Ich sage Ihnen ganz deutlich: Ich bekomme vor Ort so viele Zuschriften, in denen es heißt: Bitte, Frau Hamburg, setzen Sie sich als unsere Abgeordnete dafür ein, dass der Zeitdruck rauskommt, dass wir Zeit bekommen, um konzeptionell vorzuarbeiten und endlich die inklusive Schule gestalten zu können. - Ich möchte den Menschen, die mir geschrieben haben, gerne sagen: Wenden Sie sich an Ihre örtlichen, direkt gewählten Abgeordneten, an die Menschen mit den offenen Ohren für alles vor Ort! Ihre Ohren stehen zwar leider gerade auf Durchzug, aber das kann sich ja noch ändern.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Unsere neue rotschwarze Landesregierung hat es sehr eilig, die Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes durch das Parlament - das Wort fiel zwar eben schon; aber ich muss es trotzdem wiederholen - zu peitschen.
Dabei sollte doch die Bildungspolitik, laut eigener Aussage, die Politik der ruhigen Hand werden. In Bezug auf die Schulen mag das sogar ein wenig so sein. Tatsächlich aber trägt schon der erste Gesetzgebungsversuch in dieser Legislaturperiode Züge von Chaos und vorprogrammiertem Scheitern in sich.
Anstatt mit Ruhe und Bedacht die anstehenden Aufgaben anzugehen, fassen Sie überhastet einige Stellschrauben im Schulgesetz an, andere damit im Zusammenhang stehende Gesetzeswerke lassen Sie aber erst mal noch links liegen.
Fatal an dieser Art von Politik ist, dass andere - in diesem Fall die Kommunen - Ihren Scherbenhaufen aufsammeln müssen, während Sie sich der Realität nicht stellen wollen.
Zunächst geht es um die Ermöglichung des Fortbestandes der Förderschulen. An dieser Stelle muss ich Frau Hamburg widersprechen. Wir haben mitgezählt: Die Mehrzahl der Verbände, die irgendwie mit der Inklusion zu tun hat, hat ausdrücklich begrüßt, dass die Förderschulen länger bestehen können.
An dieser Stelle ist tatsächlich Eile geboten; das wollen wir auch anerkennen. Denn bereits im kommenden Schuljahr sollen die Förderschulen Lernen Kinder in die fünfte Klasse einschulen können. Deswegen ist an diesem Punkt tatsächlich Eile geboten.
Ganz zufrieden sind wir aber nicht. Wir hätten uns einen langfristigen Erhalt der Förderschulen Lernen gewünscht.
Da wäre zunächst die angedachte ersatzlose Streichung des § 178 des Schulgesetzes. Dieser sieht die Überprüfung der Auswirkungen des Gesetzes zur Einführung der inklusiven Schule vor und legt fest, dass diese zum 31. Juli 2018 stattzufinden hat. In der Anhörung im Kultusausschuss wurde unisono von allen betroffenen Verbänden kritisiert, dass dieser Paragraf gestrichen werden soll. Daraufhin haben Sie - soweit ich es mitbekommen habe - sich entschlossen, diese Überprüfung nun doch durchzuführen, allerdings erst in zwei Jahren. Ich frage Sie: Warum? - Meinen Sie etwa, in zwei Jahren wird sich ein anderes Bild ergeben?
Die Einsicht, dass Inklusion an Regelschulen nicht funktioniert, setzt sich in breiter Front durch. Selbst der Bildungsminister von Sachsen-Anhalt, Marco Tullner, sagt: Die Inklusion ist gescheitert. - Nur in
Niedersachsen darf man das nicht wissen. Hier will man diese Erkenntnis noch zwei weitere Jahre hinauszögern.
Die beiden weiteren Änderungen im Schulgesetz betreffen schließlich die Flexibilisierung des Einschulungsalters, die wir eigentlich begrüßen, sowie die Übertragung der vorschulischen Sprachförderung von den Grundschulen auf die Kindergärten - auch das begrüßen wir im Prinzip. Aber beides betrifft, was die Finanzierung angeht, die Kommunen.
Was sagen nun die kommunalen Spitzenverbände dazu, also diejenigen, die die neue Gesetzeslage praktisch umsetzen müssen? Sie sagen: Sprachförderung an den Kitas - grundsätzlich ja, richtig. Aber die Finanzierung ist nicht gesichert - also nein. Flexibilisierung des Einschulungsalters - grundsätzlich ja. Aber wir brauchen ein bisschen mehr Zeit und mehr Geld - also nein. Verlängerung des Auslaufens der Förderschulen Lernen - sehr gut. Der Druck aus der Bevölkerung wird dadurch geringer. Allerdings sind die einzelnen Regelungen noch unklar. Also sagen die Praktiker auch hier: nein.
Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens, dass die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände meinten, dass es besser wäre, wenn es keinen Stichtag für das Auslaufen der Förderschulen Lernen im Gesetz gäbe. Das heißt durch die Blume - jetzt schaue ich wieder die Grünen an -: Schließt die Förderschulen Lernen nicht! - Das wünschen sich die kommunalen Spitzenverbände.
Ich fasse zusammen: Mit Ausnahme des Punktes Erhalt der Förderschulen Lernen halten wir von der AfD das Gesetz für übereilt eingebracht, nicht ausreichend vorbereitet und daher für nicht zustimmungsfähig.
Vielen Dank, Herr Kollege Rykena. - Es gibt den Wunsch nach einer Kurzintervention auf Ihren Redebeitrag. Frau Hamburg, bitte sehr!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe damals alle Stellungnahmen der Verbände aus der Anhörung gepostet. Ich weiß nicht, inwiefern Sie das verfolgt haben. Also: Der Schulleitungsverband, die GEW, die VBE, der Grundschullehrerverband, der Gesamtschullehrerverband, eine Elterninitiative, der Sozialverband, die Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, Professor Dr. Werning als derjenige, der die Inklusion in Niedersachsen evaluiert, und der Landeselternrat haben sich gegen diese Maßnahmen ausgesprochen. Der Landesschülerrat hat gesagt, er stimmt dem zu, und hat dann alles, was geplant ist, kritisiert. Wie man zu dem Ergebnis kommt, steht mir gar nicht an, zu beurteilen.
Das heißt, alle Schulverbände - mit Ausnahme der Philologen -, die inklusiv arbeiten, haben sich dagegen ausgesprochen, die Förderschule Lernen zu verlängern. Die Philologen, die freien Schulen als massiver Träger von Förderschulen, die evangelische Kirche als massiver Träger von Förderschulen und auch die anderen zwei Elterninitiativen haben sich dagegen ausgesprochen.
Ich weiß nicht, wie Sie Mathematik machen bzw. zählen, aber ich komme zu einer gänzlich anderen Zahl als Sie.
Frau Hamburg, ich habe die Liste leider nicht dabei. Ich kann Ihnen aber versichern, wir haben mehrmals nachgezählt. 10 Verbände haben das in Ihrem Sinne kritisiert, und 16 Verbände, die sich zum Thema Inklusion geäußert haben, haben es begrüßt, dass die Förderschulen Lernen länger erhalten bleiben können.
Wir haben nachgezählt: 16 Verbände haben es begrüßt, und 10 Verbände haben in Ihrem Sinne argumentiert.
sind. Wir waren selbst überrascht. Wir haben es sehr wohlwollend aufgenommen, dass das Zahlenverhältnis so war.
Danke schön, Herr Kollege. - Der nächste Redner ist Herr Försterling von der FDP-Fraktion. Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist doch völlig unerheblich, wer recht hat bzw. wer mehr Verbände gezählt hat. Entscheidend ist doch, dass die Menschen in Niedersachsen einen Anspruch darauf gehabt hätten, dass diejenigen, die für den Landtag kandidiert haben und gewählt worden sind, nach der Wahl auch das machen, was sie vor der Wahl versprochen haben. Das geht an die CDU: Sie haben nämlich versprochen, dass die Förderschule Lernen einen dauerhaften Bestand im niedersächsischen Schulsystem erhalten werden. Aber diesem Versprechen sind Sie bei Weitem nicht treu geblieben.
Das ganze Schulgesetz steht vonseiten der Großen Koalition nicht nur unter der Überschrift „Kompromiss“, sondern unter der Überschrift „Schulfrieden in Niedersachsen“. So suggerierte es zumindest der Ministerpräsident in seiner ersten Regierungserklärung. Aber schauen wir uns das einmal an! Wird es tatsächlich für einen Schulfrieden reichen? - Ich glaube nicht.
Was hat man denn bei der Förderschule Lernen erreicht? - Man hat erreicht, dass die Diskussion um den Fortbestand der Förderschule Lernen nicht mehr im Niedersächsischen Landtag geführt wird. Insofern hat man vielleicht einen Frieden geschaffen. Aber man hat die Diskussion in die Kommune verlagert, und das führt zu der kuriosen Situation, dass am Montag nächster Woche im Kreistag des Landkreises Wolfenbüttel der Kollege Oesterhelweg von der CDU, Landtagsabgeordneter und Vizepräsident, für den Erhalt der Förderschule Lernen in Wolfenbüttel stimmen wird und sein Koalitionspartner Marcus Bosse, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, dagegen.
Sie haben nichts anderes getan, als den Konflikt in die Kommunen zu verlagern. Das heißt im Klartext: Einen Schulfrieden gibt es nicht. Sie haben sich
Damit verschieben Sie die Diskussion in den nächsten Landtagswahlkampf. Sie sorgen dafür, dass wir die Diskussion um die Inklusion, die wir jetzt im Wahlkampf geführt haben, auch in fünf Jahren wieder im Wahlkampf führen werden. Und daraus, liebe Kollegen von der SPD, machen die CDU-Kollegen vor Ort ja auch gar kein Geheimnis! Sie sagen: „Das ist unsere Absicht. Wir diskutieren in fünf Jahren wieder über die Inklusion und den Fortbestand der Förderschule Lernen.“ Und wenn sie dann mit der Mehrheit der Stimmen gewählt worden sind - woran man zwar zweifeln kann, aber das ist zumindest ihr Ziel -, wollen sie die Förderschule Lernen wieder dauerhaft verankern.