Protocol of the Session on May 15, 2019

Zweitens. Die aktuellen Basiszahlen finden wir regelmäßig fortgeschrieben im jeweils gültigen Landespflegebericht.

Drittens. Die so oft - auch in diesem Parlament - gescholtene Pflegekammer hat als eine ihrer ersten Amtshandlungen einen Bestandsbericht über die Situation der Pflege - und zwar fein regional gegliedert - vorgelegt. Ich sage Ihnen: Aktueller geht es überhaupt nicht. Die Dramatik, die wir in einigen Bereichen bei der Versorgung haben, wird daraus deutlich.

Viertens. Es ist auch nicht, wie FDP und Grüne in ihrem Entschließungsantrag schreiben, unser Problem, dass die Pflegekassen die tariflichen Vergütungen nicht berücksichtigt haben. Selbst die Anbieterseite sagt, dass sich an dieser Stelle die Pflegekassen absolut rechtskonform verhalten.

Insofern, meine Damen und Herren, geht Ihr Antrag an dieser Stelle ins Leere.

Das Problem liegt ganz woanders. Wenn sich nämlich Pflegekassen und Pflegeanbieter nicht einigen, dann rufen sie die Schiedsstelle an. Im Schiedsverfahren bildet die Schiedsstelle einen sogenannten externen Betriebsvergleich. Das heißt, sie bildet einen Mittel- bzw. Durchschnittswert aller anfallenden Kosten einzelner Anbieter. Je mehr Pflegeanbieter keinen Tariflohn zahlen, umso niedriger wird der Mittelwert und umso dramatischer sind die Auswirkungen für alle tarifgebundenen Pflegedienste. Diese können nämlich ihre Löhne nicht mehr refinanzieren und gehen pleite oder werden zu untertariflicher Zahlung gezwungen, siehe sogenannte Notlagenverträge.

Meine Damen und Herren, untertarifliche Bezahlung wird dadurch zum Wettbewerbsvorteil, fördert die Gewinnmaximierung und beschleunigt gleichzeitig den Fachkräftemangel. - Herr Försterling, das ist der wirkliche Skandal in der Pflege!

(Beifall bei der SPD)

Ich sage Ihnen auch: Es ist eben nicht so, wie Sie hier dargestellt haben, dass niemand etwas gegen tarifliche Entlohnung habe. Nein, es ist genau umgekehrt. 80 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Pflege bekommen keine tarifliche Entlohnung, weil dort eine ganze Gruppe von Anbietern null Interesse an tariflicher Entlohnung hat, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Johanne Mod- der [SPD]: So ist es!)

Insofern hat der Bundesgesetzgeber auch versucht, dies zu ändern, indem er daraus rechtliche Konsequenzen gezogen hat und die Pflegekassen zwingt, tarifliche Bezahlung anzuerkennen. Das tun die auch. Wenn dann aber die Schiedsstelle wieder einen Mittelwert bildet, dann ist die tarifliche Bezahlung wieder außen vor. Dagegen könnten kleine Pflegeanbieter klagen. De jure können sie es. De facto können sie es nicht, weil sie dann nämlich abwarten müssen, wie solch ein Verfahren nach Jahren gegebenenfalls höchstrichterlich ausgeht, und bis dahin keinerlei Verbesserungen ihrer Pflegesätze bekommen würden, d. h. sie wären innerhalb kürzester Zeit pleite.

Deshalb reden wir hier eigentlich über ganz andere Fragen, über sehr grundsätzliche Fragen, die einer schnellen Lösung bedürfen:

Erstens. Wir müssen kleinen Trägern die Möglichkeit geben, juristisch durchsetzen zu können, dass sie andere Pflegesätze bekommen. Sie müssen dafür stellvertretend ein Verbandsklagerecht eingeräumt bekommen, weil sie das ansonsten selber gar nicht leisten könnten.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Wir müssen den kleinen Anbietern die Möglichkeit geben - wir wissen alle, über welche Größenordnungen wir da reden -, dass ihre Dachverbände für sie stellvertretend Pflegesatzvereinbarungen führen können.

Drittens. Ja, in der Tat, wir brauchen dringend einen Tarifvertrag Soziales. Diese Forderung ist nicht falsch, nur weil sie 2015 gescheitert ist. Sie ist heute so akut wie damals. Sie ist heute noch akuter als damals, Frau Kollegin Janssen-Kucz.

(Beifall bei der SPD)

Insofern bitten wir die Landesregierung erneut, hier moderierend tätig zu werden.

Wenn diese regelmäßig stöhnenden Gruppen in der Pflege mal endlich ihre interessengeleiteten Einzelinteressen zur Seite stellen würde und sich auch darüber im Klaren wäre, dass die tarifliche Entlohnung - das Grundelement für gute Arbeit sozusagen - einer der wichtigsten Punkte ist, um Fachkräfte rekrutieren zu können, dann würde sie auch aufhören, sich dieser tariflichen Zahlung ständig zu verweigern, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Petra Joumaah [CDU])

Deshalb glaube ich, dass dieses wichtige Instrument dringend wieder angefasst werden muss.

Darüber hinaus ist es doch nur folgerichtig, wenn die Landesregierung sagt - und wir das unterstützen -: Wer zukünftig Landesmittel als Investitionshilfe für Pflegeeinrichtungen haben will, der bekommt sie nur noch dann, wenn er tariflich bezahlt. Sonst würden wir es ja noch fördern, dass die Einrichtungen untertariflich bezahlen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Also: Hauptursache sind nicht die Landesregierung und eine angeblich fehlende Rechtsaufsicht, die sie gar nicht durchführen kann.

Herr Schwarz, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Bothe von der AfD?

Bitte, Herr Bothe!

Vielen Dank, Herr Kollege Schwarz, dass Sie die Zwischenfrage zugelassen haben.

Meine Frage zielt auf den Tarifvertrag Soziales. Wie wollen Sie bei dem aktuellen System mit den Zuzahlungen der Pflegekassen verhindern, dass die Eigenanteile für Pflegebedürftige explodieren? Wie wollen Sie diese dann entlasten?

(Zuruf bei SPD: Es geht um die Mitar- beiter!)

Das kann ich Ihnen genau sagen; denn an der Stelle haben Sie wirklich recht. Wir müssen uns unabhängig von der Frage eines Tarifvertrages Soziales ernsthaft über das zukünftige System der Pflege unterhalten müssen.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Meta Janssen-Kucz [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, wir werden das System der Teilkaskoversicherung an dieser Stelle nicht weiterführen können. Wir werden so lange über fehlende Refinanzierung reden, solange genau das passiert, was Sie angesprochen haben. Jede Verbesserung in der Pflege geht nach Abzug der Festbeträge durch die Pflegekassen, also zu mehr als 50 %, entweder zulasten der Pflegebedürftigen oder ihrer Angehörigen oder aber der Sozialhilfe. Deshalb sage ich Ihnen: Dieses Land, diese Bundesrepublik Deutschland muss sich darüber im Klaren werden, dass die Pflege so auf Sicht massiv gegen die Wand fährt. Sie ist so nicht zu finanzieren!

Es wird in der Tat - da greife ich eine Formulierung auf - eine Katastrophe geben, wenn die Babyboomer-Jahre, nämlich meine Generation - da geht das nämlich los -, pflegebedürftig werden. Dann werden wir feststellen müssen, dass die Pflege in Deutschland nicht mehr funktioniert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen gemeinsam darüber reden, ob das zukünftig eine staatliche, über Steuern finanzierte Leistung werden soll - wie in Skandinavien - oder ob wir eine vollwertige Sozialversicherung brauchen. So kann

es überhaupt nicht weitergehen! Das sind die eigentlichen Probleme. Wenn wir die gemeinsam anfassen, dann können wir wechselseitig auf - übrigens unzutreffende - Schuldzuweisungen verzichten. Dann haben wir eine richtig dicke Aufgabe, und dann gehen wir sie bitte gemeinsam an!

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Volker Meyer [CDU])

Danke schön, Herr Kollege Schwarz. - Zum Abschluss hat sich in der Debatte jetzt Frau Dr. Reimann gemeldet.

(Meta Janssen-Kucz [GRÜNE]: Ich hatte eine Kurzintervention!)

- Es gibt noch eine Kurzintervention von Frau Meta Janssen-Kucz auf den Beitrag von Herrn Schwarz. - Frau Ministerin, einen kleinen Moment!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor allem vielen Dank, Herr Kollege Schwarz. Gewisse Spitzen sind ja in der politischen Auseinandersetzung immer dabei. Ich finde aber, dass Sie die gesamte Lage und das, wo Handlungsbedarf besteht, sehr konkret beschrieben haben.

Ich habe allerdings nicht so recht verstanden, über welche Zahlen Sie gesprochen haben. Die Zahlen im Landespflegebericht, die wir haben, sind von 2013. Wir haben jetzt 2019. Uns geht es wirklich um aktuelle und vor allem regionale Erhebungen. - Das ist das eine.

Auch bei dem Thema Sozialtarifvertrag sind wir nicht auseinander. Wir haben dort gemeinsam schon einmal etwas auf den Weg gebracht. Aber 2016 ist das im Tarifausschuss, der paritätisch mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzt ist, gescheitert. Damit war das vom Tisch.

Es ist mir wichtig, dass wir in der Sache vorankommen und dass wir die Einigung, die jetzt gerade mit der Diakonie und der AWO erzielt wurde, nur als Zwischenschritt bewerten. Ich glaube, dass in diesem Bereich auch Nachholeffekte sind.

Wir haben da also mehrere Baustellen. Unser Antrag ist ein Aufschlag. Ihr Antrag ist ein zweiter. Wir könnten noch einiges hier benennen. Aber ich kann wirklich nur appellieren, dass wir zusammen vorankommen - das, was ich gern schon im Rahmen der Enquete gemacht hätte -, die Großbau

stelle Pflege, gerade die ambulante Pflege in Niedersachsen, anzupacken.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der FDP)

Herr Kollege Schwarz wird erwidern.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Meta Janssen-Kucz, vielen Dank für die Versachlichung der Debatte an dieser Stelle.

Ich sage es noch einmal: Erstens. Die Pflegekammer hat hochaktuelle Zahlen auf den Tisch gelegt. Gucken Sie sich die einmal an!

(Meta Janssen-Kucz [GRÜNE]: Nur für die Fachberufe!)

Zweitens. Es ist mir wirklich ganz wichtig, was Sie eben angesprochen haben. 2015 ist in der Tarifkommission im zweiten Anlauf ein Tarifvertrag Soziales in Niedersachsen - konkret in Niedersachsen und in Bremen - gescheitert. Er wäre bundesweit der Durchbruch gewesen. Er ist an der privaten Anbieterseite und an der kommunalen Seite gescheitert, weil die jeweils keinen Bock hatten, mit zusätzlichen Beträgen belastet zu werden. Das war eben meine grundsätzliche Aussage.