Protocol of the Session on March 18, 2015

Ich habe es mir mal von einem Textiler aus dieser Branche schildern lassen, der auch in Fernost tätig ist. Er sagte: Manchmal besichtigt man die Produktionsstätte vor Ort und nimmt sie in Augenschein, um sich ein Bild zu verschaffen, wie es dort funktioniert. Wenn aber derjenige, der für ein hiesiges Unternehmen arbeitet, in Lieferdruck gerät, dann bedient er sich eines Subunternehmers, der vielleicht wiederum einen Subunternehmer einschaltet. In der Zeitung war das Beispiel eines Produkts angeführt, das für 15 Dollar verkauft wird und letztlich für 8 Cent hergestellt worden ist. Derjenige aber, der ursprünglich den Auftrag erhalten hat, sollte es für 1,80 Dollar herstellen. Aber der fünfte in der Kette bekam dafür dann als Zulieferer noch 8 Cent.

Wenn man als Unternehmen sicherstellen will, dass in jedem Fall genau bekannt ist, was dort los ist, und man strafrechtlich belangt werden kann, dann muss gefragt werden, ob das erstens national vernünftig gelöst werden kann und ob das zweitens vom Unternehmen wirklich nachgewiesen werden kann oder ob Sie deutsche Unternehmen im Wettbewerb benachteiligen, sodass das zukünftig anderswo stattfindet.

(Vizepräsident Karl-Hein Klare über- nimmt den Vorsitz)

Damit ich richtig verstanden werde: Ich toleriere das nicht. Ich möchte aber nicht, dass wir uns von unseren guten Standards, wie wir sie mit dem Bündnis für nachhaltige Textilien haben, das Minister Müller in das Leben gerufen hat, verabschieden, dass wir mit sinnvollen Dingen, die wir machen, am Ende ins Hintertreffen geraten, weil es in anderen Teilen der Welt dann wieder ungeschützt stattfindet. Deswegen muss uns die Frage be

schäftigen, wie wir das mindestens auf der Basis der G-7, der G-8 oder in Europa, wenn nicht sogar darüber hinaus regeln können, dass wir es in unseren komplexen Netzwerken, in der Lieferkette so verankern, dass überall Sozial-, Umwelt- und Sicherheitsbedingungen eingehalten werden. Dass sie mit Füßen getreten werden, will, glaube ich, niemand von uns.

Aus dem Grunde ist es wichtig, dass wir das mit, aber nicht gegen die Wirtschaft machen und dass wir es im internationalen Verbund machen. Denn wenn wir es im nationalen Alleingang und mit strafrechtlichen Dingen machen, dann werden wir, glaube ich, unsere Unternehmen aus dem Land drängen. Gerade diese Frage wollen wir nicht damit beantworten, dass wir unsere Unternehmen aus den Märkten schmeißen, sondern wir wollen sie damit beantworten, bessere Standards in diesen Ländern zu erreichen, damit das, was wir bereit sind, mehr zu bezahlen, im Wettbewerb auch darstellbar ist, weil die Kunden es honorieren, und das dann auch wirklich bei den Menschen ankommt und nicht in den Taschen irgendwelcher Subunternehmer landet, die dann wieder unter unmenschlichen Bedingungen an anderer Stelle arbeiten, weil der soziale Ausgleich gerade in den Schwellenländern nun auch nicht besonders gut funktioniert. Darüber sind wir uns auch im Klaren.

Deswegen brauchen wir gezielte Regelungen. Deswegen brauchen wir auch solche Dinge wie das Bündnis für nachhaltige Textilien, das Minister Müller ins Leben gerufen hat. Das sind Anfänge, womit einerseits das Umdenken angestoßen wird, andererseits aber auch konkrete Schritte gemacht werden, um Qualitäts- und Sicherheitsnormen insgesamt einzuhalten und zu gewährleisten. Das ist eben mit diesen beteiligten Ländern zu tun. Auch das hat Bangladesch gezeigt: Die größte Sorge der Menschen dort war, dass sich die westlichen Industriestaaten völlig aus der Produktion dort zurückziehen. Dann verlieren sie nämlich vollständig ihre Jobs. Das dürfen wir auch nicht machen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass sie dort unter vernünftigen Bedingungen arbeiten können und dass die vernünftigen Bedingungen auch honoriert und bezahlt werden. Darauf haben die Menschen ein Anrecht. Wir dürfen sie aber auf keinen Fall von diesen Märkten ausschließen. Damit würden wir ihnen keinen positiven Dienst erweisen; denn dann kommen diese Schwellenländer überhaupt nicht auf die Füße.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung bei den GRÜNEN)

Deswegen bin ich gespannt, welche Lösungen es gibt. Die Länder werden wahrscheinlich wenig dazu beitragen können, aber auch wir in der Politik sind gefordert, unseren Teil dazu beizutragen, dass wir in dieser Frage umdenken. Nicht „Geiz ist geil“, sondern es geht auch darum, daran zu denken, wie diese Produkte hergestellt werden. Gelegentlich verrät der Preis schon etwas darüber, ob unter vernünftigen Bedingungen produziert werden kann oder nicht. Wenn etwa eine Kinderjeans, wie eben von der Kollegin genannt, für 2,50 Euro oder 2,90 Euro verkauft wird, dann kann sie nicht unter vernünftigen Bedingungen hergestellt worden sein. Das müssen wir in die Köpfe der Menschen bringen. Wir können in die Label schauen. Am meisten hilft es, wenn wir solche Produkte einfach nicht kaufen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU, bei den GRÜ- NEN, bei der FDP sowie Zustimmung bei der SPD Vizepräsident Karl-Heinz Klare: Vielen Dank, Herr Hilbers. - Nunmehr hat sich Herr Dr. Marco Genthe, FDP-Fraktion, zu Wort gemel- det. Bitte schön! Dr. Marco Genthe (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit diesem Antrag zur Aktuellen Stunde macht die Fraktion der Grünen tatsächlich auf ein ganz großes Problem aufmerksam. Es gibt in vielen Ländern Arbeitsbedingungen, die in keiner Weise zu akzeptieren sind. Diese Bedingungen führten z. B. in Bangladesch - der Kollege Helge Limburg hat es angesprochen - teilweise zu fürchterlichen Katastrophen.

Aber, Herr Limburg, wissen Sie ganz genau, wo Ihr Blazer oder das grüne T-Shirt hergestellt wurde?

(Helge Limburg [GRÜNE]: Ja, beim T- Shirt weiß ich es, bei der Hose auch!)

Das genau ist der springende Punkt, auf den ich gleich noch zurückkommen möchte. Aber wir brauchen uns an dieser Stelle gar nicht großartig zu streiten; denn auch für freie Demokraten ist es völlig unakzeptabel, wenn Menschen derart ausgebeutet werden.

Dies vorausgeschickt, meine Damen und Herren, frage ich mich jedoch, welches Ergebnis diese Aktuelle Stunde im Niedersächsischen Landtag eigentlich haben soll. Kollege Hilbers hat eben

gesagt, die Länder können nur wenig zur Lösung dieses Problems beitragen.

Wir haben in der Bundesrepublik eine ganz klare Aufteilung der Kompetenzen der einzelnen Parlamente. So ist der Niedersächsische Landtag dafür zuständig, die von dem grünen Landwirtschaftsminister, der gerade nicht da ist, zu verantwortende Agrarpolitik zu diskutieren oder die von der grünen Justizministerin, die ebenfalls nicht da ist, zu verantwortende Justizpolitik.

Meine Damen und Herren, es liegt auf der Hand, dass hier derart viele große Baustellen vorhanden sind, dass sich jeder niedersächsische Bürger fragen wird, warum wir uns mit globalen Themen beschäftigen, für die wir keine Kompetenz und auf die wir auch keinen Einfluss haben.

Ich hätte mich gefreut, wenn sich die GrüneFraktion mit der Politik ihrer Minister auseinandergesetzt hätte, anstatt hier Weltthemen auf das Tableau zu bringen.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Aber nach der Geschäftsordnung hat die GrüneFraktion das Recht dazu. Darum nehme ich die Gelegenheit, dazu wenigstens ein paar Worte zu verlieren.

Meine Damen und Herren, für freie Demokraten ist es wichtig, dass Wirtschafts- und Handelsstrukturen so gefördert werden, dass sie auf den Menschen ausgerichtet sind. Der Mensch und seine nachhaltige Existenzsicherung müssen an erster Stelle stehen.

In Europa ist es die soziale Marktwirtschaft, die als Quelle für Wohlstand, Fortschritt und Wachstum für die Menschen wirkt. Global gesehen gibt es jedoch einen großen Handlungsbedarf, der im Übrigen eng mit der Entwicklung und Stärkung von demokratischen Strukturen zusammenhängt.

Meine Damen und Herren, gerade im Bereich der Textilindustrie wird sehr oft behauptet, dass der geizige Käufer in den Industrieländern die Ursache für die Verletzung der Menschenrechte in den Produktionsländern ist. Ich glaube nicht, dass wir es hier mit einem Missbrauch der Käufermacht zu tun haben. Ich glaube ganz im Gegenteil, dass es an dieser Stelle die Möglichkeit gibt, die Situation in den sogenannten Billiglohnländern tatsächlich zu verbessern. Entscheidend ist nämlich - darum komme ich auf den Punkt zurück -, dass sich der Käufer mit Hilfe von ihm zur Verfügung stehenden

Informationen ein Bild über die Herstellung der Produkte machen kann. Aufgrund dieser Information kann er eine selbstbestimmte Entscheidung treffen, welches Produkt er auswählt.

Es ist also angezeigt, den Markt an dieser Stelle nicht weiter mit Regularien abzuwürgen, sondern die Aufklärungsarbeit zu verbessern und so die Hersteller zu zwingen, menschenwürdige Produktionsketten anzubieten.

Ein weiterer Weg sind die Handelsabkommen, die die EU mit Drittstaaten abschließt. Insoweit bin ich völlig einig mit der Kollegin von der SPD. Es gibt auch schon positive Beispiele in diesem Bereich, z. B. das Fischereiabkommen. Das Abkommen beinhaltet eine Menschenrechtsklausel, die es ermöglich, zu kündigen, wenn es in dem Drittstaat zu Menschenrechtsverletzungen kommt.

Ziel muss es sein, die betreffenden Drittstaaten möglichst eng in den internationalen Freihandel einzubinden. Denn nur so entstehen Anreize zur Einhaltung menschenwürdiger Standards, und es wird deutlich, dass die Missachtung keinen längerfristigen wirtschaftlichen Erfolg verspricht. Dagegen haben Handelsverbote in der Vergangenheit oft das Gegenteil dessen bewirkt, was wir uns eigentlich erwünscht haben.

Meine Damen und Herren, ich scheue auch davor zurück, am Ende als arroganter Deutscher irgendwo in der Welt aufzutreten und den Menschen in fernen Ländern vorzuschreiben, wie sie ihre Arbeitswelt und ihren Staat zu organisieren haben. Die Arbeitswelt und der Zustand des politischen Systems in einem Land hängen immer eng zusammen. Es tragen also nicht nur die hier oft gescholtenen Unternehmer, sondern auch die zuständigen politischen Ebenen die Verantwortung, zu Verbesserungen zu kommen.

Meine Damen und Herren, ich wünsche mir einen mündigen Bürger, der genügend Informationen hat, ganz genau zu entscheiden, ob er eine Billigklamotte oder ein Luxushandy aus dubioser Herstellung kauft oder ob er dem entsprechenden Anbieter bzw. Unternehmer die kalte Schulter zeigt.

(Christian Dürr [FDP]: Richtig!)

Die so entstehende Marktmacht ist sehr viel nachhaltiger als jedes Gesetz, welches sich ein deutscher oder europäischer Gesetzgeber ausdenken kann.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der FDP - Ronald Schmin- ke [SPD]: Der Markt regelt alles!)

Vielen Dank, Herr Dr. Genthe. - Wirtschaftsminister Herr Lies hat sich zu Wort gemeldet. Herr Minister Lies, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Genthe, ich war ein bisschen überrascht, dass Sie gesagt haben, eigentlich sei das kein Thema für den Landtag. Wenn wir uns als Demokratie, als Parlament nicht den Raum nehmen, über die Dinge zu diskutieren, die in der Gesellschaft elementar wichtig sind und auch direkten Einfluss auch auf die Situation der Wirtschaft in unserem Land haben, würden wir uns, glaube ich, etwas vergeben. Es gehört dazu, dass wir offen über alles reden können. Das halte ich schon für wichtig.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Auch darin, jemandem vorzuschreiben, was er macht, sind wir uns, glaube ich, einig. Das Thema ILO-Kernarbeitsnorm wird von uns allen geteilt. Unsere gemeinsame Vorstellung muss es sein, dass die ILO-Kernarbeitsnorm überall in der Welt eingehalten wird. Da würde ich mich gern als kluger Deutscher hinstellen und denen sagen, dass das nicht geht. Kinderarbeit hat in unserer Welt nichts zu suchen. Auch das ist, glaube ich, eine feste Überzeugung in unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der dritte Punkt dazu: Es funktioniert nicht mit der Marktmacht; es funktioniert nicht. Ansonsten würden wir die Zustände, die wir im Ausland gesehen haben, nicht erleben. Die Marktmacht, die der Kunde in Deutschland hat, hat bisher dazu geführt, dass immer mehr Billig-Consumer und immer mehr Billigprodukte auf den Markt kommen. Das ist leider die harte Realität. - Nein, ich traue uns - auch ich bin Kunde - nicht zu, dass die Marktmacht am Ende die Regelung alleine schafft. Wir brauchen auch vernünftige Rahmenbedingungen, die dafür sorgen, dass in anderen Ländern die Bedingungen eingehalten werden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich bin fest überzeugt: Wir werden die Globalisierung nicht zurückdrehen. Die gesamte deutsche Wirtschaft ist nicht nur auf globalen Handel und darauf angewiesen, Waren verkaufen zu können, sondern natürlich auch darauf, dass Produkte in anderen Ländern produziert werden. Es ist ein Stück des Erfolgs der deutschen Wirtschaft, dass sie bestimmte Teile der Produktion - die unter den kostenintensiven Bedingungen, die wir in Deutschland haben, eben nicht mehr stattfinden - ausgelagert hat. Das sichert übrigens - auch das will ich dazu sagen - auch Arbeitsplätze in Deutschland. Das gehört zur Wahrheit. Die deutsche Wirtschaft hat eben sehr viele Produktionsstätten im Ausland.

Zur Wahrheit gehört auch, dass unsere Unternehmen, die genau diese Produktionsstätten haben, damit die Möglichkeit haben, globale Produktionsabläufe zu beeinflussen. Davon können und davon dürfen sie sich nicht frei machen. Wir können erwarten, dass auch im Ausland gute Bedingungen - Arbeitsschutzbestimmungen, gute Arbeit, gute Löhne - herrschen - vielleicht nicht auf deutschem Niveau, aber auf einem Niveau, das sich erheblich von dem unterscheidet, was wir erlebt haben.

Das wird allerdings nicht funktionieren, wenn wir nicht eine Vereinbarung haben, die verbindlich internationale Standards sozial- und umweltverantwortlichen Handelns festlegt. Hier sind am Ende - das ist zu Recht von allen gesagt worden - alle Industrienationen gefragt, das auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deswegen begrüße ich ausdrücklich die Initiative der Bundesarbeitsministerin, Andrea Nahles, und des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller, die Standards für die Lieferketten im Rahmen der deutschen G-7-Präsidentschaft nicht nur ansprechen, sondern auch stärker regeln zu wollen. Sie beschreiben die Verantwortung der Industrie- und Produktionsländer in Bezug auf Standards für die Lieferketten. Das ist der richtige Weg. Ich glaube, dass die G-7-Präsidentschaft ein starkes Instrument ist, mit dem sie an dieser Stelle eine ganze Menge beeinflussen und verändern können.

Die Initiative der beiden Bundesminister enthält auch Lösungsvorschläge in Bezug auf die Einhaltung von Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards. Ganz konkrete Punkte sind dort benannt, die auch viel mit der Lage in Bangladesch zu tun haben:

Es geht um gemeinsame Beratung der Herstellungsländer, um die Förderung von Arbeitsinspektoren, die dafür sorgen, dass wirklich Kontrollen durchgeführt werden.

Es geht um das Thema Prävention, um einen „Vision Zero Fund“, mit dem das Ziel verfolgt wird, die Zahl der Opfer von Arbeitsunfällen, die erheblich ist, weltweit so weit wie möglich zu reduzieren.

Die Politik in Berlin hat sich jetzt also eine ganze Reihe von konsequenten und konkreten Maßnahmen vorgenommen.

Am Ende bleibt es aber auch die - zumindest moralische - Pflicht jedes einzelnen Unternehmens, auf Standards zu achten.