Protocol of the Session on January 20, 2015

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die muslimischen Verbände in Deutschland befürchten das Anwachsen antimuslimischer Einstellungen. Und es ist doch bezeichnend, dass gerade dort antimuslimische Einstellungen am größten sind, wo die wenigsten Kontakte zu Muslimen bestehen.

Daher kann und darf die Antwort nicht sein, dass sich Menschen voneinander abschotten oder abgeschottet werden. Die Antwort darauf kann auch nicht das „Container“-Modell sein, wonach Kulturen unbehelligt und abgeschottet nebeneinanderher leben. Menschen müssen Vielfalt erleben können, um sie wertschätzen zu können: die Vielfalt der Presse, des Glaubens, unterschiedlicher Meinung und auch unterschiedlicher Lebensmodelle.

Das alles ist „Je suis Charlie“: eine Umarmung, keine Abgrenzung, Mut, aufeinander zuzugehen, und nicht Rückzug in die Angst vor dem scheinbar Unbekannten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das Gesagte gilt auch und gerade für unseren Umgang mit Menschen, die vor Kriegen und Krisen, vor Vertreibung und Verfolgung zu uns fliehen. Flüchtlinge verdienen die Chance, sich in der neuen Welt zu Hause zu fühlen. Sie haben ein Recht darauf, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.

Und sie müssen arbeiten können. Da, Herr Thümmler, bin ich Ihnen sehr dankbar für Ihre klaren Aussagen, die mir Hoffnung machen, dass wir zukünftig Seite an Seite darauf hinwirken, dass alle die Möglichkeit haben, zu arbeiten - indem wir das Asylbewerberleistungsgesetz kippen und den vollen Baukasten der Arbeitsförderung auch auf die Menschen anwenden, die bei uns sind.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die Menschen, die zu uns kommen, brauchen Nachbarn, die nicht so traumatisiert sind wie sie selbst. Deshalb müssen sie dezentral untergebracht werden. Sie müssen die Chance haben, diese Nachbarn kennenzulernen. Ihre Kinder müssen im Kindergarten Freunde werden, miteinander Fußball spielen und in der Schule miteinander lernen können. Wir wissen, dass die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, so groß ist wie nie.

Meine Damen und Herren, die Grüne-Fraktion schließt sich ausdrücklich dem Dank des Ministerpräsidenten an die Kommunen an. Unsere Kommunen in Niedersachsen sind großartig darin, die Unterbringung von Flüchtlingen zu organisieren. Sie leisten einen hervorragenden Anteil daran, Nachbarschaft zu ermöglichen. Aber sie könnten es noch viel besser, wenn das Asylbewerberleistungsgesetz endlich abgeschafft würde - da, Herr Thümler, setze ich nach Ihrer Rede auch auf Ihre Unterstützung im Bund -; denn dadurch würden unsere Kommunen erheblich entlastet werden. Wir würden es der Lehrerin aus Eritrea ebenso wie dem Ingenieur aus Syrien möglich machen, sich ebenso wie alle anderen hier im Land selbst um ihren Broterwerb und den ihrer Kinder zu kümmern. Das ist nämlich ihr gutes Recht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Auch andere Migrantinnen und Migranten und sozial Abgehängte müssen die Chance haben, an der Gesellschaft teilzunehmen. Nähe schafft Verständnis - auf allen Seiten.

Das ist keine grüne Sozialromantik, sondern das belegen Studien, und das entspricht auch meiner ganz eigenen Erfahrung. Der Stadtteil in Lübeck, in dem ich groß geworden bin, war in den 70erJahren ein Projekt des sozialen Wohnungsbaus. Wir haben mit den Kindern der türkischen Nachbarn gemeinsam das Ramadan-Ende gefeiert, und mein kleiner Bruder hat zusammen mit den Kindern der Boatpeople Fußball gespielt. Wir haben mit den Menschen, die mit den Booten aus Laos gekommen sind, gekocht und gegessen, und wir haben ihnen beim Ausfüllen ihrer Formulare geholfen.

In meiner Grundschule haben wir gemeinsam mit einer aufgeschlossenen Grundschullehrerin beschlossen, in der zweiten Klasse drei türkische Jungen ohne deutsche Sprachkenntnisse aufzunehmen. Wir haben das bis zur vierten Klasse gemeinsam gemacht, und alle drei jungen Männer sind anschließend in Ausbildungs- und Arbeitsverhältnisse gegangen. Sie stehen heute alle erfolgreich im Berufsleben, und manchem von ihnen begegne ich auch noch in Lübeck.

Ich selbst habe dank dieses Miteinanders nicht in erster Linie die Probleme gesehen - die es auch gab -, sondern vielmehr die Bereicherung, die das für unsere eigene Sozialkompetenz bedeutet. Meine Kinder habe ich in den 90er-Jahren in Niedersachsen darum auch bewusst in dem Kindergarten in Hessisch Oldendorf angemeldet, in dem der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund am größten war, weil ich weiß: Aus der Nähe erwächst die Chance, Verständnis füreinander zu entwickeln.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich will aber gar nicht verhehlen: Für uns alle bleibt viel zu tun. Verschärfungen sind die falschen Reflexe. Sie beschneiden und vergiften die Freiheit und können nie die Antwort sein, wenn eben jene Freiheit angegriffen wird.

„Je suis Charlie“ heißt, für eben diese Freiheit anzutreten, sich zu ihr zu bekennen. Es ist eine Umarmung - nicht Abschottung, nicht Abgrenzung. Dieses Bewusstsein und diese Erkenntnis vereinen im Moment so viele von uns - nicht nur in Paris,

sondern auch in Hannover, gestern in Braunschweig, Osnabrück, Northeim und Hameln. Lassen Sie uns daran festhalten und mit Mut weiter für unsere Toleranz und Vielfalt kämpfen und unsere offene Gesellschaft gemeinsam verteidigen!

Vielen Dank.

(Starker, anhaltender Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin Piel. - Wir können die Besprechung zu Tagesordnungspunkt 2 nun

schließen.

Wir kommen zu der gemeinsamen Resolution, um die wir heute die Tagesordnung erweitert haben. Sie trägt die Drucksachennummer 17/2765.

Da keine gesonderte Aussprache vorgesehen ist, werde ich den Inhalt der Resolution verlesen:

„‚Nous sommes Charlie‘ - Gegen den Hass - Ein Zeichen für Meinungsfreiheit und Toleranz

Der Landtag stellt fest:

Die Attentate auf die Redaktion des französischen Satire-Magazins Charlie Hebdo, die französischen Polizisten und auf den jüdischen Supermarkt in Paris waren barbarische Akte und Anschläge auf Demokratie, Meinungsfreiheit und auf vielfältige, tolerante Gesellschaften insgesamt. Diese Grundrechte, die in Europa so hart erkämpft wurden, müssen gegen jegliche Angriffe verteidigt werden. Die Menschen in Frankreich können sich dabei auch der Unterstützung ihrer niedersächsischen Freundinnen und Freunde gewiss sein. Parteiübergreifend verurteilen wir diese Attentate auf das Schärfste und fühlen mit den Opfern der terroristischen Anschläge und deren Angehörigen.

Wer die demokratischen Grundrechte, wie die Meinungsfreiheit, bekämpft oder auch nur infrage stellt, der stellt sich auch gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung. Die Antwort auf solch menschenverachtende Akte kann daher nur die Stärkung der Meinungsfreiheit, der religiösen und kulturellen Vielfalt und unserer demokratischen Grundwerte sein. Wir wollen weiterhin in einer Gesellschaft leben, in der man keine Angst davor haben muss, sich frei zu

äußern und seine Religion oder Weltanschauungen offen zu leben. Alles andere wäre eine Gefahr für unsere Demokratie, den Parlamentarismus, den Rechtsstaat und die Grundrechte insgesamt.

Der Anschlag auf die Journalistinnen und Journalisten und auf Menschen jüdischen Glaubens ist noch viel mehr. Er ist auch ein Prüfstein für unsere Demokratie. Wer als Reaktion auf die Geschehnisse in Paris versucht, diese für populistische Ziele zu missbrauchen, antisemitische oder antimuslimische Ressentiments zu schüren, wer gegen Flüchtlinge hetzt, der gefährdet unsere freie und offene Gesellschaft. Auch diesen Bestrebungen stellen wir uns entschieden entgegen.

Der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus muss mit allen rechtsstaatlichen Mitteln geführt werden. Zugleich müssen wir die gesellschaftliche und geistige Auseinandersetzung mit den Ursachen dieses Islamismus offensiv führen. Unser unerschütterlicher Glaube an die Würde des Menschen, die Unveräußerbarkeit der Menschenrechte und die Kraft der Freiheit ist stärker als religiöser Fanatismus.

Unsere Gesellschaft bietet jedem die Freiheit zur Kritik an Glaube, Kultur und Überzeugung eines anderen. Sie gebietet aber auch, dem Andersgläubigen, dem Flüchtling, dem Fremden, und dem politischen Gegner mit Toleranz und Respekt gegenüberzutreten.“

Die Resolution ist unterzeichnet von allen vier Fraktionen des Landtages.

(Starker Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Geschäftsordnung sieht vor, dass wir über die Resolution abstimmen. Wir kommen daher zur Abstimmung.

Wer dieser Resolution seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Das war einstimmig. Ich danke Ihnen sehr.

(Beifall)

Ich rufe nun auf den

Tagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde

Für diesen Tagesordnungspunkt sind vier Themen benannt worden, deren Einzelheiten Sie der Tagesordnung entnehmen können.

Die in unserer Geschäftsordnung für den Ablauf der Aktuellen Stunde geregelten Bestimmungen setze ich bei allen Beteiligten, auch bei der Landesregierung, als bekannt voraus.

Ich eröffne die Besprechung zu

a) Gefahren des islamistischen Terrorismus in Niedersachsen wachsam begegnen - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 17/2751

Ich erteile Herrn Kollegen Brunotte das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Je suis Charlie“ ist wahrscheinlich das Zitat, das die Debatte heute Vormittag mit am meisten geprägt und bestimmt hat. Diese drei Worte sind ein Symbol für weltweite Solidarität mit den Opfern des Anschlags.

Sie machen uns deutlich, wie nahe die Bedrohung durch den Terror in Europa ist und wie sehr sich der Terrorismus, der sich teilweise sehr weit entfernt und abstrakt in Syrien oder im Irak abspielt, in der Mitte Europas befindet. Dieser Terrorismus stellt uns vor große Herausforderungen.

Wir haben uns auch in Niedersachsen immer wieder mit dem Thema „Islamistischer Terrorismus“ in den Ausschüssen und im Parlament beschäftigt und müssen feststellen, dass wir mittlerweile 400 Salafisten in Niedersachsen haben und dass die Sicherheitsbehörden von bis zu 40 Ausreisern nach Syrien berichten.

Das macht deutlich, dass auch Niedersachsen Rekrutierungs- und Rückzugsgebiet für diesen Terror geworden ist, und es macht deutlich, dass wir auch in Niedersachsen eine abstrakte Gefährdungslage haben, mit der man sensibel umgehen muss.

Die Zahlen machen aber auch deutlich, dass die niedersächsischen Sicherheitsbehörden wissen, mit wem wir es zu tun haben. Sie machen deutlich, dass Polizei, LKA, Verfassungsschutz und - auch sie will ich hier besonders erwähnen - die Staatsanwaltschaft, bei der erste Ermittlungsverfahren anhängig sind, wissen, mit wem wir es zu tun haben. Wolfsburg hat deutlich gemacht: Wir stehen

denen, die sich diesen Gruppierungen zugehörig fühlen, eng auf den Füßen.