Protocol of the Session on February 20, 2015

Das ist für mich doch die große Frage. Wenn ich hier schon 40 Jahre lebe, dann habe ich doch die Chance, die geforderten Kriterien zu erfüllen. Von daher denke ich, dass diese Möglichkeit zunächst einmal genutzt werden muss.

Darüber hinaus kann man natürlich noch weitere Forderungen stellen. Ich bin aber gespannt, wie Ihre Einbürgerungskampagne läuft. Sie erwarten sicherlich eine große Anzahl von Menschen, die die ihnen gebotene Möglichkeit nutzen werden. Wir werden das sehen, und dann reden wir weiter.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Jetzt hat im Rahmen der Beratung das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Christos Pantazis, SPD-Fraktion. Bitte, Herr Kollege!

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Weil hier vorhin gesagt wurde, wir würden diesen Antrag nur aus Gründen der Show stellen, will ich sagen, Frau Jahns: Dieser Antrag ist uns wirklich sehr, sehr ernst. Wir meinen es mit der Ausweitung des Kommunalwahlrechts auf Drittstaatsangehörige wirklich ernst.

Die Regierungskoalition will den in der Gesellschaft teilweise mit falschen politischen Voraussetzungen verbundenen Begriff der Integration durch den selbstverständlichen Anspruch auf Teilhabe ersetzen. Teilhabe kann sich allerdings nicht nur im Erlernen der deutschen Sprache erschöpfen. Vielmehr setzt diese auch voraus, an der Gestaltung des eigenen Lebensumfeldes aktiv mitwirken zu können. Gerade auf kommunaler Ebene haben Entscheidungen der örtlichen Selbstverwaltung - und es handelt sich hierbei nicht um Parlamente - in besonderem Maße unmittelbare Auswirkungen auf die Situation jeder und jedes Einzelnen, und zwar unabhängig von der Nationalität.

Vor diesem Hintergrund stellt das Recht, an der politischen Willensbildung auf kommunaler Ebene gleichberechtigt mitwirken zu können, einen elementaren Bestandteil einer teilhabeorientierten Politik dar. Als Sprecher meiner Fraktion für Migration und Teilhabe möchte ich daher unmissverständlich klarstellen: Wir bekennen uns zum kommunalen Wahlrecht für alle rechtmäßig und dauerhaft in Deutschland und in Niedersachsen lebenden Einwohner.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir tun dies, weil wir überzeugt sind, dass das - Herr Onay hat es gesagt - für unsere Demokratie gut ist. Und was gut für unsere Demokratie ist, ist auch gut für unsere Kommunen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Aber wie ist es um die gleichberechtigte Partizipation auf kommunaler Ebene in Deutschland und in Niedersachsen bestellt? - Mit der Einführung der Unionsbürgerschaft im Maastrichter Vertrag von 1992 erhielten EU-Staatsangehörige das aktive und passive Kommunalwahlrecht in den Mitgliedstaaten, in denen sie ihren Wohnsitz haben. Die Aussicht auf die oder tatsächliche Pflicht zur Einführung des Kommunalwahlrechts für EU-Bürger ebnete seinerzeit in mehreren EU-Mitgliedstaaten den Weg zur Einführung dieses Rechts auch für

Drittstaatsangehörige. In mittlerweile 16 Mitgliedstaaten der Europäischen Union stellt die Erweiterung des Kommunalwahlrechts auf Drittstaatsangehörige eine gesetzliche Normalität dar.

Und hier in Deutschland und Niedersachsen? - Fehlanzeige! Drittstaatsangehörigen wird es auch nach jahrelangem Aufenthalt in Deutschland weiterhin verwehrt, das Zusammenleben auf kommunaler Ebene aktiv oder passiv mitzugestalten. Letztendlich bedeutet das für 280 000 unserer Mitbürger in Niedersachsen, dass ihnen eines der wesentlichen Rechte zur politischen Mitbestimmung vorenthalten wird.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie ganz offen: Welches Gerechtigkeitsempfinden rechtfertigt die Situation, dass Unionsbürgerinnen und -bürger, die seit drei Monaten in Deutschland gemeldet sind, bei Kommunalwahlen wählen dürfen, Bürgerinnen und Bürger eines Drittstaates allerdings, die seit Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten hier unter uns leben und in unseren Gemeinden, Vereinen und Verbänden integriert sind, gewissenhaft ihre Steuern zahlen, nicht mitentscheiden dürfen, was vor ihrer eigenen Haustür geschieht?

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Helge Limburg [GRÜNE]: Richtig! - Belit Onay [GRÜNE]: Ge- nau!)

Dieses Beispiel ist nicht nur mit unserem Rechtsempfinden, sondern vor allem auch mit unserem Verständnis von Willkommens- und Anerkennungskultur unvereinbar. Und nicht nur das: Dieses Beispiel ist und bleibt Ausdruck einer überholten national bestimmten Abschottungskultur des vorigen Jahrhunderts.

(Zustimmung bei der SPD)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, im Koalitionsvertrag „Erneuerung und Zusammenhalt“ hat sich Rot-Grün verpflichtet, genau diese von mir just erwähnte Willkommens- und Anerkennungskultur zu leben. Und zu dieser Kultur und dem Anspruch auf Teilhabe gehört die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Drittstaatsangehörige ausdrücklich mit dazu.

Wir bekennen uns daher zu dem Grundsatz, dass alle Menschen in Niedersachsen die Möglichkeit erhalten sollen, sich aktiv an der politischen Gestaltung ihres unmittelbaren Wohn- und Lebensumfeldes zu beteiligen.

Vor diesem Hintergrund fordern wir die Landesregierung in dem vorliegenden Entschließungsantrag auf, sich auf Bundesebene für ein kommunales Wahlrecht für alle dauerhaft hier lebenden Menschen einzusetzen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es ist vorhin schon angesprochen worden: Durch eine Bundesratsinitiative wollen wir eine Änderung des Artikels 28 Abs. 1 des Grundgesetzes erreichen, sodass es den Ländern ermöglicht wird, in ihrem Wirkungskreis die Ausweitung des Kommunalwahlrechts auch auf die Gruppe der Drittstaatsangehörige zu vorzunehmen. Für Niedersachsen würde das entsprechende Regelungen im Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz bedeuten.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Gegner der Einführung des Kommunalwahlrechts für Drittstaatsangehörige führen als Argument immer wieder ins Feld, dass dadurch der Einfluss aus dem Ausland steigen würde. Aber in Großbritannien beispielsweise gibt es diese Form des Wahlrechts schon seit Anfang der 30er-Jahre. In den skandinavischen Ländern besteht eine solche Regelung bereits seit den 80er-Jahren. Und in keinem dieser Länder muss man um die staatliche Souveränität fürchten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ein anderes Argument gegen diese Einführung ist die Sorge, dass neue ethnische Parteien den Einfluss von traditionell etablierten Parteien schwächen könnten. In Anbetracht dieser Argumentationsstruktur frage ich ernsthaft nach dem Selbstverständnis einiger Parteipolitiker in Deutschland. Auch als Mitglied der ältesten deutschen Partei - Sie wissen: die Sozialdemokratie ist mittlerweile über 150 Jahre alt - ist mir mit Blick auf die Ausweitung des Kommunalwahlrechts auf Drittstaatsangehörige nicht bange. Im Gegenteil: Wir sind der festen Überzeugung, dass alle Mitglieder einer Gemeinschaft, die regelmäßig Steuern zahlen, auch in politischen Organen, die darüber befinden, wie diese Gelder verteilt werden sollen, originär repräsentiert sein sollten.

Ferner glauben wir, dass das niedrigschwellige Angebot der politischen Partizipation auf kommunaler Ebene Drittstaatsangehörige dazu ermutigen könnte - jetzt komme ich zu Ihrem Argument -, sich einbürgern zu lassen. Denn das Zugeständnis des

kommunalen Wahlrechts fördert die politische und letztendlich auch gesellschaftliche Teilhabe von Zuwanderern in unserer Gesellschaft. Die Einbürgerung könnte daher die Krönung dieses Prozesses darstellen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Belit Onay [GRÜNE]: Stimmt! Gutes Argument!)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bei allen Vorbehalten, die möglicherweise bestehen, müssen wir uns als Europäer, Deutsche und Niedersachsen immer wieder vor Augen führen, dass wir nicht auf einer Insel leben. Seit 25 Jahren bröckeln globale Mauern, bzw. sie sind bereits gefallen. Das bedeutet auch und vor allem für uns ein notwendiges Umdenken in der Definition einer Gemeinschaft, einer Nation und eines Staates. Eine lebendige demokratische Gesellschaft wie die unsrige ist immer auch vom Wandel gekennzeichnet. Und dieser wird von den Menschen gestaltet, die hier leben, arbeiten und das Gemeinwesen durch Steuern tragen. Das schließt alle Angehörigen eines Drittstaates ausdrücklich mit ein.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In Anbetracht dessen halten wir eine Kultur der Abschottung mit einer ethnisch homogenen Vorstellung von Nationalstaaten schlichtweg für einen Anachronismus. Wir bekennen uns daher zu Deutschland als Einwanderungsland, in dem der Ausschluss von Drittstaatsangehörigen von öffentlichen Entscheidungsprozessen auf kommunaler Ebene nicht zu rechtfertigen ist. Denn eine Gesellschaft, die einen Teil der Bevölkerung von politischen Entscheidungen dauerhaft ausschließt, verliert letztendlich schrittweise ihre demokratische Grundlage und erleidet ferner ein erhebliches Legitimationsproblem.

In diesem Sinne freue ich mich auf die anstehende Ausschussberatung und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Pantazis. - Auch auf Ihre Rede gibt es eine Wortmeldung zu einer Kurzintervention, und zwar von Frau Kollegin Jahns, CDUFraktion. Sie haben das Wort. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Pantazis, Sie haben in Ihrer Rede zweimal den Begriff der nationalen Abschottung benutzt. Das ist ein Vorwurf gegenüber Deutschland und Niedersachsen. Ich frage Sie: Wie verstehen Sie denn dann Ihre Einbürgerungskampagne, wenn Sie plötzlich darauf bestehen, dass mehr Menschen Deutsche werden und die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen sollen?

(Petra Tiemann [SPD]: Das hat er doch gerade in seiner Rede erklärt! - Dr. Christos Pantazis [SPD]: Das ha- be ich doch gar nicht gesagt!)

- Ich glaube, im Moment habe ich das Wort.

Das sehe auch ich so. Sie reden 90 Sekunden, und Sie bekommen jetzt noch ein paar Sekunden mehr. Der Kollege kann antworten, wenn Sie fertig sind.

Sie sehen eine Einbürgerungskampagne als notwendig an, und Sie wollen, dass die deutsche Staatsbürgerschaft von viel mehr Menschen in Niedersachsen angenommen wird. Was glauben Sie, welchen Vorteil die Menschen, die hier dauerhaft leben, noch in der Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft sehen, wenn sie auch so alle anderen Rechte haben? - Der Unterschied ist nicht klar.

(Zustimmung bei der CDU)

Herr Dr. Pantazis möchte von der Möglichkeit der Erwiderung Gebrauch machen. Sie haben maximal 90 Sekunden, Herr Kollege.

Ich glaube, ich bin das lebende Beispiel dafür, dass die Einbürgerung sinnvoll ist und auch Vorteile mit sich bringt.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das ist selbsterklärend. Ich habe mich ja selbst einbürgern lassen. Ich habe ein kompliziertes Verfahren hinter mich gebracht: Ich musste meinen Lebenslauf einreichen, einen Letter of Motivation schreiben, in dem ich begründen musste, warum ich Deutscher werden möchte. Ich finde, die Ein

bürgerung stellt die Krönung eines Integrationsprozesses dar. Das habe ich in meiner Rede auch deutlich gemacht, Frau Jahns. Ich verstehe Ihren Einwand nicht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich unterscheide sehr wohl zwischen einer Willkommenskultur und einer überholten Abschottungskultur. Die Verneinung des Wahlrechts für Drittstaatsangehörige gehört eindeutig zu einer Abschottungskultur, die zeitlich im letzten Jahrhundert verortet ist.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN - Belit Onay [GRÜNE]: So ist das! Und das wollen Sie!)

Ich bin der Ansicht, dass wir deutlich weiter sind. Das sollten Sie sich wirklich einmal zu Herzen nehmen. Deswegen freue ich mich auf die Ausschussberatung, Frau Jahns.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das war das mit der Kurzintervention. - Jetzt geht es in der Debatte weiter mit der Rede des Abgeordneten der FDP-Fraktion Jan-Christoph Oetjen. Sie haben das Wort.