Protocol of the Session on September 16, 2015

Die Bundesregierung hat dem Wunsch der Länder entsprochen, eine stärkere koordinierende Rolle bei der Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer zu spielen. Bislang war es so, dass dies zwischen den Bundesländern telefonisch - hauptsächlich betroffen war hier der Freistaat Bayern - organisiert werden musste. Das ist seitens der Bundesregierung zugesagt worden.

Last, but not least will ich Ihnen berichten, dass wir alle uns in einem Punkt einig gewesen sind, nämlich darin, dass eine echte Perspektive in dieser Hinsicht in erster Linie eigentlich nur in einem gemeinsamen Vorgehen der Europäischen Union und in einer Harmonisierung der europäischen Flüchtlingspolitik bestehen kann. An dieser Stelle - das kann ich sagen - ist sich die gesamte deutsche Politik einig, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich muss Ihnen allerdings auch darüber berichten, welche Punkte gestern nicht abschließend behandelt werden konnten.

Da geht es zunächst einmal um die bereits seit Monaten diskutierte strukturelle Finanzbeteiligung des Bundes zur Entlastung der Kommunen. Die

Bundesregierung hat sich gestern in dieser Hinsicht nicht imstande gesehen, eine abschließende Klärung vorzunehmen. Als Länder sind wir uns darin einig, dass das Angebot der Bundesregierung in Höhe von 3 Milliarden Euro - Sie wissen das - als Anfangsgröße - nehme ich an - nicht ausreichend ist. Wir haben diesen Punkt gestern nicht vertieft diskutieren können, was ich ausdrücklich bedauere.

Wir haben einen längeren Teil unserer Beratungen auf ein Thema verwandt, das von allen 16 Bundesländern als hoch dringlich empfunden wird, nämlich die notwendige Beschleunigung der Asylverfahren und in Verbindung damit die notwendige wesentlich bessere Ausstattung und Arbeitsfähigkeit des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Das wird in allen 16 Ländern derzeit als ein echtes, gravierendes Hemmnis empfunden. Wir haben miteinander dringend angemahnt, dass der Bund schneller und effektiver werden muss. Derzeit wachsen gewissermaßen täglich die Antragsberge weiter an.

Wenn ich alles das in bündiger Kürze bewerten darf, dann will ich das spürbare Engagement des Bundes gern würdigen, insbesondere auch bei den Punkten, die ich genannt habe. Gleichzeitig haben wir miteinander wahrscheinlich das Gefühl, dass es doch kleine Schritte sind, die derzeit vereinbart werden konnten. Wir müssen miteinander schneller werden. Ich verbinde damit die Hoffnung, dass wir bei einer Fortsetzung unserer Beratungen am 24. September in Berlin schneller werden und größere Schritte machen, insbesondere bei den beiden Punkten, die ich angesprochen habe: eine klare Vereinbarung zur finanziellen Entlastung der Kommunen und eine wesentliche Beschleunigung des Asylverfahrens. - Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist derzeit aus meiner Sicht prioritär.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Lassen Sie mich noch eine grundsätzliche Bemerkung machen.

Ich denke, wir alle miteinander haben das Gefühl, dass wir seit dem Wochenende eine Kursänderung erleben. Die Anordnung von Grenzkontrollen hat man sich nicht leicht gemacht, und sie signalisiert sehr eindeutig, dass sich Deutschland bei allem guten Willen derzeit überfordert sieht. Das wirft die Frage auf: Wie geht es weiter?

Wir sind - ich sagte es - miteinander einig: Alles schreit gewissermaßen in diesem Zusammenhang nach einer europäischen Lösung. Aber ich füge hinzu: Nach den Erfahrungen, die wir z. B. in dieser Woche machen mussten, sollte man realistisch sein und sich auch fragen: Was geschieht eigentlich, wenn Deutschland ohne nennenswerte Unterstützung seiner europäischen Partner die eigene weitere Haltung wird bestimmen müssen? - Das ist eine Antwort, die viele Bürgerinnen und Bürger erwarten. Ich glaube, das ist auch eine berechtigte Frage. Die Bundesregierung muss an dieser Stelle eine Antwort geben. Ich denke, wir stehen im Angesicht des Flüchtlingselends miteinander zu unserer humanitären Verpflichtung. Wir haben auch erfahren müssen, dass unsere Möglichkeiten begrenzt sind. Zwischen diesen beiden Polen zu einer realistischen, zu einer unseren humanitären Ansprüchen entsprechenden, tatsächlich tragfähigen Strategie zu gelangen, das ist Aufgabe der Bundesregierung, und das betrachte ich als dringliche Aufgabe, auch damit wir eine klare Orientierung in die Bevölkerung hineingeben können, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Lassen Sie mich zum Schluss kommen.

Wir - ich sagte es - haben eine unverändert hohe Dynamik. Wir sind uns miteinander dessen bewusst, dass wir jetzt inmitten einer nationalen Aufgabe stehen. Hier steht gerade sehr vieles auf dem Prüfstand. Niedersachsen wird sich mit all seinen Möglichkeiten - ich betone: mit all seinen Möglichkeiten - daran beteiligen, dass unsere Gesellschaft, unser Staat diese Herausforderung meistert. Ich freue mich insbesondere, feststellen zu können, dass die Welle der Hilfsbereitschaft in unserer Bevölkerung nach wie vor ungebrochen ist. Dafür bin ich zutiefst dankbar, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Keine Frage: Wir stehen inmitten einer sehr, sehr großen Herausforderung. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns weiter intensiv diese Herausforderung angehen. Packen wir es gemeinsam an! Dann schaffen wir das auch.

Herzlichen Dank.

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident Weil.

Meine Damen und Herren, es schließt sich jetzt die Aussprache wie erbeten an. Ich darf formal feststellen, dass diese Unterrichtung - aufgerundet - 14 Minuten gedauert hat. Das löst Redezeiten für CDU und SPD von ebenfalls 14 Minuten aus. Die Grünen und die FDP haben jeweils 7 Minuten.

Es liegt eine Wortmeldung des Fraktionsvorsitzenden der CDU-Fraktion vor. Herr Thümler, ich erteile Ihnen das Wort für maximal 14 Minuten. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass die Ereignisse der letzten Tage und Wochen und auch die Diskussion, die wir in der vergangenen Woche am Donnerstag bereits hier im Plenarsaal geführt haben, noch einmal mehr unterstreichen, dass wir nicht nur eine nationale Aufgabe von besonderer Bedeutung haben, sondern dass wir ein Flüchtlingsproblem haben, das man nicht einfach sprachsemantisch wegdeklinieren kann, sondern dem man sich jetzt stellen muss und dafür eben die Kräfte zur Verfügung stellen muss, die notwendig sind.

Deswegen begrüßen wir ausdrücklich, dass die Bundesregierung gestern angeboten hat, 40 000 Plätze für die Notunterkünfte von Flüchtlingen in Gesamtdeutschland schaffen zu wollen. Man kann, glaube ich, hinzufügen, dass der Bund durchaus signalisiert hat, diese Kapazitäten weiter zu erhöhen, wenn die Notwendigkeit bestehen sollte. Das ist ein gutes Signal. Es ist auch nicht darüber zu streiten, ob es zu früh oder zu spät ist, sondern es ist jetzt da, und darüber muss man jetzt weiter miteinander verhandeln.

(Zuruf von Ulrich Watermann [SPD])

- Herr Watermann, wenn Sie sich da schon so echauffieren, dann will ich Ihnen sagen: Die Länder haben bei der Unterbringung bisher die Verantwortung gehabt, und sie sind dieser Verantwortung unterschiedlich gerecht geworden. Wenn Sie auf die süddeutschen Bundesländer schauen, die sich dem sehr viel früher - natürlich auch, weil sie sehr viel früher den Druck an den Außengrenzen gespürt haben - gestellt haben, dann sehen Sie, dass die Maßnahmen, die dort getroffen worden sind, weiter gehen als die, die wir bisher in Niedersachsen getroffen haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Filiz Polat [GRÜNE]: Mein Gott, das ist das einzige Problem?)

Man muss sagen, die Lage an den Außengrenzen insgesamt - das ist jetzt nicht nur die deutschösterreichische Grenze, von der wir eigentlich nicht mehr reden wollten, auch nicht von der ungarischösterreichischen Grenze oder von weiteren Grenzen innerhalb Europas -, wenn man auf den Bereich Türkei schaut, spitzt sich zu. Wer heute Morgen in Spiegel-Online die Berichte gesehen hat, dass sich dort über Facebook eine Gruppe gebildet hat, bei der sich 40 000 bis 50 000 Menschen verabreden, an einem bestimmten Tag die Grenze zu stürmen, damit sie sozusagen den Weg nach Europa aufmachen, dann - so finde ich - ist das eine Qualität, über die wir insgesamt nachdenken müssen.

Herr Ministerpräsident, Sie haben darauf hingewiesen, dass hier natürlich die Europäische Union insgesamt eine hohe Verantwortung hat. Deswegen bin ich froh, dass sich die europäischen Innenminister eben nicht erst im Oktober wieder treffen, sondern dass sie den Ernst der Lage begriffen haben und sich schon in der kommenden Woche treffen. Normalerweise müssten sich diese Herrschaften morgen treffen, meine Damen und Herren, damit dort jetzt wirklich schnell Entscheidungen dazu getroffen werden können, wie man dazu kommt, die Kontingente von Flüchtlingen in Europa besser zu verteilen, und wie es zu einem Außenschutz kommen kann.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich will Ihnen sagen, dass die Bundeskanzlerin in einem Gespräch noch einmal deutlich gemacht hat, dass Italien, Deutschland und Schweden schon seit Monaten auf die sich zuspitzende Situation hingewiesen haben, dass aber die Bereitschaft, in einem gemeinsamen Haus mitzuhelfen, auch die entsprechenden Räume dafür zur Verfügung zu stellen, nicht bei jedem sehr ausgeprägt ist. Dafür sind sicherlich unterschiedliche Gründe vorhanden.

Aber eines, meine Damen und Herren, finde ich bemerkenswert: Dass die Medien in den Ländern - ob in Frankreich, in Großbritannien oder anderswo - immer schreiben, der Strom der Flüchtlinge will nach Frankreich, will nach Großbritannien. Meine Damen und Herren, das ist schlicht und ergreifend nicht wahr. Die Masse der Flüchtlinge will nach Zentraleuropa, nach Deutschland und nach Schweden. Das ist das, was in den Face

book-Gruppen überall zu lesen ist. Nichts anderes ist die Tatsache. Damit hier kein Kollaps droht, müssen wir gemeinsam dafür sorgen, dass die Europäische Union ihre Verantwortung in dieser Frage wahrnimmt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es ist der Dank an die Organisationen hier in Niedersachsen, an die vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer gesagt worden, die nicht nur bis zur Belastungsgrenze, sondern weit über diese Belastungsgrenze hinausgegangen sind, um sich für die Flüchtlinge zu organisieren. Dies ist beispiellos, und das ist eben das freundliche Gesicht Deutschlands nach außen.

Die Frage, meine Damen und Herren, lautet aber: Wie lange können wir diesen Menschen diesen Druck noch zumuten? - Denn auch hier wird sich natürlich die Tatsache der Überforderung einstellen. Deswegen müssen wir in einer großen Anstrengung dafür sorgen, dass viele Bereiche auch von Soldaten der Bundeswehr übernommen werden, die dafür ausgebildet sind, in solchen Krisensituationen mit den Menschen, die dort kommen, umzugehen, und die Entlastung bei den Hilfsorganisationen bringen.

Ich weiß, dass viele von denen weit über die Belastungsgrenze gehen, dass aber viele Arbeitgeber mittlerweile kein Verständnis dafür haben, dass ihre Arbeitnehmer nicht mehr zur Arbeit kommen, weil sie sagen: Ich muss dort vor Ort helfen, weil ich dort gebraucht werde.

Deswegen muss ein Appell von heute natürlich auch sein: Wir müssen dafür sorgen, dass die Freiwilligen, die helfen wollen, auch wirklich helfen können und dass alle Arbeitgeber in dieser besonderen Situation Verständnis dafür haben, dass die Menschen dort helfen und nicht zu ihrer Arbeit kommen. Das muss jetzt in dieser Zeit möglich sein. Deswegen lautet mein Appell an die Arbeitgeber: Helfen Sie bitte mit! Setzen Sie die Leute nicht zusätzlich unter Druck, sondern helfen Sie ihnen, ihre verantwortliche Aufgabe zu meistern!

(Beifall)

Gleichwohl, meine Damen und Herren, bleibt es dabei - wir haben in der Aussprache zur Regierungserklärung in den vergangenen Woche schon einige Punkte miteinander diskutiert -, dass jetzt nicht nur der Bund Hilfe angedeihen lässt, indem er Verfahren beschleunigen und gesetzliche Vorgaben verändern will - mithin ein Artikelgesetz, wobei es zu mindestens 30 bis 40 Änderungen bei

Bundesgesetzen kommen muss -, sondern dass auch die Länder in besonderer Weise ihrer weiteren Verantwortung gegenüber den Kommunen, für die die Länder ausdrücklich die Verantwortung tragen, gerecht werden; denn in den Kommunen wird es langsam wirklich eng.

Es sind nicht die großen Städte, die schon lange unter Druck stehen, sondern es sind auch die vielen kleinen Gemeinden in Niedersachsen, die mittlerweile an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen und nicht mehr wissen, wie sie die Menschen, die kommen, verantwortungsvoll unterbringen sollen. Denen müssen wir Hilfe angedeihen lassen, meine Damen und Herren. Das ist ganz wichtig.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Deswegen möchte ich in fünf Punkten kurz zum Ausdruck bringen, wo wir Handlungsbedarf sehen, wo das Land selbst in seiner Verantwortung schneller und besser werden muss, damit die kommunale Ebene eine deutliche Entlastung spürt.

Erstens. Wer Asylverfahren beschleunigen will, der muss auch dafür sorgen, dass ausreichend Verwaltungspersonal nicht nur beim BAMF - beim BAMF ist es ganz wichtig -, sondern auch bei der Landesaufnahmebehörde zur Verfügung steht. Davon, meine Damen und Herren, sind wir noch etwas entfernt.

Ich hoffe, dass die Appelle, die an die Beamten im Land Niedersachsen gerichtet worden sind, dort jetzt ihren Dienst zu versehen, Früchte tragen, damit auch der Stau, der von der Landesaufnamebehörde ausgeht, abgebaut wird, damit der Flaschenhals aufgelöst wird und damit wir zu schnelleren Verfahren kommen. Denn sonst nutzt das viele Personal beim BAMF nicht, weil wir bei der Landesaufnahmebehörde auch ein Problem haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zweitens. Die Kommunen beklagen zu Recht, dass ihnen an einer Infektionskrankheit leidende Asylbewerber immer noch ohne vorherigen Gesundheitscheck direkt vom Land zugewiesen werden. Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden. Die Gesundheitschecks müssen überall flächendeckend durchgeführt werden. Das ist noch nicht überall der Fall.

Deswegen noch einmal unsere dringende Bitte: Bauen Sie das System der Gesundheitscheckverfahren weiter auf! Jeder Asylbewerber, der kommt, muss sofort auf Krankheiten überprüft werden. Es

dauert, bis man feststellt, ob eine Person infiziert ist oder nicht. Wir haben aber hier den Schutz zu leisten, damit es nicht zu einer Epidemie in einer Einrichtung oder außerhalb einer Einrichtung kommt. Das ist auch eine große Besorgnis der Bevölkerung rund um diese Einrichtungen. Diese müssen wir ernst nehmen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)