Vielen Dank, Herr Kollege Adasch. - Nach der in unserer Geschäftsordnung vorgesehenen Reihenfolge spricht jetzt der Minister. Bitte schön!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Polizei steht in Niedersachsen sowie in anderen Bundesländern vor außerordentlich großen, neuen und teilweise auch wechselnden Herausforderungen. Ich nenne hier nur exemplarisch die Bewältigung extremistischer terroristischer Bedrohung, die Cyberkriminalität - ein sehr dynamisches Phänomen - oder ganz aktuell die Auswirkungen der enormen Flüchtlingsbewegungen.
Die Polizistinnen und Polizisten in Niedersachsen nehmen sich dieser Herausforderungen äußerst engagiert an. Um es klar zu sagen: Die niedersächsischen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die Beschäftigten der niedersächsischen Polizei, machen alle einen großartigen Job, meine Damen und Herren.
in Niedersachsen sehr zufrieden mit ihrer Polizei ist und vor allem sehr großes Zutrauen in unsere Polizei hat.
Neue Herausforderungen sind natürlich immer fordernd. Das ist selbstverständlich auch bei der Polizei so. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geraten stellenweise bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und zeitweise auch darüber hinaus. Dabei erlaube ich mir einen Hinweis, meine Damen und Herren, nämlich den, dass man bitte nicht ständig Begriffe wie Anforderungen, Beanspruchungen und Arbeitsbe- und -überlastungen durcheinanderwerfen sollte. Eine Differenzierung ist notwendig; denn nur so können wir den tatsächlichen Belastungen begegnen, indem wir sie zuvor definieren und dann die richtigen Schlüsse daraus ziehen.
Dieser Punkt ist in der Ihnen vorliegenden Beantwortung der Großen Anfrage ausführlich dargestellt, sodass ich hierauf nicht näher einzugehen brauche.
Ein Aspekt, der im Zusammenhang mit Belastungen immer wieder angesprochen wird, ist das Thema Großraum- und Schwertransporte. Ja, in der Tat, Herr Adasch. In diesem Bereich hat Niedersachsen seit 2010 eine Zunahme um etwa 18 % zu verzeichnen. Allein im Jahre 2014 wurden mit knapp 20 000 Großraum- und Schwertransporten ca. 13 % Transporte mehr begleitet als noch im Vorjahr. Dabei geht es oft um Transporte von Windenergieanlagen. Nicht selten und vor allem sind hier die ländlichen Regionen betroffen.
Man muss dazu ganz klar sagen, die Begleitung dieser Transporte ist keine klassische sicherheitsrelevante Polizeiaufgabe. Es geht zwar um hoheitliche Aufgaben, die aber nicht zwingend die Polizei bewältigen muss. Hierin sind sich die Länder übrigens alle einig. Letztlich scheitert es aber derzeit - ich füge hinzu: seit fast zehn Jahren, wenn ich es richtig weiß - daran, dass der Bund die erforderlichen Voraussetzungen nicht schafft. Die Ermächtigung dazu, dass wir Privatunternehmen mit der Transportbegleitung beauftragen können, kann uns ausschließlich der Bund geben. Mit einer simplen Regelung über die Straßenverkehrsordnung könnte er die Länder ermächtigen, die Begleitung der Transporte selbst zu regeln. Wir warten bis heute auf diese Regelung, obwohl die Innenministerkonferenz das zuletzt 2014 deutlich und massiv gefordert hat - übrigens einstimmig, wie es bei den IMK so ist.
Jedes Jahr könnten so Zigtausend Einsatzstunden gespart werden. Gleichzeitig könnte die Polizeipräsenz in der Fläche verbessert werden. Ebenso könnten wir die frei werdenden Ressourcen zusätzlich bei der Strafverfolgung nutzen.
Niedersachsen forciert bereits seit 2007 - also auch schon unter der Vorgängerregierung - in enger Abstimmung mit dem MW Pilotprojekte in Bezug auf die Begleitung durch Private. Der Probebetrieb hat sich in der Praxis dabei durchweg bewährt. Aber wir warten auf die Regelung. Außerdem wurde die bundesweite Arbeitsgruppe „Beliehene“ zur Privatisierung der Begleitung von Großraum- und Schwertransporten eingerichtet. Niedersachsen ist hieran ebenfalls beteiligt.
Die Innenministerkonferenz hat zudem erst am Jahresende 2014 den Bundesverkehrsminister noch einmal darum gebeten, die rechtlichen Voraussetzungen für eine Entlastung der Polizei auf diesem Gebiet zu schaffen.
Ein anderes Thema, das zuletzt immer wieder diskutiert wurde, sind länderübergreifende Unterstützungseinsätze. Herr Adasch hat es auch angesprochen. Gestatten Sie mir hierzu zunächst einige Anmerkungen. Die Bundesländer halten nach eigener Bewertung Polizeikräfte in einer Personalstärke vor, die sie in die Lage versetzt, die polizeilichen Aufgaben jedenfalls grundsätzlich mit eigenen Kräften zu bewältigen. Sie entscheiden also letztlich selbst über die Personalstärke. Das bedeutet auch, dass sie eine Reduzierung einzelner Hundertschaften vornehmen können, wenn sie dies für angemessen und vertretbar halten. Darauf hat die Niedersächsische Landesregierung, wie Sie sich denken können, in anderen Bundesländern keinerlei Einfluss. Ich versichere Ihnen aber: Das führt nicht dazu, dass Niedersachsen eine Substitution von Einsatzkräften für andere Länder vornimmt.
Wenn es jedoch um herausragende Einsatzlagen geht, die einen besonders hohen Kräfteeinsatz erfordern, werden andere Bundesländer um Unterstützung ersucht. Hier erfordert es selbstverständlich einer Solidarität. Bei derartigen Ersuchen an Niedersachsen erfolgt im Rahmen eines landesweiten Einsatzkräftemanagements eine intensive Prüfung, bevor hiesige Kräfte anderen Ländern zugesagt und unterstellt werden. Dabei haben
Lagen in Niedersachsen stets Vorrang. Die Problematik der Einsatzbewältigung in anderen Ländern gerät aber natürlich niemals aus dem Fokus. Ob Kräfte aus Niedersachsen angefordert werden, ist von den jeweiligen Einsatzanlässen abhängig.
Im vergangenen Jahr hat Niedersachsen insgesamt 33 Unterstützungseinsätze in anderen Bundesländern geleistet. Allein im ersten Halbjahr 2015 waren es schon 34. Ein Drittel davon ergab sich aus den verschiedenen Pegida-Demonstrationen, die zum Jahresbeginn - wie Sie sich alle erinnern - verstärkt stattgefunden haben. Es führt kein Weg daran vorbei. Wir müssen auch zukünftig darauf setzen, dass Bund und Länder dem Solidaritätsgedanken folgen, ihm Rechnung tragen und hier zusammenarbeiten. Das ist notwendig, um derartige Großlagen erfolgreich und zuverlässig zu bewältigen.
Niedersachsen - daran möchte ich erinnern - hat von dieser Solidarität in den Jahren mit den zahlreichen Castoreinsätzen profitiert. Bei anderen Anlässen erhalten andere Länder von uns dann eben auch die notwendige Unterstützung, z. B. Bayern im Zusammenhang mit dem zurückliegenden G7-Gipfel in Elmau. Erlauben Sie mir direkt dazu einen Hinweis: Wir haben nun die Möglichkeit geschaffen, dass die Einsatzkräfte der Zentralen Polizeidirektion Niedersachsen einen Teil ihrer Überstunden für diesen Einsatz finanziell vergütet bekommen. Wir kommen damit einem Wunsch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Gewerkschaften nach. Hierzu wird aus der Rückerstattung des Landes Bayern für die einsatzbedingten Mehrkosten ein Betrag von rund 1 Million Euro bereitgestellt. Das ist ein gutes Signal für alle Betroffenen der ZPD und damit auch für die Kräfte der Bereitschaftspolizei. Wir werden damit 105 000 Mehreinsatzstunden vergüten. Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung von Überstunden.
Lassen Sie mich einige Anmerkungen zum Stichwort Überstunden machen. Es ist zutreffend, dass wir zum Stichtag 31. Dezember 2014 insgesamt rund 1,5 Millionen Überstunden hatten. Dazu muss man aber einige Dinge erläutern. Zunächst ist es nicht so - auf die Feststellung lege ich Wert -, dass hier eine neue Höchstzahl erreicht worden wäre. In den letzten 15 Jahren hat diese Zahl mal unterhalb, aber auch schon mal oberhalb dieser 1,5 Millionen gelegen. Natürlich ist es so, dass einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Stichtag deutlich mehr Überstunden hatten, als es bei anderen Arbeitnehmern üblich ist. Genauso gibt es
Insgesamt ist jedenfalls die große Zahl 1,5 Millionen Überstunden nur bedingt aussagekräftigt. Es handelt sich bei dieser Überstundenzahl um die Summe von Mehrarbeitsstunden und Zeitguthaben.
Die Erhebung zu einem Stichtag stellt jedoch nur eine Momentaufnahme an einem einzigen Tag im Jahr dar. Über ein ganzes Jahr hinweg - und das ist am Ende entscheidend - unterliegt diese Zahl ständigen Schwankungen.
Die Überstunden entstehen überwiegend durch polizeiliche Einsatzlagen in Verbindung mit Veranstaltungen. Dazu gehören insbesondere Sportveranstaltungen, Versammlungen und demonstrative Aktionen. Manche dieser Einsätze sind im Rahmen der regulären Arbeitszeit nicht vorhersehbar und damit eben auch nicht oder nur schwer planbar. Es ist daher festzuhalten, dass der Anfall von Überstunden normal und ein typisches Element der Arbeit des Polizeidienstes ist.
Dem Leisten von Überstunden steht zudem oft ein zeitnaher Freizeitausgleich gegenüber, auf den viele Beamtinnen und Beamte und Beschäftigte der Polizei auch großen Wert legen. In einigen Fällen, wie etwa bei dem Einsatz in Elmau, gelingt es uns, wie gesagt, auch, geleistete Mehrarbeit teilweise finanziell zu vergüten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein anderes Thema, das hochaktuell ist und auch für die Polizei eine Herausforderung bedeutet, ist die Flüchtlingssituation. Diese Situationen sind außerordentlich anspruchsvoll. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sich hierbei auf andere Kulturen einstellen, sprachliche Barrieren überwinden, sie müssen empathisch, aber dennoch konsequent vorgehen. Das sind die generellen Anforderungen.
Ich ergänze, dass in der jetzigen angespannten Lage neue Schwierigkeiten hinzukommen. Wenn so viele Menschen mit so unterschiedlichen Hintergründen auf engstem Raum leben müssen, wie es derzeit leider notwendigerweise in den Landesaufnahmebehörden der Fall ist, dann kann es auch schon mal buchstäblich zu einem Lagerkoller kommen. Es entstehen dann natürlich viel eher auch Streit- und Konfliktsituationen. Auch das hat die Polizei in letzter Zeit natürlich noch stärker gefordert.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, hinzu kommen Probleme bei der Identitätsfeststellung, z. B. durch ungesicherte Personalien, fehlerhafte, fehlende oder nur aufwendig ermittelbare Personendaten in den Auskunftssystemen oder ungesicherte Daten in den vorläufigen Ausweisen.
In Einzelfällen sind außerdem Schutzmaßnahmen in und an den Asylunterkünften erforderlich, u. a. auch deshalb, weil es eben noch immer Menschen mit fremdenfeindlicher Gesinnung gibt. Der abscheuliche Brandanschlag in Salzhemmendorf hat das deutlich gezeigt und auch die Polizei sehr gefordert. Ich freue mich aber besonders, dass die Polizei auch in diesem letzten Fall wieder einmal ihre Stärke und ihre Handlungsfähigkeit bewiesen hat und die Tat in sehr kurzer Zeit aufklären konnte.
Ich bin der Polizei genauso dankbar dafür, dass sie unsere Landesaufnahmebehörde u. a. bei der Registrierung der ankommenden Flüchtlinge spürbar entlastet und dass sie auch in ihren polizeieigenen Liegenschaften Unterbringungskapazitäten für rund 850 Flüchtlinge geschaffen hat. Das war ein wichtiges Zeichen humanitärer Verantwortung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, man könnte noch zahlreiche weitere Dinge ansprechen. Wichtig ist mir aber, bis hierhin noch eines klarzustellen: Wir als Landesregierung haben allerhöchsten Respekt vor der Arbeit der Polizei in Niedersachsen, und wir als Landesregierung lassen die Polizistinnen und Polizisten sowie die Beschäftigten bei der Polizei mit ihren Belastungen eben nicht alleine.
Ein wichtiger Schritt ist es beispielsweise, dass wir ganz aktuell im Haushaltsplan für 2016 210 zusätzliche Stellen für Anwärterinnen und Anwärter vorgesehen haben.
Und im Übrigen, meine Damen und Herren, betone ich: Wir stehen seit Anfang an im ständigen Dialog mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Polizei und auch den Gewerkschaften. Wir haben in diesem Jahr erstmals eine zukünftig periodisch
vorgesehene flächendeckende Mitarbeiterbefragung durchgeführt, an der sich mehr als die Hälfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beteiligt hat. Diese Umfrage ist übrigens bewusst nicht so konzipiert, dass sie Schönwetterzahlen produzieren soll, sondern sie soll gerade auch Probleme und sensible Stellen verdeutlichen. Ich kann mich nicht erinnern, dass die Vorgängerregierung eine solche Initiative jemals ergriffen hätte.
Diese Erhebung machen wir aus voller Überzeugung; denn wir wollen strukturelle Probleme nicht unter den Tisch kehren, sondern wir trauen uns hier gemeinsame Lösungen zu. Ich bin guter Dinge, dass uns das zusammen gelingen wird, damit die Menschen in Niedersachsen weiterhin das Vertrauen in ihre Polizei behalten.
Von daher halte ich fest: Die aktuellen Herausforderungen führen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bisweilen bis an die Grenze der Belastbarkeit. Aber es liegen uns bislang keine Hinweise vor, wonach es in der niedersächsischen Polizei zu flächendeckenden, permanenten Arbeitsbelastungen im Sinne einer Überbeanspruchung kommt. Allein schon aus Gründen der Fürsorge wäre einer solchen Entwicklung gezielt entgegenzutreten.
Vielen Dank, Herr Minister Pistorius. - Jetzt hat sich zu Wort gemeldet der Kollege Karsten Becker, SPD-Fraktion. Herr Becker!
Danke schön. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Begrüßen möchte ich von dieser Stelle aus den Präsidenten der Polizeidirektion Oldenburg, Herrn Kühme, den Präsidenten der Polizeidirektion Osnabrück, Herrn Witthaut, und den Vorsitzenden der GdP Niedersachsen, Herrn Schilff. Herzlich willkommen!
Herr Becker, wir hatten uns das gerade aufgeschrieben. Aber jetzt haben Sie es schon gemacht. Dann machen wir es natürlich für das gesamte Haus: Ich begrüße Sie ganz herzlich!
Danke. - Ich freue mich, dass Sie Interesse an dieser Debatte haben und dem Austausch der Argumente hier folgen.