Protocol of the Session on June 19, 2018

Was ist die Antwort auf diese Sprachlosigkeit? Haben wir 95 Antworten, wie sie Martin Luther vor 500 Jahren an die Tür der Pfarrkirche von Wittenberg geschlagen hat? Haben wir diese Antworten, oder sind wir nicht vielmehr in einer Zeit der Suche, der Orientierung, in der wir uns auch als Nation in Zeiten des Wandels in Demografie, Bevölkerung, Klima, Arbeitswelt und Kommunikation auf neue Zeiten einstellen müssen?

Meine Damen und Herren, vielleicht sind wir aktuell nicht in der Zeit der 95 klaren Antworten, sondern in der Zeit der Suche und der eigenen inneren Befragung, des Nachdenkens, des Innehaltens, der Selbstprüfung und - wo nötig - auch der Selbstkritik. - Wenn ich in diesen Tagen in das politische Berlin schaue, dann fehlt mir diese Eigenschaft vielfach, und eben hat sie mir auch gefehlt.

Ein Tag des Innehaltens ist der Buß- und Bettag. Die Frage, die wir uns an diesem Tag stellen und stellen dürfen, stellen müssen, ist die Frage nach unserer Authentizität. Er lässt sich transformieren in die heutige, in unsere Zeit, muss nicht ergänzt, uminterpretiert oder mit einer neuen DNA ausgestattet werden - so, wie es Landesbischof Meister für den Reformationstag in der Anhörung erklärte.

Er wirkt mit einem Anspruch auf jeden und so, wenn wir wollen, auch gesellschaftlich.

Deshalb darf ich mit den Worten des bayerischen Evangelisch-Lutherischen Landesbischofs Heinrich Bedford-Strohm schließen, der zugleich Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche in Deutschland ist. Ich zitiere:

„Der Buß- und Bettag ist nicht nur ein innerkirchlicher Feiertag. Er ist ein öffentlicher Feiertag, den wir für unsere politische Kultur dringend brauchen. Deswegen ist er so wichtig, und deswegen sollte er auch wieder zum gesetzlichen Feiertag werden. Im Buß- und Bettag steckt eine Vision für unsere Gesellschaft. Für eine Gesellschaft, die innehält und nachdenkt, für eine Gesellschaft, die fähig ist zur Veränderung … Und in diesem Tag steckt die Vision für eine neue politische Kultur. Eine politische Kultur, in der das Zugeben von Fehlern und das Lernen daraus kein Zeichen von Schwäche ist, sondern ein Zeichen von Weisheit. Eine politische Kultur, die darin stark ist, dass sie Fehlentwicklungen erkennt und korrigiert. Eine politische Kultur, in der Respekt und Achtung vor dem anderen nicht nur in Festreden beschworen, sondern zum Lebenselixier werden.“

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in diesem Sinne werbe ich im Namen der 13 Mitunterzeichner unseres Änderungsantrages für die Einführung des Buß- und Bettages als neuen gesetzlichen Feiertag in Niedersachsen. Mit ihm endet übrigens die Ökumenische FriedensDekade, in der die Überwindung gewaltsamer Konflikte und die Aufgabe der Religionen dabei bedacht werden, wie Frieder Marahrens, der Pastor der Evangelischen Erwachsenenbildung, in einem Leserbrief in der Neuen Osnabrücker Zeitung betonte. Nutzen wir unser freies Mandat!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Calderone. - Es hat nun für AfD-Fraktion Herr Abgeordneter Wichmann das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein Feiertag für Niedersachsen - und wieder debattieren wir. Ich respektiere jede der hier vorgetragenen Meinungen - das ist selbstverständlich -, aber ich

glaube, wir setzen hier ein falsches Zeichen. Denn wir sind uns bis auf wenige Ausnahmen hier im Hause einig, dass es aus Fairnessgründen einen neuen Feiertag in Niedersachsen geben soll. Seine Einführung wird die meisten Menschen im Lande freuen, aber die meisten davon wird es wenig interessieren, welchem Zweck dieser Feiertag gewidmet ist.

Umso mehr verwundert die Verbissenheit, mit der hier um diesen Zweck gerungen wird. Umso mehr verwundert, dass zu dieser Debatte die Redezeit gegenüber der üblichen Redezeit um 50 % erhöht wurde. Es verwundert, dass Sie ausgerechnet in dieser Sache den Fraktionszwang aufheben. Es verwundert, dass hier gleich die namentliche Abstimmung gefordert werden wird. Wir haben es schon gehört.

Das alles sind doch parlamentarische Mittel, die eigentlich dann zum Einsatz kommen, wenn es um die Kernfragen der politischen Auseinandersetzung geht, um Gewissensfragen, um Leben oder Tod. Man könnte glatt meinen, Niedersachsens Seelenheil hänge von dieser Debatte ab.

(Beifall bei der AfD)

Das, meine Damen und Herren, tut es nicht. Wir haben andere Probleme in diesem Land. Davon ist die ausufernde Kriminalität, sind die vielen, vielen Tötungsdelikte in letzter Zeit nur ein Beispiel. Die Menschen erwarten von uns, dass wir uns um diese Probleme kümmern. Dafür sind wir gewählt.

Insofern ist mein Verständnis für die zwischenzeitlich geradezu barock geführte Inszenierung dieser Debatte sehr begrenzt. Das Beste an der Debatte heute ist, dass wir die Sache endlich abstimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank. - Für die CDU-Fraktion hat nun Herr Kollege Nacke das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich an dieser Stelle recht herzlich bedanken für eine spannende und wertvolle Diskussion, die im Lande geführt wurde und an der sich sehr viele Menschen auf ganz unterschiedlichen Wegen beteiligt haben.

Nun haben wir die Erkenntnis - das haben wir leider, Frau Kollegin Piel, heute auch einmal erlebt -,

dass man, wenn man mit dem Ergebnis nicht einverstanden ist, manchmal dazu neigt, Verfahren zu kritisieren oder Motivationen anzuzweifeln. Ich halte das nicht für gerechtfertigt. Ich möchte auf einige Punkte zu sprechen kommen, die kritisiert worden sind.

Zunächst zum Verfahren. Da wurde kritisiert, dass es zunächst eine Zusage für einen Feiertag gegeben hat ohne eine Festlegung, welcher Feiertag es denn nun sein soll. - Ich stehe nach wie vor zu dieser Entscheidung. Denn es trifft die ganz große Mehrheit der Bevölkerung, die es als unfair empfunden hat, dass die Niedersachsen weniger Feiertage haben als andere.

Es wurde kritisiert, es habe eine Vorfestlegung durch SPD und CDU durch ihre jeweiligen Parteivorsitzenden gegeben. - Wenn eine solche Aussage im Wahlkampf getroffen wird, dann darf man in einem Wahlkampf doch wohl auch erwarten, dass es dann auch eine Aussage dazu gibt, welcher Feiertag es denn sein möge.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Herr Limburg, wenn Sie hier für sich in Anspruch nehmen, Sie hätten den Beginn der Debatte überhaupt erst in diesem Parlament gestartet, dann ist das natürlich falsch.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Das war die FDP! - Christian Meyer [GRÜNE]: Das war die FDP!)

Denn diese Debatte führen wir doch nicht erst in dieser Wahlperiode. Diese Debatte ist doch schon viel länger geführt worden und ist viel früher, zu einem früheren Zeitpunkt gestartet. Beispielsweise erinnere ich mich an eine intensive Debatte in 2014.

Es ist dann kritisiert worden, dass es einen Gesetzentwurf der Landesregierung gegeben hat. - Ich halte das nach wie vor für richtig. Der Gesetzentwurf der Landesregierung hat das Ganze auf den Weg gebracht. Was wäre die Alternative gewesen? - Ein Gesetzentwurf der Fraktionen. Dann hätte es bereits innerfraktionell Abstimmungen geben müssen, die wir dann - und nur auf diesem Wege - auch hätten vermeiden können. Deswegen hat die Landesregierung, der Ministerpräsident und der stellvertretende Ministerpräsident, in Absprache mit den Fraktionsvorsitzenden von SPD und CDU sehr frühzeitig, bereits im Januar festgelegt: Ja, es wird einen Gesetzentwurf geben, aber die Abstimmung darüber ist frei. Deshalb hat es auch innerhalb der CDU-Fraktion nie eine Festlegung

gegeben. Nach meiner Kenntnis ist es in der SPDFraktion auch so gewesen.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Es wurde dann angemahnt, dass es vorher eine Einigung mit den Glaubensgemeinschaften hätte geben müssen. - Es sind alle angehört worden, und eine Einigung ist natürlich schwierig. Ich komme darauf gleich noch zu sprechen.

Es ist aber auch angesprochen worden, und ich halte es für richtig, was Uli Watermann gerade angesprochen hat: Das Parlament ist der entscheidende Ort. Wir müssen heute entscheiden.

Insbesondere nach der Anhörung ist dann auch von dem einen oder anderen Journalisten gesagt worden, man sollte den Entwurf zurückziehen, man sollte länger beraten, ein Neustart der Argumentation. - Aber auch hier gilt: Alle Argumente sind ausgetauscht. Ich glaube, wir sind inzwischen in Kenntnis aller Argumente. Deswegen können wir heute auch abstimmen. Ein weiteres Hinauszögern dieser Beratung würde keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn erbringen.

Dann wurde gesagt, es soll kein kirchlicher Feiertag sein. - Da bin ich ausdrücklich anderer Auffassung. Es ist ein gutes und kraftvolles Signal. Christliche Überzeugungen und Wertevorstellungen, die Errungenschaft der Aufklärung - die finden nun einmal ihren Anfang in der Reformation -, das sind die Wurzeln unseres Staatswesens und unserer europäischen Wertegemeinschaft.

Eine große Mehrheit der Menschen fühlt sich diesen Werten auch ohne religiöse Bindung verpflichtet. Ich finde, dass die Vorschläge für die weltlichen Feiertage dies noch einmal sehr gut zum Ausdruck bringen; denn sie basieren gerade auf christlichen Überzeugungen und auf den Erkenntnissen der Aufklärung.

Wenn man sich für einen christlichen Feiertag entscheidet, bleibt im Wesentlichen die Frage, ob der Buß- und Bettag, wie es zum Teil vertreten wird, besser geeignet ist. Er wäre - das muss man so sagen - eine der Insellösungen - so wie übrigens alle Vorschläge, die hier zusätzlich unterbreitet worden sind, die nur für Niedersachsen ein Feiertag wären. Insofern ist auch die Argumentation, dass es eine gemeinsame Grenze mit anderen Bundesländern gibt, nur begrenzt als Argumentation für die Vorschläge zu nutzen.

Im Bund wurde der Buß- und Bettag seinerzeit abgeschafft. Man muss an dieser Stelle zumindest

auch einmal auf den technischen Umstand hinweisen, dass damit ein Ausgleich für die Einführung der Pflegeversicherung geschaffen wurde und dass das möglicherweise auf uns zukommen würde. Im Gesetzentwurf der Landesregierung haben die Juristen das so bewertet, dass wir hier eine Schwierigkeit haben. Sachsen - das einzige Bundesland, das den Buß- und Bettag als Feiertag hat - hat genau diese zusätzliche Ergänzung im Bereich der Pflegeversicherung. Deswegen ist man im Ergebnis auch auf Bundesebene an einer Wiedereinführung gescheitert.

Es gibt auch keine vergleichbare Diskussion in den anderen Bundesländern. Weder in SchleswigHolstein noch in Hamburg oder Bremen hat es eine solche Diskussion gegeben. Auch in den katholisch geprägten Regionen, in den katholisch geprägten Bundesländern gibt es keine solche Diskussion, einen Feiertag zugunsten eines Buß- und Bettages aufzugeben. Insofern ist das eine sehr niedersächsische Debatte.

Es wird sogar ins Feld geführt, es sei ein evangelischer Feiertag. Darüber will ich mich nicht streiten.

(Glocke der Präsidentin)

Aber man sollte an der Stelle dann auch der evangelischen Kirche die Einschätzung lassen, welches der richtige Feiertag sei.

Es bleibt der Vorwurf, dass der Buß- und Bettag ins Feld geführt wurde, um den Reformationstag zu verhindern.

Es bleibt die Argumentation um Luther. Da kann ich die Argumente verstehen. Ich kann verstehen, wenn ein Abgeordneter, der aus einer katholisch geprägten Region kommt, wie dem Emsland, dem Landkreis Osnabrück - zumindest Teile davon -, dem Oldenburger Münsterland oder dem Eichsfeld, die Auffassung vertritt: In meinem Wahlkreis wird die Mehrheit der Bevölkerung diesen Feiertag nicht nachhaltig unterstützen. Deswegen fühle ich mich als Abgeordneter verpflichtet, einen ergänzenden Vorschlag zu machen.

Es bleibt natürlich die Frage: Ist es gerechtfertigt, in Niedersachsen, wo es einzelne Regionen gibt, in denen eine andere Glaubensrichtung - nämlich die katholische - überwiegt, entsprechend vorzugehen? - Ich will zumindest darauf hinweisen, dass es beispielweise in Bayern mit 18,9 % mehr evangelische Christen als Katholiken in Niedersachsen gibt. In Baden-Württemberg sind es 34 %, in Nordrhein-Westfalen 29,2 %. Es handelt sich also um

ein Problem, das auch in anderen Bundesländern besteht.

(Glocke der Präsidentin)

Ein Satz zu den jüdischen Gemeinden und den antisemitischen Äußerungen Luthers: Sie sind durch nichts zu rechtfertigen, auch nicht - das sage ich ausdrücklich - mit dem damaligen Zeitgeist. Ja, es ist eine Aufgabe der evangelischen Kirche und aller Religionsgemeinschaften, die kritische Auseinandersetzung über Luther zu führen, gerade dann, wenn wir uns heute entscheiden, einen Reformationstag als Feiertag zu berufen. Aber es wäre falsch, Luther und sein Wirken auf antisemitische Äußerungen zu reduzieren. Es wäre falsch, die Reformation auf Luther zu reduzieren. Die Reformation ist ein Weltereignis. Das erkennt auch jeder an, der diesen Feiertag nicht unterstützt.

Aus meiner Sicht ist die Reformation eines Feiertages würdig. Ich würde mich freuen, wenn wir zu einem Beschluss kommen, und lade alle Menschen in Niedersachsen ein, diesen Tag zu nutzen, um über die Bedeutung und die Folgen der Reformation zu reflektieren. Es würde sich lohnen.