Protocol of the Session on May 12, 2015

(Glocke des Präsidenten)

Das fordern wir auch. Das wäre eine klare Aufgabenstellung mit deutlicher Abgrenzung zur Grenzsicherung. Das Einsatzgebiet - das ist wichtig - müsste dann auch auf die Gewässer vor der afrikanischen Küste, insbesondere vor dem Haupttransitland für Flüchtlinge, Libyen, ausgeweitet werden. Denn dort geraten bereits viele Schiffe in Not.

Die Methode der Abschreckung von Flüchtlingen durch Inkaufnahme ihres Sterbens muss endgültig aufgegeben werden, meine Damen und Herren. Stattdessen sollte die EU durch die Aufnahme von wesentlich mehr Flüchtlingen ihrer moralischen und politischen Pflicht nachkommen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Doris Schröder-Köpf [SPD])

Frau Kollegin, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen. Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überzogen.

Ich komme zum Schluss. - Ich hoffe, dass am Ende unserer Beratungen ein möglichst einstimmiges

Votum stehen wird, und schließe mit den Worten des italienischen Staatspräsidenten Mattarella bei seiner Privataudienz beim Papst im Januar:

„Wir laufen Gefahr, unsere Menschlichkeit zu verlieren.“

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Polat. - Für die CDUFraktion hat jetzt die Abgeordnete Editha Lorberg das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Polat, ich habe Ihnen eigentlich viel mehr zugetraut, als hier eine Rede zu halten, die anscheinend schon viele Jahre alt ist.

(Zuruf von der CDU: Wir nicht!)

Denn das, was Sie hier gesagt haben, hat sich in vielen Teilen ja wohl schon längst überholt. Schade, dass Sie es noch nicht mitbekommen haben.

(Zustimmung bei der CDU - Helge Limburg [GRÜNE]: Leider nicht, Frau Kollegin! Wo leben Sie eigentlich? Lesen Sie mal Zeitung!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was bringt Menschen dazu, sich auf abgewrackte Schiffe, in überladene Schlauchboote und auf seeuntüchtige Kutter zu begeben? Wie groß muss die Not dieser Menschen sein, dass sie die Reise über das Meer auf sich nehmen, obwohl sie wissen, dass bereits viele Tausend Menschen auf diesem Weg ums Leben gekommen sind! Wie grausam muss es sein, während dieser Reise zu erleben, wie andere Flüchtlinge an Bord sterben, wie sie die Strapazen nicht ertragen oder anders ums Leben kommen! Wie traumatisierend muss es sein, über Monate, teilweise über Jahre auf der Flucht zu sein und am Ende nur noch die kleine Chance zu haben, über das Meer in Sicherheit zu gelangen!

Meine Damen und Herren, wir alle können kaum ermessen, was diese Menschen durchmachen und durchgemacht haben, wenn sie dann endlich hier in Europa ankommen. Das nackte Überleben ist bis zu diesem Augenblick das einzige Ziel, das diese Menschen noch haben.

Es gehört schon viel Glück dazu, die Flucht über das Meer unbeschadet zu überstehen. Es gehört auch viel Glück dazu, von einem im Mittelmeer kreuzenden Schiff aufgegriffen zu werden. Dabei dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, dass das durchaus auch Handelsschiffe sein können. Diese Handelsschiffe, meine Damen und Herren, sind in hohem Maße mit diesen Herausforderungen überfordert.

Aber nicht alle Flüchtlinge haben Glück gehabt. Tausende haben ihr Leben im Mittelmeer verloren. Sie starben unter den - wie ich schon sagte - Strapazen. Sie sind verdurstet, weil die Schlepper ihnen nicht genügend Proviant mitgegeben haben, oder sie wurden einfach über Bord gedrängt, weil die Boote einfach viel zu voll waren, oder sie sind ertrunken, weil die Schiffe gekentert sind, oder selbst in einem Moment, wo die Rettung nah war, das Schiff noch kenterte und vor den Augen der Retter ein Überleben nicht mehr möglich war.

Angesichts dieser furchtbaren Unglücke, die 2013 passierten, wurde das Projekt „Mare Nostrum“ eingerichtet, ein italienisches Projekt. Die Schiffe, die damals von Italien aus in diese Notsituationen hineinmanövriert wurden, haben sehr vielen Menschen auf See helfen können, aber längst nicht allen. Sie alle wissen, dass die libysche Küste mehr als 1 700 km lang ist. Eine solche Herausforderung war für ein Land wie Italien natürlich nicht zu meistern.

Die Fortsetzung wurde über Monate diskutiert. Wir mussten feststellen, dass alle Bemühungen, schnell zu einer Einigung in der EU zu kommen, nicht so einfach zu regeln waren.

Als dann im April 2015 mehr als 900 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken sind, hat die Tragödie des Mittelmeeres einen neuen Höhepunkt erreicht. Ich bin unserer Verteidigungsministerin, Frau Ursula von der Leyen, ausgesprochen dankbar dafür, dass sie so schnell und beherzt zwei Schiffe in das Krisengebiet in der Mittelmeerregion geschickt hat, um noch Schlimmeres zu verhindern. Wie wichtig diese Maßnahme war, hat sich sofort in den ersten Tagen gezeigt. Denn die beiden Schiffe konnten unmittelbar Flüchtlinge aufnehmen, medizinische Versorgung gewährleisten und Menschen an das sichere Festland bringen.

Ja, meine Damen und Herren, wir retten Menschenleben. Aber wir müssen auch sehen, dass wir andere Wege zur Stabilisierung in den Ländern erreichen, aus denen die Flüchtlinge fliehen. Wir

müssen auch im Blick behalten, dass wir die Schlepperbanden, so schnell es geht, aufspüren, verurteilen und ihre Vermögen beschlagnahmen und damit diesem unendlich grausamen Werk dieser Schlepperbanden entgegentreten.

(Beifall bei der CDU)

Wir müssen auch unsere Präsenz auf See erhöhen, damit wir die Schiffe, die den Schleppern in die Hände geraten, um die Flüchtlinge nach Europa zu bringen, so früh wie möglich aufspüren, um sie aus dem Verkehr ziehen zu können. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass sich die Situation in den Ländern stabilisiert.

Hier möchte ich auf die Situation in Afrika zu sprechen kommen. Wir alle wissen, dass viele Flüchtlinge auch auf dem Weg durch die Sahara zu uns gelangen. Niemand von uns weiß, wie viele Flüchtlinge auf diesem Weg sterben. Ich denke, auch diese Aufgabe müssen wir unbedingt im Auge behalten.

Ich finde es gut, dass Bundesinnenminister de Maizière einen Vorstoß unternommen hat und prüfen lässt, ob es Ausreisezentren in Afrika geben kann, die sicherlich eine große Hilfeleistung darstellen würden, um dieser Situation zu begegnen.

(Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, im letzten Absatz des Antrages von SPD und Grünen steht:

„Das unverantwortliche Handeln der EU und der Bundesregierung im Hinblick auf die Abschaffung von Mare Nostrum, das Einsetzen der Triton-Mission und die generelle Abschottung von Europa im Hinblick auf die nicht vorhandenen legalen Zugangswege in die EU lassen daran zweifeln, ob diese Verantwortlichen überhaupt an der Rettung von Flüchtlingen und deren Schutz interessiert sind“.

Meine Damen und Herren, ich finde es geschmacklos, dass Sie in Ihrem Antrag die EU und die Bundesregierung in einer solch menschenverachtenden Weise angreifen.

(Beifall bei der CDU - Frank Oester- helweg [CDU]: Sehr richtig!)

Es kann nicht sein, dass wir in einer Demokratie solche Begrifflichkeiten verwenden und unserer Bundesregierung unterstellen, sie sei nicht daran interessiert, Menschenleben zu schützen oder zu retten.

Frau Kollegin, jetzt habe ich Ihnen genau die gleiche Großzügigkeit wie Frau Polat zuteilwerden lassen. Aber nach einer Minute Überziehung müssten Sie jetzt wirklich Schluss machen.

Meine Damen und Herren, wir nehmen dieses Thema sehr ernst und hoffen, dass die Maßnahmen von Bund und EU rasch greifen, damit nicht noch mehr Flüchtlinge im Mittelmeer ums Leben kommen. Daran sollten wir arbeiten, ohne dass wir aus dem Blick verlieren, was alles schon getan wird. Also: nicht parteipolitisch, nicht ideologisch, sondern mit Menschenverstand und mit Herz!

Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Lorberg. - Für die SPDFraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Doris Schröder-Köpf das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie gut, dass es die „Hessen“ und die „Berlin“ gibt. Am vergangenen Freitag haben die Fregatte „Hessen“ und der Einsatzgruppenversorger „Berlin“ der Bundeswehr erstmals Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet: 419 Menschen. Ich möchte aus diesem Anlass aus einer offiziell zugänglichen Schilderung des Einsatzkommandos der Bundeswehr zitieren:

„Dieses Gefühl der Sicherheit, das sie an Bord des deutschen Schiffes direkt eingenommen hatte, gegen diese pure Lebensangst zuvor, bestimmt von den Gefahren, die auf dem langen Weg... auf sie lauerte und die tiefe Angst, dass ihre Familien auseinandergerissen werden könnten, wenn die Nussschalen auf See kentern. Rund 3 000 Euro hatten sie und ihre zurückgebliebenen Familienangehörigen zusammengekratzt, die in die Hände der Schlepper an Land und See geflossen waren, gegen ein Versprechen, für das es kein Dokument gab und keine Erfolgsgarantie.“

Der Kommandeur der Task Group Seenotrettung, Kapitän zur See Andreas Seidl, der mit seinen beiden Schiffen nach gelungener Rettungsaktion den Hafen von Reggio di Calabria angelaufen hat

te, sagte anschließend zum Rettungseinsatz: „Es war unsere seemännische Pflicht.“

Sehr geehrte Damen und Herren, in nur fünf Worten hat Kapitän Seidl alles gesagt. Es ist unser aller Pflicht, den schiffbrüchigen Flüchtlingen zu helfen.

Deutschland hat sich spät - ich sage: sehr spät - dazu entschlossen, wie Großbritannien in einer Art Koalition der Freiwilligen in Operationen vor der libyschen Küste auf der Grundlage des Seerechts zu helfen. Wie lange genau die deutschen Schiffe im Einsatz bleiben und ob ihr Einsatz doch noch einen offiziellen Titel erhält, ist noch unklar. Dieser erste Hilfseinsatz läuft wohl am 19. Juni aus, wenn die „Hessen“ und die „Berlin“ in Wilhelmshaven eintreffen.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Tja!)

Wie aus Kreisen der Bundeswehr zu erfahren ist, befinden sich Nachfolgeeinheiten in Planung.

In den Beschreibungen der deutschen Soldatinnen und Soldaten ist das Mitgefühl zu spüren. 419 Männer, Frauen und Kinder gerettet - das lässt niemanden unberührt. Aber am Wochenende zuvor hatte die italienische Marine mehr als 5 800 Flüchtlinge gerettet: 3 700 am Samstag, 2 100 am Sonntag, darunter ein Neugeborenes. Mehrere Flüchtlinge konnten nur noch tot geborgen werden.

Sehr geehrte Damen und Herren, seit Jahresbeginn sind etwa 1 800 Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ums Leben gekommen. Allein in der Nacht des 18. April starben 900 Menschen auf der Suche nach Schutz in Europa 130 km vor der libyschen Küste, weil Hilfsschiffe nicht rechtzeitig eintrafen. Seit Jahresbeginn nahmen allein deutsche Handelsschiffe mehr als 5 000 Menschen auf. Ralf Nagel, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des Verbandes Deutscher Reeder, spricht von einem rapiden Anstieg der Flüchtlingsüberfahrten seit März. Deutsche Handelsschiffe hätten - ich zitiere - „mittlerweile täglich solche Rettungsaktionen“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es kann doch nicht wahr sein, dass wir Matrosen deutscher Handelsschiffe die Aufgabe überlassen, massenhaft Menschenleben zu retten! Es ist doch eine europäische Aufgabe, in unserem Meer - mare nostrum - das Massensterben zu verhindern.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)