Protocol of the Session on November 20, 2019

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der FDP - Christian Grascha [FDP]: Das wäre mal was!)

Vielen Dank, Frau Kollegin Hövel. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich nun der Kollege Detlev Schulz-Hendel gemeldet. Bitte sehr, Herr Kollege!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein offensichtlicher Kenner von Bürokratie hat einmal in einem Leserzitat gesagt: „Übertriebene Bürokratie entsteht beim Versuch, auf organisatorischer Ebene zu lösen, was auf menschlicher Ebene gescheitert ist.“ Dieses Zitat beschreibt den Zustand der Landesregierung mit ihren Ministerien sehr gut.

Herr Minister Althusmann, Sie sprechen oft und gern vom notwendigen Bürokratieabbau. Deshalb frage ich Sie: Wie vereinbart sich das damit, dass Sie sich als Minister gleichzeitig 100 neue Stellen zur Ressortkoordinierung schaffen, dass Sie also eine zweite Staatskanzlei schaffen und damit Ihre CDU-geführten Ministerien koordinieren - manch einer nennt das auch „überwachen“?

Sie haben innerhalb dieser Landesregierung für ein neues Bürokratiemonstrum gesorgt. Wenn wir uns umschauen, wie weit Sie es ansonsten beim Bürokratieabbau gebracht haben, dann schauen wir ins Leere. Da gibt es einfach nichts.

Wenn der Minister nicht weiterweiß, gründet er einen Arbeitskreis! Da gibt es jetzt eine zweite Arbeitsgruppe „Rechtsvereinfachung“. Bürokratieabbau? - Nein, das Gegenteil ist der Fall! Jetzt müssen beispielsweise vereinfachte Förderrichtlinien zum sozialen Wohnungsbau nicht nur von der Staatskanzlei gecheckt werden, sondern zusätzlich von der zweiten, CDU-geführten Staatskanzlei. Das ist nichts anderes als mit zusätzlichem Personal teuer gepflegtes Misstrauen zwischen den Koalitionspartnern.

Als mein Kollege Christian Meyer kürzlich fragte, welche Zuständigkeiten die drei neuen Stellen für Bürokratieabbau haben, lautete Ihre Antwort schlicht: keine. - Ich möchte mich recht herzlich für

die Ehrlichkeit bedanken. Sie spart immerhin Redezeit.

Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Hier nur noch ein Beispiel: Wir warten bis heute vergeblich auf Fortschritte bei der Digitalisierung der Verwaltung. Da liegen, wie wir auch von Ihnen immer wieder hören, tatsächlich große Chancen für den Bürokratieabbau. Wer es also mit Bürokratieabbau ernst meint, muss bei sich anfangen: also mehr Eigenständigkeit, mehr Mut, weniger Stabs- und Clearingstellen und vor allem mehr gegenseitiges Vertrauen.

Worum muss es gehen? - Natürlich müssen gesetzliche Regelungen auf ihre Bürokratiefolgen geprüft werden. Für Bürgerinnen und Bürger, für die Wirtschaft und auch für die Verwaltung darf es nur so viel Bürokratie geben wie unbedingt nötig. Alles andere gehört gestrichen. Das gilt im Übrigen auch für Bürokratielasten von Bund oder EU. Für kleine und mittelständische Unternehmen ist Bürokratieabbau Wirtschaftsförderung und bringt mitunter mehr als Subventionen, die dann am besten noch mit hohem bürokratischen Aufwand verbunden sind.

Warum und wie da ein neuer Normenkontrollrat allerdings die heilbringende Lösung sein soll, sollten wir wirklich sehr offen, aber vor allem auch kritisch diskutieren. Noch ein Gremium mehr für weniger Bürokratie? Fehlt es uns wirklich an Wissen, oder fehlt es dieser Landesregierung in ihrem Regierungsstil nicht viel mehr am Willen zum Handeln, weil das ein paar Konflikte auslösen könnte?

Werden durch einen Normenkontrollrat nicht vor allem die Rechte und Pflichten von Parlament und Regierung tangiert? Wie ist das verfassungsrechtlich zu beurteilen? Ist es nicht ureigene Aufgabe der Ministerien, finanzielle, wirtschaftliche, soziale und ökologische Folgen grundlegend bei Gesetzesvorhaben zu prüfen? - Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger erwarten das jedenfalls zu Recht.

Bei Bedarf lässt sich jederzeit in einer Anhörung zusätzlicher Sach- und Fachverstand einholen. Dafür bräuchte man eigentlich keinen Normenkontrollrat. Die FDP spricht von einem einmaligen Gesetzentwurf, in dem sie die Verbindlichkeit von Handlungsempfehlungen hervorhebt.

Lieber Kollege Bode, in dem Ziel des Bürokratieabbaus sind wir uns einig. Der Vorschlag eines Normenkontrollrates wirft aber aus meiner und unserer Sicht viele kritische Fragen auf. Deswegen

sollten wir das sehr intensiv in den Ausschüssen beraten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Schulz-Hendel. - Zu einer Kurzintervention hat sich der Kollege Bode gemeldet. Bitte sehr!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schulz-Hendel, wir kritisieren den Aufbau der Stellen zur Überwachung der CDUMinisterien im Wirtschaftsministerium genauso wie Sie. Allerdings muss man das aus bürokratischen Gesichtspunkten eventuell gar nicht so negativ sehen. Ein früherer Minister des Landes hat mal gesagt: Wenn sich Ministerialverwaltung nur mit sich selbst beschäftigt, kann sie im wahren Leben keinen Schaden anrichten. - Von daher kann das tatsächlich sogar eine Bürokratieabbaumaßnahme sein. Aber, wie gesagt, wir sind uns da einig.

Zur Frage des Normenkontrollrates und der Einschränkung der Kompetenzen: Wir wollen nicht die Kompetenz der Regierung einschränken. Wir wollen die faktisch vorhandene Kompetenz der Verwaltungsebene einschränken. Denn wie ist das im wahren Leben? - Verbände geben Stellungnahmen zu Regelungsentwürfen ab. Auf Referentenebene werden sie dann in der Regel zur Seite gelegt, weil es mehr Arbeit macht, sie neu einzuarbeiten oder Rücksicht darauf zu nehmen, als das Bestehende durchlaufen zu lassen.

Wir wollen schlicht und ergreifend eines: Wenn man einen solchen Vorschlag ablehnt, er aber eine besondere Bedeutung hat und vom Normenkontrollrat so gekennzeichnet wird, lehnt ihn nicht mehr der Referent allein ab, sondern das Kabinett sagt dann: „Nein, es ist eine bewusste politische Entscheidung dieser Landesregierung, wir wollen diese bürokratische Regelung einarbeiten“ und schickt hierzu eine Antwort darauf an den Normenkontrollrat. Das führt dazu, dass es einfacher ist, bürokratische Regelungen abzubauen, als eine bürokratische Regelung einzuführen. Wir glauben an den normalen menschlichen Instinkt eines Verwaltungsbeamten: Er geht den einfacheren Weg.

Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Bode. - Herr Kollege Schulz-Hendel möchte antworten. Bitte sehr!

Herr Präsident! Lieber Kollege Bode! Meine Damen und Herren! Ich habe gesagt, wir wollen das kritisch prüfen, und wir müssen das kritisch prüfen. In dem Zusammenhang möchte ich den Hinweis geben, sich einmal anzusehen, wie Österreich oder die Niederlande ihren Bürokratieabbau vorangebracht haben. Dort werden konkrete Ziele für Bürokratieabbau gleich in den Haushaltsplänen festgelegt. Das könnte doch auch ein Modell für Niedersachsen sein. Jedes Ministerium könnte beispielsweise für den Etat 2020 Ziele für den Bürokratieabbau benennen.

Warum soll man solche positiven Beispiele bei der Beratung nicht auch hinzuziehen? Ich finde, das ist eine interessante Möglichkeit. Und wenn wir solch ein Verfahren wählen, wäre ich sehr gespannt darauf, was dann von den einzelnen Ministerien mit ihrer ureigenen Verantwortung für den Bürokratieabbau kommt.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Jörg Bode [FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Für die SPD-Fraktion hat sich der Kollege Frank Henning gemeldet. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bode, Sie wollen Bürokratie abbauen und eine Bürokratiebremse einführen. Das hört sich erst einmal gut an; denn wer wollte das nicht? Über das Ziel sind wir uns also durchaus einig.

Sie fordern die Einführung eines Niedersächsischen Normenkontrollrates. Wir werden uns im Ausschuss darüber unterhalten, ob ein solcher Normenkontrollrat das richtige Gremium zur Erreichung des gemeinsamen Zieles ist. Hinsichtlich der Zahlen, die Sie zu den Bürokratiekosten genannt haben, habe ich durchaus Zweifel, ob sie tatsächlich korrekt sind. Auch das werden wir noch im Ausschuss diskutieren und überprüfen lassen. Aber in dem Ziel, Bürokratie abzubauen, sind wir uns einig.

Die heutige Demonstration der Bäckerinnen und Bäcker vor dem Landtag gegen den aus meiner Sicht völligen Irrsinn, den sich der Bundestag ausgedacht hat, ist schon erwähnt worden. Demnächst bekommen wir für unsere Brötchen auch einen schönen Bon. Was soll das in Zeiten, in denen wir elektronische Registrierkassen haben, in denen wir Buchführungspflichten haben, in denen die Bäckereien und Unternehmer sogenannte Z-Bons erstellen? Das ist die Grundaufzeichnung der elektronischen Registrierkassen; denn überall da, wo Bargeld umgesetzt wird, ist es ja auch immer missbrauchsanfällig.

All das gibt es schon. Was soll also der Bon für die Kunden noch bewirken? - Die elektronischen Registrierkassen können aus meiner Sicht gut durch die Behörden geprüft werden. Als ehemaliger Betriebsprüfer weiß ich, wovon ich rede; früher haben wir das alles selbst ausgewertet. Dafür brauchen wir also keine neuen Regelungen. Das ist Bürokratie pur. Da gebe ich Ihnen völlig recht.

Doch was ist zu tun, um die Bürokratie abzubauen? - Zunächst einmal stelle ich fest, dass der Vorschlag der FDP, einen Normenkontrollrat einzuführen, selbst zusätzliche Bürokratie darstellt. Sie wollen Bürokratie mit einem weiteren Gremium bekämpfen, was natürlich weitere Bürokratie auslöst.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Feuer mit Feuer bekämpfen!)

Ihr Normenkontrollrat soll Gesetze, Volksinitiativen und Volksbegehen genauso prüfen wie Rechtsverordnungen der Ministerien. Es gibt zusätzliche Berichtspflichten der Landesregierung, die nämlich künftig vor diesem Kontrollrat erklären darf, warum sie eine bestimmte Regelung haben will und warum nicht. All das das bedeutet aus meiner Sicht einen zusätzlichen Aufwand. Daher habe ich Zweifel, ob der Normenkontrollrat tatsächlich das richtige Gremium für das ist, was Sie hier einführen wollen.

Wir haben bereits die Stabsstelle Bürokratieabbau und die von Ihnen beabsichtigte Clearingstelle bei Wirtschaftsminister Althusmann.

(Detlev Schulz-Hendel [GRÜNE]: Er- gebnis: null!)

Daher ist die große Frage, ob wir weitere Doppelstrukturen brauchen. Der Normenkontrollrat hat auf jeden Fall eine große Schnittmenge mit der vom Wirtschaftsministerium vorgeschlagenen Clearing

stelle und soll im Prinzip vergleichbare Ziele verfolgen.

Wir haben uns zum Ziel gesetzt, vor allen Dingen kleinere und mittlere Unternehmen von Bürokratie zu entlasten. Um dieses Ziel zu erreichen, ist die im Wirtschaftsministerium angedachte Clearingstelle aus unserer Sicht möglicherweise besser geeignet als dieser überbordende Normenkontrollrat.

Im Übrigen müssen Sie aufpassen, dass die Bürokratiebremse nicht zur Demokratiebremse wird, denn beides bedingt möglicherweise einander. Ich will ein paar Beispiele nennen. Gestern haben wir über das Tariftreue- und Vergabegesetz gestritten. Wir hätten den Mindestlohn niemals durchsetzen können, wenn wir uns einseitig auf das Thema Bürokratieabbau fokussiert hätten. Natürlich müssen wir Grundaufzeichnungen haben. Wir brauchen die Stundenzettel als Nachweis, welche Mitarbeiter wie lange auf den Baustellen gearbeitet haben, damit die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die Steuerfahndung, die Betriebsprüfung sich die Dinge ansehen können. Wir brauchen Arbeitszeitaufzeichnungen, um zu verhindern, dass der Mindestlohn umgangen wird.

Sie haben die Bürokratiekosten zur Einführung des Mindestlohns mit 10 Milliarden Euro beziffert. Ich betrachte das als gut eingeführte Bürokratie, weil ich der Auffassung bin, dass nur eine effektive Mindestlohnkontrolle am Ende dazu führt, dass die Menschen das richtige Gehalt bekommen, das sie für ihre Arbeit verdient haben.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Detlev Schulz-Hendel [GRÜNE])

An dieser Stelle ist die Bürokratie sinnvoll - aber genau diese Regelung wollen Sie in dem gestern diskutierten Tariftreue- und Vergabegesetz abschaffen. Ich wiederhole mich: Die Streichung der §§ 4, 5 und 6 wäre ein falsches Signal. Vielmehr ist das Belassen dieser Paragrafen im Tariftreue- und Vergabegesetz eine sinnvolle Maßnahme, um die Arbeitsbedingungen der arbeitenden Menschen zu verbessern und Missbräuche zu vermeiden. Das Gleiche gilt für den ÖPNV. Das haben wir gestern im Detail diskutiert.

Ich sage Ihnen noch einmal: Zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Sozialversicherungs

missbrauch leisten die Grundaufzeichnungen in der Buchführung und die Aufzeichnungen, die Unternehmen zu führen haben, einen guten Dienst. All das kann man als bürokratisch bezeich

nen. Es ist aber nötig, um dem Finanzminister die Steuereinnahmen zu verschaffen und die Sozialkassen nicht unnötig zu belasten, indem man ihnen Geld vorenthält.

Der gesamte Themenkomplex Steuerdumping, Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Sozialversicherungsmissbrauch führt in der Bekämpfung zu Aufzeichnungspflichten und zu Bürokratie - aber genau diese Bürokratie will ich nicht bekämpfen. Die benötige ich, um die Einnahmen zu haben, die dem Staat und den Menschen in Form des Mindestlohnes zustehen.

Ihre „One in, two out“-Regelung - ein Gesetz wird eingeführt, zwei Gesetze werden abgeschafft - halte ich vor dem Hintergrund dessen, was ich gerade ausgeführt habe, für unrealistisch. Wir können froh sein, wenn wir die „One in, one out“Regelung konsequenter umsetzen, wenn wir also für ein neues Gesetz ein altes Gesetz abschaffen.

Sie fordern mit Ihrem Normenkontrollrat mehr, als die Bundesregierung verlangt hat.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Das kann man auch gut machen! Weniger geht ja auch nicht!)