Protocol of the Session on January 21, 2015

Die Tendenz ist weiterhin steigend. Etwa ein Drittel dieser ausgereisten Personen ist zwischenzeitlich, zumindest zeitweise, nach Deutschland zurückgekehrt. Zu der Mehrzahl dieser Rückkehrer liegen keine Informationen darüber vor, dass sie sich aktiv an Kampfhandlungen vor Ort beteiligt haben. Für etwa 35 Personen liegen Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv am bewaffneten Kampf in Syrien oder im Irak beteiligt haben. Ferner liegen zu ca. 60 Personen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder dem Irak ums Leben gekommen sind.

Auch in Niedersachsen sind steigende Zahlen zu verzeichnen. So stieg die Zahl der Anhänger des Salafismus in Niedersachsen innerhalb des Jahres 2014 auf aktuell ungefähr 400 Personen. Bis zu 40 Personen reisten bislang nach Syrien aus, um sich mutmaßlich am aktiven Kampf gegen das AssadRegime bzw. am Eroberungskrieg der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat zu beteiligen oder auf andere Weise terroristische Organisationen im Widerstand gegen das Assad-Regime zu unterstützen. Sowohl die Anzahl der vermutlich im Dschihad Getöteten als auch die Zahl der Rückkehrer nach Niedersachsen mit und ohne Hinweise auf Kampferfahrung bzw. eine Ausbildung in einem Terrorcamp bewegt sich jeweils im unteren einstelligen Bereich.

Schwerpunkt der salafistischen Szene in Niedersachsen ist neben Hannover und Hildesheim der Großraum Braunschweig. Insbesondere aus dem Raum Wolfsburg stammt ein großer Teil der Syrien-Reisenden aus Niedersachsen.

An der Stelle noch eine Bemerkung, Herr Adasch: In Ihrer Dringlichen Anfrage stellen Sie die Behauptung auf, ich hätte mich in der Pressekonferenz zu den Haftgründen geäußert. Das habe ich nicht. Der Präsident des Landeskriminalamtes hat sich auf diese Frage zu den Haftgründen geäußert.

Neben den genannten Syrien-Reisenden kann die Bedrohung für Deutschland und Niedersachsen aus unterschiedlichen Kreisen erwachsen. Sowohl von Personen, die sich terroristischen Organisationen wie dem sogenannten Islamischen Staat oder Al-Qaida angeschlossen haben, als auch von sogenannten Home-grown Terrorists, die sich zum Teil durch das Internet radikalisieren, geht die Gefahr aus, dass sie ihren ideologischen Überzeugungen Taten in Form von Anschlägen folgen lassen könnten.

Die Sicherheitsbehörden in Niedersachsen gehen mit großer Ernsthaftigkeit und unter Nutzung aller rechtlichen Möglichkeiten gegen den gewaltbereiten und dschihadistischen Salafismus vor. Sie stehen dabei u. a. auf der Basis des gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums GTAZ auch im engen Austausch mit den Behörden der anderen Länder und des Bundes. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse werden umgehend bei der Bewertung der Gefährdungslage berücksichtigt und, sofern erforderlich, für weitere strafrechtliche oder Gefahren abwehrende Ermittlungshandlungen genutzt. Die Behörden werden dadurch auch in die Lage versetzt, umgehend auf neue Entwicklungen und Gefahren zu reagieren.

Zu Frage 1: Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist bereits seit Jahren ein Schwerpunkt der Arbeit der Sicherheitsbehörden. Auch für die nächsten Jahre wurde der Kampf gegen die Bedrohung durch Extremismus und Terrorismus als Ziel in die Strategie 2020 der niedersächsischen Polizei aufgenommen. Die Sicherheitsbehörden verfügen über ein breites Repertoire zum Teil bundesweit abgestimmter Konzepte und Maßnahmen, um der Bedrohung durch den dschihadistischen Salafismus angemessen und wirksam zu begegnen. So trifft beispielsweise die Polizei auf Basis des Maßnahmenkonzeptes zur Intensivierung der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus in Niedersachsen die geeigneten erforderlichen Maßnahmen zum effektiven Erkennen und Bekämpfen des islamistischen Terrorismus. Auch direkt nach den Anschlägen von Paris wurden auf der Grundlage bestehender Konzepte bundesweit abgestimmte polizeiliche Sofortmaßnahmen getroffen. Diese Konzepte werden kontinuierlich geprüft,

bei Bedarf aktualisiert und entsprechend angepasst.

Auch der Niedersächsische Verfassungsschutz bekämpft im Rahmen seiner Zuständigkeit den islamistischen Extremismus und Terrorismus. Dabei setzt er zur Aufklärung des Vorfeldes und Umfeldes die ihm zur Verfügung stehenden nachrichtendienstlichen Mittel konsequent ein. Mit strafrechtlichen oder gefahrenabwehrenden Maßnahmen allein - meine Damen und Herren, das muss uns aber klar sein, und das wissen wir - werden wir den dschihadistischen Salafismus allerdings nicht dauerhaft zurückdrängen können. Hiermit lassen sich zwar konkrete Bedrohungslagen abwenden und die Täter der Strafverfolgung zuführen. Das alles reicht aber nicht aus, um weitere Radikalisierungen zu verhindern. Und eben das muss das Ziel sein.

Die Landesregierung hat deshalb Maßnahmen ergriffen, um das Abgleiten insbesondere junger orientierungsloser Menschen in extremistische Szenen zu verhindern. Sie hat gleichzeitig Angebote geschaffen, um Menschen, die sich hiervon lossagen und den Weg zurück in die Gesellschaft finden möchten, sowie deren Familienangehörige, Freunde und Bekannte zu unterstützen. Der Zulauf zur salafistischen Szene soll also durch einen präventiven interdisziplinären Ansatz weitgehend unterbrochen werden.

Präventionsmaßnahmen werden sich zukünftig verstärkt auch an Schulen und weitere staatliche und gesellschaftliche Einrichtungen richten und in Zusammenarbeit zwischen den örtlichen Polizeidienststellen mit der seit dem 20. Januar 2014 im LKA Niedersachsen eingerichteten Präventionsstelle für politisch motivierte Kriminalität erfolgen.

In diesem Kontext wurde von der Präventionsstelle PMK in Zusammenarbeit mit dem Niedersächsischen Kultusministerium das Medienpaket „Mitreden! Kompetent gegen Islamfeindlichkeit, Islamismus und jihadistische Internetpropaganda“ den Schulen empfohlen. Hiermit soll bei potenziellen Konsumenten der entsprechenden Propaganda eine Stärkung ihrer Kompetenz erfolgen, sich kritisch mit extremistischen Angeboten im Internet auseinanderzusetzen und sie zu hinterfragen. Damit soll einer möglichen Radikalisierung vorgebeugt werden.

Nach der Auftaktveranstaltung hierzu, die im Oktober letzten Jahres im Landeskriminalamt stattgefunden hatte, wird das Medienpaket in mehreren Polizeidirektionen und -inspektionen proaktiv be

worben. Es wurden vor allem für Lehrkräfte mehrere Regionalkonferenzen durchgeführt. Das Medienpaket wurde zwischenzeitlich an mehreren Schulen eingesetzt. Die Resonanz war sehr positiv.

Der Niedersächsische Verfassungsschutz betreibt zudem eine aktive Informations- und Aufklärungsarbeit. Diese zielt auf die notwendige Sensibilisierung der Bevölkerung für das gesamte Themenfeld Islamismus/Salafismus ab. Bürgerinnen und Bürger sollen in die Lage versetzt werden, zwischen der Religion des Islams einerseits und der politischen Ideologie des Islamismus andererseits zu unterscheiden, um so einerseits Stigmatisierungen aufgrund der Religionszugehörigkeit zu verhindern und andererseits islamistische Radikalisierungsprozesse besser zu erkennen.

Der Niedersächsische Verfassungsschutz stellt auf Anfrage Referentinnen und Referenten für Multiplikatorenschulungen, Lehrerfortbildungen, Veranstaltungen interessierter Bürgerinnen und Bürger sowie Veranstaltungen von Verwaltung und Politik zu unterschiedlichen Themen im Bereich des Islamismus zur Verfügung.

Ein Beispiel für diese Art der Aufklärungsarbeit ist die gelungene Zusammenarbeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes mit der Stadt Wolfsburg. Neben einer zentralen Lehrerfortbildung im September 2014 hat der Niedersächsische Verfassungsschutz in Zusammenarbeit mit dem LKA im Oktober und November 2014 in sechs Veranstaltungen Akteure der Wolfsburger Jugendsozialarbeit und Lehrer zum Thema Salafismus fortgebildet. Insgesamt konnten so ca. 300 Personen aus der Jugendarbeit in der Stadt Wolfsburg erreicht werden. Das ist ein wichtiges Instrument.

Darüber hinaus wird derzeit unter der Federführung des niedersächsischen Sozialministeriums eine Beratungsstelle gegen neosalafistische Radikalisierung eingerichtet, welche noch im Frühjahr ihre Arbeit aufnehmen wird. Träger wird der Verein für jugend- und familienpädagogische Beratung Niedersachsen - beRATen e. V. sein. Der Verein wurde unter enger Beteiligung der muslimischen Verbände DITIB und Schura sowie der Universität Osnabrück am 10. Dezember 2014 gegründet.

Weitere Gründungsmitglieder sind der Landesjugendring, der Niedersächsische Städtetag sowie die Vorsitzenden des Landespräventionsrates und der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege. Hierdurch wird eine breite Ausrichtung des Programms gewährleistet.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl bisher keine konkreten Hinweise auf stattgefundene Radikalisierungen in niedersächsischen Vollzugsanstalten vorliegen, werden auch hier Maßnahmen ergriffen, um einer möglichen Radikalisierung schon im Vorfeld zu begegnen. Bedienstete des Justizvollzuges werden in der Ausbildung, in Dienstbesprechungen und Fortbildungen für Erscheinungsformen des politischen und religiösen Extremismus sensibilisiert. Auf kulturelle Aspekte und religiöse Besonderheiten von straffälligen Personen wird während des Studiums an der Fachhochschule für Rechtspflege eingegangen. Für das Jahr 2015 ist eine Fortbildungsveranstaltung „Politischer Extremismus heute: Islamistischer Fundamentalismus, Rechts- und Linksextremismus“ geplant. Hierin sollen Begriffe und ihre Hintergründe erläutert werden, und es soll über gegenwärtige Entwicklungen in Deutschland und ihre Relevanz für die Arbeit im Justizvollzug informiert werden.

Die Landesregierung wird auch weiterhin alle Maßnahmen zur Verhinderung von Anschlägen ergreifen sowie der Entstehung salafistischer/terroristischer Szenen durch entsprechende Präventionsbemühungen entgegenwirken.

Sofern eine Lageveränderung die Einleitung zusätzlicher Maßnahmen erfordern sollte, wird sich die Landesregierung dem definitiv nicht verschließen. Gegenwärtig wird hierzu aber kein Anlass gesehen.

Zu Frage 2: Die in der Regierungserklärung vom 15. Januar von Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel zur Bekämpfung der islamistischen Gewalt genannten Vorgaben sind zu unterstützen. Insbesondere gilt dies für eine möglichst zügig vorzulegende überarbeitete EU-Richtlinie zur Regelung der Mindestspeicherfristen für Kommunikationsdaten sowie die Forderung nach einer der veränderten Lage entsprechenden personellen und finanziellen Ausstattung der Sicherheitsbehörden.

(Jens Nacke [CDU]: Das sind ja mal neue Worte!)

Es bedarf allerdings - insbesondere bei Gesetzvorhaben auf EU-Ebene - einer genauen Einzelbetrachtung, bei der es gerade auch auf die jeweilige Ausgestaltung der angedachten Regelung ankommt. Insofern bleiben beispielsweise die Regelungen zu neuen Straftatbeständen oder dem internationalen Abgleich von Fluggastdaten erst einmal abzuwarten.

Einige Punkte aus dem Plan wurden bereits mit den Ländern konsentiert. So sprach sich beispielsweise die Innenministerkonferenz auf ihrer 200. Sitzung dafür aus, Ausreisen gewaltbereiter Salafisten zu unterbinden. Hierfür hielt sie u. a. die Schaffung eines Ersatz-Personalausweises, auf dem die räumliche Beschränkung auf das Bundesgebiet deutlich und sichtbar vermerkt ist, für erforderlich.

Zu Frage 3: Es besteht weiterhin eine hohe abstrakte Gefährdung, die sich jederzeit in Form von sicherheitsrelevanten Ereignissen bis hin zu Anschlägen konkretisieren kann. Eine Eingrenzung relevanter Zielobjekte und -personen ist kaum möglich. Grundsätzlich richten terroristische Organisationen, aber auch Einzeltäter bzw. Rückkehrer aus terroristischen Ausbildungslagern ihre Zielauswahl nach wie vor daran aus, möglichst hohe Opferzahlen und möglichst hohen infrastrukturellen und wirtschaftlichen Schaden bei gleichzeitig größtmöglicher medialer Aufmerksamkeit anzurichten. Es ist allerdings weiterhin davon auszugehen, dass gerade Einzeltäter/Rückkehrer vermehrt logistisch und planerisch weniger aufwendige Anschläge begehen werden. Dabei sind die Zielauswahl sowie der Modus Operandi in besonderem Maße abhängig von den jeweiligen logistischen und personellen Möglichkeiten oder sich spontan ergebenden Tatgelegenheiten.

Konkrete Erkenntnisse für geplante Anschläge in Niedersachsen liegen den niedersächsischen Sicherheitsbehörden aktuell nicht vor.

Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Innenminister Pistorius. - Wir beginnen jetzt mit den Zusatzfragen. Ich darf noch einmal darauf hinweisen, dass Zurückhaltung bei einleitenden Bemerkungen angesagt ist.

Es beginnt für die Fraktion der CDU der Kollege Nacke. Bitte sehr!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Pistorius, vor dem Hintergrund, dass Sie im Mai vergangenen Jahres diesem Haus den Abschlussbericht der Taskforce Verfassungsschutz vorgestellt haben, in dem auf Seite 27 unter dem TOP „Extremismus mit Auslandsbezug und Is

lamismus“ ausgeführt wird, dass 1 412 Datensätze aus diesem Bereich gelöscht werden sollen, von denen 631 unstrittig waren, aber in 771 Fällen Ihre eingesetzte Taskforce

(Helge Limburg [GRÜNE]: Frage!)

anders als der Verfassungsschutz zu der Einschätzung kommt, -

Zur Frage, Herr Kollege! Sie sind zwar immer noch im ersten Satz zur Erläuterung des Hintergrundes; aber das ist ein bisschen viel.

- dass die Erforderlichkeit des Fachbereichs nicht vorgesehen ist, frage ich die Landesregierung: Wie schätzen Sie nach dem, was wir heute wissen, die von Ihrer Taskforce vorgeschlagene Löschung der 771 Fälle heute ein?

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön. - Herr Minister Pistorius!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe bereits gestern dazu ausgeführt, dass die Zahl der Fälle das eine ist. Das andere ist die Frage der Zuordnung dieser Fälle. Wir reden hier einerseits über den Teil der Fälle, die zur Löschung empfohlen sind, und andererseits über den Teil der Fälle, die in einer Wiedervorlage aufzutauchen haben. Das sind zwei unterschiedliche Gruppen. Ich habe die Zahlen jetzt nicht mehr im Kopf und will sie gerne nachreichen. Ich habe sie gestern aber, glaube ich, genannt.

(Jens Nacke [CDU]: Nein!)

- Doch, habe ich! Das können Sie im Protokoll nachlesen.

(Jens Nacke [CDU]: Die stimmten aber nicht!)

- Dann haben Sie andere Zahlen. Das ist aber klärbar.

(Helge Limburg [GRÜNE] - zur CDU -: Welche Erkenntnisse haben Sie denn? Wo haben Sie die denn her?)

Ich habe die Zahlen gestern nach einem Vermerk des Verfassungsschutzes vorgetragen. Mehr kann

ich im Augenblick nicht tun. Wir können das gerne noch einmal überprüfen.

Daneben geht es aber vor allen Dingen um eine Zahl von 275 gespeicherten Datensätzen, die dem Salafismus zugeordnet werden. Diese Zahl habe ich im Kopf. Davon waren 200 Online-Studierende. Ich sehe im Augenblick keinen Anlass - der Verfassungsschutz wird das allerdings weiter im Auge behalten -, an dieser Einschätzung etwas zu ändern. Nach meinem Kenntnisstand hat sich an der Bewertung dieser Speicherdaten nichts geändert. Denn diejenigen, die im Fokus der Sicherheitsbehörden stehen, sind die Gleichen geblieben bzw. der eine oder andere ist sicherlich dazugekommen. Von daher gibt es keinen Grund, an vorhandenen Speicherdaten und deren Einschätzung - nach dem jetzigen Stand - etwas zu ändern.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Minister. - Die nächste Zusatzfrage stellt für die Fraktion der FDP der Kollege Dr. Genthe. Bitte sehr!