Protocol of the Session on January 30, 2020

(Lachen bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Bitte, Herr Limburg!

Herr Emden, diese Debatte führt jetzt doch zu weit ab. Ich möchte es so sagen: Wenn Sie gesagt hätten, Sie seien die einzige werte- und moralfreie Partei, dann könnten wir uns darauf einigen. Bei „ideologiefrei“ habe ich dann doch große Zweifel.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der FDP)

Was ist angesichts des gegenwärtigen Befundes zu tun? - Da bin ich ausdrücklich bei Herrn Dr. Genthe. Trotz der differenzierten Wortbeiträge der Kollegen Zinke und Calderone war es doch sehr mau. Was Sie genau fordern und konkret wollen, habe ich zumindest nicht vernehmen können.

Es ist zu Recht darüber gesprochen worden, dass eine angemessene Anzahl von Haftplätzen geschaffen werden muss, wenn der Bedarf vorhanden ist. Man kann und sollte als Regierung jedoch ausdrücklich mehr tun. Wir als Politik können doch nicht immer nur so tun, als habe die Zahl der benötigten Haftplätze nichts mit unserer Politik zu tun. Wenn Sie, Frau Ministerin, es ausdrücklich ablehnen, z. B. das Containern, also das Entwenden von Lebensmitteln, oder das Fahren ohne Fahrschein zu entkriminalisieren und wenigstens im Bereich der Bagatellkriminalität zu weniger Haftstrafen zu kommen, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn die Justizvollzugsanstalten volllaufen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn Sie, Frau Ministerin, Erlasse herausgeben, die Lockerungen und vorzeitige Entlassungen ausdrücklich erschweren, dann hat das auch zur Folge, dass mehr Personen lange im Gefängnis sitzen und aufgrund dessen der Bedarf an Haftplätzen steigt.

Wenn diese Koalition in Debatten um Schulverweigerung ganz stark betont, das Mittel des Arrestes zur Bekämpfung von Schulabstinenz einzusetzen, statt sozialpädagogische Maßnahmen in den Vor

dergrund zu stellen, dann müssen Sie sich nicht wundern, wenn der Bedarf an Haftplätzen steigt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn Sie im Bereich der Asylverfahren die Vorschläge der Grünen auf Bundesebene für schnellere Rechtsklarheit und schnellere Entscheidungen ablehnen, dann müssen Sie sich nicht wundern, dass wir Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus haben, die erstens leichter straffällig werden und die vor allem leichter in Untersuchungshaft gesteckt werden. Das ist die Voraussetzung. Hier wäre es wichtig, schnell Klarheit in die eine oder andere Richtung zu schaffen, auch so könnte man den Bedarf an Haftplätze reduzieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie als Große Koalition wollen aus parteipolitischen Gründen erklärtermaßen mehr und schneller Abschiebehaft verhängen. Auch das führt zu einem höheren Bedarf an Haftplätzen, auch da könnte man gegensteuern.

Wir brauchen in Niedersachsen wieder insgesamt eine Stärkung der Haftvermeidungsstrategien. Wir brauchen eine Stärkung z. B. von Programmen wie „Arbeit statt Ersatzfreiheitsstrafe“. Wir brauchen eine Reduzierung von Inhaftierungen wegen Bagatellkriminalität. Wir brauchen mehr Resozialisierungsarbeit, mehr vorzeitige Entlassungen.

Wir müssen die Bediensteten in den Justizvollzugsanstalten auch finanziell besser ausstatten und unterstützen. Wir müssen die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter stärken. Wir müssen aber auch Bildungs- und Sozialpolitik stärken, um gar nicht erst in die Situation zu gelangen, dass sich die Anzahl der benötigten Haftplätze immer weiter erhöht.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Limburg. - Für die Landesregierung hat sich Frau Ministerin Havliza zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielen Dank, dass Sie dieses wichtige und aktuelle Thema der Haftplatzkapazitäten zum Gegenstand dieser Aktuellen Stunde gemacht haben. Ich möchte versuchen, auch durch einige sachliche und mit Zahlen unterlegte Ausführungen die De

batte wieder auf die notwendige Sachlichkeit herunterzubrechen.

Eine sichere Unterbringung von Strafgefangenen trägt zur Sicherheit unseres Landes und ganz maßgeblich zum Sicherheitsempfinden unserer Bürgerinnen und Bürger bei; das ist klar. Dazu muss selbstverständlich auch eine ausreichende Anzahl von Haftplätzen zur Verfügung stehen.

Lassen Sie mich zu Beginn eines klarstellen. Auch wenn unsere niedersächsischen Justizvollzugsanstalten im Bereich des geschlossenen Vollzuges für erwachsene Männer aktuell hoch ausgelastet sind, stehen dennoch ausreichende Kapazitäten zur Verfügung. Jede Person, die von der Polizei oder vom Gericht zugeführt wird oder sich selber zum Strafantritt stellt, wird von der jeweiligen Justizvollzugseinrichtung aufgenommen. Das kann ich Ihnen zusichern.

Den Leiterinnen und Leitern unserer Justizvollzugsanstalten sowie dem gesamten Vollzugspersonal kann man - auch für so manche logistische Meisterleistung - ausdrücklich für ihren täglichen Einsatz danken.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Aufgrund pragmatischer und logistischer Lösungen vor Ort und zwischen den einzelnen Haftanstalten können wir mit der jetzigen Situation eigentlich so umgehen.

Aus Gründen der Vollzugsorganisation hat Niedersachsen keine Verlegung in andere Bundesländer vorgenommen oder gar vornehmen müssen. Das alles ist Fakt. Da ist eben viel Logistik gefragt, die von unseren Justizvollzugsanstalten hervorragend wahrgenommen wird.

Meine Damen und Herren, die Belegung der Justizvollzugsanstalten weist seit jeher große

Schwankungen auf. Die Steuerung dieser Belegung stellt eine äußerst komplexe Aufgabe dar, die ich nur ganz kurz erläutern möchte.

Nicht jeder freie Haftplatz kann mit jedem Gefangenen belegt werden. Nach unserem Niedersächsischen Justizvollzugsgesetz sind für die einzelnen Vollzugsarten - das wissen Sie alle; Freiheitsstrafen, Jugendstrafen, Untersuchungshaft an jungen Gefangenen oder Untersuchungshaft an sonstigen Untersuchungsgefangenen - für den Vollzug getrennt nach Männern und Frauen sowie für den Vollzug der Freiheitsstrafe an jungen Verurteilten - sprich: Jugendvollzug - jeweils gesonderte Anstalten oder Abteilungen einzurichten. Aufgrund inhalt

licher Erfordernisse müssen zusätzliche Differenzierungen vorgenommen werden, weshalb Gefangene aus Gründen der Sicherheit oder der Behandlung bestimmten Vollzugsabteilungen zugewiesen werden.

In den Anstalten sind z. B. sozialtherapeutische Abteilungen, Aufnahmeabteilungen für Gefangene, die am Beginn ihrer Inhaftierung stehen, Abteilungen mit psychiatrischem Schwerpunkt, medizinische Abteilungen und Sicherheitsstationen, in denen Einzelhaft vollzogen wird, eingerichtet. Weiter ist zu berücksichtigen, dass Hafträume aufgrund von Sanierungsmaßnahmen oder weil einfach nur ein neuer Anstrich fällig wird, auch temporär mal nicht nutzbar sind. Alle diese Gründe führen im Ergebnis dazu, dass wir ab einer Auslastung von 90 % bereits von einer Vollbelegung sprechen müssen.

Im Jugendvollzug, im Frauenvollzug und im offenen Vollzug für erwachsene Männer ist die Auslastung eher gering. Anders stellt sich die Situation im geschlossenen Vollzug der Untersuchungshaft und der Strafhaft an erwachsenen, auch an jungen erwachsenen Männern dar.

Ausgehend von der Durchschnittsbelegung im Jahr 2019 war im geschlossenen Vollzug an erwachsenen Männern die Strafhaft bei 2 509 verfügbaren Haftplätzen im Durchschnitt zu 94 % und die Untersuchungshaft bei 817 verfügbaren Haftplätzen zu 90,7 % ausgelastet - also voll ausgelastet.

Vor einigen Jahren hat sich diese Herausforderung noch nicht in diesem Maße dargestellt. Damals wurde unter Verweis auf den demografischen Wandel ein Belegungsrückgang prognostiziert. Dies führte dazu, dass im Jahr 2014 u. a. die Justizvollzugsanstalt Salinenmoor geschlossen wurde. Allerdings fiel dann der erhoffte Belegungsrückgang deutlich geringer aus als erwartet. Auch durch vermehrte Zuwanderung wurden die Effekte des demografischen Wandels nahezu völlig aufgezehrt. So hat sich die Anzahl von Gefangenen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit von 23 % im Jahr 2014 auf 33 % in diesem Jahr erhöht.

Man kann sagen: Hinterher ist man immer schlauer. So kann man sagen, dass diese Engpässe ohne den Abbau dieser Plätze so nicht da wären. Aber, meine Damen und Herren, wir nehmen die jetzige Situation zum Anlass nachzusteuern.

Mit Wirkung zum 1. Dezember 2019 wurde die Abteilung für junge Untersuchungsgefangene in der JVA Vechta mit 36 Haftplätzen in eine Abteilung für Untersuchungshaft erwachsener Männer umgewidmet. Gleichzeitig haben wir die Belegungsfähigkeit der Abteilung der jungen Untersuchungsgefangenen der Jugendanstalt Hameln entsprechend erhöht. Damit nutzen wir freie Kapazitäten des Jugendvollzugs zur Entlastung des Vollzugs der Untersuchungshaft erwachsener

Männer. Natürlich werden nun die Abteilungen zwischen den jugendlichen und heranwachsenden Untersuchungshäftlingen sowie den erwachsenen jungen U-Häftlingen ganz klar getrennt; das muss auch so sein.

Darüber hinaus geht es auch um die Schaffung neuer Haftplätze. Im Rahmen der kleinen Neubaumaßnahmen in der JVA Meppen ist der Neubau von 20 weiteren Haftplätzen vorgesehen. Erstmals sollen Haftplätze - ich möchte das klarstellen - nicht in Containerbauweise, sondern in Stahlbetonmodulbauweise entstehen. Das können Sie mit der Fertighausbauweise vergleichen. Im Gegensatz zur konventionellen Bauausführung erwarten wir dadurch höhere Kostensicherheit und eine deutliche Beschleunigung der Bauausführung. Das Niedersächsische Landesamt für Bau und Liegenschaften ist mit der Ausarbeitung der baufachlichen Unterlagen beauftragt.

Dank des Engagements der Regierungsfraktionen konnten über die politische Liste weitere 1,5 Millionen Euro für die Schaffung bzw. Sanierung von Haftplätzen sowie zehn zusätzliche Stellen für Beamtinnen und Beamte des Allgemeinen Justizvollzugsdienstes eingeworben werden. Vielen

Dank dafür an dieser Stelle noch einmal! Die Mittel sollen in die Finanzierung weiterer 20 Haftplätze - vorzugsweise in Modulbauweise - in der JVA Hannover einfließen. In der Planung ist auch die Schaffung weiterer 15 Haftplätze in der JVA Lingen durch die Sanierung der bisher ungenutzten Bereiche der ehemaligen Versorgungsbetriebe.

Meine Damen und Herren, Sie sehen: Wir reagieren gelassen und umsichtig auf den Belegungsanstieg in den Justizvollzugsanstalten und steuern mit verschiedenen Maßnahmen gezielt gegen. Denn eines ist ganz klar: Beim Thema Sicherheit werden wir keine Abstriche machen, und auch kein potenzieller Häftling wird keine Aufnahme finden.

Um noch einmal auf die Ausführungen des Kollegen Limburg zurückzukommen: Entkriminalisierung ist an dieser Stelle für uns keine Option. Also wo

möglich zu sagen „Wir haben nicht mehr genug Platz, also sind bestimmte Dinge nicht mehr so schlimm“, ist nicht unser Anliegen.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Nein, nicht deshalb!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aktuelle Stunde für diesen Tagungsabschnitt beendet.

Wir kommen zu dem

Tagesordnungspunkt 19: Dringliche Anfragen

Es liegen uns drei Dringliche Anfragen vor.