- Es gab zwischendurch auch noch Regierungsveränderungen usw. Ich möchte jetzt nicht auf die Geschichte Elke Twesten zurückkommen, sondern versuche, das zu umschiffen.
(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Dr. Marco Genthe [FDP]: Elke Twes- ten ist schuld daran? Ich fasse es nicht!)
Vielen Dank, Frau Kollegin. Die Zeit für Entgegnung auf die Kurzintervention war abgelaufen. - Wir kommen zum nächsten Redner. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Belit Onay. Ich erteile dem Abgeordneten das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Oetjen hat schon angesprochen, wie die Beratungen gelaufen sind. Frau Osigus von der SPD-Fraktion hat das auch getan. Wir hatten von der Einbringung bis heute sechs Wochen Zeit, um ein solches sehr kleinteiliges Gesetz vom Ansatz her zu beraten, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Normalerweise spricht man hier im Landtag in solchen Fällen von einem „Schweinsgalopp“. Aber das trifft es hier nicht. Das Schwein galoppiert nämlich nicht, sondern es ist auf Geisterfahrt, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Ein Problem war tatsächlich der zeitliche Faktor. Das hat der GBD in seinen Vorlagen mehrfach deutlich gemacht. Er schreibt z. B.:
„Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Änderungsvorschläge können wir... angesichts der Kürze der Bearbeitungszeit sowie der Zahl und des Umfangs der Änderungsvorschläge keine Verantwortung übernehmen.“
„Eine ordnungsgemäße Bearbeitung ist angesichts der ins Auge gefassten Verabschiedung im Mai-Plenum unmöglich.“
„Aufgrund dieser Fahrpläne ist eigentlich nichts mehr zu retten. Verfassungsrechtlich ist das äußerst problematisch. Das kann man eigentlich nicht so machen.“
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Zeitdruck hätte eigentlich gar nicht bestanden. Das haben die Vorlagen und die Stellungnahmen der Expertinnen und Experten deutlich gemacht: Sollte nämlich bis Mai 2018, also bis zum jetzigen Monat, keine Änderung erfolgen, so gelten die bisherigen Regelungen weiter, soweit sie nicht durch höherrangiges europäisches Recht verdrängt werden.
Und in den Beratungen des Ausschuss kam der Hinweis - der ist besonders wichtig -: Lieber eine kurzfristige Rechtsunsicherheit für einen sehr, sehr kurzen Zeitraum hinzunehmen, in dem wir eine anständige Beratung hätten durchführen können, um dann ein anständiges Gesetz zu verabschieden, als eine Gesetzesvorlage im Eiltempo durchzuziehen, bei der es offensichtlich europarechtliche und verfassungsrechtliche Verstöße gibt, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Damit komme ich zu dem zweiten, dem schwerwiegenderen Problem, nämlich der datenschutzrechtlichen Geisterfahrt. Es ist ja nicht so, dass die Große Koalition nicht wusste, was sie tat: Der GBD hat es gesagt, und alle Expertinnen und Experten haben im Innenausschuss vernichtende Kritik geäußert. Im Grunde genommen muss man schon fast von Böswilligkeit sprechen, wie die Große Koalition mit diesem Gesetz umgeht, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Es war der absolute Offenbarungseid. Der Kollege Lechner von der CDU-Fraktion hat im Innenausschuss, als die Kritik vermutlich überbordend wurde, in Richtung des GBD gemeint, die Große Koalition könnte Gesetze auch ohne den Gesetzgebungs- und Beratungsdienst verabschieden.
Der heutige Vorsitzende des Innenausschusses hätte in der letzten Legislaturperiode von der Arroganz der Macht gesprochen. Ich glaube, das trifft es bei diesem Gesetz tatsächlich: Die Große Koalition peitscht mit der Arroganz ihrer Macht Gesetze durch das Parlament, ohne Rücksicht auf verfassungsrechtliche Verluste.
Die Datenschutzbeauftragte hat deutlich gemacht, dass der vorliegende und heute zur Abstimmung stehende Entwurf weit hinter dem bisherigen Datenschutzniveau zurückbleibt. Das ist wirklich sehr, sehr bitter; denn die Datenschutz-Grundverordnung - das hat der Kollege Oetjen schon gesagt - hatte als Grundgedanken ein höheres Datenschutzniveau, ein verständliches Datenschutzniveau, das sich europarechtlich in einem einheitlichen Raum bewegt.
Das sehen wir daran, dass die Vorgaben mangelhaft umgesetzt wurden. Das sehen wir z. B. bei der Videoüberwachung. Zukünftig wird eine Videoüberwachung schon dann zulässig sein, soweit sie zur Wahrnehmung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe erforderlich ist. Darüber hinaus finden sich im Gesetz nur einige wenige Beispielfälle, sodass wir hier eine Generalklausel haben, die zu einer ausufernden Zunahme von Videoüberwachung führen wird, obwohl die Landesdatenschutzbeauftragte in den Beratungen im Innen
ausschuss deutlich gemacht hat, dass es überhaupt keine Schutzlücke, beispielsweise beim Schutz öffentlicher Gebäude - dem Hauptanwendungsfeld der Videoüberwachung -, gibt. Also eine Veränderung ganz ohne Not, meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch die Argumentation in der Begründung bleibt Argumente schuldig.
Ein weiterer Klopper ist die Beschneidung der Befugnisse der Datenschutzbeauftragten. Dabei verlangt die Datenschutz-Grundverordnung unbedingt einheitliche Standards. Die Datenschutzbeauftragte als oberste Datenschutzaufsichtsbehörde kann zukünftig nur noch nette oder weniger nette Briefe an die Behörden schreiben. Aber für Verstöße öffentlicher Stellen beispielsweise ein Bußgeld zu verhängen, wird nicht mehr möglich sein.
Besonders dramatisch ist die Veränderung mit Blick auf die Polizeibehörden und die Staatsanwaltschaften.
Wir werden morgen über das Polizeigesetz und den massiven Zuwachs an Möglichkeiten sprechen, die die Polizei bekommen soll. Aber solchen weiteren Befugnissen der Polizei muss doch ein transparenter, nachvollziehbarer Kontrollmechanismus gegenüberstehen, z. B. bei der Datenschutzbeauftragten.
Das ist absolut nicht mehr möglich. Bei Strafermittlungen beispielsweise darf die Landesbeauftragte künftig erst nach Abschluss des Verfahrens tätig werden.
Die Staatsanwaltschaften sind künftig von der Datenschutzkontrolle ausgenommen, als wären sie unabhängig wie die Richterschaft. Das sind sie aber nicht. Diese Ausnahme ist völlig unnötig, weil sie sich auf keine EU-Vorgabe stützt. Sie ist vielmehr ein klarer Verstoß gegen das Europarecht. Und diesen Fehler macht man sehenden Auges!
Weitere Fachgesetze müssen angepasst werden. Das hat die Ausschussberatung deutlich gemacht. Ich habe das Innenministerium gefragt: Gibt es denn schon eine Sichtung der Problematik? Gibt es schon einen interministeriellen Arbeitskreis, der sich mit diesem Thema befasst? - All das wäre ja nötig; dessen sind sich auch die Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD bewusst. Auf meine
Frage antwortete das Innenministerium, dass man diesen Gedanken gerne aufnehme und weiterverfolgen werde. Ich freue mich zwar, dass ich dem Innenministerium da auf die Sprünge helfen konnte. Aber diese Bräsigkeit ist der Sache unwürdig.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, insgesamt war die in der Beratung geäußerte Kritik an diesem Gesetzentwurf absolut vernichtend, trotz der Kürze der Zeit. Das ist wirklich ein Novum. Wir hatten schon keinerlei Erwartung, dass diese Große Koalition etwas für die Bürgerrechte tun werde. Aber selbst diese Erwartung haben Sie noch maßlos enttäuscht.
Wir werden Ihnen das so nicht durchgehen lassen. Ich nehme den Redebeitrag von Frau Osigus sehr ernst. Sie hat hier noch einmal deutlich gemacht, dass die Fraktionen der SPD und der CDU sehenden Auges einem Gesetzentwurf zustimmen möchten, der europarechtswidrig und verfassungswidrig ist. Gerichte sollen sich damit befassen und es geradebiegen. Das kann aber nicht der Anspruch eines Parlaments sein! Das kann nicht der Anspruch des Niedersächsischen Landtags sein.
Ich beantrage, den Gesetzentwurf in den Ausschuss zurückzuüberweisen, damit wir eine anständige Beratung durchführen und den Entwurf verbessern können.
Für den Fall, dass Sie dem nicht folgen, kündige ich schon jetzt an: Wir werden dieses Gesetz einer rechtlichen Prüfung zuführen. Wir werden eine Beschwerde bei der EU-Kommission einreichen. Es soll ruhig ganz Brüssel und ganz Straßburg wissen, was Sie hier verzapfen!
Vielen Dank, Herr Kollege Onay. - Ich habe notiert, dass Sie die Rücküberweisung des Gesetzentwurfs in den Ausschuss beantragen. Das halten wir fest.
(Dr. Stefan Birkner [FDP]: Eigentlich könnt ihr nichts gegen die Rücküber- weisung sagen, es sei denn, ihr gebt euch als Parlamentarier auf!)
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Belit Onay, es gehört schon viel Mut dazu, sich hier ans Podium zu stellen und mir, der CDU und der SPD Arroganz der Macht vorzuwerfen.