Protocol of the Session on October 24, 2019

Verehrte Kolleginnen, verehrte Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie im Namen des Präsidiums und eröffne die 59. Sitzung im 21. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen

Landtages der 18. Wahlperiode.

Tagesordnungspunkt 19: Mitteilungen der Präsidentin

Ich darf bereits die Beschlussfähigkeit des Hauses feststellen.

Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 20. Das ist die Fortsetzung der Aktuellen Stunde. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort. Die heutige Sitzung soll gegen 20.30 Uhr enden.

Die mir zugegangenen Entschuldigungen teilt Ihnen nunmehr der Schriftführer Herr Onay mit. - Ich darf Sie alle um etwas mehr Ruhe im Plenarsaal bitten. - Vielen Dank.

Bitte, Herr Onay!

Es haben sich entschuldigt: von der Landesregierung Ministerpräsident Stephan Weil sowie Finanzminister Reinhold Hilbers bis 15 Uhr, von der Fraktion der SPD Herr Uwe Schwarz und von der Fraktion der CDU André Bock und Laura Hopmann.

Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich rufe nun auf den

Tagesordnungspunkt 20: Aktuelle Stunde

Wie gestern bereits angekündigt, setzen wir die Aktuelle Stunde heute mit den Anträgen der Fraktion der SPD, der Fraktion der FDP und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fort.

Ich eröffne die Besprechung zu

a) 100 Jahre Volkshochschule - Lebenslanges Lernen als elementaren Bestandteil für den gesellschaftlichen Zusammenhalt auch zukünftig ermöglichen und attraktive Rahmenbedingungen erhalten - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 18/4898

Ich erteile Frau Kollegin Dr. Wernstedt das Wort für die SPD-Fraktion. Bitte, Frau Kollegin!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Jahr 2019 als Jahr gewichtiger Jubiläen hat es in sich. Ich rede jetzt nur von den 100-jährigen: Gründung der Weimarer Republik, Frauenwahlrecht, Volkshochschulen, Arbeiterwohlfahrt und das Bauhaus, wie wir ja auch in der wunderbaren Ausstellung draußen schon sehen konnten. 1919 sind gravierende gesellschaftliche Veränderungen und Modernisierungen sichtbar geworden oder realisiert worden - ein ungeheurer gesellschaftlicher Aufbruch. Über jedes dieser Themen ließe sich abendfüllend reden. Das schaffen wir heute Morgen natürlich nicht.

Mit dieser Aktuellen Stunde wollen wir einerseits 100 Jahre Volkshochschule würdigen. Andererseits wollen wir aufzeigen, dass Erwachsenenbildung in jeder Zeit neu gedacht und auch verteidigt werden muss.

Warum haben wir das heute zum Thema gemacht? - Das hat etwas mit dem Entwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften zu tun - ein Entwurf, der seit Monaten die Fachleute aus Bundesministerien und Bundestag beschäftigt -, und es hat mit einer EURichtlinie zu tun.

Die Erwachsenenbildung war und ist bundesweit in Alarmbereitschaft. Die Bundesregierung verfolgt mit dem Gesetz die Absicht, Regelungen für Bildungsleistungen im nationalen Umsatzsteuergesetz vollständig an die für alle Mitgliedstaaten der EU verbindlichen Vorgaben der sogenannten Mehrwertsteuersystemrichtlinie anzupassen. Die Fachleute befürchten - aus unserer Sicht zu Recht -, dass es zu Verteuerungen derjenigen Kurse kommen würde, die nicht ausschließlich der beruflichen Weiterbildung dienen, sondern im besonderen Maße die politische Bildung betreffen.

Jubiläumsjahr, Umsatzsteuer für Elektromobilität und andere Dinge, EU-Richtlinie, Bundesfinanzministerium und politische Bildung - das ist wirklich eine wilde Mischung, zeigt aber eindrücklich die Verflechtung der politischen Ebenen und die Schwierigkeiten guter politischer Gestaltung.

(Unruhe)

Einen Moment, bitte, Frau Kollegin Dr. Wernstedt! - Es ist ein ziemliches Gemurmel im Plenarsaal. Ich bitte darum, die Gespräche einzustellen und Ihre Aufmerksamkeit Frau Kollegin Dr. Wernstedt zukommen zu lassen.

Bitte, Frau Kollegin!

Ein Blick auf den Anfang: Die Weimarer Reichsverfassung und die Volkshochschulen sind nicht ohne den jeweils anderen zu denken. Denn in Artikel 148 Abs. 4 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 steht: „Das Volksbildungswesen, einschließlich der Volkshochschulen, soll von Reich, Ländern und Gemeinden gefördert werden.“ Man kann sagen, dass die Weimarer Verfassung die Geburtsurkunde der Volkshochschulen ist. Die Entwicklung begann früher, aber 1919 wurden die Notwendigkeit von Bildungsanstrengungen und ihre staatliche Unterstützung sogar in die Verfassung geschrieben und damit grundlegend für die junge Demokratie.

Dabei wird das Grundrechtsverständnis anders formuliert als für die Schule. Schule ist verbindlich - Volksbildung, Erwachsenenbildung, bleibt freiwillig. Das später viel gescholtene Preußen legte den Verfassungsauftrag der Volksbildung sogar besonders großzügig in seinen Förderrichtlinien aus, und überall in der jungen Republik wurden Volkshochschulen und andere Einrichtungen der Bildung gegründet. Freiheitlichkeit wurde groß geschrieben.

„Diese Bildung wendet sich an alle Kreise und sucht ihre Helfer in allen Kreisen“, heißt es im Gründungsaufruf der Thüringer Volkshochschule. Jeder, der lernen und mitarbeiten will, ist willkommen. Hier in Hannover hat sich z. B. das Ehepaar Ada und Theodor Lessing um die von ihnen gegründete Volkshochschule sehr verdient gemacht. Dafür ist Ada Lessing jüngst auch mit einem frauenORT noch einmal besonders geehrt worden.

Unterbrochen in den Jahren nationalsozialistischer Diktatur, nahmen nach dem Zweiten Weltkrieg die Volkshochschulen und andere Einrichtungen ihre Arbeit wieder auf. Bis heute sind sie überall vertreten, in Verbänden organisiert und nach 1989 auch im Austausch mit den neuen Bundesländern in einer gemeinsamen Entwicklung.

Bereits in den ersten Jahren bildete sich ein Spannungsverhältnis heraus, das sich bis heute nicht auflösen ließ - das Ringen um öffentliche Anerkennung und Förderung bei gleichzeitiger Distanz gegenüber staatlicher Lenkung und Kontrolle.

Heute muss es uns angesichts der Entwicklung und Manifestation populistischer Strömungen in Parteien in Deutschland und der Welt, der vielen Krisenherde im gemeinsamen Haus Europa und der Schwäche der Volksparteien um die Stärkung der Demokratie gehen. Unsere Demokratie braucht nach wie vor mündige und selbstständig denkende und urteilende Bürgerinnen und Bürger, die sich in dieser komplizierten Welt zurechtfinden. Die Verteuerung von Kursangeboten der politischen Bildung ist eine Gefahr für die Demokratie.

Gestern Morgen erreichte uns die erfreuliche Nachricht, dass der oben genannte Gesetzentwurf sich erst einmal nicht mit der Erwachsenenbildung beschäftigen wird. Das ist ein Etappensieg derjenigen, die sich im Hintergrund unermüdlich eingesetzt haben.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU - Glocke der Präsidentin)

- Ich komme zum Schluss.

Wir müssen wachsam bleiben und Lösungen erarbeiten, die unter allen Umständen verhindern, dass politische Bildung schwerer zugänglich wird. Denn Volkshochschulen sind, wie es Martha FriedenthalHaase so schön geschrieben hat, wirkende Kraft der Bildung im Immunsystem der Demokratie, die fähig ist, sich in großer Beweglichkeit auf die wechselnden Bedürfnisse der Demokratie einzustellen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Wernstedt. - Nun hat Herr Kollege Hillmer das Wort für die CDUFraktion. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich ausdrücklich darüber, dass wir an so prominenter Stelle über Volkshochschulen und über die Erwachsenenbildung allgemein reden können. Denn die Volkshochschulen sind vor 100 Jahren an vielen Orten in unserem Land gegründet worden, weil damals die Weimarer Verfassung der Weiterbildung den Verfassungsrang eingeräumt hat.

Man darf natürlich fragen, ob denn die Volkshochschulen nach 100 Jahren eine überkommene Einrichtung sind und vielleicht sogar mittlerweile verzichtbar sind. Schließlich haben wir heute im Unterschied zu damals zwölf Jahre Schulpflicht, eine Akademisierungsquote von 50 %, frühkindliche Bildung, Ganztagsschulen etc. und ein ganz differenziertes Bildungswesen, in dem wir uns um jeden kümmern. Eigentlich müsste in der schulischen Bildung jetzt doch alles so perfekt sein, dass wir auf die Erwachsenenbildung und die Volkshochschulen verzichten könnten.

Die Antwort ist: Nein, wir können darauf nicht verzichten. Volkshochschulen sind heute notwendiger denn je. Für sie tun sich einige Aufgaben auf. Da ist z. B. das lebenslange Lernen zu erwähnen. Es gibt rasante Veränderungen des beruflichen Lebensumfeldes. Dort muss man das Stichwort „Digitalisierung“ nennen, aber auch vieles andere. Die berufliche Welt ändert sich heute schneller, als sie das in Generationen vor uns getan hat. Man kommt mit dem schulischen Wissen nicht mehr durch ein immer längeres Leben hindurch. Das gilt auch für das private Lebensumfeld. Dort ist die Digitalisierung ebenfalls ein ganz starker Treiber. Natürlich spielen auch soziale Medien eine Rolle. Alles das hat man vielleicht vor 20, 30 oder 40 Jahren in der Schule nicht gelernt. Dafür brauchen wir Volkshochschulen.

Ein weiterer Punkt, der uns nicht ruhen lassen darf, ist die in einer leo.-Level-One-Studie von 2011 getroffene Feststellung, dass unter den deutschsprachigen Erwerbstätigen in Deutschland 7,5 Millionen Menschen nicht in der Lage sind, Texte sinnverstehend zu lesen oder zu schreiben. In einer anderen Studie wird von 10 % funktionalen Analphabeten gesprochen. Das darf uns doch nicht ruhen lassen. Wie wollen wir dem beikommen? - Diese Menschen können wir nicht wieder in die Grundschule, in die Hauptschule, in die Realschule oder in welche Schulform auch immer schicken. Nein, wir brauchen die Erwachsenenbildung,

wenn wir uns diesem Problem stellen wollen. Dafür brauchen wir auch die Volkshochschulen.

Nicht zuletzt müssen der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Demokratiebildung ein ganz wichtiger Treiber für uns sein. Wir können uns natürlich auch nicht darauf ausruhen, dass wir jetzt eine Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung gegründet haben. Das ist nur ein Deckel obendrauf. Die wirkliche Arbeit vor Ort an den Menschen findet statt in den Volkshochschulen, in den Erwachsenenbildungseinrichtungen. Sie ist - das muss ich jetzt wohl niemandem mehr erklären - wirklich dringender, als sie das vielleicht in den Jahrzehnten vorher war.

Stellen wir uns also die Frage, wie wir die Teilnehmer erreichen. Denn es gibt nun einmal keine Schulpflicht. Kennen Sie denn jemanden, den Sie für politisch bildungsbedürftig halten?

(Dirk Toepffer [CDU]: Ja!)

- Da fällt Ihnen jemand ein. Aber glauben Sie, dass derjenige sich selber auch für bedürftig hält?

(Dirk Toepffer [CDU]: Nein!)

- Nein, natürlich nicht. Wir haben die genannten 7,5 Millionen Menschen, bzw. jeder Zehnte ist funktionaler Analphabet; ich hoffe, nicht in diesem Raum. Aber würde derjenige sich denn freiwillig melden?

(Zurufe: Nein!)

- Nein, das würde er nicht tun. Das heißt, dass wir in der Erwachsenenbildung auch Angebote brauchen, bei denen wir nicht mit der Tür ins Haus fallen. Wir müssen niedrigschwellige Angebote machen, die nicht sofort nach politischer Bildung und auch nicht sofort nach Alphabetisierung aussehen, um die Menschen erst einmal über die Schwelle hinein in die Erwachsenenbildungseinrichtung zu bringen.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Es wird viel Diffamierendes geredet - Töpferkurse etc. Aber auch sie sind wichtig.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)