Protocol of the Session on November 19, 2019

Vielen Dank, Herr Kollege Henze. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Viehoff das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie begann denn die Änderung des Tariftreue- und Vergabegesetzes? Eigentlich mit einem Affront

gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie zum Thema „Gute Arbeit“. Denn nichts anderes war der Gesetzentwurf, der aus dem Wirtschaftsministerium ins Parlament gegeben wurde - und das auch mit der Maßgabe, dass das Ministerium überhaupt kein Wissen darüber hatte, welche Auswirkungen denn die vorgeschlagenen Änderungen haben, wie eine Anfrage, die wir gestellt haben, im August dieses Jahres ergeben hat. Danach hatte die Landesregierung überhaupt keine Kenntnis darüber, in welchem Rahmen und in welcher Höhe Aufträge unter das bis dato bestehende Tariftreue- und Vergabegesetz gefallen sind.

Es konnte also gar keine Aussage darüber gemacht werden, wen denn dieses angebliche Bürokratiemonster tatsächlich betrifft. Es gab keine Daten, und es gab keine Folgenabschätzung. Trotzdem wurde eine Änderung des Gesetzes eingebracht. Das ist keine gute Politik, verehrte Landesregierung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zu Recht haben die Abgeordneten aller Fraktionen in diesem Haus, auch die der Regierungsparteien, in der nachfolgenden Beratung den Gesetzentwurf durchaus kritisiert. Man konnte tatsächlich den Verdacht bekommen, dass das Wirtschaftsministerium nicht mit dem Parlament, sondern mit Lobbyisten zusammenarbeitet.

Doch die Kritik aus der Politik hat etwas bewirkt. Einige unsinnige Punkte des ersten Gesetzentwurfes sind entfernt worden, und auch die Empfehlungen der externen Expertinnen und Experten sowie Verbände in den Anhörungen wurden in Betracht gezogen.

Dabei ist noch einmal wichtig, zu betonen, dass Wirtschaft und Gewerkschaften gemeinsam mit ihren Argumenten aufgezeigt haben, dass es eigentlich gar keiner gesetzlichen Aufweichung bedarf, sondern die Vergabekriterien so, wie sie jetzt sind, bestehen bleiben können. Der Einzige, der das derzeitige Verfahren kritisiert hat, war der Städte- und Gemeindebund.

Nun haben wir Grünen während der Anhörung und auch in Gesprächen abseits des Parlaments gewissenhaft zugehört. Wir bleiben bei unserem Anspruch, dass bessere Arbeitsbedingungen und die Einhaltung von sozialen und ökologischen Vergabekriterien in Niedersachsen voranzubringen sind, und bleiben dieser Forderung auch treu. Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass es tatsächlich

falsch ist, den Schwellenwert im Vergabegesetz gegenüber der aktuellen Regelung um 100 %, nämlich von 10 000 Euro auf 20 000 Euro, steigen zu lassen. Das bedeutet doch, dass eine Vielzahl von Aufträgen nicht mehr unter das Vergabegesetz fallen wird und die Tarifbindung in Niedersachsen damit geschwächt wird.

Mit den jetzt vorgenommenen Änderungen wird die GroKo den Forderungen der Unternehmen und der Gewerkschaften nur ansatzweise gerecht; denn sie hätten, wie gesagt, mit der Grenze von 10 000 Euro sehr gut leben können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die GroKo hat sich auch zu der Frage der Subventionsempfänger verhalten, indem sie sie aus dem Tariftreue- und Vergabegesetz herausgenommen hat, weil sie behauptet, diese Regelung sei für Subventionsempfänger, gerade für Sportvereine und ehrenamtlich Tätige, zu kompliziert. Was für eine Logik ist das denn? Müssten wir dann nicht auch auf die Bußgelder für Temposünder verzichten, weil manche Menschen Schwierigkeiten damit haben, Geschwindigkeitsbegrenzungen einzuhalten?

(Jörg Bode [FDP]: Interessanter Vor- schlag von euch!)

Sie merken selbst, wie absurd das ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Hierzu hätte es nämlich keiner Gesetzesänderung bedurft, sondern nur einer Ausnahmeregelung, mit der man Sportvereinen und ehrenamtlich Tätigen tatsächlich hätte helfen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Selbstverständlich unterstützen auch wir den Vorstoß für mehr verpflichtende und ausreichende Kontrollen, um Verstöße wirksam zu bekämpfen, wie es im Entschließungsantrag unter Tagesordnungspunkt 6 formuliert ist. Doch warum dann erst das Tariftreue- und Vergabegesetz ändern? - Hierzu sind wir auf die Beratungen gespannt. Das alles hätte man doch mit der Beibehaltung des Gesetzes, das 2013 zusammen mit der SPD von uns Grünen verabschiedet worden ist, erreichen können! Aber mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf von SPD und CDU wird der öffentliche Auftraggeber seine Vorbildfunktion verlieren.

Man hätte jetzt auch nicht unbedingt auf dem rotgrünen Gesetz herumreiten müssen, sondern man hätte sich doch das Saarland als Vorbild nehmen

können. Dort regiert auch eine GroKo. Die Große Koalition im Saarland hat die verpflichtende Tarifbindung für sämtliche öffentlichen Auftragnehmer vereinbart und gesetzlich geregelt. Warum passiert das nicht hier in Niedersachsen? Hier hätte man als Vorbild vorangehen können!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir bleiben bei unserer Forderung, das Tariftreue- und Vergabegesetz in seiner ursprünglichen Form beizubehalten. Die GroKo verkauft den jetzt vorliegenden Entwurf mit dem Abbau unnötiger Bürokratie, aber senkt bei der Vergabe soziale und ökologische Standards ab - auf Kosten regionaler Betriebe und auf Kosten der Beschäftigten. Deswegen werden wir den Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Viehoff. - Für die SPDFraktion hat sich nun der Kollege Frank Henning gemeldet. Bitte sehr!

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter diesem Tagesordnungspunkt liegen uns zwei Gesetzentwürfe vor, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Das fängt schon beim Titel an. Die FDP-Fraktion nennt ihren Gesetzentwurf „Entwurf eines Reformgesetzes zur Vergabe öffentlicher Aufträge in Niedersachsen“, die Landesregierung nennt ihren Gesetzentwurf „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetzes“.

Und genau da, meine Damen und Herren, sieht man schon den Unterschied: Uns geht es ausdrücklich nicht um Vergaben, sondern um ein echtes Tariftreuegesetz, das uns Tarifhoheit bringt, das die Tarifbindung festigt und das den Tarifvertragsparteien gerecht wird. Sie hingegen, Herr Bode, wollen unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus schlicht und einfach Arbeitnehmerrechte abbauen, indem sie, wie wir schon vorhin diskutiert haben, den gesamten Bereich des Bau

mindestlohns, des Mindestlohns im Allgemeinen und der ÖPNV-Regelung aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes streichen.

(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Bitte mal zuhören!)

Aber das machen wir nicht. Das bleibt drin. Uns geht es nämlich um ein Tarifvertragsgesetz, also um ein Gesetz, das die Tarifbindung fördert.

Meine Damen und Herren, in Niedersachsen ist mittlerweile - leider, muss man sagen - nur noch ein Drittel aller Betriebe tarifgebunden. Das zeigt, wo der Handlungsbedarf liegt. Niedersachsen kann durch das Tariftreue- und Vergabegesetz seiner Vorbildfunktion gerecht werden und einen wesentlichen Impuls zur Stärkung der Tarifbindung und des Faktors „gute Arbeit“ leisten.

(Eva Viehoff [GRÜNE]: Und warum hebt ihr dann den Schwellenwert an?)

Bund, Länder und Kommunen geben zusammen etwa 400 Milliarden Euro pro Jahr für die Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen aus. Das macht die Dimension deutlich, in der Missbrauch betrieben werden kann, wenn keine Mindestlöhne gezahlt werden. Diese Summe entspricht etwa 15 % unseres Bruttoinlandprodukts. Das Tariftreuegesetz, das wir mit dem von uns vorgelegten Entwurf in Teilen ändern wollen, schützt also die heimische Wirtschaft vor Konkurrenzbetrieben, die Dumpinglöhne zahlen.

Wohin es führt, wenn kein Tarifvertrag mehr gilt und die Tarifbindung weiter nachlässt, sieht man bei der aktuellen Tarifauseinandersetzung bei der Gilde-Brauerei, dem ältesten Unternehmen der niedersächsischen Landeshauptstadt. Ich begrüße bei dieser Gelegenheit in der SPD-Loge den Betriebsratsvorsitzenden Julian Weinz und die Geschäftsführerin Lena Melcher von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zurufe von der FDP)

Liebe Kollegen, ihr könnt euch der Solidarität der SPD-Fraktion sicher sein! Wir fordern die Geschäftsführung auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Unterschiede von 15 000 Euro beim Gehalt können wir nicht akzeptieren. Equal Pay - gleicher Lohn für gleiche Arbeit!

(Beifall bei der SPD)

Im Tariftreuegesetz geht es um ähnliche Dinge. Wo öffentliches Geld fließt, müssen Tarifverträge gelten. Hier ist in der Tat noch viel Luft nach oben; da gebe ich den Grünen mit ihrer Kritik zum Teil recht.

Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir im Dialog mit den Gewerkschaften entscheiden, wie wir die Tarifbindung und insbesondere die

Bindung von Vergaben bei öffentlichen Aufträgen an die Zahlung von Tariflöhnen verbessern. Wir bleiben da am Ball. Die Gespräche sind noch nicht zum Abschluss geführt worden. Das ist eine Daueraufgabe und vor allen Dingen eine Aufgabe für diese Koalition für die verbleibende Wahlperiode.

In der Anhörung, die der Wirtschaftsausschuss dazu durchgeführt hat, waren die Vertreter des DGB, der Bauindustrie, des Baugewerbes und der Unternehmerverbände einvernehmlich der Ansicht, dass eine Anhebung des Schwellenwerts über die 20 000 Euro, die wir jetzt vereinbart haben, nicht wirtschaftsfreundlich ist, weil dadurch kleinere und mittlere Unternehmen benachteiligt würden. Aber da das Tariftreuegesetz für gleiche Bedingungen und Chancengleichheit am Markt sorgen soll, sind wir bei dem Schwellenwert von 20 000 Euro geblieben, wie gesagt im Einvernehmen mit dem DGB und den Arbeitgeberverbänden. Ein solches Einvernehmen hat man eigentlich selten.

Der alternative Gesetzentwurf der FDP-Fraktion hingegen wurde von allen angehörten Verbänden unisono abgelehnt - bis auf die kommunalen Spitzenverbände. Das zeigt deutlich, wohin Ihre Reise geht: Sie geben vor, Bürokratie abzubauen, aber tatsächlich schleifen Sie Arbeitnehmerrechte. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen!

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Wir hingegen wollen sowohl Tariftreue und klare Vergaberegelungen als auch den Bürokratieabbau. Der Kollege Bley hat es ausgeführt: Wir haben an dem Gesetzentwurf der von uns getragenen Landesregierung entscheidende Änderungen vorgenommen:

Ich habe erwähnt, dass der Schwellenwert auf 20 000 Euro angehoben werden soll. Damit verbleiben kleine und mittlere Unternehmen im Anwendungsbereich des Tariftreue- und Vergabegesetzes, und es gelten gleiche Regeln für alle, ohne dass Lohndumping betrieben wird.

Die großen kommunalen Krankenhäuser, die Sektorenauftraggeber, die Üstra und die Stadtwerke haben wir bewusst im Anwendungsbereich des Tariftreue- und Vergabegesetzes belassen, weil dort natürlich das vergaberechtliche Know-how besteht - entgegen Ihrer Kritik, Herr Bode. Da gibt es bei den großen Unternehmen, bei den Stadtwerken und der Üstra überhaupt kein Problem.

Wo es allerdings ein Problem gibt - und da sind wir anderer Meinung als die Grünen -, ist der Bereich

der Zuwendungsempfänger, z. B. die ehrenamtlich geführten kleineren Sportvereine. Die haben tatsächlich Probleme mit dem komplizierten Tariftreue- und Vergabegesetz und dem gleichzeitig geltenden Zuwendungsrecht.

(Eva Viehoff [GRÜNE]: Das habe ich nicht in Abrede gestellt!)

Deswegen haben wir die Sportvereine im Sinne der Förderung des Ehrenamts völlig zu Recht aus dem Anwendungsbereich des Tariftreue- und Vergabegesetzes herausgenommen.