Wir machen weiter, Herr Will. Zwölf Minuten reichen nicht für die ganzen Probleme. Denken Sie bitte einmal an einen jungen Menschen, der zu Ihnen kommt und zwischen Abitur und Studium zwei Monate in Ihrem Abgeordnetenbüro ein Praktikum machen möchte, um hier einmal hineinzuschnuppern, was früher problemlos möglich war. Jetzt müssten Sie ihn fragen, was er denn künftig vorhat. Hat er keinen Studienplatz, ist es gut; denn dann kann die Tätigkeit in Ihrem Büro der beruflichen Orientierung dienen. Aber wehe, er hat einen Studienplatz als Elektroingenieur! Dann geht es nämlich nicht mehr, weil zweifellos die berufliche Orientierung hier nicht mehr gefragt ist. - Das ließe sich endlos fortsetzen.
Wir sind durchaus für Kontrollen. Kontrollen können hier aber arbeitsgerichtlich durchgeführt werden. Jeder Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, zum Arbeitsgericht zu gehen und zu klagen, wenn er den Mindestlohn, der ihm gesetzlich zusteht, nicht bekommt. Da würde es ihm helfen, wenn wir beispielsweise Vorschriften hätten, nach denen mit Minijobbern ein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen werden muss. Derzeit brauchen Sie das nämlich nicht. Das sind die Probleme, über die wir reden müssen.
Nun könnten Sie mir natürlich sagen, die Arbeitnehmer würden sich gar nicht trauen, zum Arbeitsgericht zu gehen - ja, Sie nicken - und gegen ihre Arbeitgeber zu klagen. Da frage ich Sie, Herr Will: Glauben Sie denn, dass ein Arbeitnehmer, der sich nicht traut, eine Klage zu erheben, weil er unter 8,50 Euro bezahlt wird, klagt, weil die Dokumentation seiner Arbeitszeit möglicherweise falsch ist? Wie kontrollieren Sie das denn? Das ist doch das eigentliche Problem. Wer die kriminelle Energie hat, das Mindestlohngesetz zu brechen, wird sich auch nicht davor scheuen, die Dokumentations
pflichten zu brechen und ihnen nicht nachzukommen. Er wird nämlich schlichtweg falsch dokumentieren.
Meine Damen und Herren, der ehrliche Arbeitgeber wird das nicht tun. Der ehrliche Arbeitgeber wird aber auch ohne die Dokumentation den Mindestlohn oder das, was er vertraglich zugesichert hat, zahlen. Das ist auch das eigentlich Schlimme an dem, was Sie hier als Bürokratiemonster installiert haben: Es trifft wieder einmal die Ehrlichen unter den Arbeitgebern - und ausschließlich diese.
Vielen Dank, Herr Toepffer. - Jetzt hat sich nicht der Kollege Will zu Wort gemeldet, sondern der Kollege Ronald Schminke. Sie haben das Wort.
(Jörg Bode [FDP]: Wir bringen ja auch ein! Eigentlich ist das unser Tages- ordnungspunkt, Herr Präsident! - Christian Grascha [FDP]: Eigentlich hätten wir als Erste aufgerufen wer- den müssen! - Ronald Schminke [SPD]: Wollen Sie von der FDP nicht erst einmal einbringen?)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Toepffer, herzlichen Dank für diese bis auf einen Punkt brillante Rede und dieses geniale Auseinandernehmen des Mindestlohngesetzes der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages.
Da das, was Sie zu diesem Gesetz und seinen Auswirkungen gesagt haben, ja alles richtig ist, frage ich mich nur: Warum haben eigentlich die Bundestagsabgeordneten der CDU das beschlossen, meine sehr geehrten Damen und Herren? Ich vermute, dass Ihnen in Berlin die FDP gefehlt hat. Wir wollen aber natürlich unseren Beitrag leisten, damit aus Niedersachsen vernünftige Regelungen auf den Weg geschickt werden können.
Ich möchte heute auch gar nicht über die Frage „Mindestlohn - ja oder nein?“ streiten. Das Gesetz ist nun einmal beschlossen worden, und jetzt geht es darum, sich mit den Folgewirkungen auseinandersetzen.
Meine Damen und Herren von SPD und Grünen, Ihnen ging es in allen Ihren politischen Forderungen ja immer um die Einführung eines Mindestlohns. Es ging Ihnen nicht darum, ehrliche Unternehmer mit Bürokratie abzustrafen. Aber diese Folgewirkung ist eingetreten, und wenn man das erkennt, dann muss man doch so ehrlich sein und sagen: Da sind wir ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen, das müssen wir zurückdrehen, da müssen wir eine vernünftige Regelung treffen und unser eigenes Ziel wieder in den Vordergrund stellen. - Dass die SPD dazu nicht in der Lage ist, haben wir gemerkt. Deshalb wollen wir Ihnen gemeinsam mit der CDU Vorschläge unterbreiten, wie es tatsächlich besser werden kann.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, CDU und FDP unterscheiden sich nur in einem einzigen Punkt - der Kollege Toepffer hat es gesagt -: Es geht um die Klarstellung, ob Zulagen in die Berechnung des Mindestlohns einbezogen und Sachleistungen auf den Mindestlohn angerechnet werden können. Deutlich geworden ist das Problem bei der Systemgastronomie. Die dortigen Tarifverträge enthalten auch andere Gehaltsbestandteile wie beispielsweise Zulagen. Ich verstehe nicht, warum die Arbeitgeber jetzt durch das Gesetz gezwungen werden sollen, Tarifverträge zu kündigen und das Lohngefüge neu und anders auszugestalten. Hier bedarf es einer Klarstellung.
Zum Stichwort Sachbezüge. Sehr geehrter Kollege Toepffer, wenn diese Regelung dazu führen würde, dass solche sittenwidrigen Zustände, wie Sie sie beschrieben haben, verhindert werden könnten, dann könnte man darüber tatsächlich nachdenken. Aber dank Minister Lies läuft diese Regelung ja komplett ins Leere und entfaltet gar keine Wirkung mehr. Minister Lies hat auf eine Anfrage von mir geantwortet, er würde den Unternehmen empfehlen, den Sachbezug - damals ging es um die Gesellen auf Wanderschaft - in einem zweiten Vertrag separat mit dem Arbeitnehmer zu vereinbaren, um keine Anrechnung vornehmen zu müssen. Beide Verträge könnten verrechnet werden,
sodass nur eine Überweisung ausgeführt werden müsse. Und damit wiederum ließe sich dieses Problem lösen, und das Gesetz könnte so bleiben, wie es ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine Regelung, die man einfach dadurch aushebeln kann, dass man statt eines Vertrags zwei Verträge abschließt und die Wirkung dann die gleiche ist, brauchen wir nicht! Das bedeutet nur mehr Bürokratie und geht an dem, was Sie, Herr Toepffer erreichen wollten, komplett vorbei.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es wird Zeit, dass wir diesen Unfug beenden und aus dem Gesetz herausstreichen.
Genauso ist es mit den Haftungsfreistellungen. Dass ein Unternehmen dafür haftbar gemacht wird, dass es von einem zweiten oder dritten Auftragnehmer in der Kette betrogen wurde - obwohl es nach besten Wissen und Gewissen davon ausgehen konnte, dass dieser sich an die Spielregeln hält -, dass man sich also vor deutschen Gerichten verantworten muss, obwohl man gutgläubig gehandelt hat, geht zu weit. Wir können uns nicht von einem Misstrauen gegen die gesamten Vorlieferanten treiben lassen und verlangen, dass der Auftraggeber, der den Auftrag ausführt, diejenigen Prüfungen vornimmt, die eigentlich die Staatsanwaltschaften und Gerichte bei demjenigen hätten durchführen sollen, der den Rechtsverstoß tatsächlich begeht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Gesetz schürt Misstrauen in einer Gesellschaft, in der grundsätzlich Vertrauen herrschen sollte. Das ist der falsche Ansatz. Das Misstrauen gegenüber Ehrenamtlichen, wie sie mit einem kleinen Bonus umgehen, ist erst einmal abgemildert worden. Natürlich brauchen wir hier eine rechtliche Klarstellung.
Aber was ist mit dem Misstrauen in Sachen Praktika? Die Anzahl von Anfragen Studierender, ob man ihnen helfen kann, einen Praktikumsplatz in einem Unternehmen zu bekommen - den sie für ihr Studium brauchen -, ist gigantisch gestiegen. Zumindest ist das bei uns der Fall: Wir werden gebeten, mit den Unternehmen zu reden, damit sie trotzdem noch Praktikumsplätze zur Verfügung stellen. Denn durch die Mindestlohnregelung ist es für die Unternehmen nicht mehr lukrativ, solche Praktikumsplätze anzubieten, und daher gibt es auch immer weniger. Das ist mit Blick auf den
Ich komme nun zum Stichwort Arbeitszeitdokumentationspflichten. Der Kollege Toepffer hatte schon ausgeführt, welchen Aufwand das bedeutet.
Er hat auch dargestellt, welchen Mehrwert wir durch diese Dokumentationspflichtenverordnung generieren - nämlich keinen! Wir füllen Aktenschränke mit Zahlen, ohne dass irgendetwas besser wird. Das ist Unsinn. Wir müssen die Unternehmen von Bürokratie entlasten, damit sie sich auf das Wesentliche konzentrieren können. Wir müssen sie von diesen Kosten freistellen, damit sie dafür Arbeitsplätze schaffen können, und zwar produktive und keine, die schlicht und ergreifend nur Papiere füllen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Unternehmen sind verpflichtet, unabhängig von einem Anfangsverdacht Daten zu erfassen und über mehrere Jahre zu speichern, damit der Staat irgendwann einmal darauf zugreifen kann - ohne dass das einen Mehrwert hat oder ein Verbrechen vorliegt.
Liebe Grüne, denke Sie bitte einmal an den Tagesordnungspunkt zurück, den wir gerade beraten haben. Das Ganze erinnert doch sehr stark an eine gesetzlich verankerte analoge Vorratsdatenspeicherung. Eine digitale Vorratsdatenspeicherung haben Sie abgelehnt, aber im Mindestlohnbereich fordern Sie sie geradezu.
Dieses Gesetz ist ein Konjunkturpaket für Gerichte und Rechtsanwälte. Es ist schädlich für Arbeitsplätze und schädlich für die Vertrauenskultur im Unternehmen, bei den Familienunternehmen und im Mittelstand. Daher gehört dieser Teil schlicht und ergreifend gestrichen, und zwar je schneller desto besser. Ich hoffe, dass die CDU im Deutschen Bundestag endlich auf den Pfad der Tugend einschwenkt.
Vielen Dank, Herr Kollege Bode. - Jetzt kommt Herr Kollege Schminke, SPD-Fraktion. Bitte, Herr Schminke, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro wurde für knapp 4 Millionen Menschen in Deutschland eine spürbare Einkommensverbesserung erreicht.
Wir Sozialdemokraten haben uns für den Mindestlohn eingesetzt, weil nur mit einer gesetzlich festgesetzten und kontrollierten Lohnuntergrenze den schier unglaublichen und menschenverachtenden Auswüchsen am Arbeitsmarkt Einhalt geboten werden kann. Das ist unsere Überzeugung.
Der FDP möchte ich sagen: Wir werden deshalb unbeirrt am Mindestlohn festhalten. Den bekommen Sie nicht mehr weg. Er ist nämlich ein Bestandteil guter und auskömmlicher Arbeit. Und für gute und auskömmliche Arbeit sind bekanntlich die Sozialdemokraten zuständig. Das ist unser Markenzeichen, und das lassen wir uns von Ihnen auch nicht wegnehmen.
Die CDU will wie die FDP an vielen Stellen alles zurückdrehen. Es ist aber unabdingbar und wichtig, dass man ohne Arbeitszeitdokumentation keine Kontrollen sicherstellen kann. Wer die Beweislast umkehren will, der schwächt die Nachweisbarkeit der geleisteten Arbeit. Das geht dann einseitig zulasten der Arbeitnehmerseite. Und das läuft dann auch nicht, meine Damen und Herren.
Sie wollen eine Haftungsbefreiung der Auftraggeber für Verstöße der Nachunternehmer. Auch da werden wir Ihnen nicht auf den Leim gehen. Wissen Sie, die sogenannte Durchgriffshaftung beherrschen die Bauunternehmen schon viele Jahre, weil sie auch Bestandteil des Vergabegesetzes ist. Heute sichern sich fast alle Generalunternehmer bei den Subunternehmern durch Verträge ab. Sie lassen sich nämlich die Einhaltung der Tarife durch Subunternehmen zusichern. Exakt dahin wollen wir kommen; denn das hat erzieherische Effekte, und dadurch wird der Wettbewerb langfristig sauberer, verehrte Damen und Herren. Genau das ist der Weg.
flexible Arbeitszeitmodelle, um Rechtssicherheit für Arbeitgeber ohne bürokratischen Mehraufwand zu schaffen.
Wissen Sie was, meine Damen und Herren der FDP? - Das wollen wir aber nicht, weil wir geltendes Tarifrecht und Tarifautonomie der Gewerkschaften nicht ad absurdum führen wollen. Genau das wäre nämlich die Konsequenz dieser Geschichte.
Wir nehmen auch im Gegensatz zur FDP die Rechte von Betriebsräten und Gewerkschaften sehr ernst, aber leider gibt es nicht in allen Unternehmen und Branchen durchsetzungsfähige Betriebsräte. In diesem Bereich könnten wir uns mehr vorstellen, und bessere Verhältnisse hätten wir auch ganz gerne.
Schauen Sie sich doch einmal um, wie es beispielsweise in der Floristikbranche aussieht. Wie viele Betriebe haben dort einen Betriebsrat? Was ist mit vielen anderen kleineren Branchen? Auch bei den Friseuren gibt es praktisch keine Betriebsräte, und wenn, wäre es die absolute Ausnahme. Wer kontrolliert dort die Löhne? Was macht Sie eigentlich so sicher, dass dort der Mindestlohn oder der dort eigentlich gültige Tariflohn eingehalten wird?