Vielen Dank, Frau Kollegin Wulf. Lebhafte Diskussion ist bei Bildungsthemen hier immer gewährleistet. - Es spricht jetzt für die FDP Herr Kollege Försterling. Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Schulgesetzentwurf von SPD und CDU enthält drei Punkte. Der eine betrifft den Fortbestand bzw. die Verlängerung des Aussterbens der Förderschule Lernen.
Das ist schon spannend für alle diejenigen, die die Diskussion nicht nur hier heute verfolgen, sondern auch in den vergangenen Tagen verfolgt haben. Zu diesem Kompromiss gibt es in der Großen Koalition unterschiedliche Auffassungen. Während die SPD klar davon überzeugt ist, dass damit das Auslaufen der Förderschule Lernen nach wie vor besiegelt ist und lediglich hinausgezögert ist, verspricht der CDU-Landesvorsitzende und stellvertretende Ministerpräsident Bernd Althusmann - so hat man es den Zeitungen entnehmen können - auf der Klausurtagung der CDU in Walsrode, dass aufgrund dieses Schulgesetzes in Niedersachsen in dieser Legislaturperiode keine Förderschule geschlossen wird.
weil dieser Schulgesetzentwurf keine landesweite Entscheidung darstellt, die Förderschule Lernen landesweit auf Dauer oder zumindest für fünf Jahre zu verlängern, sondern die Verantwortung, die die Landespolitik eigentlich hat, auf die Schulträger delegiert wird, weil CDU und SPD sich in den Koalitionsverhandlungen nicht einig werden konnten.
Das heißt, die Schulträger sollen künftig entscheiden, ob die Förderschule Lernen vor Ort fortbesteht oder nicht. Wenn sich ein Schulträger aber dagegen entscheidet, Herr Kollege Althusmann, dann werden auch in dieser Legislaturperiode För
derschulen ihre Türen schließen - mit Duldung der CDU. Das ist alles andere als das, was Sie im Wahlkampf den Eltern in diesem Land versprochen haben.
Das ist im Übrigen, Frau Kollegin Wulf, kein Beitrag zur Inklusionsdebatte. Die Grünen haben mit dem folgenden Tagesordnungspunkt einen Beitrag zur Inklusionsdebatte geliefert. Die Frage nach dem Fortbestand der Förderschule Lernen ist per se kein Beitrag zur Inklusionsdebatte; denn bei der Inklusionsdebatte geht es darum, wie wir die Situation für Schülerinnen und Schüler, die inklusiv beschult werden, verbessern können.
Da fehlen Ihre Ansatzpunkte, da fehlen Ihre Lösungen. Selbst wenn man sagt: „Wir wollen die Wahlfreiheit der Eltern“, heißt das nicht, dass nur ein Stück weit Förderschule Lernen gemacht wird, dass sie für fünf Jahre verlängert wird, während man bei der Inklusion alles so weiterlaufen lässt. Nein, wirkliche Wahlfreiheit für die Eltern bedeutet, dass beide Stränge entsprechend gut ausgestattet werden. Und da hat diese Landesregierung bei der Nachsteuerung der Inklusion wirklich noch viel vor sich, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Ich komme zum Einschulungsalter. Auch unser Gesetzentwurf hat eine Lösung vorgesehen, nämlich das Einschulungsalter zu verändern. Da merkt man einmal, wie Politik läuft. Man hat sich scheinbar davor gescheut, die von der FDP formulierte Lösung in den eigenen Schulgesetzentwurf zu übernehmen.
Was ist jetzt dabei herausgekommen? Unser Schulgesetzentwurf sah vor, dass der Einschulungsstichtag generell wieder auf den 30. Juni vorverlagert wird und dass bei all denjenigen, die zwischen dem 1. Juli und dem 30. September das sechste Lebensjahr vollenden, die Eltern - positiv aus Sicht der Eltern - den Antrag stellen können, dass das Kind vorzeitig eingeschult wird.
Das aber, was Sie jetzt vorlegen, weil Sie unseren Vorschlag keinesfalls übernehmen wollten, ist genau das Gegenteil. Sie verändern den Einschulungsstichtag nicht, sondern schaffen nur eine Möglichkeit für die Eltern, deren Kinder zwischen dem 1. Juli und dem 30. September des jeweiligen Jahres das sechste Lebensjahr vollenden, den Antrag - negativ - zu stellen, dass das Kind erst ein Jahr später eingeschult wird. Früher waren das sogenannte Anträge auf Rückstellung. Ich glaube
Sie versuchen jetzt sang- und klanglos, die vorschulische Sprachförderung aus dem Schulgesetz herauszustreichen. Dazu sage Ihnen ganz ehrlich: Da muss es eigentlich jedem CDU-Politiker, der in den letzten Jahren hier bildungspolitisch aktiv gewesen ist, kalt den Rücken herunterlaufen. Es war der jetzige Vizepräsident Busemann, der als Kultusminister die Sprachstandsfeststellung vor der Einschulung auf den Weg gebracht hat.
Wir haben dann gemeinsam zwischen 2008 und 2010 die vorschulische Sprachförderung verpflichtend gemacht. Denn wir haben gesagt: Die Teilnahme muss verpflichtend sein, um die Sprachdefizite vor der Einschulung wirklich abbauen zu können. - Das wischen Sie jetzt mit einem Federstrich weg, weil Sie die Ressourcen zum 1. August für die Sicherstellung der Unterrichtsversorgung in den Grundschulen benötigen. Dazu sagen Sie: Das ist gar kein Problem, dafür kriegen die Kommunen einfach 11 Millionen Euro mehr überwiesen. Dann werden die in den Kindertagesstätten schon irgendwie Sprachförderung machen.
Ein letzter Satz: Sie haben letztes Mal darüber diskutiert, dass es zu wenig Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertagesstätten gibt bzw. dass der Personalschlüssel zu gering ist. Sie erlegen den Kindertagesstätten jetzt aber noch zusätzlich die vorschulische Sprachförderung auf. Spätestens wenn das geschehen ist, werden auch die Damen und Herren von SPD und CDU feststellen, dass mit 11 Millionen Euro nicht wirklich eine Sprachförderung aufgebaut werden kann. Geld allein beseitigt eben nicht die Sprachdefizite bei den Kindern, sondern es werden Erzieherinnen und Erzieher oder Grundschullehrerinnen und -lehrer dafür benötigt, die Sprachdefizite zu beseitigen. Geld reicht nicht.
Vielen Dank, Kollege Försterling. - Es folgt jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Abgeordnete Hamburg. Bitte sehr!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Schulgesetznovelle atmet den Geist fauler Kompromisse, falscher Weichenstellungen und mangelnder Beteiligung und den Geist der Belastung von Kindertagesstätten und Kommunen. Wir werden diesen Weg auf keinen Fall mit Ihnen gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Nehmen wir das Beispiel Förderschule Lernen. Überall schreien die Schulen nach Lösungen im Bereich der Inklusion - und Ihr erster Aufschlag ist eine Vollbremsung bei voller Fahrt. Ich habe leider die Resolution vergessen. Die CDU fing schon im Dezember an, im Land Niedersachsen flächendeckend Resolutionen mit dem Ziel auf den Weg zu bringen, die Förderschule Lernen wieder einzuführen, Lerngruppen auf den Weg zu bringen und damit die Inklusion zu untergraben. Das machen Sie jetzt mit dem Label der SPD, die hier gemeinsam mit Ihnen im Eilverfahren eine Gesetzesnovellierung auf den Weg bringt.
Glauben Sie ernsthaft, dass die Menschen auf dieses Signal gewartet haben? Glauben Sie, dass die Inklusion in Niedersachsen auf dieses Signal gewartet hat? Mitnichten! Sie schaffen in Niedersachsen neue Probleme damit, dass Sie jetzt plötzlich wieder in die Förderschule Lernen einschulen und sogenannte Lerngruppen auf den Weg bringen wollen. Damit torpedieren Sie die Inklusion, statt weiterhin Lösungen für die inklusiven Schulen in Niedersachsen auf den Weg zu bringen. Die aber sind dringend nötig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Glauben Sie von der SPD - wenn die CDU schon jetzt niedersachsenweit Resolutionen auf den Weg bringt, die Förderschule Lernen zu erhalten und Lerngruppen an den allgemeinbildenden Schulen einzurichten - ernsthaft, dass Sie diese Tür in zehn Jahren wieder zukriegen? Das wird nicht so sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Sie schaffen ein teures Parallelsystem und nehmen damit den inklusiven Schulen die Ressourcen, von denen Sie wissen, dass diese dieselben dringend benötigen.
Lassen Sie sich das einmal auf der Zunge zergehen: Der Erhalt der Förderschule Lernen kostet nach Angaben der regierungstragenden Fraktionen 50 Millionen Euro jährlich. 50 Millionen Euro!
Wie viele Sonderpädagogen könnten wir an inklusiven Schulen einstellen, und wie viele pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter könnten wir beim Inklusionsprozess an den allgemeinbildenden Schulen entlasten, wenn wir dieses Geld in die Inklusion geben würden, wo es dringend benötigt wird?
Dann ist noch das Thema „Sprachförderung an den Kitas“ zu erwähnen. Wir begrüßen, dass Sie planen, die Sprachförderung wieder an die Kitas zu geben. Aber einmal ganz im Ernst, Herr Tonne hat im Ausschuss gesagt: Das müssen wir genau prüfen. Wir wollen die Kitas nicht belasten. Es muss ein gutes Konzept geben. - Und jetzt wollen Sie binnen eines Monats qua Gesetz ermöglichen, dass diese vorschulische Sprachförderung künftig in den Kitas stattfindet.
Wir wissen doch, wie hoch der Druck bei der Unterrichtsversorgung an den Grundschulen ist. Da fehlen die Lehrkräfte. Und wir wissen, dass sich gerade die CDU künftig, wenn sie an der Regierung ist, mit schönen Unterrichtsversorgungszahlen schmücken will. Glauben Sie ernsthaft, dass Sie dort noch mit Weile und irgendetwas anderem in Ruhe prüfen wollen? Sie werden die Unterrichtsversorgung an den Grundschulen auf dem Rücken der Erzieherinnen und Erzieher verbessern. Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Herr Tonne, ich muss auch sagen: Ich bin einigermaßen entsetzt. Sie kommen zu uns in den Kultusausschuss und sagen: Ich werde der Minister sein, der in Ruhe prüft. Ich werde der Minister der Kommunikation sein. Ich werde der Minister des Zuhörens und des Beteiligens sein. - Jetzt aber bringen die regierungstragenden Fraktionen einen Gesetzentwurf ein, der so wichtige Fragen wie die Inklusion, die Einrichtung der Förderschule Lernen und die Sprachförderung an den Kitas betrifft. Und sie wollen das innerhalb eines Monats durchbringen. Was hat das mit Beteiligung zu tun? Ist das Ihr Verständnis von Beteiligung, Herr Tonne? Ist das etwa Beteiligung 4.0? Habe ich den neuesten Effekt irgendwie verpasst? Oder spielen Sie hier „Good cop, bad cop“? Oder haben Sie vielleicht nichts zu melden? - Ich bin mir da gar nicht so sicher.
Was ist der Grund, dass Sie sagen, dass Sie eine Beteiligung wollen, während die GroKo einfach nicht beteiligt? Ich kann es nicht verstehen. Diese Schere im Kopf bekomme ich nicht geschlossen.
Man kann dann ja einmal in die Zukunft schauen und sich fragen: Was wird denn die 100-TageBilanz dieser Großen Koalition im Bildungsbereich sein? Ich sage Ihnen: Mit dieser Schulgesetznovelle schreiben Sie sich gerade Ihre Schlagzeilen selber: „GroKo ist sich selbst genug“, „Schulgesetznovelle gegen Widerstände durchs Parlament gedrückt!“, „In Eile statt mit Weil-e“ - entschuldigen Sie das Wortspiel -, „GroKo ignoriert die Verbände“, „Schulfrieden: Koalition entfacht Schulstrukturdebatte neu“, „Wo ist der Schulfrieden geblieben?“ und „Außer Spesen nichts gewesen“. Oder aber „Die Wandlung des Ministers Tonne - in 100 Tagen vom Beteiligungs- zum Hau-Ruck-Minister“.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das können Sie nicht wollen. Und ich sage Ihnen: Wir werden dagegen Sturm laufen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das waren schon gewaltige Wortspiele der Vertreter der beiden Oppositionsfraktionen, die da eben stattgefunden haben. Schere im Kopf nicht zukriegen: Liebe Kollegin Hamburg, am besten die Schere erst gar nicht im Kopf drin haben! Das hilft an der Stelle weiter.
Und der angekündigte Sturm ist an dieser Stelle eher ein Sturm im Wasserglas. Ich denke, dass Sie sehr zufrieden sein können, dass wir schulpolitische Weichenstellungen vornehmen werden.
Wir wollen mit unserem Schulgesetz, das wir jetzt auf den Weg bringen, drei Kernbereiche einer guten Regelung bzw. einer Verbesserung zuführen. Beim Thema „Förderschule Lernen“ haben wir keine Vollbremsung vollzogen. Auch haben wir mit diesem Gesetz nicht die Verlängerung des Aussterbens der Förderschule Lernen im Blick. Das werden wir entsprechend auch nicht beschließen.
Wir reagieren auf Realitäten vor Ort und auf Hinweise aus der Praxis. Wir geben den Schulträgern eine Möglichkeit und delegieren nicht etwa Verantwortung. Die Schulträger sollen die Möglichkeit haben, die inklusive Schule weiterzuentwickeln und dafür einen Zeitraum von zehn Jahren zu nutzen. Ich glaube, das ist vorwärts gerichtete und in die Zukunft gewandte Politik.
Das ist keine Atempause, das ist kein Ausstieg, sondern das, was wir hier vornehmen, ist praxisorientierte Schulpolitik. Deswegen wollen wir im Bereich der Förderschule Lernen die Schulträger entsprechend unterstützen. Wir brauchen aber auch ein schnelles Verfahren, damit die Schulträger zum Beginn des Schuljahres 2018/2019 entsprechende Regelungen auf den Weg bringen können. Entsprechende Anträge müssen immer ein inklusives Konzept enthalten, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das aber ist von Ihnen hier sehr wohl verschwiegen worden. Anträge müssen im Hintergrund immer mit einem Konzept dafür verbunden sein, wie die inklusive Schule auch im Jahr 2028 gestaltet werden soll.
Dafür ist es wichtig, einen Übergangszeitraum zur Weiterentwicklung zu nutzen und die entsprechenden Rahmenbedingungen auf den Weg zu bringen.