Protocol of the Session on September 16, 2015

(Filiz Polat [GRÜNE]: Da haben Sie zugestimmt! Das haben wir hier im letzten Jahr gemeinsam verabschie- det! Von wegen „Wir tun nichts“!)

Ich will nur eine ganz kurze Frage stellen, Frau Kollegin Polat. Haben Sie mit dem Niedersächsischen Ministerpräsidenten darüber gesprochen, ob er diesen zentralen Punkt, der den Grünen doch so wichtig erscheint, gestern in den Verhandlungen mit der Bundeskanzlerin vorgebracht hat? Ist die rot-grüne Landesregierung gegenüber der Bundesregierung an dieser Stelle handlungsfähig oder nicht? - Das würde ich ganz gern von Ihnen wissen.

(Anja Piel [GRÜNE]: Da machen Sie sich mal keine Sorgen! Diese Gesprä- che werden geführt!)

Der Ministerpräsident jedenfalls hat in seiner Regierungserklärung zu diesem Punkt kein einziges Wort verloren. Ich glaube, der nimmt Sie an dieser Stelle gar nicht mehr Ernst - um auch das einmal klar zu sagen -, weil Sie sich von der Realität mittlerweile um Lichtjahre entfernt haben.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Kollege Dürr, lassen Sie auch eine Zwischenfrage der Kollegin Polat zu?

Immer wieder gern. - Übrigens: Beim Kollegen Bachmann ist die Uhr zwischendurch stehengeblieben, was ich in Ordnung finde. Das will ich keinesfalls kritisch, sondern nur hinweisend anmerken.

Bitte, Frau Kollegin Polat!

Erinnern Sie sich daran, Herr Kollege Dürr, dass Sie einem Antrag in diesem Plenum - sogar zwei Anträgen - zugestimmt haben, das humanitäre Aufnahmeprogramm aufzustocken und fortzusetzen, und das schon im letzten Jahr?

Ja, das ist der Fall. Meine Fraktion hat ausdrücklich zugestimmt. Leider erinnere ich mich nicht daran, dass die Landesregierung das auch nur zu einer Sekunde in Regierungshandeln umgesetzt hat. Das ist das Problem, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich will zum zweiten Punkt kommen, weil Sie das auch in den Raum geworfen haben, nämlich das Thema Einwanderungsgesetz. Die Diskussion darüber führen wir im Landtag bereits seit Monaten. Es liegt ein, glaube ich, zehnseitiger Antrag meiner Fraktion dazu im Innenausschuss vor.

Auch an dieser Stelle frage ich: Wie wird es dann konkret bei den Grünen, meine Damen und Herren? - Wir sind zurzeit doch in folgender Situation - da brauchen wir uns überhaupt nichts vorzumachen -: Es wird auch von den Grünen der Versuch

unternommen, das Thema „Gesteuerte Einwanderung“ über das Asylrecht abzuhandeln. Ich prophezeie Ihnen: Das wird dazu führen, dass das so wichtige Grundrecht auf Asyl an dieser Stelle überfordert wird, meine Damen und Herren. Auch das muss man deutlich sagen.

Deswegen: Wenn von Ihnen hier immer wieder von Willkommenskultur die Rede ist, ist das für mich mittlerweile leider zu einer theoretischen Willkommenskultur verkommen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Situation auf dem Westbalkan ist - das sagen ja sogar Sie -, dass 99 % der Menschen über das Asylsystem nicht hier bleiben können. Welch unsicherer Status dort über Jahre - übrigens für Familien, die hier gerne Wurzeln schlagen würden - dann an dieser Stelle zementiert wird!

Ich finde übrigens - nebenbei gesagt - zum Thema Menschenwürde: Wenn man Menschen jahrelang wissentlich - das ist Ihre Politik an dieser Stelle - darüber im Unklaren lässt, welchen Status sie haben, dann hat das mit Willkommenskultur nichts zu tun.

Es braucht eine klare Einwanderungsgesetzgebung, meine Damen und Herren. Die muss sich - das muss man aussprechen dürfen - an klaren nationalen Interessen orientieren. - Kein Wort dazu von Bündnis 90/Die Grünen, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Kollege Dürr, Sie haben jetzt noch einmal die Chance auf Redezeit. Frau Polat möchte Ihnen eine Frage stellen.

Das verlängert dann ja praktischerweise die Redezeit. Aber selbstverständlich, verbunden mit dem Hinweis, dass ich mich total freuen würde - dem Kollegen Onay wollte ich vorhin auch eine Zwischenfrage stellen -, wenn Sie das dann auch einmal von mir zulassen.

Der Appell ist angekommen, Herr Kollege.

Danke schön. Das ist nett, Frau Präsidentin.

Irre ich mich, oder teilt die FDP nicht dieselbe Position wie Bündnis 90/Die Grünen, dass ein Einwanderungsgesetz das Asylsystem entlasten würde, weil dann die Möglichkeit der Einreise über die Arbeitsmigration bestehen würde?

Und irre ich mich nicht auch, dass die FDP ähnlichen Vorschlägen zustimmt, einen Spurwechsel zu ermöglichen, wenn ein Ausbildungs- oder Arbeitsvertrag vorgelegt wird, dass man dann sozusagen ins Einwanderungsrecht wechseln kann?

Herr Dürr!

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin Polat, zum Thema Arbeitsmarkt werde ich gleich in meiner Rede zur Aktuellen Stunde noch etwas sagen; denn auch da sehe ich Probleme zwischen Rot und Grün.

Aber zum Thema Einwanderungsgesetz will ich noch einmal unterstreichen: Ja, in der Überschrift sind sich Bündnis 90/Die Grünen und Freie Demokraten einig, jedenfalls bei kursorischer Betrachtung der Dinge, wie Juristen sagen würden.

Aber im ganz Konkreten, wenn es darum geht, auf der einen Seite nationale Interessen an dieser Stelle zu definieren und auf der anderen Seite dann aber auch klarzumachen, dass insbesondere für den Westbalkan ein Einwanderungsgesetz doch nur sinnvoll funktionieren kann, wenn man diese Staaten einerseits als sichere Herkunftsstaaten einstuft und auf der anderen Seite wieder eine Visumspflicht für diese Staaten einführt, davon ist von Bündnis 90/Die Grünen nichts zu hören, meine sehr verehrten Damen und Herren. Insofern bleibt es bei Ihnen eine Überschriftenpolitik.

(Lebhafter Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Dürr. - Nun hat für die Landesregierung Herr Minister Pistorius das Wort. Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu diesem Punkt c ist jetzt wieder einiges zum Stichwort Rückführungserlass gesagt worden. Da ich mich gerne an Tagesordnungen halte, bitte

ich um Ihr Einverständnis, wenn ich sage: Ich verweise auf morgen. Wir haben dazu eine Dringliche Anfrage. Dann verderben wir uns nicht die Freude an der morgigen Debatte und vermeiden wir unnötige Redundanzen in der Debatte. Das kann ja auch mal ganz hilfreich sein.

Von daher würde ich mich gerne auf das Kernthema konzentrieren, das mehrfach angesprochen worden ist, und zwar auf die Frage in der Überschrift der Aktuellen Stunde: Es gibt keine Obergrenze für Asyl. Ich stelle zunächst einmal fest - auch nicht zu meiner Überraschung -, dass das Konsens in diesem Haus ist. Das Asylrecht lässt sich nicht deckeln.

(Jörg Bode [FDP]: Das ist Grundge- setz!)

- Das steht im Grundgesetz.

Es hat zwischendurch Anflüge einiger Landespolitiker aus anderen Bundesländern gegeben, die gesagt haben, man müsse da jetzt mal eine Grenze einziehen. Diejenigen konnten am Ende auch von der Bundeskanzlerin eines Besseren belehrt werden, wofür ich ihr an dieser Stelle ausdrücklich dankbar bin.

(Beifall bei der SPD)

Aber zurück zur eigentlichen Problematik. Natürlich ist das Asylrecht nicht deckelbar, und natürlich haben wir ein überlastetes Asylsystem. Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Es war schon bei 400 000 überlastet und ist dies erst recht bei 800 000 plus x.

Natürlich haben wir es mit einer Gruppe von Menschen zu tun, die Asyl beantragen, obwohl sie erkennbar - auch nach der Anerkennungsquote und auch nach gerichtlicher Überprüfung - in ihren Heimatländern nicht politisch verfolgt sind. Das ist so. Nichtsdestotrotz haben diese Menschen aber verflixt gute Gründe - wenn ich das einmal so sagen darf -, ihre Heimatländer zu verlassen, auch wenn sie nicht politisch verfolgt sind. Ich habe die Beispiele - wie Sie alle wahrscheinlich auch - vor Augen. Ich habe mit Menschen gesprochen, die mir das eindrucksvoll geschildert haben.

Trotzdem sind wir uns darüber einig, dass diese Menschen die falsche Tür aufmachen, wenn sie in das Asylsystem gehen. Die Alternative ist gegenwärtig allerdings nicht, eine andere Tür zu nehmen, sondern vor die Wand zu laufen.

Wenn ich bei diesem Bild bleiben darf, wird das ganze Problem sichtbar. Es fängt früher an, näm

lich bei der Frage, dass in den Herkunftsländern seit Jahren verfehlte Außen- und Entwicklungshilfepolitik geleistet wird. Die Länder kommen einfach nicht hoch. Sie sind trotz Milliarden von Zuschüssen aus der Europäischen Union, von der UN und anderen nicht in der Lage, eine Situation zu schaffen, die es ermöglicht, ihren Menschen Perspektiven zu geben, eine Zukunft für die nachwachsende Generation zu gewährleisten. Das ist das Ursprungsproblem. Nun machen sich diese Menschen auf den Weg, weil sie genau das erkennen, dass diese Perspektiven fehlen, und laufen in Europa vor die Wand oder durch die falsche Tür.

Aber wir sind uns auch darüber einig, dass diese Verfahren schnell und zügig bearbeitet werden müssen, und zwar nicht, um irgendjemandem ein Recht abzuschneiden, sondern um deutlich zu machen: Das ist die falsche Tür, und wir bemühen uns - das muss dann bitte schön aber auch glaubhaft sein - parallel darum, entsprechende Zuwanderungsregelungen zu schaffen, die diese Perspektive zumindest für einen Teil dieser Menschen eröffnen helfen.

(Christian Dürr [FDP]: So ist es!)

Das heißt, auf eine einfache Formel gebracht: Wir brauchen ein funktionierendes Asylsystem für die Menschen, die unseren Schutz brauchen, und wir brauchen ein Zuwanderungsgesetz, das diesen Namen verdient und nicht nur aus einem Bündel von Einzelregelungen besteht, um denjenigen einen Zugang nach Deutschland, nach Europa zu verschaffen, die wir brauchen - für unsere demografischen Fragestellungen, für den Arbeitsmarkt und für anderes -, und das gleichzeitig in dem Spagat, die Herkunftsländer nicht einen Exodus, einen Braindrain - oder wie auch immer Sie es nennen wollen - erleben zu lassen. Denn das wird uns am Ende destabilisierte Staaten beispielsweise auch im Balkan bescheren. Auch das kann nicht im europäischen Interesse sein.

(Beifall bei der SPD)

Von daher geht es um diese beiden Gruppen und um die Frage, wie wir damit umgehen.

Worüber ich mir an dieser Stelle auch Sorgen mache - das spreche ich ausdrücklich aus tiefer Überzeugung und in aller Ruhe an -: Wenn wir uns einig sind in der Beschreibung dieser Gruppen, über die wir gerade reden, dann ist es unsere Pflicht, finde ich, unsere Sprache im Zaum zu halten. Ich verstehe, dass man gelegentlich zu einfachen Begriffen greift, um etwas zu veranschauli

chen. Das ist ein legitimes politisches rhetorisches Mittel. Ihre bayerischen Kollegen überziehen da gelegentlich. Wir sollten uns hüten, von Asylmissbrauch oder von Wirtschaftsflüchtlingen zu reden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Diese Menschen missbrauchen nicht das Asylrecht. Sie tun, meine Damen und Herren, das, was jeder von uns in der vergleichbaren Situation auch täte, nämlich einen Ausweg zu suchen.