Dadurch wurde dann auch die Entwicklung der Jahre 1989, 1990 und folgende ermöglicht. Damals wurde aus dem Slogan „Wir sind das Volk“ der tausendstimmige Ruf „Wir sind ein Volk“. Die Grenze, die 1989 gefallen ist, darf uns gerade bei der Feier dieses Ereignisses nicht trennen. Deswegen war es richtig, mit den Freunden aus Sachsen-Anhalt zu feiern. - Einen Vertreter der AfD habe ich bei dieser Veranstaltung allerdings nicht angetroffen. So wichtig kann es Ihnen also nicht gewesen sein.
(Beifall bei der FDP, bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN) - Dana Guth [AfD]: Nein, wir waren im Landtag!)
Dass die AfD ein verzerrtes Bild der friedlichen Revolution und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hat, müssen wir dieser Tage nicht nur in der Rede von Frau Guth vermehrt wahrnehmen. Da wird plakatiert und proklamiert: „Wende 2.0 - Wir sind das Volk“ oder „Wende 2.0 - Freiheit statt Sozialismus“. Damit suggerieren Sie, dass wir in Unfreiheit und Sozialismus leben. Sie instrumentalisieren und missbrauchen die mutigen Menschen des Herbstes 1989 für Ihre politische Agitation. Dafür sollten Sie sich schämen!
Die Menschen sind 1989 eingetreten für freie Wahlen, für Berufsfreiheit, für Reisefreiheit, für eine unabhängige Justiz, für freie Presse und freie Meinungsäußerung, gegen Überwachung und Bevormundung, ja schlichtweg für Freiheit und Demokratie - unveränderbare Grundsätze unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die heute in ganz Deutschland gelten.
Wenn Sie als AfD davon eine Wende wollen, dann machen Sie deutlich, dass Sie sich von diesen Grundsätzen abwenden wollen.
Weil mutige Menschen 1989 in einem Unrechtsstaat unter der Gefahr der gewaltsamen Niederschlagung für Freiheit und Demokratie eingetreten sind, erwächst für uns in diesen Tagen mehr denn je der Auftrag, sich Angriffen auf Freiheit und Demokratie entgegenzustellen.
Vielen Dank, Herr Försterling. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun Frau Kollegin Menge das Wort. Bitte, Frau Kollegin!
Sehr verehrte Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! „30 Jahre Mauerfall - In Niedersachsen kein Grund zu feiern?“ Besondere historische Tage feiert man auf unterschiedliche Weise. Am 3. Oktober jeden Jahres - das auch zur Korrektur - feiern wir den Beitritt der DDR zur BRD. Am 9. November erinnern wir an die Reichspogromnacht 1938 und an den Mauerfall 1989. Aber zukünftig werden wir uns auch an den 13. November 2019 erinnern: an den Tag, als fünf Fraktionen des Deutschen Bundestages den Rechtsausschussvorsitzenden Brandner abwählten, um damit, wie es der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSUFraktion ausdrückte, dem Amt endlich seine Würde zurückzugeben.
Werte Damen und Herren, Demokratie zu leben bedeutet den täglichen Einsatz für Freiheitsrechte, für Menschen- und Minderheitenrechte, für Rechte und Pflichten. Die Demokratie ist eine Rechtsordnung, die diese Rechte schützt.
Der Freiheitskampf der Menschen in der DDR war der lange Weg der Überwindung des kalten Krieges, der Menschenrechtsbewegungen in Polen, Ungarn und der CSSR, der Weg von Perestroika und Glasnost und der Weg unter Gorbatschow.
Wir setzen uns sehr wohl mit dem Regime der DDR auseinander, wir setzen uns auseinander mit gesellschaftspolitischen Werten, und wir setzen uns auseinander mit unserer eigenen Geschichte und Verantwortung, wie wir diese Öffnung begangen haben, wie wir versucht haben, einen gemeinsamen Staat aufzubauen.
An den Mauerfall zu erinnern, heißt deshalb vor allen Dingen, an diejenigen zu erinnern, die diesen Weg über einen langen Zeitraum geduldig, mutig und entschlossen gegangen sind, um die Mauer niederzureißen. Sie möchten diesen Tag auf ihre Weise feiern - nicht von oben angeregt und verordnet, sondern von unten.
Ich will selbst nur einige Veranstaltungen auflisten: das von der Landtagspräsidentin organisierte Jugendforum hier im Landtag und die Veranstaltungen bei Helmstedt/Marienborn oder 90 km weiter
nördlich in Bad Bodenteich. Der NDR 1 zählt einige Feiern auf. Zumindest von der Veranstaltung in Teistungen, als der Kultusminister gemeinsam mit Schauspielern an einer Lesung teilgenommen hat, weiß ich, dass die AfD dort nicht zugegen gewesen ist.
(Helge Limburg [GRÜNE]: Ach, das ist ja interessant! - Anja Piel [GRÜNE]: Komisch, es waren offenbar nicht die passenden Feiern!)
Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender haben uns wunderbare Filme gezeigt, nicht nur Spielfilme, sondern auch Dokumentationen, die daran erinnert und auch eingefordert haben, sich immer wieder mit der Frage auseinanderzusetzen, welchen Wert die Demokratie hat.
Ich selber war bis vorgestern noch im Lehramt tätig. Glauben Sie mir, es ist falsch, wenn man meint, dass junge Leute in dieser Republik darüber nicht diskutieren würden.
Es ist Bestandteil der Curricula für den Geschichtsunterricht, für den Unterricht in „Werte und Normen“ und für den Politikunterricht. Wir diskutieren das an den Schulen und setzen uns selbstverständlich damit auseinander, was es heißt, einen Rechtsstaat aufzubauen, und was es heißt, sich als Demokratie zu bezeichnen, wenn wir entdecken, dass es keine demokratischen Elemente waren, die das System geprägt haben, sondern ein Staat, der kontrolliert hat, der seinen Menschen keine Freiheit erlaubt hat. Deshalb ist dieser Prozess der Bürgerbewegung immer wieder und jeden Tag - und nicht nur an einem Tag im November - die Mahnung, die Demokratie zu schützen.
Ich bedauere sehr, welche Töne in diesem Haus inzwischen zu hören sind. Vor zwei Jahren, als ich noch Mitglied dieses Hauses war, haben sie hier noch keine Rolle gespielt, sondern waren nur von außen wahrzunehmen. Aber damit muss ich mich jetzt auseinandersetzen.
Herr Toepffer und Herr Försterling, ich danke Ihnen sehr für die wunderbaren Reden, die Sie gehalten haben. Sie waren wichtig, und sie sind wichtig. Ich danke für den Zusammenhalt, der sich in dieser Frage gezeigt hat.
Vielen Dank, Frau Kollegin Menge. Das war Ihre erste Rede - zumindest in unserem neuen Plenarsaal. Herzlichen Glückwunsch!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich“ - wer erinnert sich nicht an die Worte des SED-Politbüromitglieds Günter Schabowski, die er am Abend des 9. November gegen 19 Uhr in einer Pressekonferenz gesprochen hat und mit denen er mehr oder weniger unfreiwillig etwas ausgelöst hat, dessen wir vor Kurzem schon zum 30. Mal gedacht haben?
Ich muss gestehen, dass ich jetzt ein wenig improvisiere, weil ich erst heute Morgen erfahren habe, dass ich diese Rede in Vertretung meiner erkrankten Kollegin Silke Lesemann halten darf.
Mir sind viele Erinnerungen durch den Kopf gegangen, die ich an diesen Tag habe. Ich war damals 20 Jahre alt. Wie Sie wissen, komme ich aus Braunschweig, und dort hat man es ein bisschen zeitversetzt relativ intensiv erfahren. Wir waren in der Nacht vom 9. auf den 10. November in der Stadt unterwegs, wie junge Leute das so machen. Als vor McDonalds am Bohlweg in Braunschweig - wer sich da auskennt, weiß, dass das mitten in der Innenstadt ist - die ersten Trabis auffuhren, hatte das in etwa den Sensationswert, als wäre im gegenüberliegenden Schlosspark ein Ufo gelandet.
Ich habe auch noch eine Erinnerung daran, wie es war, als ich im Sommer 1989 mit meinem Großvater noch in der DDR unterwegs war, mit einem neuen Golf, den er gekauft hatte, aber nicht mehr fahren konnte. Man kann sagen, dass das wie eine Reise in ein fremdes Land war. Sie zu unternehmen, war nur mit einem großen bürokratischen Aufwand in Vorfeld möglich. Wir sind durch Orte wie Osterwieck, Halberstadt und Quedlinburg gefahren - heute alles selbstverständlich.
Später war ich an einer Schule in Goslar tätig, in der ca. ein Drittel der Schülerinnen und Schüler aus Sachsen-Anhalt kamen. Wir haben vor zehn Jahren den 20. Jahrestag des Mauerfalls - oder besser gesagt: der Grenzöffnung im Harz - sehr erinnerungspolitisch im Politik- und Geschichtsun
terricht begangen. Es ist mir sehr eindrucksvoll in Erinnerung geblieben, dass wir mit einem ehemaligen Offizier der DDR-Grenztruppen den ehemaligen Grenzstreifen erkundet haben. Das war für die 17-, 18- und 19-jährigen Schülerinnen und Schüler ein eindrucksvolles Erlebnis, kannten sie das Ganze doch nur aus Erzählungen.
Das zeigt, dass es um Erinnerung geht, dass es um Zugänge zu einem Thema bei jungen Menschen geht, die nicht mehr erlebt haben, was ein Großteil der Mitglieder dieses Hauses noch persönlich erlebt hat. Es geht um das, was im Herbst 1989 in der DDR geschah, als alle ahnten, dass etwas passieren wird, aber niemand wusste, was passieren wird. Von daher ist es umso wichtiger gewesen, dass meine Kollegin, unsere Landtagspräsidentin Gabriele Andretta, mit dem Jugendforum eine wunderbare Veranstaltung dazu durchgeführt hat, die hervorragend angenommen wurde und genau das im Sinn hatte: Zugänge zu schaffen.
Es hat, meine sehr verehrten Damen und Herren, viele kleinere und größere Gedenkveranstaltungen in Erinnerung an den 9. November 1989 und vor allen Dingen auch an die Zeit davor gegeben.
Ich habe gesagt: Alle ahnten - das haben mir Freunde gesagt, die das damals in der DDR erlebt haben -, dass etwas passieren würde, aber keiner wusste, was passiert. - Das heißt, man hatte die Ahnung, dass möglicherweise auch etwas passieren könnte, auf das Herr Kollege Försterling schon eingegangen ist: Es hätte auch ganz anders kommen können. Es hätte auch geschossen werden können; es hätte zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen mit ungewissem Ausgang kommen können. Von daher ist es umso wichtiger, diejenigen wertzuschätzen, die größte Gefahren und auch Repressalien auf sich genommen haben, um für Demokratie und Freiheit zu kämpfen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der AfD, wenn Sie jetzt versuchen, dieses Erbe für sich zu okkupieren, dann liegen Sie falsch. Sie betonen das Trennende, das Ausgrenzende, das VölkischNationalistische. Das war nicht der Geist der Freiheitsbewegung in der DDR! Das muss man ganz klar sagen.
(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei der CDU, bei den GRÜNEN und bei der FDP - Glocke der Präsidentin)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, es wird klar: Wir dürfen das Erinnern nicht den Rechtspopulisten überlassen. Wir brauchen nach wie vor die vielen kleinen und großen Erinnerungsorte für die nachfolgenden Generationen. Deswegen war es gut, dass es eine sehr würdige Feier an der Gedenkstätte Marienborn gegeben hat, an einem Ort, an dem früher viele Menschen aus dem Westen - auch ich - beim Grenzübertritt ein mulmiges Gefühl hatten und an dem für viele Menschen aus dem Osten definitiv Schluss der Reise war, an dem auch viel Leid passiert ist. Es war wichtig, genau dort, an dieser Stelle, eine Erinnerungsfeier zu begehen - genauso wie an vielen anderen Stellen: im Harz, in Hornburg. Das ist schon gesagt worden.
Ich glaube, wir brauchen künftig immer wieder solche Erinnerungsfeiern, und wir brauchen auch Erinnerungsorte. Wir brauchen Foren mit jungen Menschen, wo der Geist von 1989 wiederbelebt und das Verbindende und nicht das Trennende betont wird,