Protocol of the Session on June 30, 2020

Vielen Dank, Herr Kollege Lilienthal.

Meine Damen und Herren, bevor wir unter dem Tagesordnungspunkt 4 weiterdiskutieren, muss ich noch einmal kurz auf den Tagesordnungspunkt 3 zurückkommen. Offenbar unbemerkt von allen - auch von Ihnen, Herr Limburg - haben wir noch nicht über die Ausschussüberweisung befunden.

Ich schlage vor, dass der Antrag unter dem Tagesordnungspunkt 3 dem Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen zur dortigen weiteren Behandlung überwiesen wird. Wer so entscheiden will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Das wurde einmütig so entschieden.

Wir setzen nun mit dem Tagesordnungspunkt 4 fort. Nächster Redner ist Herr Kollege Fühner von der CDU-Fraktion. Bitte sehr! Sie haben das Wort.

(Beifall bei der CDU)

Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, wir haben in den letzten Wochen und Monaten grenzenlose Solidarität erlebt.

Herr Lilienthal, Sie haben hier sehr pathetisch beschrieben, was Sie unter Solidarität verstehen. Aber die Rede, die Frau Guth zuvor gehalten hat, zeigt, dass Sie kein Verständnis davon haben, was Solidarität in diesem Land wirklich bedeutet.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD sowie Zustimmung von Christian Grascha [FDP])

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Solidarität hat in erster Linie überhaupt nichts mit finanziellen Aspekten zu tun. Ich habe hohen Respekt vor den Menschen, die in den letzten Wochen und Monaten solidarisch zusammengehalten haben: die Menschen im Bildungsbereich, die Menschen im medizinischen Sektor, aber auch die vielen Eltern, die für ihre Kinder da sein mussten, die Großeltern, die ihre Enkel nicht sehen konnten, oder auch der Unternehmer, der noch heute um jeden Arbeitsplatz kämpft. Das ist wahre Solidarität. Das ist das, was wir in diesem Land nach vorne stellen wollen.

Alle diese Menschen sind an ihre Grenzen gekommen. Sie sprechen hier ja wieder mit schöner Wortwahl von „grenzenloser Solidarität“. Ja,

manchmal muss man über gewisse Grenzen hinausgehen. Gerade in diesen Zeiten müssen Grenzen eben aus Solidarität überschritten werden.

Verehrte Kollegen von der AfD, ich erkläre Ihnen gerne noch einmal, was es mit der Solidarität auf sich hat. Dann können wir das gerne auch auf der europäischen Ebene diskutieren. Solidarität ist als die in Rechtsnormen gegossene Pflicht zu verstehen, dass sich nicht der Einzelne allein, sondern die ganze Gesellschaft und ihre Institutionen für das Wohl aller einsetzen. Solidarität begründet nach diesem Verständnis den Anspruch jedes Menschen, bei Bedürftigkeit von der Gemeinschaft die Hilfe zu erhalten, die es ihm ermöglicht, sich wieder selbst helfen zu können. - Darauf kommt es an.

Und ja, die Europäische Union ist eine Solidaritätsgemeinschaft. Genau deswegen sind wir als starke Nation in der Europäischen Union auch in der Verpflichtung, solidarisch zu sein und den anderen Nationen zu helfen.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lilienthal zu?

Nein, danke.

Okay, weiter geht’s!

Verehrte Kollegen von der AfD, eine solidarische Politik muss auch eine Verantwortungspolitik sein. Das ist ganz sicher nicht Ihr Metier.

7 Millionen Menschen in Deutschland leben in Kurzarbeit. Aus einer pandemischen Situation ist eine wirtschaftliche Notlage entstanden, die

schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Wir haben erlebt, dass die bisherige finanzielle Unterstützung - auch hier in Niedersachsen durch das Programm der NBank unseres Wirtschaftsministers Bernd Althusmann - gut angenommen worden ist. Wir sind uns zu großen Teilen in diesem Hause einig, dass dieser Kurs fortgeführt werden muss, dass wir den Menschen Unterstützung geben müssen.

Ich halte es für verfehlt, wenn die AfD genau in diese Kerbe schlägt und jetzt eine Isolation fordert, dass man sich nur auf Deutschland konzentriert, ohne wirklich das Wirtschaftssystem in den Blick zu nehmen. Denn was ist denn die Alternative der sogenannten Alternative?

Sie, Herr Lilienthal, spielen ja auf die im Raum stehende Bereitstellung von 500 Milliarden Euro an. Was Macron und Merkel nun vorschlagen, begrüßen wir sehr. Das ist keine Schuldenunion. Denn der Plan sieht zum einen vor

(Zuruf von der AfD)

- hören Sie gut zu; dann verstehen Sie vielleicht den Unterschied -, den Fonds zu befristen, und zum anderen, das Geld unter die Kontrolle der

EU - auch des Europäischen Parlaments - zu stellen und projektbezogen auszuzahlen.

Herr Kollege Lilienthal, durch dieses Konzept werden keine nationalen Altschulden vergemeinschaftet. Ihr Vorschlag ist, abzuwarten, nichts zu tun, sich auf Deutschland zu konzentrieren. Europa braucht aber in der schlimmsten ökonomischen Krise nach dem Zweiten Weltkrieg einen ganz klaren Rettungsplan. Will Deutschland weiterhin wirtschaftlich erfolgreich sein, muss man sich gemeinsam mit den Partnern in der Europäischen Union auch um seine leidenden Partner kümmern. Denn am Ende geht es auch um die Absatzmärkte.

Wenn wir in der Europäischen Union nicht zusammenhalten, wird sich kein anderes Land darum kümmern - nicht die USA, nicht China. Wenn einer vorangehen muss, um Solidarität in der Europäischen Union zu gewährleisten, dann ist es Deutschland, zusammen mit vielen starken Partnern.

(Beifall bei der CDU)

Aber Ihr Konzept, Herr Lilienthal, heißt, in eine Krise hineinzusparen. Sie haben das im Haushaltsausschuss mehrfach gesagt: Sie wollen in die Krise hineinsparen. - Das kann nun wirklich kein ernst gemeintes Konzept sein.

Sie haben es ja nicht so mit der Geschichte. Aber in der Weltwirtschaftskrise wurde genau der Fehler gemacht, den Sie jetzt erneut begehen wollen. Erst durch den New Deal von Roosevelt sind wir da herausgekommen. Da hat man nämlich Folgendes gemacht: kurzfristig Not gelindert, mittelfristige Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft aufgelegt und über langfristige Reformen diskutiert.

Das sollte uns Vorbild sein. So können wir aus der Krise heraussteuern, in einer Gemeinschaft, in der Europäischen Union: solidarisch. So halten wir das für richtig. Dann werden gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.

Vielen Dank.

(Starker Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Fühner. - Kollegin Claudia Schüßler, SPD-Fraktion, bitte sehr! Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Titel der Aktuellen

Stunde liest sich ein bisschen wie der Titel einer fachlichen Arbeit. Aber so richtig zu verstehen war er erst nach Ihrem Beitrag, Herr Lilienthal. Wir sind natürlich davon ausgegangen, dass wir hier eigentlich nicht über Solidarität reden, sondern über das Gegenteil davon.

Ich muss sagen: Sie haben berechenbar vorgetragen. Es soll um Solidarität gehen. Tatsächlich geht es aber um das genaue Gegenteil. Sie haben das mit einem für mich neuen Wort benannt: „dispositive“ Solidarität.

(Zustimmung bei der SPD)

Eine solche dispositive Solidarität gibt es aber nicht. Es gibt nur das eine oder das andere.

Ich kann Ihnen sagen: Solidarität ist heute wichtiger denn je. Da bin ich mit meiner Fraktion völlig im Reinen. Wir können nicht einfach zuschauen, wie es anderen schlechter geht, und dann denken, dass wir am Ende davon einen Nutzen haben.

(Beifall bei der SPD)

Man kann natürlich diesen Standpunkt einnehmen. Man kann natürlich sagen: Das Geld muss bei uns bleiben! - Ich halte dies für eine so stark verkürzte Debatte, dass sie sogar Ihrer unwürdig ist.

Eine solche Fragestellung trägt dazu bei, den Menschen Sand in die Augen zu streuen. Das können wir nicht wollen. Wir leben nun einmal in einer komplexen Welt. Der Wohlstand vieler Menschen hängt davon ab, dass es auch anderen gut geht, dass es Absatzmärkte für unsere Produkte gibt.

Die Exporte in die europäischen Nachbarländer sind für uns ungeheuer wichtig. Nach Frankreich wurden im vergangenen Jahr Waren im Wert von 106 Milliarden Euro geliefert, in die USA Waren für knapp 10 Milliarden Euro mehr. Nach China wurden Waren im Wert von 96 Milliarden Euro geliefert, in die Niederlande Waren im Wert von 92 Milliarden Euro. Danach folgen dann die Exporte in das Vereinigte Königreich, nach Italien, nach Österreich, nach Polen. Das ist noch einmal ein Volumen von 280 Milliarden Euro.

Ja, die europäischen Länder sind unsere wichtigsten Handelspartner. Wenn wir in diese Nachbarländer nichts mehr verkaufen können, weil die Menschen dort keine Kaufkraft haben oder weil sie andere Probleme haben, dann geht es am Ende den Menschen bei uns auch schlecht.

In jeder Krise ist es wichtig zu investieren. „Investieren“ heißt nicht, das Geld zu verschleudern, sondern es bedeutet, dass es zielgerichtete Unterstützung gibt - für bestimmte Branchen, für Gruppen, für Wirtschaftszweige. Genau das ist Aufgabe einer vorausschauenden Politik.

(Zustimmung bei der SPD)

Vorhin musste ich hören, dass es diese Krise, die wir jetzt haben, gar nicht gibt; das sei konstruiert, damit wir Geld ausgeben können. Das ist schlicht unverschämt und definitiv unwahr! Herr Lilienthal, Sie haben das nicht gesagt - das hat Frau Guth gesagt. Aber Frau Guth, die jetzt leider nicht da ist, möchte ich zitieren. In ihrer Rede am 25. März hat sie gesagt:

„Corona, ein kleiner unsichtbarer Feind, hat nun in einem Handstreich gezeigt, dass es Ereignisse gibt, die wir alle nicht in der Hand haben. Eine Krise,“

- das ist das Wort von Frau Guth -

„wie wir sie heute erleben, ist nicht der Zeitpunkt für Regierungsschelte. Ich sage Ihnen ganz offen: Niemand, wirklich niemand, möchte derzeit in Ihrer Haut stecken.“