Protocol of the Session on September 12, 2018

Der vorliegende Gesetzentwurf hebelt wichtige Rahmenbedingungen, die für einen fairen Wettbewerb der Betriebe, für anständige Bezahlung der Beschäftigten und für ökologische und soziale Standards sorgen, aus. Für diese Rahmenbedingungen, meine Damen und Herren, haben wir unter Rot-Grün gesorgt, und wir brauchen an dieser Stelle alles andere als einen Rückschritt oder Kahlschlag des Vergabegesetzes.

Gleich in § 1 des Gesetzentwurfes wollen Sie den Passus „umweltverträgliche und soziale Beschaffung durch die öffentliche Hand fördern“ streichen. Ihr Gesetzesentwurf spricht dann auch nur noch von einem Vergabegesetz und nicht mehr von einem Tariftreue- und Vergabegesetz. Das, meine Damen und Herren, ist mit uns nicht zu machen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wir haben mit dem geltenden Gesetz garantiert, dass öffentliche Auftraggeber mit ihrer Marktkraft Einfluss auf einen fairen Wettbewerb und auf faire Arbeitsbedingungen nehmen können und auch müssen.

Ihr Gesetzesentwurf, liebe Kollegen der FDP, geht unter dem Deckmantel einer gewollten Verschlankung gleich mehrere Schritte zurück. Wichtige Auswahlkriterien sind aufgeweicht bzw. Teile ganz gestrichen. So haben Sie beispielsweise die Anforderung nach dem Mindestlohngesetz kurzerhand komplett herausgenommen.

(Jörg Bode [FDP]: Das gilt doch eh!)

Die Tariftreue spielt im FDP-Gesetzentwurf dann auch keine Rolle mehr - so, als ob es nie ein Problem mit Lohndumping bei der öffentlichen Vergabe in diesem Land gegeben hätte. Ich erinnere nur einmal an die Vorgänge um den Gefängnisbau in Rosdorf im Jahr 2004 - zutiefst menschenverachtende, sogenannte „Löhne“ von drei Euro wurden den Menschen damals gezahlt, die im Auftrag des Landes Niedersachsen ein Gebäude errichteten. Meine Damen und Herren, das wollen wir wohl alle nicht mehr. Mit der Reform des Vergabegesetzes im Jahr 2013 haben wir uns deswegen für „Gute Arbeit“ stark gemacht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen nicht weniger, sondern wir brauchen mehr Tarifbindung, wie es in Bremen gerade vorgemacht wurde. Dort ist z. B. die Vergabe öffentlicher Bauaufträge seit Ende 2017 wieder an repräsentative Tarifverträge gebunden. Dem Beispiel sollten wir in Niedersachsen folgen.

Es ist unsere politische Aufgabe und unsere Verpflichtung, Menschen vor Ausbeutung und gefährlichen Arbeitsbedingungen zu schützen. Und wir meinen, dass Politik auch dafür zu sorgen hat, dass die Betriebe, die ihre Leute fair und gerecht bezahlen, dadurch keinen Wettbewerbsnachteil erleiden.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Frank Henning [SPD])

Die FDP lehnt mit ihrem Entwurf auch die neue EU-Vergaberichtlinie - Herr Henning wollte nicht darauf eingehen - ab. Wir haben sie aber in nationales Recht umzusetzen. Das ist die Richtlinie 214/24/EU, in der es um umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche Verpflichtungen geht, die einzuhalten sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben aus guten Gründen dafür gekämpft, dass auch hierzulande keine Produkte oder Materialien verwendet werden, die z. B. mithilfe von Kinderarbeit produziert werden. Wir halten es heute für wichtiger als jemals zuvor, dass die Beschaffung des Landes umweltbewusst aufgestellt sein muss. Da Sie diese wichtigen Errungenschaften aber nicht wertschätzen, ist es für uns klar, dass wir diesen Gesetzentwurf so ablehnen.

Lieber Kollege Bode, wenn es Ihnen wirklich um praktikable Lösungen und Verschlankungen geht, und zwar ohne all das auszuhebeln, was ich genannt habe und was Ihr Gesetzentwurf nicht mehr vorsieht, dann können wir uns im Fachausschuss gerne im Detail darüber unterhalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Herr Kollege Bode möchte sich jetzt gleich unterhalten. Kurzintervention - 1:30 Minuten. Bitte schön!

Lieber Kollege Schulz-Hendel, um gleich ein Missverständnis aus der Welt zu schaffen - das gilt auch für die Einlassungen der SPD -: Der Landtag kann geltende Bundesgesetze nicht außer Kraft setzen. Das Mindestlohngesetz beispielsweise gilt unabhängig davon, ob in dem Landesgesetz die Vorlage entsprechender Nachweise ausdrücklich gefordert wird. Die ILO-Kernarbeitsnormen gelten

unabhängig davon, ob ihre Beachtung in diesem Gesetz gefordert wird oder nicht.

Es geht um die Frage, ob wir die Auftragsvergabe so praktikabel gestalten können, dass Mitarbeiter keine Angst davor haben müssen, dass in ihrem Referat eventuell tatsächlich einmal ein Auftrag vergeben werden soll. Das ist unser Ansatz.

Das heißt, bei einem Verstoß gegen das Mindestlohngesetz - Stichwort 3 Euro Stundenlohn etc. - kann heute eine öffentliche Auftragsvergabe gar nicht rechtskonform erfolgen, weil an der Stelle schlicht und ergreifend das Bundesgesetz gilt.

Ich will Ihnen noch einen anderen Aspekt in Erinnerung rufen: In der letzten Legislaturperiode wurde in einem Landkreis eine berufsbildende Schule gebaut. Dabei tauchten auf einmal Hunderte von Subunternehmern auf - alles angeblich Einzelunternehmen aus osteuropäischen Ländern -, was im Ergebnis schlicht und ergreifend Sozialversicherungsbetrug dargestellt hat. Die Landesregierung bzw. der damalige Wirtschaftsminister hat auf unsere Anfrage dazu gesagt: Er sieht keinen Anlass, hier tätig zu werden und einzuschreiten.

Unser Gesetzentwurf sieht deshalb vor, dass die nachträgliche Einschaltung von Subunternehmern der Zustimmung des öffentlichen Auftraggebers, der Kommune oder des Landes, bedürfen, damit solche Missstände wie in der letzten Legislaturperiode schlicht und ergreifend nicht wieder auftauchen.

Wir wollen es also unbürokratisch und einfach, aber natürlich auch keinerlei Sozialdumping.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Bode. - Herr Kollege Schulz-Hendel möchte offensichtlich nicht antworten. Dann hat jetzt das Wort der Kollege Bley, CDU-Fraktion. Bitte schön!

(Zustimmung bei der CDU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein modernes und schlankes öffentliches Vergaberecht ist im Interesse weiter Teile dieses Hauses. Nicht nur die einbringende FDP, sondern auch die Koalitionsfraktionen streben eine Novellierung des Vergaberechtes an.

Wichtig ist dabei allerdings vor allem eines: Augenmaß. - Daran scheint es im Entwurf der FDP am Ende dann doch zu fehlen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Das Vergaberecht muss angepasst werden; darüber dürften wir alle uns weitgehend einig sein. Zu diskutieren ist vor allem der Weg, den wir einschlagen wollen. Neben den Anpassungen an das geänderte Bundesrecht geht es doch darum, was funktioniert und was nicht funktioniert.

Aus Sicht der Koalitionsfraktionen geht es hier aber um eine Novellierung, nicht um einen Kahlschlag. Genau das ist der Entwurf der FDP.

(Zustimmung von Mareike Lotte Wulf [CDU] und Frank Henning [SPD])

Aus Sicht der CDU ist es ein gutes und wichtiges Ziel, das Vergaberecht schlank, transparent und verständlich zu gestalten. Daher sind wir dem Wirtschaftsminister und dem Wirtschaftsministerium dankbar, dass es im Bereich Bürokratieabbau eine deutliche personelle Verstärkung gibt. Die grundsätzliche Überprüfung der Berichts- und Dokumentationspflichten entlastet unsere Wirtschaft und hilft insbesondere Handwerk und Mittelstand. Gut finden wir die Idee, den Anwendungsbereich anzupassen, damit Aufwand und Nutzen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Die Anpassung muss aber maßvoll ausfallen und darf nicht wie ein Dammbruch wirken.

Die Werte in Höhe von 100 000 Euro für freihändige Vergaben, 250 000 Euro für beschränkte Ausschreibungen und 1 Million Euro für Bauleistungen sind dann doch sehr ambitioniert.

(Zustimmung von Mareike Lotte Wulf [CDU])

Interessant finde ich die Idee, bei der Angebotseinholung einen Anbieter, der nicht aus der Region stammt, und einen Anbieter, der in den letzten zwei Jahren nicht für den öffentlichen Auftraggeber tätig war, zu berücksichtigen. Gerade für mittelständische Unternehmen, die nur mit Mühe bei öffentlichen Aufträgen zum Zuge kommen, könnte dies wirklich etwas bringen.

Wenig logisch sind die Regelungen zur Qualifikation auf der einen Seite und zur Sanktionierung auf der anderen Seite. Es ist gut, wenn die Notwendigkeit der Fachkunde deutlich hervorgehoben wird. Warum aber die Möglichkeit fehlt, unzuver

lässige Auftraggeber von künftigen Vergaben auszuschließen, ist mir nicht begreiflich.

(Zustimmung von Mareike Lotte Wulf [CDU])

Hier scheint in dem Eifer, durch eine Zusammenfassung der Paragrafen zu Kontrolle und Sanktionen den Umfang zu reduzieren, etwas Wichtiges verloren gegangen zu sein.

Wir haben es in diesem Hohen Hause doch selbst erlebt: Die Ausschreibung zum Brandschutz hat deutlich gemacht, was bei unzuverlässigen Anbietern und unangemessen niedrigen Angeboten passiert. Unser Landtagsvizepräsident Bernd Busemann kann ein Lied davon singen, mit welchen Tricks und Kniffen versucht wurde, nachträglich noch bestimmte Preisvorstellungen durchzusetzen, und wie schwierig es gewesen ist, den Anbieter zu ersetzen und den Bau abzuschließen. Diese Lehre sollten wir bei dieser Novelle wahrlich nicht ignorieren.

Meine Damen und Herren, auch in anderen Bereichen, in denen eine Verschlankung erreicht werden sollte, ist der Entwurf über das Ziel hinausgeschossen. Die Pflichten von Auftragnehmern und ihren Nachunternehmern sind im FDP-Entwurf kaum noch zu erkennen. Mehrere Paragrafen zu Umwelt-, Sozial- und Arbeitsstandards sind auf einige dürre wenige Zeilen zusammengeschmolzen - wobei ich persönlich auch gegen vergabefremde Kriterien bin bzw. sein werde.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Die Regelungen zum ÖPNV sind vollständig verschwunden. In der Begründung ist Ihnen der Umstand keine besondere Erwähnung wert. Oder dachten Sie, wir würden diese massive Veränderung nicht mitbekommen?

(Jörg Bode [FDP]: Das habt ihr früher auch gefordert!)

Wir haben sie gesehen und werden sie nicht mittragen - jedenfalls nicht in Gänze.

Und ist es wirklich notwendig, die Angemessenheit des Angebotspreises erst dann zu prüfen, wenn das Angebot um 20 % abweicht?

(Jörg Bode [FDP]: Das steht da nicht!)

Das bedeutet eine Verdopplung des alten Wertes. Für mich ist nicht erkennbar, wie auf diesem Wege der Wettbewerb gestärkt werden sollte. Und überhaupt: Wenn ein Anbieter in der Lage ist, 10 %

unterhalb der Konkurrenz zu landen, sollte es ihm mühelos möglich sein, seine Preisvorteile zu erläutern. Denn das ist die beste Werbung für ein wettbewerbsstarkes Unternehmen.

Die Koalitionsfraktionen werden in Kürze ihre Vorstellungen darüber präsentieren, wie das Vergaberecht angepasst werden soll. Die EU-Tauglichkeit ist uns dabei schon sehr wichtig. Wir werden die Anpassung an das Bundesrecht vornehmen und uns den Themen Unterschwellenvergabeordnung sowie Unterschwellenrechtsschutz widmen. Die Tariftreue muss auch in Zukunft dort Beachtung finden, wo es nach EU-Recht möglich ist.