Protocol of the Session on March 1, 2018

Die FDP-Fraktion hat nun offenbar auch ein besonderes Interesse daran, die Tilgung von Altschulden in die Verfassung aufzunehmen. Ich weise noch einmal deutlich darauf hin, dass auch uns die Tilgung von Altschulden am Herzen liegt. Auch mir persönlich liegt sie am Herzen. Ich habe gerade gesagt, dass dies zu den haushaltstechnischen Grundsätzen gehört, die wir in der Koalitionsvereinbarung festgehalten haben.

Der Artikel 109 des Grundgesetzes setzt uns mit der Schuldenbremse einen festen, verbindlichen Rahmen für die Haushaltspolitik. Darin hat die Vermeidung von neuen Schulden absolute Priorität. Dieses Ziel soll in Niedersachsen entsprechend verankert werden. Es wird aber schon vor der Schaffung einer neuen Regelung erreicht. In dieser Legislaturperiode werden also keine neuen Schulden gemacht.

Sie sagen nun, Sie brauchen einen Turbo zum Abbau von Verschuldung. Die Tilgung liegt auch uns am Herzen. Das hatte ich Ihnen geschildert. Ich werde Ihnen das auch im Abschluss 2017 vorlegen. Dazu bedarf es keines Vorschlags durch die

FDP für eine Verfassungsänderung. Das wird schon beim Haushaltsabschluss 2017 verwirklicht. Ich habe den festen Willen, das darzustellen.

(Vizepräsidentin Petra Emmerich- Kopatsch übernimmt den Vorsitz)

Wenn wir handlungsfähig bleiben und die Interessen des Landes wahrnehmen wollen, bedürfen die zukünftigen Haushalte auch weiterhin der politischen Abwägung. Ihre Konstellation ist technisch nach den Vorgaben des Grundgesetzes überhaupt nicht möglich, weil die Mittel aus der Konjunkturkomponente, die angenommen wird - Sie sprechen ja hier von konjunkturellen Steuermehreinnahmen, die Sie in die Tilgung stecken wollen -, zukünftig in der Konjunkturkomponente bleiben.

Die Konjunkturkomponente sieht vor, dass wir, wenn die Konjunktur unter normal läuft, einen Ausgleich schaffen können. Den müssen wir aber systemisch in den Zeiten wieder zurückführen, in denen die Konjunktur anzieht. Das ist ein fester Mechanismus. Auf diese Konjunkturkomponente können Sie weder in negativen noch in positiven Zeiten zugreifen. Das heißt, dass für die Schuldentilgung nur strukturelle Steuermehreinnahmen genutzt werden könnten. Das ist zukünftig eine Aufgabe. Strukturelle Mehreinnahmen gehen meistens auch mit strukturellen Verschiebungen oder strukturellen Fragen einher, die dann ihren Ausdruck auch darin finden, dass Verfassungsgüter abgewogen werden. Wenn das Recht auf Bildung nicht mehr dargestellt werden kann, wird Ihre Enkelfestigkeit zu einem Enkelschreck, weil die Schulen nicht mehr ordentlich ausgestattet sind und wir die Schulen nicht mehr bedienen können. Das haben wir zukünftig abzuwägen. Da ist ein Automatismus, wie Sie ihn vorschlagen, überhaupt nicht möglich.

Auch die Experten, die Sie zitiert haben, haben ja nicht Ihren Vorschlag für eine Verfassungsänderung gelobt, sondern haben nur gesagt, sie seien für die Altschuldentilgung. Auch dazu bekenne ich mich heute offen und deutlich. Aber Ihre Experten haben nicht zu der Frage Stellung genommen, ob Ihre verfassungsrechtliche Vorgabe verfassungsmäßig, rechtmäßig und zielführend ist.

(Christian Grascha [FDP]: Unser Vor- schlag ist ja auch neu!)

Auch zukünftig wird es der haushaltspolitischen Diskussion hier bedürfen, Altschulden zu tilgen. Noch einmal: Dafür spreche ich mich deutlich aus.

Aber das Korsett, das Sie dem Haushalt anlegen wollen, würde den Haushalt auf das jetzige Niveau festzimmern. Sie hätten keine Möglichkeit mehr, Verfassungsgüter gegeneinander abzuwägen. Das kann nicht vernünftig sein. Eine solche Regelung wäre nicht zielführend.

Sie müssen Spielräume nutzen, um eine Tilgung zu erarbeiten. Aber auch zukünftig wird es in der Haushaltshoheit und in der Verantwortung der Politiker liegen, Geld für die Altschuldentilgung bereitzustellen.

Ihre Szenarien, was die Zinsaufwendungen für die Altschulden angeht, funktionieren nicht so, wie Sie es dargestellt haben, weil wir ja auch Durationen in der Verschuldung haben. Wenn eine Zinssteigerung um einen Prozentpunkt ansteht, schlägt nicht die ganze Landesschuld schon im nächsten Jahr mit 1 % mehr zu Buche. Vielmehr sind Durationen enthalten. Das können wir Ihnen im Ausschuss gerne näher erläutern.

(Christian Grascha [FDP]: Ganz blöd bin auch ich nicht!)

Bei dieser Frage geht es aber darum, dass der Gesetzgeber auch zukünftig die Haushaltshoheit behält, darüber zu entscheiden, wie mit der Altschuldentilgung umgegangen werden soll. Das wird auch zukünftig eine politische Aufgabe sein. Die Leitplanke ist, zukünftig keine neuen Schulden mehr aufzunehmen, also die Neuverschuldung null.

Dabei gibt es aber eine systemische Komponente: Wenn eine Unterauslastung der Konjunktur gegeben ist, können diese Schwankungen ausgeglichen werden. Sie müssen aber sofort, wenn die Konjunktur wieder anzieht, zurückgeführt werden. Das ist ein fester Kreislauf, in den Sie nicht eingreifen können. Da wird Ihre Gesetzesänderung nicht zielführend sein.

(Christian Grascha [FDP]: Auch das grenzt die Spielräume ein!)

Eine kurze Anmerkung zur Klarstellung verfassungsrechtlicher Art, was die Kommunen angeht: Es wird nicht so einfach sein, dass es ausreicht, nur den Leistungsfähigkeitsartikel aus der Verfassung zu streichen.

Es ist keine Frage: Wir werden die Schuldenbremse nicht auf Kosten der Kommunen einführen. Es wird weiter darum gehen, dass eine aufgabenparitätische Verteilungssymmetrie gleichgewichtig nebeneinander dargestellt und klargestellt wird.

Das soll in einer Verfassungsänderung entsprechend festgehalten werden. Also: Keine Schuldenbremse auf Kosten der Kommunen! Aber eine einfache Streichung des Leistungsfähigkeitsvorbehalts kann auch nicht zielführend sein. Denn das würde die Kommunen zuerst bedienen, bevor die Interessen des Landes bedient würden. Das muss in einer vernünftigen Abwägung stattfinden.

(Christian Grascha [FDP]: Das wollten Sie in der letzten Legislaturperiode auch noch!)

- Herr Grascha, damals hatten wir eine andere Situation.

(Christian Grascha [FDP]: Das war keine andere!)

Wir müssen die Leistungsfähigkeit vor dem Hintergrund der systemischen und symmetrischen Aufteilung der Aufgaben diskutieren, die wir in unserem Land haben. Das werden wir mit den Kommunen vertrauensvoll tun.

Meine Damen und Herren, Sie können von uns erwarten, dass noch in diesem Jahr ein Gesetzentwurf zur Verfassungsänderung vorgelegt wird, zusammen mit einem Gesetzentwurf, der die Ausführungsbestimmungen dazu regelt. Ich freue mich auf die Diskussion, die wir dann gemeinsam führen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister Hilbers. - Jetzt liegt noch eine Wortmeldung zum gleichen Tagesordnungspunkt von Stefan Wenzel für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine Verschuldung in Höhe von round about 60 Milliarden Euro sowie eine implizite Verschuldung auf der einen Seite und gute Konjunktur und gute Steuereinnahmen sowie historisch niedrige Zinsen auf der anderen Seite - das ist, kurz gesagt, die Lage.

Die zentrale Frage, die schon viele Generationen vor uns diskutiert haben, ist: Warum entsteht Verschuldung? - Früher waren es oft Kriege und Krisen, die immer wieder Ursache dafür waren, dass sich Staaten hemmungslos verschuldet haben und

in Abhängigkeiten geraten sind. Heute gibt es andere Beispiele wie die USA, die dem Rest der Welt zumutet, den Dollar als Reservewährung zu akzeptieren und auf Geldpolitik setzt.

Geldpolitik unterliegt aber aus historischen Gründen in Europa und besonders in der Bundesrepublik besonderen Restriktionen, muss aber ebenso im Zusammenhang mit Artikel 109 des Grundgesetzes, der Politik der Fed und der EZB unter dem Stichwort „quantitive easing“ bzw. „quantitative Lockerung der Geldpolitik“ betrachtet werden wie im Zusammenhang mit FMS und anderen Schattenhaushalten des Bundes. Eine Ursache für Verschuldung können auch schwächelnde Volksparteien sein, die notwendige Entscheidungen vermeiden und stattdessen in Verschuldung ausweichen. Ein gutes Beispiel haben wir derzeit in Niedersachsen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Vor diesem Hintergrund sollten wir die Anhörung zu Ihrem Gesetzentwurf, Herr Kollege Grascha, nutzen, um im Zusammenhang mit Artikel 109 GG auch den Artikel 106 Abs. 3 GG in den Blick zu nehmen. Darin ist festgeschrieben, dass die Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer so festzusetzen sind, dass beide gleichmäßig Anspruch auf Deckung ihrer notwendigen Ausgaben haben. Wenn das nicht der Fall ist, muss es hierbei zu einer Anpassung kommen. Auch das ist ein Punkt, an dem wir beispielsweise den Bund in Anspruch nehmen müssten, wenn das der Fall ist.

Die Anwendung von Artikel 106 Abs. 3 GG könnte wirkungsvoller sein als die diskutierte Änderung der Verfassung. Im Zweifel müsste man nämlich den Bürgerinnen und Bürgern erklären, warum in einer betreffenden Situation auch Steuererhöhungen erforderlich sind. Das ließe sich nicht so leicht kaschieren wie eine Kreditaufnahme. Immer müssten aber auch die gesamtwirtschaftliche Lage und die Geldpolitik dabei berücksichtigt werden.

Die jetzt vorliegende Formulierung, meine Damen und Herren, birgt die Gefahr, dass der Finanzminister bei einem irgendwann zu erwartenden Konjunkturabschwung oder bei einem Zinsanstieg - beides wird unweigerlich passieren - auf eine von der Normallage abweichende konjunkturelle Entwicklung verweist und dabei möglicherweise ähnliche Interpretationskünste entwickelt, wie das bislang im Hinblick auf Artikel 71 der Landesverfassung der Fall war. Insofern ist der Konjunkturmechanismus aus meiner Sicht zwar eine gute Hoff

nung. Aber genau dann müsste der Finanzminister in der jetzigen Situation einen solchen Mechanismus nutzen und nicht den Landeshaushalt schon mit dem ersten Nachtragshaushalt völlig über Gebühr ausreizen, wobei er uns noch nicht einmal erklärt, wie er die Deckungsfähigkeit herzustellen gedenkt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Wenzel. - Um zusätzliche Redezeit hat der Kollege Christian Grascha gebeten. Wir geben Ihnen zwei Minuten.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auf zwei Punkte eingehen, die der Herr Finanzminister hier angesprochen hat.

Erstens zur Konjunkturkomponente: Sie bezweifeln, dass das funktioniert. Ich möchte Ihnen darstellen, dass das funktioniert. Die Konjunkturkomponente, wie sie bislang klassischerweise vorgesehen ist, funktioniert so, dass „symmetrisch“ bedeutet: Wenn wir uns unterhalb der konjunkturellen Normallage bewegen, können wir Schulden aufnehmen, die dann, wenn wir uns oberhalb der Normallage befinden, wieder abtragen können.

Aber was passiert, wenn wir uns - wie z. B. aktuell - oberhalb der Normallage befinden? - Dann passiert im Moment gar nichts! Wir wollen, dass der Staat dann dazu verpflichtet wird, mithilfe dieser überschüssigen Beträge tatsächlich Schulden zu tilgen.

Der zweite Punkt, den ich gerne noch ansprechen möchte, weil er für unsere Kommunen höchst interessant ist: In der letzten Legislaturperiode - ich meine, sogar auch in der vorletzten Legislaturperiode - haben Sie, Herr Finanzminister, noch gemeinsam mit uns einen Vorschlag für eine Verfassungsänderung eingebracht, mit dem die Leistungsfähigkeitsregelung bezüglich der kommunalen Finanzausstattung gestrichen werden sollte. Jetzt stellen Sie das in Zweifel, weil Sie sagen, wir hätten eine andere Situation.

Ja, wir haben eine andere Situation, Herr Finanzminister! Das ist richtig. Aber die Andersartigkeit der Situation sieht so aus, dass es uns viel besser geht als noch in der letzten Legislaturperiode. Das

heißt, jetzt wäre es erst recht notwendig, die finanzielle Ausstattung der Kommunen zu garantieren.

Das alles ist im Zusammenhang mit der Tatsache zu sehen, dass Sie den Kommunen 200 Millionen Euro im kommunalen Finanzausgleich nehmen wollen und Sie sich bezüglich des Ausgleichs der Beitragsfreiheit des Kindergartenbesuchs einigen können. Da schwant den Kommunen in Niedersachsen offensichtlich Schlimmes, wenn man Ihre Worte hier hört.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Grascha. - Wir sind jetzt am Ende der Beratung dieses Tagesordnungspunktes und kommen jetzt zur Ausschussüberweisung.

Wer damit einverstanden ist, dass sich der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen federführend und der Ausschuss für Haushalt und Finanzen mitberatend mit diesem Thema beschäftigt, den bitte ich jetzt um sein Handzeichen. - Gegenstimmen?- Enthaltungen? - Dann haben Sie einstimmig so entschieden.

Damit haben wir diesen Tagesordnungspunkt geschlossen.