Protocol of the Session on September 17, 2015

Herr Minister Pistorius, Sie haben Erlasse angesprochen, wonach Duldungen ausgesprochen werden können, obwohl gegen eine Abschiebung zwingend nichts gesprochen hätte. Können Sie das bitte einmal näher erläutern?

Danke schön. - Herr Minister!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das mache ich sehr gern.

Ich habe Fallkonstellationen genannt, bei denen die Landesregierung von einer Rückführung absehen würde, obgleich die Rückführung möglich wäre.

Erstes Beispiel - schon angedeutet -: Die Große Koalition hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag da

rauf verständigt, eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung zu verankern. Die Verabredung beruhte dabei auf einem konkreten Gesetzentwurf, der vom Bundesrat beschlossen worden war.

Sollten wir wirklich Menschen, die gut integriert sind, weil sie über Jahre hier leben - und sei es eben im Status der Duldung -, und die die Voraussetzungen für die Bleiberechtsregelung erfüllen, abschieben, nur weil das entsprechende Gesetzgebungsverfahren maßgeblich aus anderen Gründen, die wir alle nicht zu vertreten haben, erst Anfang des letzten Monats abgeschlossen werden konnte?

Das wäre aus unserer Sicht mit einer humanitären und auch einer vorausschauenden Flüchtlingspolitik nicht zu vereinbaren gewesen. Deswegen haben wir bereits im Januar 2014 eine sogenannte Vorgriffsregelung auf den Weg gebracht, wonach die Ausländerbehörden zu prüfen hatten, ob die Betroffenen voraussichtlich von der Bleiberechtsregelung profitieren würden, sodass aus diesem Grund eine Ermessensausübung möglich wurde.

Zweites Beispiel: Ich glaube, meine Damen und Herren, wir sind uns sehr schnell darin einig, dass junge Menschen, die hier in Niedersachsen einen Ausbildungsplatz gefunden haben, unsere Unterstützung, aber auch eine Chance verdient haben, und zwar unabhängig davon, mit welchem Ergebnis sie ein Asylverfahren durchlaufen haben. Das sehen übrigens auch die Ausbildungsbetriebe in Niedersachsen ausdrücklich so.

Die Möglichkeiten, zumindest eine Duldung zu erteilen, hat der Bundesgesetzgeber gleichfalls erst im August geschaffen, also quasi mit oder nach Beginn des Ausbildungsjahres.

Mit Blick auf das im August beginnende Ausbildungsjahr haben wir den Ausländerbehörden im Vorgriff bereits im Juni vorgegeben, die Erteilung und Verlängerung von Duldungen für die Dauer einer Berufsausbildung vorzunehmen.

Natürlich bedeutet das dann auch, dass beispielsweise die Eltern und die minderjährigen Geschwister eines 17-Jährigen, der hier seine Ausbildung beginnt, zunächst eine Duldung erhalten. Das ist, glaube ich, nicht infrage zu stellen.

Was will ich mit diesen Beispielen zeigen, meine Damen und Herren? - Das Ergebnis einer in sich stimmigen Asyl- und Ausländerpolitik kann nicht in schlichten Abschiebungsquoten gemessen werden. Denn die zugrunde liegenden Lebensverhältnisse sind viel zu unterschiedlich. Das müssen wir

und das wollen wir berücksichtigen. Deswegen lassen Sie uns nicht über Quoten streiten, sondern darüber, wie wir den konkreten Sachverhalten gegenüber auftreten!

Die Sachverhalte können nun einmal sehr unterschiedlich sein. Das Streben nach hohen Abschiebungszahlen erschwert nicht selten den Blick für den Einzelfall, und das sollten wir vermeiden.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. - Die nächste Zusatzfrage stellt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kollegin Meta Janssen-Kucz. Bitte sehr!

Herr Präsident! Ich frage die Landesregierung, da wir hier jetzt über Zahlen und Quoten sprechen: Wir alle wissen doch, dass die Abschiebung die Ultima Ratio ist. Mich würde wirklich einmal interessieren, wie sich in Niedersachsen die Zahlen der freiwilligen Ausreisen gerade vor dem Hintergrund des Rückführungserlasses entwickelt haben.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke schön. - Herr Minister!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Janssen-Kucz, vielleicht eine Vorbemerkung, weil Sie gerade von freiwilligen Absprachen und davon sprachen, dass Abschiebungen die Ultima Ratio seien. Da hörte ich von der anderen Seite des Hauses „bei Ihnen“. Ich verstehe diese Bemerkung, ehrlich gesagt, nicht so richtig, weil es politischer Konsens, auch mit der Bundesregierung, ist, dass die freiwillige Ausreise Vorrang vor einer Aufenthaltsbeendigung durch Abschiebung hat. Ich bin deshalb einigermaßen erstaunt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Filiz Polat [GRÜNE]: Das steht im Aufenthaltsgesetz! - Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig! Nur bei der CDU nicht!)

Sie haben natürlich völlig recht, Frau JanssenKucz: Wenn wir über Zahlen sprechen, gehört es zu der Abbildung der gesamten Realität eben auch dazu, nicht nur über Abschiebung zu sprechen,

sondern auch über die Anzahl der freiwilligen Ausreisen.

Die Zahlen, meine Damen und Herren, steigen kontinuierlich. Wir haben seit dem Jahr 2014 einen signifikanten Anstieg zu verzeichnen, und zwar gegenüber dem Vorjahr bei der Zahl der freiwilligen Ausreisen mit Förderung durch das REAG/GARP-Programm. Zu den Ausreisen ohne Förderung haben wir keine Zahl, aber eine Steigerung um 50 % zu verzeichnen - eine Steigerung um 50 %!

(Jens Nacke [CDU]: Absolute Zahlen!)

- Seien Sie doch mal geduldig! Atmen Sie doch mal etwas flacher!

Für das Jahr 2015 erwarten wir gegenüber 2014 sogar eine Verdoppelung der Anzahl. Schon Ende Juni - - -

(Zuruf von Jens Nacke [CDU])

- Sind Sie so ungeduldig, Herr Nacke? - Ich will doch den Spannungsbogen aufbauen.

(Unruhe)

Einen Moment, Herr Minister! - Jetzt kehrt hier einfach Ruhe ein!

(Jens Nacke [CDU]: Sie wissen, dass die Asylbewerberzahlen nach oben gegangen sind! Das ist eine sehr ernsthafte Angelegenheit!)

- Jetzt ist Pause, Herr Nacke! Jetzt ist Ruhe!

(Minister Boris Pistorius: Herr Nacke, das ist wie zu Weihnachten mit der Bescherung!)

- Herr Minister, ich bitte, nicht zu antworten. Erst dann, wenn hier Ruhe einkehrt, Herr Minister, dürfen Sie weitermachen. Noch ist die Ruhe nicht so, wie ich es möchte. Wenn hier Fragebedarf besteht: Es sind noch Fragemöglichkeiten offen.

(Jens Nacke [CDU]: Jetzt kommen Sie mal rüber mit den Zahlen! Sie ha- ben eine Auskunftspflicht! - Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig! - Zuruf von Minister Boris Pistorius!)

- Herr Minister, keine Dialoge! Das machen wir nicht! - Herr Nacke, wenn es Hinweise zu machen gibt, dann erledigen wir das von hier oben. Sie haben noch einige Fragen für die CDU-Fraktion offen. Das ist gar kein Problem.

Jetzt geht es weiter, Herr Minister.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Nacke, wie kann man eigentlich die Beantwortung einer Anfrage anmahnen, die noch gar nicht zu Ende beantwortet worden ist? Das ist doch geradezu lächerlich.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Schon Ende Juli hatten wir in diesem Jahr mehr geförderte Ausreisen zu verzeichnen als im gesamten Jahr 2014. - Und jetzt die Zahlen, Herr Nacke

(Jens Nacke [CDU]: Na endlich!)

Freiwillige Ausreisen mit Förderung durch das REAG-/GARP-Programm von IOM: 2011 waren es 703, 2012 1 054, 2013 1 072, 2014 1 553 im ganzen Jahr. Zum 31. Juli 2015 waren es 1 755 bewilligte Anträge, meine Damen und Herren. Ich hoffe, die Zahlen haben Sie sich merken können. Ich gebe sie Ihnen sonst gerne schriftlich.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Verehrte Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, es geht hier nur sachlich ab, wenn man den Fragesteller und insbesondere auch den die Antwort gebenden Minister reden lässt. Sonst bringt das nichts. Ich unterstelle einfach, dass man an der Beantwortung der Fragen Interesse hat.

Jetzt setzen wir fort. Die nächste Zusatzfrage stellt Frau Tiemann, SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister Pistorius, Sie haben vorhin von beschleunigten Verfahren und konsequenter Abschiebung gesprochen. Ich denke dabei u. a. an das sogenannte Kosovo-Schnellverfahren. Hat sich Niedersachsen daran beteiligt und, wenn ja, in welchem Umfang?

Danke schön. - Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Pistorius.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ja, es ist bekannt: Niedersachsen hat sich zu Beginn des Jahres aufgrund der hohen Zugangszahlen von kosovarischen Staatsangehörigen an dem sogenannten Kosovo-Schnellverfahren beteiligt. Zusammen mit dem BAMF und am Ende fünf weiteren Bundesländern wurde vom 18. Februar bis zum 30. Juni ein Pilotverfahren durchgeführt. Während dieses Zeitraums wurden die Asylanträge von kosovarischen Antragsstellern durch das BAMF vorrangig bearbeitet, und damit wurde in der Regel die Ausreisepflicht entsprechend früher festgestellt.

Danke schön. - Die nächste Zusatzfrage stellt Bernd-Carsten Hiebing, CDU-Fraktion.