Protocol of the Session on March 18, 2015

Leider können auch die niedrige Arbeitslosenquote in Niedersachsen und der stetige Anstieg sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung nicht darüber hinwegtäuschen, dass es weiterhin diese Auswüchse auf dem Arbeitsmarkt gibt. Ich finde - und dazu hätte ich von Ihnen ein paar Vorschläge erwartet -, dass wir das als Politikerinnen und Politiker nicht akzeptieren können.

Gleichwohl, liebe Kolleginnen und Kollegen, begrüße ich, dass mittlerweile nach meiner Wahrnehmung alle Fraktionen in diesem Landtag anerkennen, dass nach der Regulierung der Leiharbeit in 2011 auch das Ausweichinstrument der Werkverträge zumindest besser geregelt werden soll. Das habe ich jedenfalls so verstanden. Wenn man sich überlegt - die NGG veröffentlicht dazu regelmäßig Zahlen -, dass es in der Fleischindustrie ca. 40 000 Beschäftigte mit Werkverträgen gibt, dann zeigt das, dass es sich nicht um Einzelphänomene handelt, sondern um organisierte Umgehung regulärer Arbeitsverträge.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn ganze Branchen ihre Stammbelegschaft durch Werkvertragsbeschäftigte ersetzen, denen sie dann auch noch über Subunternehmer die Löhne für die Bezahlung ihrer Unterkünfte wieder aus den Taschen ziehen, dann ist das aus meiner Sicht nicht mit unternehmerischer Freiheit zu entschuldigen, sondern ist schlicht kriminell. Jetzt zitiere auch ich einmal die katholische Kirche bzw. den besagten Prälat Kossen: Er spricht in diesem Zusammenhang von „kriminellen Praktiken moderner Sklaverei“. Das geht dann auch zulasten der anständigen Betriebe in Niedersachsen, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ordentlich bezahlen und behandeln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns in der rotgrünen Koalition war es von Anfang an wichtig, für anständige Bezahlung und anständige Arbeitsbedingungen in Niedersachsen und dafür zu sorgen, dass dem Missbrauch ein Riegel vorgeschoben wird. Wir haben einen Entschließungsantrag eingebracht, mit dem - da gebe ich Ihnen recht - diese Praxis natürlich nicht abzuschaffen ist. Aber man muss deutlich machen, an welchen Stellen Veränderungen notwendig sind, wie z. B. in der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, die auf Bundesebene in der Regel mit zu wenig Personal ausgestattet ist. Die Staatsanwaltschaften müssen besser ausgestattet werden. Die Meldepflicht für Werkvertragsbeschäftigte ist eingeführt worden. Es sind auch diese Beratungsstellen eingerichtet worden, die dafür sorgen, dass diese Menschen, überwiegend aus Osteuropa, erst einmal über ihre Rechte aufgeklärt werden. Das war bisher nicht der Fall. Ich finde, zumindest das ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Nach den dramatischen Todesfällen in der Massenunterkunft in Papenburg haben wir zumindest dafür gesorgt, dass es jetzt einen Erlass gibt, der überhaupt einmal beschreibt, wie solche Unterkünfte auszusehen haben. Das hat die alte Landesregierung nicht im Entferntesten angegangen. Dies ist ein weiterer Schritt, um mit diesen Zuständen umzugehen.

Ich halte es auch für richtig, dass es eine zweite Initiative für den Bundesrat gibt. Das Bundesarbeitsministerium hat ja angekündigt, dass es an dieser Stelle weiterhin verändern und verbessern will.

Ich will auch deutlich sagen, dass wir eine klare Stärkung der Betriebsräte brauchen. Das wird nicht immer gleich gesehen, obwohl in der FDP, wie ich in der letzten Plenarwoche erfahren konnte, offensichtlich mehrere Betriebsräte aktiv sind.

Unterstützen Sie das also! Wir brauchen eine Verstärkung beim Zoll. Wir brauchen eine saubere Abgrenzung der Leiharbeit von den Werkverträgen.

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Das ist nach meiner Ansicht am besten über das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz möglich

(Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

und hier am besten über eine Beweislastumkehr und vielleicht auch über die Haftung derjenigen, die die Arbeitsleistung anschließend empfangen, wenn diese keine Sozialversicherungsbeiträge gezahlt haben und sich feststellen lässt, dass die Anzahl der Werkvertragsbeschäftigten dazu geeignet ist, diese Praxis zu umgehen. Das wäre eine gesetzliche Änderung, die meines Erachtens dafür sorgen würde, dass das nicht mehr so attraktiv ist. Deswegen begrüßen wir es ausdrücklich, dass es jetzt auf Bundesebene eine solche Initiative gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus meiner Sicht gibt es keinen Zweifel daran: In Niedersachsen gibt es weiterhin Lohndumping über Werkverträge. 10 000 Menschen, die mit Werkverträgen die gleiche Arbeit machen wie alle anderen, sind weiterhin zu viel. Ganz eindeutig schadet diese Praxis dem Wirtschaftsstandort Niedersachsen, sie schadet dem Ansehen unserer Gesellschaft und damit auch dem Ansehen dieses Hauses.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der illegale Werkvertrag lebt zwar noch. Aber - um im Fachjargon zu bleiben - sorgen wir dafür, dass er legal zerlegt wird!

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Schremmer. - Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Kollege Bode das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Schremmer, das Problem ist, dass schon in Ihrer Formulierung ein erster Fehler enthalten war. Es gibt keinen illegalen Werkvertrag! Festzustellen ist, dass bestehende Regeln in der Arbeitnehmerüberlassung bzw. bei der Zeitarbeit umgangen und dafür Instrumente genutzt werden, die man zwar als „Werkvertrag“ bezeichnet, die aber tatsächlich mit der ureigenen Definition eines Werkvertrags nichts zu tun haben.

(Christian Dürr [FDP]: So ist es! - Thomas Schremmer [GRÜNE]: Wie nennen Sie das denn?)

Damit kommen wir wohl auf des Pudels Kern. Hier muss man ansetzen und fragen: Was ist tatsächlich ein Werkvertrag, und was ist schlicht und ergreifend Arbeitnehmerleihe und Zeitarbeit? - Dort, wo wir die Probleme haben, sehen wir zum größten Teil Zeitarbeit und Arbeitnehmerüberlassung - mit all den Regularien, die in den Gesetzgebungen dafür vorgesehen sind und die man einhalten sollte und einhalten muss. Dann darf man es auch nicht zulassen, dass windige Konstruktionen geschaffen werden, um die bewussten Regulierungen für die Zeitarbeit zu umgehen und damit dann auch - auch wenn es wahrscheinlich nicht beabsichtigt war - das Instrument des Werkvertrags, das für die deutsche Wirtschaft elementar wichtig ist, zu diskreditieren und eventuell mit Regelungen und Bürokratie zu überziehen, die es nicht verdient hat und die auch andere negative Folgen auslösen würden.

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Also weiter so!)

Das heißt, wir müssen wieder das schaffen, was vorher war, nämlich die Instrumente der Zeitarbeit dort wieder zur Anwendung zu bringen, wo es tatsächlich Zeitarbeit ist. Das Herausgehen aus diesem Rechtsinstrument in den Werkvertrag ist das, was zu kritisieren ist und wogegen man angehen muss. Dann muss man sich tatsächlich einmal aufmachen, dies zu definieren, damit der Nachweis des Ganzen möglich wird. Alles andere, wenn wir uns nicht an diese Definition heranmachen, wird nicht zu einer Lösung des Problems führen.

Wir müssen uns auch aufmachen, andere Umgehungstatbestände, die wir hier leider auch sehen mussten, anzugehen und zu bekämpfen, insbesondere wenn öffentliche Auftraggeber agieren.

Herr Minister, ich erinnere gerne an unsere Anfrage zu der Auftragsvergabe bei der Berufsbildenden Schule in Diepholz. Diesbezüglich ist die Beratungsstelle ja tätig geworden. Ich finde, es ist ein bisschen zu wenig zu sagen: Es gibt keine Berichtspflicht unserer Beratungsstelle an die Landesregierung, und wir schauen uns das Ganze jetzt auch nicht weiter an. - Wenn eine öffentliche Stelle einen Missbrauch quasi durch die Vergabe an viele Hundert Subunternehmer möglich macht, die alle Ein-Mann-Unternehmer sind und aus dem Ausland kommen, bei denen man auf den ersten Blick sehen kann, dass das nicht der Einsatz von Subunternehmern, sondern schlicht und ergreifend Sozialversicherungsbetrug ist, dann muss man dem nachgehen und sagen, dass solche Auftragsvergaben nicht erfolgen und schon gar nicht von

öffentlichen Stellen befördert werden dürfen. Insoweit bin ich enttäuscht, dass dem seitens des Wirtschaftsministeriums nicht weiter nachgegangen werden soll.

(Beifall bei der FDP)

Wir müssen es also tatsächlich schaffen, dass wir den Werkvertrag in seiner Flexibilität und mit seinen Möglichkeiten erhalten und das, was wir dort tatsächlich sehen, nämlich den Einsatz von Arbeitnehmerüberlassung oder Zeitarbeit, wieder in den anderen Rechtsrahmen zurückbringen. Es gibt ja die eindeutigen Definitionen eines Werkvertrages: Derjenige, der eine Leistung erbringt, entscheidet selber, eigenverantwortlich, wie und zu welchen Bedingungen er sie erbringt, und am Ende unterliegt nur das endgültige Produkt der Kontrolle des Auftraggebers. Genauso ist der Werkvertrag quasi seit Jahrhunderten in Deutschland üblich.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Na ja!)

- Seit Jahrhunderten nicht, aber er ist seit über 100 Jahren in Deutschland üblich und ein wichtiges Instrument der Wirtschaft.

Diese Flexibilität, dass man selber entscheiden kann, ob man ein Produkt selber herstellt oder ob man Dinge von Zulieferern, die es vielleicht besser können, zukauft, sollte man erhalten. Man sollte den Werkvertrag vor Diffamierung und Umgehung schützen und vernünftige Regelungen durchsetzen. Daran sollten wir alle arbeiten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Herr Kollege Bode, einen Moment, bitte! Herr Kollege Schremmer möchte Ihnen noch eine Frage stellen. Lassen Sie diese zu?

Ja, gerne.

Bitte schön!

Herr Kollege Bode, wie sehen Sie denn die Tatsache, dass in der Fleischindustrie nach Angaben der NGG 75 % der Beschäftigten mit Werkverträgen ausgestattet sind, die, wie Sie eben selber gesagt haben, möglicherweise eine Konstruktions

eigenschaft haben, die man - jedenfalls aus meiner Sicht - als illegal bezeichnen kann?

Ich möchte Ihnen auch noch ein Angebot machen - das habe ich vorhin vergessen -: Heute Abend um 19 Uhr führt die NGG in der üstra-Remise eine Veranstaltung zu diesem Thema durch. Wir können gerne zusammen dorthin gehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sehr geehrter Kollege Schremmer, ich bedanke mich für die Einladung. Da sind Sie allerdings zu spät gekommen. Denn Herr Kollege Genthe hat mich schon zu seiner heutigen Geburtstagsfeier eingeladen. Ich bitte um Verständnis, dass ich in Abwägung der Alternativen die Einladung, die ich schon angenommen habe, heute auch wahrnehmen werde.

(Heiterkeit)

Nun zu der Frage. Herr Schremmer, mir und, ich glaube, auch Ihnen liegen ja keine eigenen Erhebungen vor. Ich will ganz deutlich machen, dass nicht jeder Werkvertrag, der in der Fleischwirtschaft, in der Gastronomie oder anderswo abgeschlossen wird, die Umgehung von etwas anderem ist. Selbstverständlich gibt es hier auch ganz normale Werkverträge, wie sie seit Jahrzehnten üblich waren. Das heißt, es ist besonders wichtig, dass diese Konstruktionen dort, wo sie in den letzten Jahren, seitdem wir nämlich die gesetzlichen Änderungen bei der Zeitarbeit eingeführt haben, ein wenig eingerissen sind, sowohl seitens der Arbeitgebervertreterverbände als auch seitens der Arbeitnehmervertreterverbände wieder bewusst in das andere Rechtsregime der Zeit- und der Leiharbeit zurückgefahren werden. Man kann nur gemeinsam an alle Beteiligten appellieren, diesen Weg offensiv zu gehen. Der Gesetzgeber muss es schaffen, die Definitionsmöglichkeiten so festzulegen, dass man vor Gericht auch eine Chance hat, einen solchen Vertrag zu sanktionieren. Genau dieser Schritt ist nicht im Niedersächsischen Landtag, sondern nur im Deutschen Bundestag möglich.

Wir sollten alle unsere Möglichkeiten nutzen.

(Ronald Schminke [SPD]: Sie wollen doch das Vergabegesetz nicht!)

Sie haben genauso wie wir dort keine Möglichkeit, aber die SPD und die CDU haben die Möglichkeit, eine für die Wirtschaft und sowohl für die Arbeitge

ber als auch für die Arbeitnehmer vernünftige Definition zu erzielen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Vielen Dank, Herr Bode, für die ausführliche Antwort. - Für die Landesregierung übernimmt nun der Wirtschaftsminister. Herr Minister Lies, bitte!