Hier wird massiv an unserem Verständnis von Staat und Gesellschaft gekratzt. Wir reden dabei nicht von Peanuts, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern davon, dass unser Staat und damit auch der Sozialstaat gerade diese Bank mit 18 Milliarden Euro vor der Pleite gerettet hat.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich habe angesichts dieser Aktualität wirklich keine Lust mehr, mir von Ihnen eine Debatte über virtuellen Sozialhilfemissbrauch aufdrängen zu lassen,
aber gerade von Herrn Hilbers nichts zu den Machenschaften der Finanzwirtschaft zu hören, meine Damen und Herren.
Ich will zwei Punkte sagen, Herr Grascha, weil Sie mich so freundlich angucken. Ich bin ausgesprochenermaßen ein Anhänger unserer Verfassung und der Grundrechte, wie wir alle hier.
(Jens Nacke [CDU]: Nee! Sie wollen doch Verfassungsbruch begehen! Dann können Sie doch nicht so etwas sagen!)
Wir sind ausgesprochenermaßen Anhänger der Verfassung und der Grundrechte. Das kann ich für meine Fraktion und, wie ich glaube - ich sage das einmal zu Ihren Gunsten -, auch für Ihre Fraktion und für alle anderen hier im Hause sagen.
Das Bundessozialgericht hat doch lediglich eines getan: Es hat das verfassungsmäßige Grundrecht auf Existenzsicherung bekräftigt. - Ich kann nur sagen: Das ist gut so.
Zu den einzelnen Punkten! Ich denke, dass es der falsche Weg ist - ich betone das ausdrücklich -, arbeitssuchenden Unionsbürgerinnen und -bürgern Sozialhilfe zu zahlen und damit die Kommunen zu belasten. Soweit besteht Einigkeit.
Aber der entscheidende Unterschied zur Position des Bundes - den will ich auch nennen - ist: Ich halte es für deutlich sinnvoller, diesen Menschen einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zu gewähren und insbesondere auf Eingliederungsleistungen in den Arbeitsmarkt und sie dadurch bei der Eingliederung zu unterstützen, statt sie sich selber zu überlassen - mit unkalkulierbaren Folgen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir schaffen das Problem nicht aus der Welt. Unabhängig davon, was der Gesetzentwurf aus dem BMAS vorsieht, muss man sich doch fragen, was diese Menschen tun, die keinerlei Anspruch mehr auf Existenzsicherung hierzulande haben. In ihre Heimatländer zurückgehen? - Wohl kaum. Ich glaube, einige Kolleginnen und Kollegen von Ihnen waren in der vorletzten Woche selber in Bulgarien und Rumänien. Ich frage Sie: Welchen Eindruck haben Sie denn vor Ort gewonnen? Können Sie sich denn in der Tat vorstellen, dass es ein geeignetes Mittel ist, diese Menschen sozusagen wieder vor vollendete Tatsachen zu stellen?
Ich sage Ihnen einmal, was passieren wird: Diese Menschen werden versuchen, sich ohne staatliche Unterstützung durchzuschlagen. Das wird zwangsläufig zu mehr Schwarzarbeit und zu mehr sozialen Problemen führen, und das wird die Kommunen dann in der Tat sehr stark belasten.
Ich will zum Schluss kommen. Die einzige Lösung - das hat der Kollege Ansmann richtigerweise schon gesagt - besteht meiner Ansicht nach darin, die Lebensverhältnisse in den ärmeren EU-Staaten zu verbessern. Dafür hat Deutschland eine besondere Verantwortung. Das würde der europäischen Freizügigkeit wesentlich mehr nutzen als dieses Thema, das hier von der CDU zur Aktuellen Stunde angemeldet worden ist.
Vielen Dank, Herr Kollege. - Es folgt jetzt für die Fraktion der FDP Herr Abgeordneter Bode. Bitte sehr!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schremmer, als Sie eben nach vorne kamen und über die aktuelle Berichterstattung und über Betrug gesprochen haben, habe ich gedacht, dass Sie im Zusammenhang mit dem Antrag der CDU zur Aktuellen Stunde den Fall in Landshut haben ansprechen wollen, der gerade aktuell ist. Dort sind nämlich rumänische Briefkastenfirmen angesiedelt worden, und dort prüfen - das fällt unter der Überschrift „Sozialbetrug/Sozialtourismus“ - einige wenige Rumänen für Hunderte andere Anträge bzw. Post vom Amt zu ihren Sozialhilfeleistungen. Sie holen die Rumänen dann, wenn Termine beim Amt anstehen, nach Deutschland, damit sie sich dort rechtzeitig melden können.
Ich habe gedacht, dass Sie diesen aktuellen und echten Betrugsfall ansprechen und die Realität nicht so ausblenden, wie Sie es in Ihrer Rede gerade getan haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sowohl Briefkastenfirmen in Panama zum Zwecke der Steuerhinterziehung als auch Briefkastenfirmen in Landshut zum Zwecke des Sozialhilfebetruges sind zu verurteilen und mit der ganzen Härte des Gesetzes zu ahnden. Wenn es Regelungslücken gibt, die so etwas möglich machen, dann müssen wir hiergegen vorgehen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Herr Kollege Schremmer, im Gegensatz zu dem, was in Landshut passiert ist und eindeutig den Tatbestand des Betruges erfüllt, geht es in dem Beispiel, das Sie gebracht haben - auch ich finde schlimm, wie von den Banken Steuerverkürzung betrieben wird -, nicht um einen Betrugsfall, sondern das ist legal und durch das Recht gedeckt und von den Banken im Gesetzgebungsprozess übrigens bereits angesprochen worden. Die Bundestagsabgeordneten haben es aber nicht berücksichtigt und diese Lücke erst geschaffen. Deshalb sollten Sie vorsichtig sein, wem Sie hier Betrug unterstellen und welchen Betrug Sie ausblenden und nicht wahrnehmen wollen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Man sollte - das muss man ebenfalls sagen; deshalb freue ich mich, dass der Kollege Hilbers das hier in seiner Rede so sehr sachlich und unaufgeregt, sage ich einmal, vorgetragen hat - bei diesem Thema nicht die Vorteile vergessen, sondern sie immer wieder betonen. Die Freizügigkeit in der Europäischen Union ist ein hohes Gut, das wir über Jahre erreicht haben. Auch wir, auch wir Deutschen, können in der gesamten Europäischen Union - insbesondere im Schengen-Raum - nicht nur reisen ohne Grenzkontrollen, sondern wir können dort auch Arbeit aufnehmen und unseren Wohnsitz und unsere Arbeitsstätte überall frei wählen.
So ein hohes Gut muss man natürlich beschützen, damit es seine Akzeptanz in der Gesellschaft behält. Diese Akzeptanz erfordert selbstverständlich auch klare und strikte Regeln. Arbeitnehmerfreizügigkeit - das sagt schon das Wort - ist dafür da, dass jemand eine Arbeit wahrnimmt und nicht seinen Wohnort wechselt, nur weil es in dem einen Staat bessere Sozialleistungen gibt als in einem anderen Staat. Deshalb sind diese Regeln, wenn sie in Deutschland, wie es das Bundessozialgericht gesagt hat, nicht richtig greifen, anzupassen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Frage ist, wie schnell das Ganze passieren kann. Nun: Wir werden die Landesregierung bei ihren Beratungen im Bundesrat unterstützen, damit möglichst schnell ein Ergebnis erzielt wird. Denn letzten Endes zahlen es auch in Niedersachsen die Kommunen, die heute schon über ihre Maßen belastet sind, und zwar auch deshalb, weil sie von dieser Landesregierung und von Ihnen die erforderlichen Mittel nicht in dem Umfang zur Verfügung gestellt bekommen - beispielsweise im Rahmen der Flüchtlingskrise -, wie wir es gewünscht hätten.
Deshalb freue ich mich darüber, dass an dieser Stelle auch die SPD eine zügige Beschlussfassung begrüßt und unterstützt. Einmal mehr sehen wir, dass zwischen Rot und Grün bei sehr vielen Themen inhaltlich Welten liegen, weshalb es für das Land wirklich schlimm ist, dass Sie gemeinsam versuchen, es zu regieren.
Vielen Dank, Herr Kollege Bode. - Meine Damen und Herren, es hat sich sodann für die Landesregierung die Sozialministerin gemeldet. Frau Rundt, bitte sehr, ich erteile Ihnen das Wort.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, Sozialbetrug ist genauso verwerflich wie Steuerbetrug, weil beides zulasten benachteiligter Menschen in unserem Land geht. Deswegen darf beides nicht sein.
Aber zur Sache: Das Bundesministerium für Arbeit hat dem Bundeskanzleramt am 28. April einen Gesetzentwurf zur sogenannten Frühkoordinierung zugleitet, in dem es darum geht, Sozialhilfeansprüche für EU-Bürgerinnen und -Bürger in Deutschland gesetzlich klarzustellen. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass hier aufgrund des schon zitierten Urteils des Bundessozialgerichts, das an dieser Stelle von seiner bisherigen Rechtsprechung abgewichen ist, wirklich eine Klarstellung erforderlich ist.
Das Bundessozialgericht hat nämlich erwerbsfähigen EU-Bürgerinnen und -Bürgern, die vom Leistungsbezug des SGB II ausgeschlossen waren, Leistungen nach dem SGB XII zu gesprochen. Damit ist hier das eigentlich klare Abgrenzungsmerkmal zwischen beiden Gesetzen, nämlich die Frage der Erwerbsfähigkeit, aufgegeben worden.
Durch diese Entscheidung wurde erwerbsfähigen Personen völlig unvermutet der Rechtskreis des SGB XII zugeordnet, der eigentlich für nicht erwerbsfähige Personen gedacht ist. Dieser Systemfehler soll nun mit dem Gesetz wieder aufgehoben werden.
Die Niedersächsische Landesregierung steht - daran besteht kein Zweifel - positiv zur Zuwanderung, positiv zur kulturellen Vielfalt in unseren Gesellschaft, weil dies eine Bereicherung für unsere Gesellschaft darstellt und weil Vielfalt in unserer Gesellschaft auch den wachsenden Fachkräftebedarf positiv beeinflusst. Bei all dem dürfen wir aber nicht außer Acht lassen, dass eine Folge der nun angesprochenen aktuellen Rechtsprechung vorhersehbar ist, nämlich dass die Kommunen hier besonders belastet würden.
Wir haben uns mit den anderen Bundesländern bereits in den vergangenen Monaten dafür eingesetzt, dass wir hier zu einer Klarstellung gelangen, u. a. mit dem Beschluss des Bundesrates vom 18. März 2016. Natürlich teilen wir die Hoffnung, dass eine solche Gesetzgebung irgendwann nicht mehr notwendig sein wird, weil das Wohlstands- und Lohnniveau innerhalb der Europäischen Union
angeglichen sein wird. Das muss unser Ziel sein. Dieses Ziel wird aber, realistisch betrachtet, kurzfristig kaum zu erreichen sein.
Die Bundesregierung plant eine Klarstellung dahin gehend, welcher Personenkreis von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende ausgeschlossen ist. Die bisherigen Regelungen in der Sozialhilfe werden ergänzt, und die Leistungsausschlüsse werden denen des SGB II angepasst. Neu geschaffen wird für diesen Personenkreis ein Leistungsanspruch nach fünf Jahren, nach einem sogenannten verfestigten Aufenthalt, und zwar im SGB II und im SGB XII.
Daneben sollen hilfebedürftige EU-Bürgerinnen und -bürger, die von den Leistungen ausgeschlossen wären, zukünftig Überbrückungsleistungen der Sozialhilfe für einen Zeitraum von maximal vier Wochen bis zu ihrer Rückreise und ein Darlehen für die Reisekosten erhalten.
Mit diesem Gesetzentwurf sichert der Bund auch die Akzeptanz und die Weitergeltung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die für uns alle, so denke ich, wesentlich ist. Die damit einhergehenden Potenziale, was die kulturelle, die wirtschaftliche, die demografische und die gesellschaftliche Entwicklung unseres Landes betrifft, sehen wir als Chance. Das ist uns ein zentrales Anliegen.
Hier aber geht es um die Frage, ob man den Ort der Auszahlung der Sozialhilfe europaweit frei wählen kann. Die vorliegende Novelle soll hierfür eine klare und rechtssichere Grundlage schaffen und die Kommunen nicht weiter belasten. Vor diesem Hintergrund begrüße ich die Ankündigung von Bundesministerin Nahles, hier eine gesetzliche Klarstellung herbeizuführen.
Vielen Dank, Frau Ministerin Rundt. - Meine Damen und Herren, damit kann ich die Besprechung zu Tagesordnungspunkt 2 a beenden.