Die sehr positive Reaktion der Schülerinnen und Schüler, die an den Juniorwahlen vor der Landtagswahl 2013 teilgenommen hatten, hat doch klar zum Ausdruck gebracht: Wenn die Wahlen aktuell vor der Tür stehen, sind die Schülerinnen und Schüler besonders motiviert. Dann interessieren sie sich besonders für die Auseinandersetzung mit den Konzepten, mit den Politikerinnen und Politkern. Gerade die direkte Begegnung mit diesen Personen zeigt doch, dass Politik nicht irgendwo passiert und vom Himmel fällt, sondern dass sie von Menschen gemacht wird. Die kann man fragen, die kann man löchern, die kann man in die Verantwortung nehmen. Wo kann das besser als gerade im Schulunterricht passieren?
Immer wieder wird die Befürchtung geäußert, Politikerinnen und Politiker könnten versuchen, die Schülerinnen und Schüler zu indoktrinieren. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind überzeugt, dass sich Politikerinnen und Politiker in den Schulen verantwortlich verhalten und dass im pädagogisch angeleiteten Raum Schule ein anderes Vorgehen sofort kritisch hinterfragt würde und gerade dort auch könnte. Wir sollten unseren Schulen zutrauen, eigenverantwortlich dafür zu sorgen, politisch ausgewogene Veranstaltungen zu organisieren.
Nicht zuletzt sollten wir als Abgeordnete uns auch zutrauen, uns vor den Wahlen kritischen Diskussionen mit Schülerinnen und Schülern zu stellen.
Vielen Dank, Frau Korter. - Eine weitere Wortmeldung liegt vor. Frau Bertholdes-Sandrock von der CDU-Fraktion hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag will Politikerbesuch direkt vor Wahlen, in den letzten vier Wochen, wieder in den Schulunterricht hineinholen und dorthin auch den Wahlkampf ausdehnen, ohne dass dies so gesagt wird.
(Ina Korter [GRÜNE]: Genau! Wir wol- len das umsetzen! - Grant Hendrik Tonne [SPD]: Das ist ja ein Ding!)
Nur wird der Antrag diesmal von Grünen und SPD gestellt; man sieht, wer die Führung hat. An mancher Stelle ist der Antrag ein bisschen schwammig. Das ist aber nicht mein Problem, sondern eher das des Ministerpräsidenten, der gerade nicht da ist.
Damals hatten wir ähnliche Anträge von Linken und Grünen, aber wenigstens sagten die ganz deutlich, was sie wollten: Die Karenzzeit von vier Wochen vor Wahlen - von der nichts im Antrag steht, auch wenn Frau Korter sie gerade erwähnt hat -, in der Politiker zwar in der Schule, nicht aber direkt im Schulunterricht - auch diese Differenzierung haben Sie nicht genannt -
sein dürfen, sollte damals geändert werden, und die Erstwähler sollten gewonnen werden. So ehrlich waren die Linken, denen Grüne und SPD damals auch gar nicht widersprachen.
Das alles gilt natürlich auch jetzt, auch wenn es nicht zugegeben wird. So viel zur politischen Transparenz unserer Regierungsfraktionen!
Meine Damen und Herren, Politikerbesuch im Schulunterricht ist ein bewährter Bestandteil politischer Bildung. Aber muss das unbedingt, wie Sie wörtlich sagen, „gerade in Zeiten zugespitzter politischer Auseinandersetzungen im Vorfeld von Wahlen“ - Sie sagen extra „zugespitzt“ - sein?
Sie wissen genau - Sie haben davon gesprochen -: Schule unterliegt dem Neutralitätsgebot. Wollen Sie den Wahlkampf in seiner allerheißesten Phase in die Schule tragen und damit letzten Endes - auch Sie haben indirekt von Wählerwerbung gesprochen - Schule instrumentalisieren, um Wahlen zu gewinnen?
Dabei können Politiker laut Erlass - das wollen wir einmal ganz deutlich sagen - auch direkt vor Wahlen in Schulen sein, nur nicht in der verbindlichen Unterrichtszeit.
Man darf im Politikunterricht auch nicht erst vier Wochen vor der Wahl aufwachen. Außer in den vier Wochen vor der Wahl sind Politikerbesuche im Schulunterricht ständig möglich. Meistens sind es einzelne Politiker, die von Klassen oder Kursen eingeladen werden. Aber das muss natürlich auch gemacht werden. Wenn das in den Schulen versäumt wird, muss man erst einmal da nacharbeiten und darf nicht sagen: Nun werdet im Wahlkampf endlich wach!
Schüler und Lehrer haben ein großes Maß an Gestaltungsfreiheit, und das soll auch so bleiben. Denn ganz wesentlich, meine Damen und Herren, ist doch: Politische Bildung braucht einen langen Vorlauf und ist nur als kontinuierlicher Prozess möglich. Aktuelle Bezüge sind ganz ausgezeichnet. Aber bringen Sie niemanden in die Versuchung, mit den aktuellen Bezügen drei Wochen vor der Wahl zu kommen, wenn bei vielen Wählern überhaupt erst die Entscheidung fällt! Da wollen wir sie aus dem Unterrichtsraum herauslassen.
Die Kaprizierung auf die Zeit direkt vor Wahlen, die Sie vornehmen, ist in jedem Falle zu kurz gesprungen. Mit der „umfassenden Information über die Ziele der Parteien als Grundlage einer fundierten Wahlentscheidung“, die Sie in Ihrem Antrag zu Recht nennen - herrje! -, können Sie doch nicht in den letzten vier Wochen anfangen!
Warum wollen wir den Erlass, wie er ist, beibehalten? - Wir wollen den Politikerbesuch direkt in der Unterrichtszeit in den letzten vier Wochen nicht unbedingt haben, weil die Stimmung oft aufgeheizt ist. Denn in dieser Zeit muss jeder Kandidat alles daransetzen, gewählt zu werden.
Um eines klarzustellen, gerade Ihnen gegenüber, Frau Korter - Sie sprachen es an -: Wir unterstellen Politikern nicht, dass sie Schüler manipulieren wollen; Sie haben es viel drastischer formuliert. Vor allem glauben wir, dass Schüler sehr wohl in der Lage wären, das zu durchschauen.
Aber wir unterstellen, dass Politiker in diesen letzten paar Wochen vor der Wahl - die Wahlentscheidungen fallen bei den Wahlen immer später -
um jede Stimme kämpfen, ja kämpfen müssen. Genau diesen Wahlkampf, diesen Kampf um die letzten Stimmen, den wollen wir nicht im Klassenzimmer haben! Nur darum geht es.
Heißt das nun „Heraus mit der Politik aus den letzten acht Stunden!“? Acht Stunden sind es bei einem Zweistundenfach in den letzten vier Wochen. - Nein, im Gegenteil. Guter Politikunterricht in Wahlkampfzeiten kann ausgesprochen spannend sein. Er darf es natürlich nicht nur dann sein; sonst ist der ganze Politikunterricht nicht viel wert.
Denken Sie z. B. an den Besuch und die Auswertung von Wahlkampfständen! Ein wahres Hohes Lied auf diese „wunderbaren außerschulischen Lernorte“ hat der Exkollege von der SPD Borngräber 2009 in der Diskussion über diese Möglichkeit des Unterrichts gesungen. Die Schüler nehmen alles mögliche Aktuelle auf: Wahlkampfspots, Anzeigen, Fernsehsendungen. Sie diskutieren und kommentieren. Vor allem können sie - das ist wichtig für einen wirklich fundierten Unterricht - ihre Erkenntnisse aus dem Wahlkampf dann mit persönlichen Begegnungen mit bisher eingeladenen Politikern - das muss nämlich früher erfolgen, nicht in den letzten Tagen - konfrontieren.
Das, was da einsetzt, ist bewusste Reflexion und damit eine notwendige Voraussetzung für politische Bildung. Wer erst im Wahlkampf politische Neugier bei Schülern wecken will, macht das ein bisschen spät und setzt die Schüler eher politischem Rattenfängertum aus.
Wir wollen eben nicht - jetzt zitiere ich noch eine Kollegin, die aber ganz schnell hinausgelaufen ist -, „dass Schüler auf der Straße von politischen Propagandavertretern angesprochen werden, ohne dass darüber in der Schule diskutiert werden kann“. Frau Kollegin Korter 2009. - Genau deshalb wollen wir die Diskussion über solche Dinge im Unterricht, auch in den letzten vier Wochen, aber eben nicht mit den Wahlkämpfern.
Wir sehen Ihren Antrag auch deshalb kritisch, weil wir die Risiken für die Schulen minimieren wollen. Praktisches Beispiel - der Teufel steckt immer im Detail -: Was soll eine Schule machen, wenn zu einer Veranstaltung - es geht übrigens nicht lediglich um Podiumsveranstaltungen, auch wenn Sie nur davon gesprochen haben - ein, zwei Wahlkämpfer plötzlich nicht kommen können? Soll sie dann eine weitere Veranstaltung machen, was terminlich gar nicht mehr geht? Oder gilt das Gebot der Ausgewogenheit bereits als erfüllt, wenn alle eingeladen worden sind? Gilt es als erfüllt, wenn alle zugesagt haben? Oder gilt es erst als erfüllt, wenn alle da waren? - Das sind Fragen aus der Praxis.
Oder: Wie ist es mit Besuchen einzelner Politiker? - Einzelne Politiker sind im Unterricht nämlich eher normal als die ganze Gruppe.
Ich sage Ihnen: Wir wollen den Schulen keine Ausweitung der Verantwortung aufbürden, sie keinem unnötigen Rechtfertigungsdruck der Öffentlichkeit - gerade auch in Wahlkampfzeiten, wenn kritisch nachgefragt wird - aussetzen.
Als Verfechterin von Diskussionen zwischen Schülern und Politikern, die ich oft geführt habe - nicht erst, seit ich selber Politik mache, sondern gerade in über 20 Jahren im Schuldienst -, mache ich Ihnen zum Schluss einen Vorschlag. Am 22. September ist Bundestagswahl. Was spricht eigentlich dagegen, Anfang oder Mitte August, direkt nach den Sommerferien, überall im Lande von den Schulen Veranstaltungen mit einzelnen oder mit mehreren Politikern organisieren zu lassen? Das ist sechs bis sieben Wochen vor der Wahl.
Letzter Satz: Die Schüler sind hoch motiviert. Der Erlass kann fortbestehen, und Ihr Antrag kann entfallen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Demokratievermittlung, politische Bildung, ist ein Dauerauftrag der Schule und darf sich in der Tat nicht auf vier Wochen vor Wahlen konzentrieren, sondern muss dauerhaft erfolgen. Deswegen bin ich auch froh, dass wir in jeder Parlamentswoche zahlreiche Schülergruppen hier im Landtag begrüßen können und dass auch - zumindest bei mir vor Ort - immer zahlreiche Politikerbesuche in den Schulen stattfinden. Wir haben sogar anlässlich der Landtagswahl bewusst einmal eine Podiumsdiskussion auf die Zeit nach dem Wahltermin gelegt.
Man muss sich die Frage stellen - diese Frage diskutieren wir hier häufig; auch in der letzten Legislaturperiode haben wir diese Debatte geführt -: Ist es möglicherweise notwendig, die Schulen, die Lehrer, die Schulleitungen in heißen Wahlkampfphasen auch ein Stück weit vor solchen Auseinandersetzungen zu schützen?