 Euro sind in dem niedersächsischen Haushalt dafür vorgesehen. Ich denke, dass dafür zukünftig ein noch größerer Etatumfang benötigt werden wird. Denn die Telemedizin wird auch in personeller Hinsicht eine Unterstützung sein: Jede Ausführung eines Gefangenen oder einer Gefangenen zur ärztlichen Untersuchung oder Behandlung oder in die Notaufnahme außerhalb einer JVA bindet Personal. Durch die Telemedizin werden wir für mehr Sicherheit im niedersächsischen Justizvollzug sorgen, verehrte Damen und Herren.
Telemedizin kann neben ihrem Beitrag zur personellen Entlastung auch den medizinischen Standard heben: Der Krankenpflegedienst kann durch die Telemedizin auf die Expertisen der Medizinerinnen und Mediziner zurückgreifen. Mit Übersetzungsprogrammen wird es leichter, ausländische Gefangene zu behandeln. Künstliche Intelligenz wird die Behandlungsmethodik unterstützen. Diagnosen können schneller erfolgen. Aufgerundet bedeutet das eine Stärkung des Justizvollzugs.
Die Bedingungen für die Telemedizin müssen von daher mehr als ausreichend gesetzt werden. Die Prozessqualität ist eine Grundvoraussetzung. Dazu gehört insbesondere die Datensicherheit. Neben der Ausstattung mit einer guten Datenleitung und der Versorgung mit medizinischer Technik müssen eine gute Schulung und Begleitung für die Medizinerinnen und Mediziner vor dem Endgerät und auch vor Ort im Krankenpflegedienst gewährleistet sein.
Ich bin gespannt, welche Behandlungspfade und Behandlungsfelder sich entwickeln. Denn die Telemedizin, verehrte Damen und Herren, wird für uns nicht nur im Justizvollzug eine Zukunft sein, sondern auch in der Fläche des Landes Niedersachsen. Der ländliche Raum muss auskömmlich versorgt werden. Die regionale Daseinsvorsorge ist dabei ein ganz wichtiger Aspekt.
Telemedizin soll die ärztliche Kompetenz nicht ersetzen. Der Fokus soll weiterhin auf der Anwerbung von Ärztinnen und Ärzten vor Ort liegen. Das Vieraugengespräch im persönlichen Kontakt ist ein hohes gesellschaftliches Bedürfnis. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten der Corona-Zeit gemerkt, dass Video- und Telefonkonferenzen nicht die Lösung sind.
Sehr geehrte Damen und Herren, mit dem Pilotprojekt „Telemedizin im Justizvollzug“ stärken wir den Justizvollzug in Niedersachsen. Als Folge erwarten wir verbesserte Haftbedingungen, was für die Gefangenen bedeutet, dass ihr Wiedereinstieg in das Berufsleben und in die Gesellschaft unterstützt wird.
Wir wollen insbesondere eine gesicherte Gesundheitsversorgung erzielen und werden in einem Jahr nach der Evaluation sehen, welche Fixkosten sich entwickeln und wie wir die Telemedizin in Niedersachsen anschließend ausbauen können. Das heißt, die eigentliche Diskussion beginnt in einem Jahr.
Eine Übertragung von Restredezeiten auf spätere Tagesordnungspunkte oder vielleicht den nächsten Sitzungsabschnitt ist in der Geschäftsordnung noch nicht geregelt. Aber das kann man vielleicht einmal andenken.