Infektionsgeschehen, Anti-Corona-Demos, Schulen und Wirtschaft hoch und tief, links und rechts - bei allen Bereichen blieben Sie in dem Ihnen eigenen ruhigen - manche würden sagen: beruhigenden - Tonfall. Ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht, warum. Aber vielleicht ist Ihre Gelassenheit ja auch eine Frage der Persönlichkeit. So schien es mir jedenfalls, als Ihnen aus Protest gegen Ihre veranstalterfeindliche Verbots- und Vorschriftenpolitik die Schirmherrschaft über diverse niedersächsische Jobmessen gekündigt wurde und aus der Staatskanzlei der folgende Kommentar dazu zu
Das nenne ich mal tiefenentspannt. Respekt! Da kämpft eine Branche um ihr Überleben und Hunderte, vielleicht Tausende und Abertausende Arbeitsplätze im ganzen Land sind bedroht, da geht es um Existenzen - und der Ministerpräsident trägt es mit Fassung! Na, da bin ich aber froh. Nicht, dass die wirtschaftliche Not so vieler Mitbürger Sie noch beunruhigt.
Herr Ministerpräsident, vielleicht erzählen Sie den verantwortlichen Mitarbeitern in Ihrer Staatskanzlei in der Ihnen eigenen Gelassenheit einmal, dass sich so etwas nicht gehört, dass so etwas zynisch wirkt.
Mich erinnert das ein wenig an: Das Volk schreit: „Wir haben kein Brot!“, und Marie Antoinette antwortet: „Ja, dann sollen sie doch Kuchen essen.“ Herr Ministerpräsident, vielleicht entschuldigen Sie sich mal bei den Veranstaltern für eine solche völlig unangemessene Flapsigkeit!
Sie merken, ich bin nicht glücklich mit dem Wirtschaftsteil dieser Regierungserklärung. Sie erklären darin zwar, dass wir uns in einer harten Wirtschaftskrise befänden, aber nur, um dann zu erläutern: Ernährung, Bau, einige Dienstleister seien mehrheitlich zufrieden. Und dann stellen Sie die negativen Konsequenzen der Krise als Befürchtungen einzelner Branchen dar.
Oh ja, einige Automobilzulieferer produzierten derzeit bei 70 %. Aber wenn Sie das vortragen, dann klingt das wie die Schilderung einer leichten Magenverstimmung: Hier zwickt es ein bisschen, da tut es ein bisschen weh, und hier habe ich die eine oder andere Befürchtung.
70 % bei manchen Autozulieferern. Bei der Gastronomie sind es seit Monaten 0 %. Bei den Veranstaltern - wir haben es gehört - ist es genauso. Bei den Künstlern ist es so, bei den Jobvermittlern im Zeichen der Kurzarbeit, bei den Reisebüros, bei den Flughäfen - Sie haben es eben angesprochen, Herr Toepffer - und, und, und. Aber wo kamen diese Branchen in Ihrer Regierungserklärung vor? Oder gilt da auch: Der Ministerpräsident trägt es mit Fassung.
Ich höre von Ihnen maximal: „Wir arbeiten daran.“ Aber was haben Sie denn bisher gemacht? Herr Ministerpräsident, was ist mit den sogenannten Zombie-Firmen, also den Firmen, die längst insol
vent sind, aber - weil man die Insolvenz in CoronaZeiten nicht mehr anzeigen muss - fleißig weiter Waren und Dienstleistungen in Anspruch nehmen, die sie nie bezahlen werden, was weitere Firmen in die Insolvenz treibt? Dass Sie dazu keine Zahlen haben: geschenkt. Aber dass Sie die Gefahr in Ihrem Rundblick noch nicht einmal erwähnen, tragen Sie wahrscheinlich auch wieder mit Fassung.
Herr Ministerpräsident, dass Sie weiter von einem gefährlichen Infektionsgeschehen ausgehen, dass Sie zumindest davor warnen, will ich Ihnen zugestehen. Dass Sie nicht als Bruder Leichtfuß dastehen wollen, wenn doch etwas passiert, verstehe ich. Aber man kann - das wurde auch bereits gesagt - mit Geboten durchaus mehr erreichen als mit Verboten, Strafandrohungen und Bußgelder, für die Sie bis heute stehen. Und das umso mehr, als Ihr Parteifreund Hauke Jagau, Regionspräsident Hannover, mehr Lockerungen verlangt, so wie es die FDP - Entschuldigung, die FDP auch, aber vor allen Dingen die AfD - seit einiger Zeit anmahnt.
Oder gar der Präsident der Kassenärztlichen Vereinigung; der sagt, man solle den Panikmodus nun ausschalten. Auch diese Stimmen lassen Sie bei Ihrem Rundblick komplett außen vor. Bei Ihnen sind Corona-Kritiker allesamt Verschwörungstheoretiker und Rechtsextremisten. Ich hoffe, dass Hauke Jagau diese netten Bezeichnungen auch mit Fassung trägt.
Herr Ministerpräsident, ein ruhiger, besonnener Tonfall ist oft die beste Wahl für einen feierlichen Anlass. Diese Zeit aber benötigt etwas anderes - sie benötigt Ehrlichkeit, Offenheit und Engagement. Und deswegen hat mir Ihre „Regierungserklärung“, Herr Toepffer, besser gefallen.
Die Menschen müssen jetzt wissen, dass sie nicht allein gelassen werden. Sie brauchen keine Ankündigungen mehr, sondern Taten. Und Sie brauchen auch keine Hilfen, deren Anträge kein Mensch ohne anwaltliche Hilfe ausfüllen kann.
Das Wichtigste, Frau Modder, ist: Sie brauchen endlich wieder die Freiheit, eigenes Geld zu verdienen.
Vielen Dank, Herr Kollege Wichmann. - Wenn wieder Ruhe eingekehrt ist, erhält noch einmal Kollege Christian Meyer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Kollege Toepffer, ich muss Ihnen zweimal recht geben. Das betrifft zum einen die Frage, ob diese Regierungserklärung wirklich nötig war. Ich bin jedenfalls sehr froh, dass wir sie nicht gefordert haben.
Ich erwarte, dass in einer Regierungserklärung über Perspektiven, über betroffene Wirtschaftszweige, über den Umbau der Wirtschaft gesprochen wird. Ich möchte keinen Buchhalter als Ministerpräsidenten haben, der mir erklärt, wann welche Verordnung erlassen und wie was gemacht worden ist. Dafür brauche ich keine Regierungserklärung. Eine Regierungserklärung brauche ich dafür - und dafür ist sie nach unserer Verfassung auch da -, dass mir erklärt wird: Wo will man eigentlich hin? Wie geht man damit um? Was sind meine Maßstäbe? Was sind meine Kriterien?
Ich bin sehr dankbar, Herr Kollege Toepffer, dass Sie die Bereiche angesprochen haben, die der Ministerpräsident komplett weggelassen hat: Was ist mit der Vereinsamung? Was ist mit den Pflegebedürftigen? Was ist mit den Kindern? Was ist mit der sozialen Krise, die wir haben?
Wir brauchen ehrlichen Antworten auf die Fragen der Wirtschaftsbranchen wie der Luftfahrtindustrie, der Kreuzfahrtbranche und der Automobilindustrie. Man kann doch nicht sagen: „Wir machen so weiter. Irgendwie wird es schon eine Nachfrage nach Kreuzfahrtreisen geben, und dann subventionieren wir das.“ Nein, wir müssen jetzt schauen, wie wir diesen Branchen Perspektiven geben. Und das geht nur mit einem sozialökologischen Umbauprogramm, wie wir es vorgelegt haben. Geld auszugeben darf kein Selbstzweck sein. Wir geben Geld aus, weil wir die Wirtschaft retten und die harten wirtschaftlichen Einbußen, die soziale Verarmung, die wir haben, angehen wollen.
Immerhin, Herr Ministerpräsident, haben Sie die soloselbständigen Veranstalter angesprochen. Ich war da übrigens da, als die hier vor dem Landtag standen. Der Kollege Birkner war auch da, aber Ihr Stuhl war leer. Der Betreiber einer Tanzschule in
Hannover hat dort berichtet, dass er seit März keinerlei Einnahmen mehr hat und an den Ministerpräsidenten geschrieben hat. Die Antwort war, er soll doch Hartz IV beantragen. - Er hat aber ein kleines Häuschen, das er damit aufgeben müsste. Herr Ministerpräsident, Sie rauben solchen Leute die Existenz! Das ist doch keine Perspektive!
- Er hat das Antwortschreiben der Staatskanzlei, das er erhalten hat, dort vorgelesen. Danach soll er Hartz IV beantragen, weil es keine Perspektive gibt, dass er seine Tanzschule wieder betreiben kann.
Unsere Fraktion hat mehrfach Anträge gestellt, dass auch Soloselbständige, Künstlerinnen und Künstler eine Perspektive zur Überbrückung der Zeit erhalten sollen, bis Veranstaltungen wieder im alten Modus möglich sind. Wir können uns da keinen Kahlschlag erlauben.
Herr Kollege Toepffer, Sie haben auch angesprochen, was in der Regierung alles falsch läuft und was Sie geändert haben möchten. So auch die NOZ. Sie titelte am 27.08.2020 zur Pannenserie in der Landesregierung: „Das Chaos geht weiter!“ Wir haben einen holprigen Schulstart. Die Schulleiter fühlen sich allein gelassen. Regeln sind unklar: Wie ist das mit der Quarantäne? - Sie haben erlebt, dass Kinder von ihren Eltern getrennt werden sollten.
Nach dem Bußgeldkatalog, den die Landesregierung zunächst vorgelegt hat, sollten Schulleiter 5 000 Euro bis 10 000 Euro Strafe zahlen, wenn sie einen Fehler gemacht haben. Dieser Bußgeldkatalog ist veröffentlicht worden, war aber nicht wirksam, weil keiner nachgelesen hatte, dass da die Sätze fehlten. - Pannen über Pannen!
Kollege Birkner hat angesprochen, wie viele Verwaltungsgerichtsurteile wir zu Demonstrationsverboten und zur Religionsfreiheit haben. In all diesen Fällen hat die Landesregierung Grundrechte gebrochen. Das waren Verfassungsbrüche!
Jetzt haben Sie in Bezug auf Messen und Prostitution auch wieder Verstöße begangen. Aber nach der Lesart von SPD und CDU ist ja immer das Sozialministerium schuld.
Frau Modder hat eben erklärt, was man alles ändern müsste. Aber es reicht doch nicht, das zu fordern, wenn die Regierung dann doch wieder macht, was sie will. Nein, lassen Sie uns die Corona-Verordnung ändern, lassen Sie uns als Landtag darüber abstimmen.
Am 9. September gibt Martin Bäumer eine Pressemitteilung heraus: „Corona-Verordnung sorgt für Wettbewerbsverzerrung.“ Er kritisiert eine unterschiedliche Handhabung von Familienfeiern in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen und sagt, er könne die Corona-Verordnung in seinem Wahlkreis nicht mehr vermitteln.
Am 30. Juni 2020 sagt Kollege Toepffer: Die CDUFraktion fordert, dass die Corona-Verordnung anwendungsfreundlicher wird. Vorbild sei NRW. - Was ist seitdem passiert? Nichts!
Im Rundblick vom 11. Juni 2020 heißt es, Volker Meyer (CDU) übt scharfe Kritik am System der aktuellen Verordnung: „Ich halte die Verordnung nicht mehr für praktikabel. Wir brauchen zum 22. Juni eine neue überarbeitete Verordnung.“ Zustimmung kommt von Uwe Schwarz (SPD). Uwe Schwarz plädiert dafür: „Eine Verordnung muss grundsätzliche Regeln aufstellen. Die Menschen werden nachlässiger, weil sie nicht mehr wissen, was Sache ist.“
Wir verstehen doch auch vieles nicht mehr. Wie sollen wir denn erklären, welche Regel wann wie gilt, wenn die Regeln immer komplizierter werden?
Sie, Ihre eigene Abgeordneten drücken sich darum, über eine Verordnung und einen Bußgeldkatalog zu diskutieren. Kollege Limburg hat es angesprochen: Ist es verhältnismäßig, dass man fürs Schwarzfahren 60 Euro zahlen muss, aber für das Vergessen der Maske mindestens 150 Euro?
Was ist mit anderen Bußgeldern? Was ist mit den Regeln, die jetzt für Veranstalter gelten? Warum sollen wir das nicht im Landtag diskutieren? Wir haben schon mehrfach gesagt: Parlamentsbeteiligung macht Regeln und Gesetze nicht schlechter, sondern besser. Das, Herr Toepffer, gilt übrigens auch für den nachfolgenden Tagesordnungspunkt zum Niedersächsischen Weg.
Wenn Sie nichts zu verstecken haben, dann lassen Sie doch mal den Landtag über diese Verordnung abstimmen, und verstecken Sie sich nicht immer hinter den Fehlern des Sozialministeriums.