Protocol of the Session on May 29, 2013

Wenn wir uns, meine Damen und Herren, ebenfalls zwölf Monate lang Zeit lassen würden - das sind 365 Tage, also ungefähr das Vierfache des Zeitraums, den Sie heute Vormittag, bemüht kritisch, bei uns zu bilanzieren versucht haben -, um die erforderlichen Ermächtigungsgrundlagen zu schaffen, dann stünden unsere Polizeibeamtinnen und -beamten über ein halbes Jahr lang ohne ein wichtiges Werkzeug zur Gefahrenabwehr da. Das wäre fatal, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Denn die Bestandsdatenauskunft ist im Alltag unserer Sicherheitsbehörden unerlässlich. Sie verpflichtet Telekommunikationsunternehmen, Auskunft über Name und Anschrift eines Anschlussinhabers zu erteilen, wenn Telefonnummern oder E-Mail-Adressen bekannt sind, z. B. bei Fällen von Vermissten oder Suizidankündigungen - eben immer dann, wenn es darum geht, Personen aufzufinden, um sie vor Gefahren für Gesundheit, Leben oder Freiheit zu schützen, oder zur Erkenntnisgewinnung der Verfassungsschutzbehörden.

In keinem Fall erhalten die Behörden nach dem Gesetzentwurf aber Informationen über konkrete Verbindungsdaten, also Auskünfte darüber, wer wann mit wem telefoniert hat oder wo sich ein Handy zu einem bestimmten Zeitpunkt befunden hat. Eine Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür bewirkt dieser Gesetzentwurf also gerade nicht, um das hier deutlich zu sagen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die einzufügenden Regelungen dienen vielmehr ausschließlich der Abfrage von Bestandsdaten.

Meine Damen und Herren, wir geben unseren Sicherheitsbehörden mit diesem Gesetz ein wirkungsvolles und ausgewogenes Instrument an die Hand. Es enthält alle Ermächtigungen, derer es bedarf, um Gefahren abzuwehren, um die Freiheit und körperliche Integrität von Menschen zu schützen oder um die Verfassungsschutzbehörden in die Lage zu versetzen, die an Kommunikationsvorgängen Beteiligten zuordnen zu können.

Es berücksichtigt aber auch rechtsstaatliche Aspekte angemessen. Insbesondere trägt es der Wahrnehmung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung umfassend Rechnung, indem es die Abfrage von Zugangssicherungscodes und die Zuordnung dynamischer IP-Adressen unter einen Richtervorbehalt stellt. Und es ist für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgrund der enthaltenen Eilkompetenzregelung und der weitgehenden Entsprechung mit den spezifischen Regelungen der Strafprozessordnung auch praktikabel.

Schließlich noch etwas zum Verfahren: Es eilt. Es eilt, meine Damen und Herren aus den ehemaligen Regierungsfraktionen, weil Sie das Gesetz über ein Jahr lang liegen gelassen haben. Aber wir sind entschlossen, auch dieses Ihrer Versäumnisse zu heilen. Wir bringen den Gesetzentwurf heute mit

der Zielsetzung ein, ihn im Juni-Plenum zu verabschieden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. - Im Rahmen der Aussprache in der ersten Beratung hat nun der Kollege Thomas Adasch für die CDU-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will direkt auf den Kollegen Becker eingehen. Ich hatte bis vorhin noch die Hoffnung, dass wir uns interfraktionell verständigen und hier nicht unnötig Polemik und Schärfe in die Diskussion gebracht werden.

(Wiard Siebels [SPD]: Dann lass das doch!)

Wenn Sie richtig informiert wären - Sie sind ja neu dabei -, wüssten Sie, dass sich CDU und FDP in der Tat schon sehr intensiv mit diesem Thema beschäftigt haben. Die Sprecher aus dem Verfassungsschutzausschuss haben heute Vormittag - Herr Becker, Sie waren nicht mit dabei - interfraktionell zusammengesessen und über einen gemeinsamen Weg beraten. Offenbar hat man Sie darüber nicht informiert.

(Björn Thümler [CDU]: Na so was!)

Ich hätte mich gefreut, wenn Sie ein bisschen mehr zur Sache gekommen und ein bisschen mehr auf die Rechtsproblematik eingegangen wären, anstatt hier über Regierungsarbeit zu philosophieren.

(Beifall bei der CDU)

Ausgangslage für diesen in der Tat wichtigen und drängenden Gesetzentwurf - das ist zu Recht gesagt worden - ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 24. Januar 2012, das uns dazu auffordert, das Niedersächsische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung und das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz der Rechtsprechung anzupassen.

Die Handlungsmöglichkeiten der Ermittlungsbehörden müssen aus unserer Sicht weiterhin sichergestellt werden - ich glaube, darin sind wir uns einig. Das Instrument des Abfragens von Bestandsdaten ist zur Abwendung von Gefahrensitu

ationen unbedingt erforderlich. Diese Ermittlungsmethoden werden beispielsweise bei der Suche nach vermissten und suizidgefährdeten Personen oder bei der Verfolgung von Straftaten, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden, genutzt. Ebenso besteht die Chance auf die Verhinderung von Amokläufen.

Bisher regelte der § 113 des TKG, dass Telekommunikationsdienstleister im Rahmen eines manuellen Auskunftsverfahrens dazu verpflichtet sind, die nötigen Daten an die Sicherheitsbehörden zu übermitteln. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass der § 113 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes bei verfassungskonformer Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Bei § 113 Abs. 1 Satz 2 muss der Bundesgesetzgeber die Zugriffrechte hingegen auf den erforderlichen Umfang beschränken. Zusätzlich bedarf es für den Datenabruf durch eine Sicherheitsbehörde einer qualifizierten fachrechtlichen Ermächtigungsgrundlage. Daher werden die angesprochenen Landesgesetze geändert; darüber sind wir uns hier im Hause einig, denke ich. Auf diese Weise wird hinreichend klar geregelt, gegenüber welchen Behörden die Anbieter konkret zur Datenübermittlung verpflichtet sein sollen.

Durch die Anpassung der Regelungen wird es den niedersächsischen Ermittlungsbehörden durch die Schaffung der erforderlichen Rechtsgrundlagen ermöglicht, auch über den 30. Juni hinaus - das ist der wichtige Stichtag - die Berechtigung zur Erhebung von Bestandsdaten zu erhalten.

Zu § 113 Abs. 1 Satz 2 TKG entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Zugriffe auf Zugangssicherungscodes von Endgeräten oder Speichereinrichtungen, wie beispielsweise PINs oder PUKs, in der momentanen gesetzlichen Ausgestaltung mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung kollidieren und unverhältnismäßig in diesen Schutzbereich eingreifen. Der bisherige Umfang dieser Datenerhebungen sei für eine effektive Aufgabenwahrnehmung der Sicherheitsbehörden nicht erforderlich, weshalb die Regelung unverhältnismäßige Grundrechtseingriffe zur Folge habe.

Mit der Neuregelung wird die Abfrage von Zugangssicherungscodes an strengere Eingriffsvoraussetzungen und Verfahrensregelungen gebunden. Eine Abfrage der Daten soll zukünftig nur bei Gefahren für Leib, Leben und Freiheit einer Person ermöglicht werden. Der Nutzungszweck muss folglich stets berücksichtigt werden. Durch die

rechtliche Normierung wird dieser Vorgang insgesamt transparenter.

Zudem wird die Abfrage von Zugangssicherungscodes im vorliegenden Gesetzentwurf unter Richtervorbehalt gestellt. Dieser wird allerdings nicht vom Bundesverfassungsgericht gefordert. Ein Richtervorbehalt ist aus unserer Sicht nur dann sinnvoll, wenn der Ermittlungserfolg nicht gefährdet wird. - Ich denke hierbei beispielsweise an die Suche nach einer suizidgefährdeten Person. Ein Richtervorbehalt könnte das Auffinden des Betroffenen unnötig erschweren.

Für den Verfassungsschutz sollen vergleichbare Regelungen getroffen werden. Hier wird für ein Auskunftsverlangen die Anordnung des Fachministers oder die Zustimmung der G 10-Kommission verlangt.

In diesen Punkten besteht für die CDU-Fraktion noch Beratungsbedarf, während die grundlegenden Ziele der Gesetzesanpassung selbstverständlich unterstützt werden.

Die Auskunft über die Zuordnung dynamischer Internetprotokolladressen bedarf ebenso einer normenklaren Regelung. Der Abruf von Bestandsdaten und Zugangssicherungscodes anhand von dynamischen IP-Adressen soll unter einen Richtervorbehalt gestellt werden und lediglich zur Abwehr von Gefahren für Leib, Leben und Freiheit einer Person zum Einsatz kommen. Mit dem vorliegenden Änderungsgesetz werden die notwendigen Rechtsanpassungen vorgenommen, sodass die dynamischen IP-Adressen nach der Übergangsfrist weiterhin abgerufen werden können.

Über die bisherigen Ausführungen herrscht weitgehende Einigkeit zwischen den Fraktionen. Allerdings gibt es noch einen Punkt, bei dem die CDUFraktion weiteren Beratungsbedarf sieht: Der Ordnungsbegriff findet im vorliegenden Entwurf keine Erwähnung mehr; es wird lediglich der Begriff der öffentlichen Sicherheit gebraucht.

Insgesamt sorgen die dargestellten Änderungen aber für die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der qualifizierten Rechtsgrundlagen zur Erhebung von Bestandsdaten. Dies gilt auch für die Verwendung dynamischer Internetprotokolladressen und die Abfrage von Zugangssicherungscodes.

Da die CDU - Herr Kollege Becker, da muss ich Ihnen noch einmal widersprechen - maßgeblich an der Erarbeitung des vorliegenden Änderungsge

setzes mitgewirkt hat, herrscht weitgehende Einigkeit über die Regelungstatbestände.

Wir freuen uns auf die Beratung im Innenausschuss.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Auch Ihnen, Herr Kollege Adasch, herzlichen Dank. - Im Rahmen der Beratung hat jetzt der Kollege Jan-Christoph Oetjen von der FDP-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sowohl von Herrn Kollegen Becker als auch von Herrn Kollegen Adasch ist angesprochen worden, dass diese Gesetzesnovelle auf einem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom Januar 2012 basiert. Das Gericht hat uns eine Frist bis zum 30. Juni dieses Jahres gesetzt, dieses Urteil umzusetzen und das Gesetz zu ändern.

Herr Kollege Becker, Sie sind neu in diesem Hause. Aber bevor Sie hier fragen, warum CDU und FDP dieses Gesetz in der letzten Wahlperiode nicht mehr geändert haben, sollten Sie selbst überlegen, welche Gründe es dafür gegeben haben mag. Am Ende jeder Wahlperiode stauen sich die Gesetzentwürfe. Wir alle wissen, dass der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst dann unter dem Programm ächzt, das im Parlament noch vor der Wahl umgesetzt werden soll. Insofern hat dieser Gesetzentwurf zurückgestanden, weil wir noch bis zum 30. Juni Zeit haben. Ich bitte da um Verständnis. Aber es ist bei Weitem nicht so, dass sich CDU und FDP nicht mit diesem Punkt beschäftigt hätten. Das hat der Kollege Adasch gerade sehr richtig ausgeführt.

Jetzt liegt der Gesetzentwurf vor. Sie setzen das Bundesverfassungsgerichtsurteil um. Das findet selbstverständlich die Zustimmung der FDP-Landtagsfraktion. Deswegen kann ich grundsätzlich schon jetzt Zustimmung zu dem Gesetzentwurf signalisieren. Denn wir stimmen bei den Regelungsinhalten natürlich überein.

Auch die über das Bundesverfassungsgerichtsurteil hinausgehenden Richtervorbehalte, die Sie einführen, insbesondere für die Abfrage von PINs und PUKs auf der einen Seite und für die Abfrage dynamischer IP-Adressen auf der anderen Seite,

finden unsere inhaltliche Zustimmung. Von daher haben Sie auch da die FDP-Fraktion an Ihrer Seite.

Wir alle wissen, dass die Strafverfolgungsbehörden diese Instrumente brauchen. Deswegen sind auch wir der Ansicht, dass einer zügigen Beratung im Innenausschuss nichts entgegensteht und wir dieses Gesetz hoffentlich im Juni in diesem Hause verabschieden können.

(Beifall bei der FDP, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Ich erteile das Wort dem Kollegen Belit Onay von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Fernmelde- und Telekommunikationsgeheimnis bildet die Grundlage einer freiheitlichen Informationsgesellschaft. Insofern ist dieses Thema ein sehr sensibles, ein sehr wichtiges. Man mag verstehen, dass es zum Ende der letzten Legislaturperiode hin Engpässe gegeben hat. Dennoch hätte man sich schon gewünscht, dass man sich eines so wichtigen Themas annimmt. Aber vielleicht ist es gar nicht so schlimm, dass wir das jetzt machen.

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜNE])