Protocol of the Session on January 25, 2018

Diese Form der Gewaltenteilung hat sich bewährt. Es gibt hier und da auch Kritik. Aber letztlich leben wir in einem guten Staat, der uns Frieden und Wohlstand bringt. Das ist also ein gutes System.

Was passiert aber, wenn dieser Staat oder Teile dieses dreigliedrigen staatlichen Systems Fehler machen, falsche Entscheidungen treffen oder falsche Urteile fällen? - Dann kann das Parlament ein Gesetz abändern oder neue Gesetze schaffen, oder bei der nächsten Wahl sieht die Zusammensetzung des Parlaments anders aus. Es treten neue Parteien auf, die allerdings beim nächsten Mal auch wieder weg sein können. Das sind die Auswirkungen von Fehlern des Parlaments. Wenn die Exekutive Fehler macht, dann kann sie die Entscheidung wieder aufheben.

Was passiert aber, wenn die Justiz einen Fehler macht, wenn ein falsches Urteil gefällt wird und

wenn dieses Urteil im schlimmsten Fall dazu führt, dass jemand seine Freiheit verliert? Was passiert, wenn das - wie Herr Genthe gesagt hat - schärfste Schwert des Staates gezogen und zu Unrecht eine Freiheitsentziehung als Sanktion verhängt wird? - Dann muss einem klar sein, dass das ein Eingriff in die Freiheit ist, der im Grunde nicht wiedergutzumachen ist. Denn noch sind wir nicht in der Lage, zusätzliche Tage in Freiheit zu vergeben.

Zusätzlich sehen sich die Betroffenen den Wirkungen des öffentlichen Prozesses - wenn es einen gegeben hat - ausgesetzt, genauso den Reaktionen der Medien, der Freunde, der Familie, der Gesellschaft insgesamt. Denn im schlimmsten Fall verliert jemand, der verurteilt worden ist, seinen Platz in der Gesellschaft.

Deshalb gibt es für diese Fälle Regelungen, die festlegen, dass es auf der einen Seite Schadensersatz gibt und dass auf der anderen Seite eine finanzielle Haftentschädigung gezahlt wird. Die Frage ist natürlich - sie ist hier auch schon aufgeworfen worden -: Was ist denn ein Tag in Gefangenschaft wert? - Diese Diskussion gibt es seit Jahren und Jahrzehnten. Ich habe in diesem Zusammenhang ein Protokoll über eine Plenarsitzung im Jahr 2009 oder 2010 gelesen, in der sich der heutige Vizepräsident und damalige Justizminister Bernd Busemann mit dem heutigen Kultusminister und damaligen einfachen Abgeordneten heftigst darüber gestritten hat, was ein richtiger Wert ist. Es ist sehr interessant, das zu lesen. Auf Nachfrage gebe ich die Drucksachennummer heraus. Das ist wirklich eine intensive Debatte.

Auch die schon angesprochene Studie hat gezeigt, dass es Nachholbedarf gibt, dass wir über diese Dinge sprechen müssen. Neben der Frage, wie viel Geld man pro Tag zahlt, muss man sich auch angucken, inwieweit so jemand betreut werden kann. Wie kann auch eine Entschuldigung des Staates aussehen, der in seinen Strukturen eine solche Entscheidung getroffen hat?

Das ist also ein sehr guter Antrag, meine Damen und Herren. Wir glauben nur, dass er zur falschen Zeit kommt, jedenfalls was den Teil angeht, in dem eine Bundesratsinitiative gefordert wird. Denn - das ist schon angesprochen worden - die Justizministerkonferenz hat vor ein paar Monaten, im November, zusammengesessen und hat genau diesen Bedarf gesehen. Der Bundesjustizminister ist gebeten worden, entsprechende Dinge vorzulegen, und hat das auch angenommen.

Wir gehen davon aus, dass wir in Kürze eine neue Bundesregierung haben werden

(Meta Janssen-Kucz [GRÜNE]: Sehr optimistisch!)

und dass dann dieser Auftrag der Justizministerkonferenz umgesetzt werden kann, vielleicht sogar von demselben Bundesminister.

(Zurufe von der FDP)

- Meine Damen und Herren, Sie hätten ja auch an der Bundesregierung beteiligt sein können. Ich glaube, Sie wollten nicht. Vielleicht hätten Sie auch den Justizminister stellen können.

(Beifall bei der SPD - Björn Försterling [FDP]: Unser Preis ist höher!)

- Der Preis ist höher. Aber Sie hätten das unmittelbar umsetzen können. Das haben Sie nicht gewollt, also müssen Sie darauf warten, dass andere das machen. Wir gehen davon aus, dass das auch erfolgt.

Nichtsdestotrotz ist das ein wichtiger Antrag und ein wichtiges Thema, über das wir uns im Ausschuss intensiv auseinandersetzen werden. Denn am Ende muss tatsächlich stehen, dass der Staat sich seiner Verantwortung nicht entziehen kann.

Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Auch Ihnen, Herr Zinke, unseren herzlichsten Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede hier im Niedersächsischen Landtag!

(Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Der nächste Redner ist Helge Limburg für Bündnis 90/Die Grünen.

(Ulrich Watermann [SPD]: Der redet aber nicht zum ersten Mal!)

- Nicht ganz!

Herr Watermann, ich war sogar schon bei der zitierten Debatte in der 16. Wahlperiode im Jahr 2010 dabei.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Entschließungsantrag der FDP befasst sich mit einem Thema, das im Regelfall eher am Rand der öffentlichen Debatte um Justiz und Justizpolitik ist, nämlich mit der gleichwohl sehr wichtigen Frage: Wie gehen wir eigentlich mit denjenigen Menschen um, die wir in diesem Rechtsstaat zu Unrecht inhaftiert haben?

Der zweite Aspekt des Antrags - bei aller Einvernehmlichkeit, die ich in dieser Debatte feststellen kann und die ich auch sehr begrüße - ist bedauerlicherweise etwas untergegangen. Der Antrag hat ja zwei Forderungsteile: Er befasst sich mit der Forderung nach einer Erhöhung der Haftentschädigung. Die ist richtig, die ist notwendig. Er befasst sich vor allem aber auch mit der Forderung, dass die Landesregierung darauf hinwirken soll, dass eine echte Struktur aufgebaut wird, mit der diese Menschen, die zu Unrecht in Haft gesessen haben, dauerhaft betreut und wieder eingegliedert werden können.

Meine Damen und Herren, ich meine, es ist in der Tat an der Zeit, dass wir nicht mehr nur über eine finanzielle Entschädigung reden, sondern auch über sonstige Hilfemaßnahmen. Es kann doch nicht sein, dass diejenigen, die wegen einer Straftat hinter Gittern gesessen haben, ein Netzwerk an Nachbetreuung haben und denjenigen, die unschuldig in Haft saßen, gesagt wird: Ihr könnt euch an dieselben Stellen wenden, die sich eigentlich mit Straftätern befassen! Das kann doch in einem Rechtsstaat nicht wirklich richtig sein!

Wir müssen hier zu einer Initiative kommen. Wir begrüßen die Vorschläge der FDP ausdrücklich.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Zu der Frage, wie viel eigentlich ein Tag Freiheitsentziehung wert ist, ist hier viel gesagt worden. In der Tat gibt unser Rechtsstaat gegenwärtig höchst widersprüchliche Antworten. Es gibt nämlich auch andere Freiheitsentziehungen, z. B. durch polizeiliche Ingewahrsamnahmen. Wenn Sie im Internet recherchieren, finden Sie verschiedene Urteile, welche Entschädigungszahlungen es für immaterielle Schäden gibt. Ein Beispiel aus Hamburg: sechsstündige rechtswidrige Freiheitsentziehung - 500 Euro Schmerzensgeld. 500 Euro für 6 Stunden! Wir alle wissen, dass ein Tag 24 Stunden hat. Rein rechnerisch müsste dann doch die Entschädigung pro Hafttag bei 2 000 Euro liegen und nicht nur bei beschämenden 25 Euro, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Zurufe)

- Natürlich, 2 000 Euro pro Hafttag sind unrealistisch. Das weiß ich auch. Ich meine jedenfalls, dass es um eine deutliche Erhöhung gehen muss. Wir können nicht wieder nur über 5 Euro oder 10 Euro mehr pro Hafttag sprechen. Vor ein paar Jahren waren einmal 100 Euro pro Hafttag in der Debatte. Ich meine, es muss sich tatsächlich in diesen Größenordnungen bewegen, um real auch nur annähernd ausgleichend wirken zu können.

Ich finde noch einen weiteren Aspekt wichtig. Ich hoffe, dass wir dazu in den Ausschussberatungen vielleicht noch kommen. Wenn man sich damit beschäftigt, worunter die Betroffenen eigentlich leiden, dann hört man immer wieder, dass sie sagen: Es ist für uns im weiteren Verfahren schwierig nachzuweisen, dass wir tatsächlich unschuldig im Gefängnis saßen! - Sie bewerben sich bei Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, haben eine vergleichsweise lange Lücke im Lebenslauf und sagen dann: Glauben Sie mir, ich war unschuldig! - Die meisten Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die das erst einmal schriftlich bekommen, haben wahrscheinlich Zweifel, das zu glauben.

Ich habe in der Tat vor Jahren im Rechtsausschuss das damalige Justizministerium von Herrn Busemann gefragt: Kann es nicht irgendeine Form eines einfachen Nachweises geben, eine einfache Urkunde, mit der das Justizministerium bescheinigt, dass die betroffene Person unschuldig war und zu Unrecht gesessen hat? - Darauf ist gesagt worden, das Urteil sei eine Urkunde, man könne ja der Bewerbung das Wiederaufnahmeurteil beilegen.

Meine Damen und Herren, stellen Sie sich vor, Sie schicken eine Bewerbungsmappe ab, und hintendran hängt ein 50-seitiges Urteil irgendeines Amtsgerichts, dass Sie in Wahrheit unschuldig waren! Das ist doch völlig realitätsfern! Nein, es muss zu einfachen Bescheinigungen, zu einfachen pragmatischen Lösungen kommen, damit den Menschen wirklich geholfen werden kann.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Wir jedenfalls begrüßen die Initiative der FDP. Wir meinen auch nicht, dass man jetzt erst einmal abwarten soll, was der Bundesjustizminister macht. Niedersachsen hat ein eigenes Justizministerium. Es kann natürlich selbst Initiativen ergreifen. Das hindert ja den Justizminister auf Bundesebene nicht daran, auch sozusagen in die Pötte zu kom

men und etwas vorzulegen. Niedersachsen sollte hier aber mit gutem Beispiel vorangehen und in der Tat in diesem Sinne auf Bundesebene aktiv werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Limburg. - Wir kommen jetzt zu dem Beitrag von Herrn Emden, Abgeordneter der AfD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die FDP hat hier einen wirklich guten und wichtigen Entschließungsantrag gestellt. Die eher überschaubare Anzahl an Fällen von Wiederaufnahmeverfahren bzw. Haftentschädigungen - in Niedersachsen waren es 2017 ganz konkret 54 Personen - darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass hinter jedem Einzelfall ein dramatisches Einzelschicksal steckt.

Man muss sich das einmal vorstellen: Da ist jemand, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen und vielleicht zur falschen Zeit am falschen Ort war. In seiner Nähe passiert ein Mord, er wird auf einmal Tatverdächtiger, kommt vielleicht sogar in Untersuchungshaft, sitzt mehrere Monate ein, bis es im weiteren Verfahrensgang zu der Feststellung kommt: Der Mann ist unschuldig. - Er oder die Frau - je nachdem -, die Person kommt wieder in Freiheit. Man muss sich einmal vorstellen, welche Situation die Person vorfindet, wenn sie monatelang inhaftiert war! Da ist ihr quasi der Boden unter den Füßen weggerissen worden.

Es kommt noch etwas hinzu - das wurde eben auch schon mehrfach angesprochen -: Eine solche Person bekommt staatlicherseits zwar eine Unterstützungs- bzw. Ausgleichszahlung, eine Haftentschädigung in sehr geringem Maße. Aus meiner beruflichen Praxis als Richter sprechend, finde ich eines aber fast noch wichtiger: Diese Person bekommt vor allen Dingen keine Unterstützung. Auch das ist eben schon angesprochen worden.

Sehr geehrte Damen und Herren, jemand, der jahrelang zu Recht inhaftiert war und sich dann der Freiheit nähert, bekommt umfangreiche Unterstützung. Das ist völlig richtig; verstehen Sie mich bitte nicht falsch! Das muss es weiterhin geben. Aber es kann nicht sein, dass derjenige, der unschuldig

inhaftiert war, diese staatliche Unterstützung nicht erhält, sondern völlig auf sich allein gestellt ist. Das ist ein Zustand, den wir sofort ändern müssen. Deshalb ist dieser Entschließungsantrag nötig. Es darf nicht sein, dass wir hierbei länger zuwarten, sehr verehrte Damen und Herren!

(Beifall bei der AfD)

Hinzu kommt - auch das wurde schon angesprochen - der Betrag, eine Haftentschädigung von 25 Euro pro Tag. Ich erinnere mich noch daran, wie ich als Richter das erste Mal mit einem solchen Verfahren und Haftentschädigung befasst war. Ich traute meinen Augen nicht: 25 Euro für einen Tag in Haft! Man darf ja nicht vergessen: unschuldig in Haft! Hinzu kommt ja noch die psychische Belastung, das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, und dann ist man auch noch eingesperrt. Das ist der schwerwiegendste Eingriff in die Grundrechte eines jeden freien Bürgers. Das ist ein unerträglicher Zustand. Sicherlich kann man all das ohnehin nicht mit Geld aufwiegen.

Es stellt sich also ohnehin die Frage - sie wurde eben schon aufgeworfen -: Wie hoch soll der Betrag sein? Eigentlich lässt sich die Haft nicht mit Geld aufwiegen. Aber es gibt eine Untergrenze, sehr verehrte Damen und Herren. Diese Untergrenze muss da liegen, wo quasi sichergestellt ist, dass keiner der Gefangenen mehr den Betrag als Hohn empfinden kann; auch dieses Wort ist vorhin schon gefallen. 25 Euro pro Tag muss jeder Gefangene als Hohn empfinden. Die Studie von der Kriminologischen Zentralstelle aus dem Jahr 2017, für die 37 Fälle untersucht wurden und die hier schon angesprochen wurde, hat auch festgestellt, dass die Betroffenen diesen Betrag verständlicher- und richtigerweise als Hohn empfunden haben.

Das heißt, wir müssen wenigstens - auch wenn wir im Endeffekt keinen Betrag finden können, der wirklich das Problem des Aufwiegens einer unrechtmäßigen Inhaftierung lösen kann - eine Untergrenze festzurren, ab der ein Betrag nicht mehr als Hohn empfunden wird, quasi als Nachtreten des Staates, obgleich sich dieser geirrt hat.

Ich meine, der Vorschlag des Deutschen Anwaltvereins von 100 Euro je Tag - um das einfach mal in den Raum zu stellen - nennt sicherlich einen Betrag, der eher realitätsnah und eher richtig ist als der bisherige Betrag. Aber noch einmal: Darüber kann man vielleicht sogar in einem zweiten Schritt sprechen.